Von der Domus Iunia kommend, ging Stilo den Weg herab. Es hellte so langsam auf und die ersten Sonnenstrahlen wärmten seine Haut. Er atmete aus dem Mund und kleine Dampfwolken stiegen empor, als er schließlich an der Via Borbetomaga ankam. Auf der linken Seite befand sich die Sepulcreta, kleine Grabhäuser und Denkmäler, die recht neu aussahen. Zwischen diese konnte man den großen Fluss, den Rhenus sehen, der unermüdlich seinen Weg durch diese kalte Landschaft ging. Hier schien alles neu und war es letztendlich auch, wenn man bedenkt, wie neu diese Stadt und ihre Geschichte war. In Crotona war die Geschichte so alt, dass vieles Wahres auch als Legende hätte durchgehen können und wenige Legenden in der Wahrheit mündeten. So Recht wusste es niemand.
Die Straße war weitgehend leer - nur ein paar Wagen, die aus einer Siedlung bogen, kamen ihn langsam entgegen. In der Ferne konnte man auch schon das Kastell der Ala sehen. Hier würde sich Stilo's Zukunft abspielen und die Angst davor - der Respekt, die wiederkehrende Sorge seiner Familie keine Ehre zu bringen - all diese Gedanken spielten sich wieder in Endlosschleife vor seinem geistigen Auge ab.
"Guten Morgen Herr. Einen Sesterz für einen alten Veteranen übrig?", riss eine kratzige Stimme ihn von seinen Gedanken. Erschrocken sah er nach und entdeckte am Straßenrand einen Mann mittleren Alters auf dem Boden sitzen. Dieser schien nur einen Arm zu haben und ein genauerer Blick offenbarte, dass ab der Hüfte ein Bein fehlte. Der Mann hob einen massiven Stock vom Boden und drückte sich damit hoch und schaute Stilo direkt in die Augen. "Mein Name ist Velianus, Decimus Quinctius Velianus. Ehemals Legionär in der Legio II Germanica." Er lächelte freundlich, wohl wissend, dass Veteranen immer mit einer großzügigen Spende rechnen konnten. Stilo hörte die Wörter fast kaum, sein Blick hing an den Stellen, wo eigentlich die fehlenden Gliedmaßen sein sollten. Velianus lachte laut. "Ein Disput mit einem Germanen bei einer Strafexpedition. Nun ja, der andere ist nicht mehr. Aber ich habe einen hohen Preis bezahlt. Einen sehr hohen Preis für Rom und die Sicherheit seiner Bürger." Er streckte seine verbleibende Hand in Richtung Stilo, um ihn das Gefühl zu übermitteln, sein Opfer allein gewährte die Sicherheit in dieser Provinz und jeder musste dafür bezahlen. Verwirrt fing Stilo an, in seinem Beutel nach ein paar Münzen zu graben. Was musste dieser Mensch wohl alles erleiden, dachte er sich. Schließlich kramte er ein paar Münzen hervor und legte sie behutsam auf der verbleibenden Hand, wohl ängstlich, er könnte diese ebenfalls verlieren. "Ich bin Sextus Iunius Stilo und ich möchte mich bei dir für deinen Betrag bedanken!" "Ein Iunier?" , sagte Velianus und fing an seinen Daumen auf seine Finger zu kreisen. "Ihr gehört einer sehr wohlhabenden Familie an. Sicherlich könnt ihr noch ein paar Münzen zusätzlich entbehren, meint ihr nicht? , fragte er fast schon unverschämt. Stilo fühlte sich nicht mehr wohl. Eine gewisse Bedrängnis stieg in ihm auf. "Tut mir leid, das ist alles, was ich geben kann. Ich muss jetzt weiter." Velianus, der nun erkannte, zu gierig gewesen zu sein, versuchte die Situation zu entschärfen. "Verzeihe, junger Stilo. Es ist nur so, ich habe Hunger und Banditen haben mich auf dem Weg hierher um meine Pension gebracht. Ich habe nichts mehr und hoffte, das ihr mir helfen würdet. Als Veteran bin ich auf Hilfe angewisen." Stilos Herz erwärmte sich und so griff er noch einmal in seinem Beutel hinein. Sollte ihm jemals etwas zustoßen, wusste er genau, dass seine Familie für ihn da sein würde und ihn niemals in Stich lassen würde.
"Hier, nimm das noch, mehr kann ich wirklich nicht. Ich muss jetzt auch wieder gehen. Ich muss zur Ala." Velianus Augen öffneten sich schlagartig und er schaute Stilo entgeistert an. "Zur Ala? Was willst du dort, Herr?", fragte er.
"Ich werde mich freiwillig melden. Ich will meinen Beitrag ebenfalls leisten.", sagte er und schielte in Richtung der Ala. Velianus änderte sofort seine Haltung und flehte Stilo an " Bitte, sage nicht, dass ich hier bin. Die Soldaten mögen uns Bettler, eh ich meine Veteranen nicht. Sie verjagen uns immer"
"Ich werde schweigen", versprach Stilo und meinte es aufrichtig. Dieser Mann hatte bereits genug gelitten. Er verabschiedete sich noch freundlich, wünschte dem Veteranen den Segen der Götter und drehte sich um. In diesem Moment kam ein Händler mit seinem Karren, vollgepackt mit Nahrung aus dem Vicus.
Stilo nickte zu und ging seinen Weg in Richtung der Ala.
Währenddessen ging der Händler zum Bettler rüber und als Stilo außer Hörweite war, sagte er, "Medon. Was machst du wieder? Tust du arme Leute anbetteln und tischt ihnen irgendeine Geschichte auf?" Der Händler lachte herzlich. "Was ist es diesmal? Der Bauer, der beim Versuch Hof und Frau vor Banditen zu schützen alles verloren hat?", er zeigte dabei auf die fehlenden Gliedmaßen. "Oder die Geschichte, wo dein früherer Herr dir aus Spaß die Gliedmaßen raus riss? Nun, was ist es?" Der Better, der nun ebenfalls in Gelächter ausgebrochen war, erwiderte nur. "Nein, viel einfacher. Der Bursche geht zur Ala. Der hat ein Herz für Veteranen und dadurch über meiner Legio Germanica Geschichte."
Beide lachten Sie herzlich über die Naivität des jungen Stilo, der indessen kaum sichtbar kurz vor den Toren der Ala stand...