Da Tariq bewusst Ausschau hielt nach den Hunden, bemerkte er im Schatten des Tores drei Schemen, von denen zwei die Hunde sein mussten und der dritte eine Person, die sich bei ihnen aufhielt. Unwillkürlich war Tariq erleichtert, dass jemand da war, der die Hunde irgendwie im Zaum halten würde. Zwar war er nicht unrechtmäßig hier, aber er war ein Fremder. Zu seiner Erleichterung blieben die Hunde entspannt liegen, als er näher kam – vermutlich wegen der anwesenden Person, die sich nun zu Wort meldete. Obwohl Octavena ihm gesagt hatte, dass ihre Tochter immer gern mit den Hunden herumlief, war Tariq doch ein wenig überrascht, dass es ein junges Mädchen war, das sprach.
Er war kurz stehengeblieben, als sie angefangen hatte zu sprechen, nun trat er einige Schritte heran. „Freut mich, Ildrun. Ja, ich bin Tariq“, erwiderte er und lächelte ihr zu. „Wenn du mit deinem Onkel Hadamar meinst, ja, wir sind gestern gemeinsam angekommen.“ Trotz des Stammbaumes, den Farold ihm gezeigt hatte, hatte Tariq Schwierigkeiten, die komplexen Verwandtschaftsverhältnisse der Duccier zu durchblicken. Andererseits wusste er, dass es sich in seiner Heimat ähnlich verhielt. Auch dort gab es große weitverzweigte Familien, die ähnlich funktionierten wie bei den Römern oder auch offensichtlich hier in Germanien. Wer zu einer Familie dazugehörte, hatte dieser gegenüber zwar Verpflichtungen, profitierte im Gegenzug aber auch von deren Verbindungen und hatte allgemein ein Auffangnetz, sollte er eines brauchen. Von den persönlichen engen Verbindungen, die die Familienmitglieder untereinander pflegten, mal ganz abgesehen. Und wenn der Mensch so etwas nicht hatte, so wie Tariq, dann suchte er meist eine Alternative – bei ihm war das Duroks Bande gewesen, der er tatsächlich hauptsächlich deshalb den Rücken gekehrt hatte, weil er keine anderen Wahl gehabt hatte. Ansonsten wäre er vermutlich dabei geblieben, trotz der schlechten Behandlung, die Durok und einige der älteren Jungen ihm hatten zuteil werden lassen. Weil das eben das soziale Umfeld war, das er kannte.
„Ich war gestern ziemlich müde nach der langen Reise und habe nicht so viel mitbekommen. Deshalb schaue mich heute ein bisschen um. Dein Bruder und deine Mutter haben mir das Haus gezeigt, gerade war ich am Fluss und jetzt wollte ich die Hunde mal sehen“, erzählte er und war selbst ein wenig überrascht, wie leicht es ihm fiel, mit ihr zu reden. Vielleicht, weil sie ihm altersmäßig am nächsten war. Sie war offensichtlich etwas jünger als er, aber kein richtiges Kind mehr, so wie Farold, und auch keine Erwachsene, so wie alle anderen hier, denen er bisher über den Weg gelaufen war. Selbst Hadamars jüngste Schwester hatte, abgesehen von der ersten Begrüßung Hadamars, schon recht erwachsen gewirkt, als sie sie gestern empfangen hatte. Das hatte ihn, wie er im Nachhinein feststellte, überrascht, weil sie in Hadamars Erzählungen irgendwie jünger gewirkt hatte, als sie sich dann in Wirklichkeit entpuppt hatte.
„Sind die beiden gefährlich?“ fragte er mit einem Kopfnicken in Richtung Hunde, von denen einer sich nun erhoben hatte und ihn … nun ja, zumindest aufmerksam anblickte. Tariq hielt auf jeden Fall vorsichtshalber Abstand.