Beiträge von Herminia Tarpa

    Das Überirdische und das handfest Irdische gingen Hand in Hand, und so sagte Herminia Tarpa:

    "Ich hoffe, dass dein Verzicht auf Fleisch keine Schule macht, Miles Medicus Iunius. Denn wie sonst sollen die Armen sich gut ernähren als durch das gespendete Opferfleisch der Tempel und durch das Fleisch der Tiere, die im Circus getötet werden?"

    Sie nickte ernst, als der Urbaner sagte, auch er hätte die Virgo Vestalis Maxima nicht retten können.

    "Ich danke dir, Miles Medicus.", sprach sie, und dann streckte sie die Hand aus, jedoch ohne den Mann zu berühren, und fragte:

    "Ihr werdet sie alle finden, nicht wahr, ihre Mörder?"


    Herminia Tarpa selbst fürchtete weder Fleisch noch Blut. Wenn die christiani brennen mussten, weil die Gerechtigkeit über sie kam, wenn sie waren wie Schwären an einem kranken Körper, der im Fieber glühte, dann war es so, dass man unerbittlich schneiden musste. Sie hielt es mit Schwester Valeria, auch die hatte verstanden, dass gestorben werden musste, selbst wenn Vesta sie danach mit Stummheit geschlagen hatte.

    Alles geschah nur, weil die Götter es bestimmten, und die Parzen das Schicksal aller schrieben.


    Jetzt lächelte die Aeditua:
    "Valete bene", wünschte sie den beiden Militärärzten, und begleitete sie bis zur Porta.

    Dann bezog sie wieder ihren Platz an der Bahre der teuren Verblichenen. Es war der letzte Tag der collocatio, der Totenwache.

    Die Nüchternheit des jungen Miles Medicus riss die Aeditua aus ihren Gedanken.

    Er hatte sich am Schreibtisch niedergelassen und breitete seine Tabulae aus.

    Auch die Fragen waren nüchtern, und Herminia Tarpa bemühte sich, zu antworten, obwohl sie das Gefühl hatte, dass die Antworten mit ihrer völligen Beziehungslosigkeit zu den göttlichen Mächten nur einen Teil der Wahrheit enthüllten und nicht einmal den maßgeblichen. Was war mit dem, was sie am Tatort gespürt hatte? Welch ungünstig gestimmte Gottheit war präsent gewesen?

    „Entdeckt, das ist nicht das richtige Wort. Unsere Obervestalin wurde am Eingang des Mercatus Urbis in aller Öffentlichkeit ermordet. An ihrer Seite befand sich die Virgo Valeria, denn sie war die Schülerin der Maxima und begleitete sie an jenem Unglückstag. Und vor ihr schritt nach alter Sitte der Liktor Lucceius Aterianus.

    Ich weiß nicht, Miles Medicus Scato, ob du einem Gott je ein Blutopfer dargebracht hast? Es gibt die Möglichkeit, dem Opfertier die Kehle durchzuschneiden. Es gibt aber auch die Möglichkeit eines gezielten Stichs in den Nacken..“

    Herminia Tarpa deutete sich in das Genick:

    „Dabei tritt der Tod sehr schnell ein. Auch unsere geliebte Vestalis Maxima verschied sehr rasch. Niemand hat versucht, ihr Leben zu retten, weil eben alles so schnell ging. Vielleicht hättest du es vermocht, Miles Medicus Iunius, aber du warst nicht dabei.

    Wir, also ich und vier Sklaven kamen und hoben sie in eine Sänfte.

    Wir brachten sie in der Sänfte in die Casa Mamilla. Die Hausherrin Sentia Tigellina hat früher schon todkranke Vestalinnen gepflegt; Schwester Valeria und ich wussten, dass sie uns beistehen würde.

    Da wir keine Pollinctores* dazuholen wollten, haben die Sklavinnen unter der Anleitung von Tigellina die Tote gewaschen, gesalbt, neu eingekleidet und aufgebahrt.

    Krankheiten, o nein, Miles Medicus. Eine kranke Vestalin ist für den Dienst nicht geignet, sie würde suspendiert werden. Sie muss körperlich und geistig völlig gesund sein.

    Ungesunde Gewohnheiten? Du meinst, zu viel unvermischten Wein oder Opium?

    Nein, ich glaube, ich hätte davon gewusst, wenn es so gewesen wäre. Aber davon weiß ich nichts“,

    die einzig ungesunde Angewohnheit von Decima Messalina war, sich in Rom, ihrem Rom sicher zu fühlen und davon auszugehen, dass ihr niemand Böses wollte, dachte Herminia Tarpa. Wie sehr hatte sie sich in ihren Mitbürgern getäuscht.


    Ihre Frage wurde nicht beantwortet. So fuhr Herminia Tarpa unbeirrt mit ihren apotropäischen Maßnahmen fort und besprengte die beiden Urbaner, die schließlich eine Tote berührt hatten, mit dem Inhalt der Schüsseln.

    Erst nach erfolgter Reinigung erwiderte sie: „Ein ungestörter Ort ist das Officium, in dem Cornicularius Octavius die Zeugen befragte, Miles Medicus Iunius. Wenn ihr bitte dorthin mitkommen würdet.“


    Sie verließ das Cubiculum der Totenwache und nahm an, dass ihr beide Urbaner folgen würden.


    Das besagte Officium war ein schlichter Raum mit einem großen Schreibtisch, hinter dem ein Stuhl mit einer Lehne, vor dem zwei metallene Klappstühle standen. Hier hatte der Cornicularius kürzlich die Aussagen des Liktors und der Sklaven aufgenommen.

    Das Officium besaß eine massive und abschließbare Tür und nur ein einziges vergittertes Fenster führte auf das Peristyl hinaus.


    Herminia Tarpa öffnete mit einem Schlüssel, trat ein, ließ die Tür offen und stellte sich an das Fenster. Sie sah zum Himmel. Die Wolken hingen tief, schienen das Dach des gegenüberliegenden Gebäudes fast zu berühren. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als wäre ihr kalt.

    Die Aeditua, die vor der Tür ausgeharrt hatte, trat wieder ein. Ihr folgten zwei Sklavinnen, eine von ihnen trug eine Schüssel mit Wasser, eine Kanne mit einer Abkochung von saponaria officinalisund saubere Tücher mit sich, die andere jedoch eine Schale mit mit Salz vermengtem Getreideschrot in beiden Händen. Dieser war zur Läuterung und Reinigung gedacht.


    Herminia Tarpa bemerkte sofort, dass der Leichnam der Maxima fast wieder so hingebettet worden war, wie sie ihn verlassen hatte, und dieses Zartgefühl der Urbaner rührte sie: Sie besaßen pietas, sie ehrten die Götter, sie ehrten ihre Priesterinnen.


    Was eine Obduktion genau beinhaltete, wusste sie indes nicht. Sie schrieb den Milites Medici eher besondere Kräfte zu.

    Und so hielt sie nicht an sich, sondern fragte: "Habt ihr schon sehen können, dass es eine Christianerin war, die unsere geliebte Maxima ermordet hat?“

    „Ich bin die Aeditua Vestalis Herminia Tarpa. Ich nahm an, man hätte euch über meine Person und meine Aufgabe unterrichtet.“, erwiderte die junge Frau, denn ihr war zumindest einer der Milites Medici namentlich angekündigt gewesen.

    Dann sprach dieser auch schon nicht unfreundlich, aber bestimmt, und erklärte ihr, warum sie während der Obduktion nicht bei ihrer verstorbenen Maxima bleiben konnte. Tarpa nickte, nur als er die Geheimhaltung erwähnte, warf sie ihm einen kurzen und prüfenden Blick zu:


    Wusste der Urbaner denn nicht, dass sie in der Aedes Vestae viele Staatsgeheimnisse hüteten, das Paladium, die Abbildung der Göttin Pallas Athene, welche direkt vom Himmel gekommen war; die Penaten des Staates, und weitere noch viel geheimere Gegenstände, die der Held Aeneas bei seiner Flucht aus Troja gerettet hatte? Dass sie die Testamente und Verträge aufbewahrten, sogar die der Caesaren? Die Schwesternschaft galt als unbedingt vertrauenswürdig.


    Und meinte er denn, sie Tarpa, wüsste nicht, welch ein Frevel an den Göttern dieser schreckliche Mord gewesen war? Seit Tagen schon wandelte sie in Dunkelheit und Trauer und spürte den Zorn der Himmlischen, die ira deorum, mit jeder Faser ihres Leibes.


    Oh, ihr geliebtes Roma würde Sühne leisten müssen, größere Sühne als je zuvor. Aber diesmal würden sich die Unsterblichen vielleicht nicht mit makellosen Opfertieren zufrieden geben; nach Menschen verlangte es sie, nach jenen christiani,die zu zehnt, zu Hunderten oder gar Tausenden solange hingerichtet werden sollten, bis der Friede mit den Göttern wieder vollständig hergestellt sein würde.


    Die beiden Urbaner waren nach dem Willen der Unsterblichen hierher gekommen, gesandt, um die Christianer (mit) zu verderben. Daran hielt sich Herminia Tarpa fest.


    Sie erhob sich; die Tränen wichen fanatischem Glanz in ihren Augen:

    „Es soll alles nach deinen Anweisungen geschehen, Miles Medicus Iunius.“, sprach sie:

    „Aber die Kleidung und den Schmuck, den unsere geliebte Vestalis Maxima an jenem Tag trug, kann ich euch leider nicht bringen. Alles wurde verbrannt beziehungsweise weggeworfen. Es war ja unrein und verdorben.“


    Sie meinte damit auf kultische Weise. Die Bewohner des Atrium Vestae und der Casa Mamilla hatten nur getan, was man seit jeher in diesen Fällen getan hatte: Die Tote würdevoll aufgebahrt, das frevelhaft Befleckte beseitigt und sich selbst den Reinigungsriten unterzogen. Die Kritik des jungen Medicus verstand Herminia Tarpa nicht so recht, sie lebte ganz und gar in einer sakralen Welt:


    „Ich warte vor der Porta, bis ihr mich wieder benötigt. Möge die gütige Vesta euer Werk leiten.“

    Sie klatschte noch einmal in die Hände und die beiden Sklavinnen verließen das Cubiculum. Und auch Herminia Tarpa ging

    Der Ianitor fand den Namen von Iunius Scato tatsächlich auf seiner Liste und hakte ihn ab. Der Besucher war von Cornicularius Octavius angekündigt und von Tarpa dem Hausherren mitgeteilt worden.


    Miles Medicus Iunius war noch recht jung, einer jener blonden Typen, der unter anderen Umständen auf Herminia Tarpa liebenswert hätte wirken können. So einer, der noch rote Ohren bekam, sobald er zufällig mit einem fremden weiblichen Wesen sprechen musste. Er strahlte jedoch professionelle Sachlichkeit aus, als er sich vorstellte. Der andere, Miles Medicus Velanius, sagte vorläufig nichts.


    Aber Herminia Tarpa missbilligte das Alter des Urbaners - hätten sie keinen schicken können, der bereits über vierzig war? - des Weiteren seine pure Gegenwart; überhaupt die Vorstellung, dass er mit seinen profanen Händen den Leichnam der Maxima berühren würde, die zu Lebzeiten lieber den Tod gewählt hätte als sich von einem männlichen Medicus untersuchen zu lassen.


    Nicht dass in jenen Tagen Jungfräulichkeit von übermäßigem Wert gewesen wäre. Importanz hatte sie nur bei der Schwesternschaft. War das Staatswesen beeinträchtigt, so suchte man die Schuld bei der Unkeuschheit einer oder mehrerer Vestalinnen. Ihre Reinheit garantierte das Wohlergehen des Imperiums.


    Es war ein ewiger Stachel in ihrem Fleisch, dass die Göttin das Los nicht auf sie, Herminia Tarpa, hatte fallen lassen. Sie war keine Vestalin. Aber sie lebte wie eine und widmete all ihre Kraft dem Tempeldienst.


    Die Aeditua verschränkte die Arme über die Brust, mehr Missbilligung wagte sie nicht: Die pontificarische Anordnung war eindeutig, sie alle hatten zu kooperieren. Wenn die Urbaner diese Militärärzte entsandt hatten, waren sie vermutlich auf ihrem Gebiet ausgezeichnet, das nahm sie zumindest an.


    „Folgt mir, Milites Medici“, sprach sie und führte sie nicht in das für diesen Zweck üblichere Atrium, sondern zu jenem großen Cubiculum, in dem die Obervestalin aufgebahrt lag.

    Wie jeden Tag während der siebentägigen Totenwache war ihr Leichnam gewaschen, neu eingekleidet und mit duftenden Ölen gesalbt worden.

    Herminia Tarpa klatschte in die Hände, um die Klageweiber nach draußen zu schicken. Die Frauen verstummten, rafften ihre Gewänder und zogen in einer Reihe an ihnen vorbei, in Richtung der Culina, wo sie sich zweifelsohne stärken würden. Nur zwei Sklavinnen blieben.


    Die Aeditua jedoch kniete sich an die Totenbahre und wandte ihr hellen Gesicht den beiden Medici zu.

    „Ich werde euch helfen, wenn es not tut. Braucht ihr etwas? Wasser? Saubere Tücher? Ich werde die Mädchen danach schicken.“, sprach sie.

    Unausgesprochen blieb, dass sie selbst da war, die Keuschheit der Obervestalin zu hüten, im Leben genauso wie im Tod.

    Der Ianitor der Casa Mamilla öffnete die mit Immergrün und Zypressenzweigen geschmückte Porta und sah zwei Angehörige der Cohortes Urbanae vor sich. Er dachte sich, dass sie auf seiner Liste der Personen, die ungehinderten Zutritt zur collocatio funebris der Obervestalin hatten, stehen mussten und zückte seinen Griffel:

    „Salvete Domini. Darf ich eure Namen wissen und was euch in dieses Haus führt.“

    Er schickte einen Jungen zu Herminia Tarpa, die die öffentliche Aufbahrung beaufsichtigte, um sie zu holen.


    Herminia Tarpa kam an die Porta. Im Gegensatz zu der vorigen Stunde trug sie nun ihr Haar offen und einen Ölzweig in der Hand. Sie weinte. Die Klageweiber hatten wieder zu singen begonnen. Es war jene Art von ritualisierter Trauer, die jederzeit in etwas anderes umschlagen konnte: In den öffentlichen Ruf nach Vergeltung.

    Die Virgo Vestalis Valeria sah den Cornicularius mit großen dunklen Augen an. Es war eine Frage, die er ihr gestellt hatte, oder vielmehr zwei. Nichts Abgehobenes. Aber wie konnte man Fragen beantworten.... Du denkst...du möchtest aussagen.... begriff er nicht, dass sie nur nach den Splittern ihres Verstandes haschte, die um sie tanzten und sie mit fliegender Hast in Wachs gekritzelt hatte.

    Die Christen, was wusste sie von ihnen? Damals als man ihre Freundin Iulia Phoebe auf offener Straße getötet hatte, da hatte sie begonnen, sich mit den geheimen und weniger geheimen Lehren zu beschäftigen, die in Roma kursierten und ihren Adepten ewiges Leben versprachen. Die Christianer stachen da nicht sonderlich heraus, fand sie damals.

    Doch jetzt kam es ihr, dass sich die Worte, die sie hingeschrieben hatte, durchaus auf sie beziehen konnten.

    Die Virgo Valeria führte beide Hände zum Kinn als Geste der Ratlosigkeit, dann breitete sie die Hände aus.

    Die Handschrift auf der Wachstafel war ihre, also hatte sie es geschrieben.So deutete sie auf sich und nickte.

    Dann schaute sie hilfesuchend zu Herminia Tarpa hin. Herminia war Sicherheit, war für sie da, war an ihrer Seite in all dem Chaos.


    Herminia Tarpa jedoch spürte bei jedem Wort, welches Cornicularius Octavius sprach, wie eine neue Kraft, ja eine neue Berufung sie durchströmte. Sie hatte die Mörderin für ein wahnsinniges Geschöpf aus den Tiefen des Orcus gehalten. Das der Urbaner nun die Christiani ins Spiel brachte, das führte weg von persönlichem Wahnsinn direkt hin zu einem gezielten Angriff auf das Imperium, auf seine Reinheit und Schönheit, die Decima Messalina als Maxima verkörpert hatte.

    "Wer sonst würde die Aedes schließen und das ewige Feuer ausmachen wollen?!", murmelte sie und es schauderte ihr, denn gemäß der Prophezeiung würde die Urbs Aeterna untergehen, wenn das Heilige Feuer der göttlichen Vesta erlosch:

    "Selbst die wüstesten Barbaren respektieren doch die Existenz unserer Götter. Nur die Christen bestehen darauf, dass ihr Gott der einzig Existierende ist und alle anderen Götter nicht existent! Sie hassen Roma und das ganze Menschengeschlecht."

    Herminia Tarpa sprach nun mehr, als sie je gesprochen hatte; Abscheu und Wut ließen sie zittern:

    "Schau doch, die Virgo Valeria verdreht oft die Buchstaben, aber die letzte Tafel hat sie ganz fehlerfrei geschrieben. Und sie bittet euch, das Böse aufzuhalten."

    Würde man Herminia Tarpa nicht Stillschweigen auferlegen, würde sie es in die Welt hinein rufen. Nicht mehr wie eine bescheidene Aeditua, den sanften Jungfrauen ergeben. Mit offenem Haar, wie eine Furie, die Fackel in der Hand, würde sie Rache an denen sehen wollen, die ihre Welt zerstören wollten:

    Christianos ad leones!



    Die Virgo Valeria jedoch schwieg und drehte sich zur Wand zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war.

    Was geschehen würde, war nichts mehr, was sie noch anging. Es blieben Leere und Stille.

    Herminia Tarpa war ganz und gar erschrocken über des Cornicularius forschem Auftreten. Er fragte nicht einmal, ob er die Fensterläden öffnen dürfe. Und er sagte der Virgo Vestalis auch nicht noch einmal, wer er war – Valeria Maximilla kannte ihn bereits von der Befragung aus dem Atrium Vestae, aber es war durchaus nicht gewiss, ob eine junge Frau, die sich den größten Teil des Tages wie eine Statue aus Marmor verhielt, ihn wieder erkennen würde. Und wenn – warum war er noch einmal hergekommen?


    Die Aeditua eilte zu der Priesterschülerin, kniete sich zu ihr und brachte sie mit einer sanften Bewegung dazu, sich wenigstens von der Wand weg und zu dem Besucher umzudrehen.

    Das ist der Cornicularius Octavius.“, sprach sie dabei, trat dann zurück und hielt sich bereit.


    Die Virgo Vestalis legte zunächst eine Hand vor Augen, was aber nicht Scham geschuldet war, sondern dem plötzlich über sie hereinbrechenden Tageslicht.

    Dann senkte sie die Hand und sah in Richtung der Eintretenden.

    Ihre Augen waren groß und dunkel und schienen ihre Umgebung nicht wahrzunehmen. Eine braune kurze Haarsträhne hatte sich unter dem Schleier gelöst und fiel ihr über die Stirn.

    Immer noch wirbelten Gedankenfetzen um sie herum wie Mosaiksteine aus einem zersprengten Mosaik, und sie versuchte sie, zu erfassen. Sehr oft erschien etwas, was ihr bekannt vorkam, manchmal war sie sich jedoch nicht sicher, ob das erfasste Mosaiksteinchen überhaupt zu ihren eigenen Gedanken gehörte.


    Jetzt streckte Virgo Valeria die andere Hand aus nach dem Schreibmaterial. Papyrus wies sie zurück, ihn zu beschreiben, war allzu schwierig, wenn man in einem Bett lag. Sie griff nach den Wachstafeln.

    Aber da sie sie vor Zeugen beschrieb, konnte man eine dauerhafte Abschrift davon anfertigen, falls das benötigt wurde.


    Cornicularius Octavius hatte Valeria Maximilla viele Fragen gestellt und bekam auf jede von ihnen eine kurze Antwort aufgeschrieben. Das dauerte lange, denn Maximilla hatte Schreiben erst spät gelernt und ihr fiel es schwer, obwohl sie sich auf das Allernötigste beschränkte. An ihrer Akribie war allerdings zu merken, dass ihr kein Wort des Octaviers entgangen war. Irgendwo in der Starre und Dunkelheit war die Virgo Valeria präsent und äußerst lebendig:



    Non ɘst

    Non ɘst

    Ita ɘst

    Ita

    Ita ɘst

    Non ɘst

    Ita

    Ita



    Auf die zweite Wachstafel kritzelte sie:


    Nach der Audienz bɘim Caesar Augustus am PRIDIE ID SEP DCCCLXXI A.U.C.(12.9.2021/118 n.Chr.) Ich wollte Kersas zu mir rufɘn. Es war mir nicht möglich.



    „Die Virgo Valeria besitzt einen zahmen Kater aus Aegyptus, den sie Kersas nennt.“, erklärte Herimina Tarpa:

    „Er ist jetzt hier in der Casa Mamilla.“

    Beinahe hätte sie gefragt, ob sie ihn auch zur Befragung herholen sollte, doch solch spitze Bemerkung verkniff sie sich. Der Caesar Augustus selbst hatte angeordnet, dass alle Angehörigen des Atrium Vestae den Cohortes Urbanae behilflich sein sollten, wo sie nur konnten, daran hielt sie sich. Auch Valeria Maximilla kannte diesen kaiserlichen Befehl.


    Derweilen schrieb die junge Vestalin noch etwas auf eine dritte Wachstafel und gab sie der Aeditua. Herminia Tarpa las, verstand den Text aber nicht und reichte das Geschriebene mit einem Achselzucken Cornicularius Octavius.

    Auf der dritten Tafel der Virgo Vestalis Valeria, die nach eigener Aussage von der Göttin bestraft wurde, war zu lesen:



    Sie werden die Tore der Aedes schließen.

    Sie werden die Quellen zuschütten.

    Sie werden das Feuer löschen.

    Bitte haltet sie auf.

    Der Liktor Lucceius Aterianus räusperte sich, dann sagte er: "Auch wenn du nicht Recht sprichst, Cornicularius Octavius, so ist es doch möglich, dass du auf gewisse Weise über uns richtest. Denn auf Grund deines Berichtes werden die Verantwortlichen entscheiden. Anderseits: Die Unsterblichen können auf sich selbst aufpassen, nicht wahr?

    Es war nicht meine Absicht, die Sklaven bestrafen zu lassen, im Gegenteil: Stummheit und für ewig zu schweigen ist zuweilen der beste Schutz, den man haben kann. Doch die Priesterinnen haben nichts dergleichen befohlen.

    Aber ich sehe, dass dir ihr Schicksal am Herzen liegt.", Lucceius lächelte nun:

    "Du bist ein guter Mann, Octavius. Möge Vesta dich leiten und beschützen.

    Wegen der Schreibutensilien schicke ich dir die Aeditua Herminia, sie kennt sich hier in der Casa Mamilla am besten aus. Vale bene Cornicularius Octavius."

    Er grüßte, dann ging er.


    Kurze Zeit später kam Herminia Tarpa, ging zielstrebig auf eine Truhe zu, die hinter dem Schreibtisch des Officiums stand und holte einen Schwung Tabulae, Papyri und Schreibwerkzeuge heraus, die sie auf dem Tisch ausbreitete.

    Aufmerksam schaute sie den Urbaner an:

    "Liktor Lucceius sagte, du möchtest mit der Virgo Valeria sprechen? Du weißt, dass sie hier gepflegt wird, nicht wahr? Sie kann dich jedoch verstehen und sie wird dir schriftlich antworten."


    Das die vestalische Jungfrau Maximilla nicht erlaubte, die Fensterläden zu öffnen, dass sie im Halbdunkel lag und den ganzen Tag an die Wand starrte, das würde der Cornicularius ja selbst sehen.*



    Sim-Off:

    * Da sich Valeria Maximilla im Exil befindet, wird Herminia Tarpa die ID mitschreiben. Das ist mit dem Spieler abgesprochen.

    "Der Aedituus Cominius teilt uns Liktoren nur zum Dienst ein, also wer wann welche Vestalin begleitet.", präzisierte Lucceius: "Ausgesucht wurden wir vom Sacerdos virginum Vestalium, Musonius Lateranus, der das nach bestem Wissen und Gewissen tut: Ältere Männer werden bevorzugt und auch römische Bürger, da Liberti oft nicht so...hmm, ihnen oft der Sinn für den mos maiorum fehlt.

    Ich würde mal behaupten, dass diejenigen, die sich freiwillig melden, viel von Althergebrachtem halten. Von Pietas. Vom Dienen an etwas, das größer ist als das eigene kleine Ich.

    Es ist eine ganz eigene Welt, so alt, dass man oft gar nicht mehr richtig versteht, weshalb etwas getan werden muss. Aber seit Jahrhunderten bleibt das gleich. So reisen die Virgines Vestales täglich bis zur Quelle der Egeria, um Wasser zu holen, welches für die Reinigung des Tempels notwendig ist, obgleich das Atrium doch schon lange an die Wasserversorgung angeschlossen ist. Das Feuer darf nur auf althergebrachte Weise entzündet werden und so weiter. Für diese Ordnung muss man Sinn haben. Sie ist älter als unsere Gesetze, die vom Senat oder vom Kaiser gemacht werden. Schon vor der Gründung der Urbs war sie da. Schon die Mutter von Romulus und Remus war eine Vestalin. Ich habe mich auch freiwillig zum Dienst im Atrium Vestae gemeldet, übrigens."


    Lucceius wiegte den Kopf hin- und her:

    "Das ist es, was die Tat so schrecklich macht. Sie attackiert die göttliche Ordnung. Die kleine Virgo Valeria hat nur versucht, das entstandene Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen.

    Ein Leben für ein Leben. Einen Tod für einen Tod.

    Ich weiß nicht, was du deinem Vorgesetzten erzählen möchtest, Cornicularius. Aber lass Schwester Valeria raus bei der Sache. Ich war es, die die Mörderin gerichtet hat. Nichts würde etwas daran ändern, dass die Mörderin der Maxima Decima Messalina tot ist. Ich übernehme die volle Verantwortung für alles, was geschehen ist."


    Eine mögliche Antwort auf diese Frage:

    Zitat

    Noch intensiver muss das Verhältnis zwischen dem Magistraten und dem Liktor, der direkt vor ihm marschierte ... gewesen sein. Er genoss ein besonderes Vertrauen und „wachte“ derart über den Magistrat, dass mit Ausnahme der unmündigen Söhne des Magistraten niemand zwischen ihn und den Amtsträger treten durfte. Die Gründe für diese strenge Art sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, können nicht mit Hilfe
    von Sicherheitsvorkehrungen begründet werden, da diese Form kontraproduktiv zum eigentlichen Zweck verlaufen würde. Denn die Liktoren gewährten ihrem zu dienenden Magistraten.... nur insofern Schutz, dass sie ihm voran liefen. Somit bestand kein Schutz im Bereich des Rücken und der Seiten des jeweiligen Magistraten. Also fungierten die Liktoren nicht wesentlich als Leibwächter. Es ist eher zu vermuten, dass die Gründe für die durch den Liktoren erzwungende „Unberührbarkeit“ des Magistraten im sakralen Bereich zu finden sind. Zwischen dem Magistraten und seinen Liktoren bestand ein Kräftefeld, welches durch das Dazwischentreten einer fremden Person zerstört worden wäre. Das Mitführen von Liktoren somit hatte also in erster Linie symbolische Funktion und war ein Zeichen der Macht.

    Quelle:

    Tanja Zischke, Liktoren - Polizei im alten Rom?, S. 67 In: Beiträge zu einer vergleichenden Soziologie der Polizei, Universität Potsdam 2009

    Die Sklaven neigten leicht die Köpfe, die Hände auf die Rücken gelegt. Fronto schniefte. Dann marschierten sie nach draußen, an Liktor Lucceius vorbei. Dieser trat ein und schaute den Urbaner trübsinnig an.


    "Die Sklaven verlassen normalerweise bis sie ernstlich erkranken oder sterben, das Atrium Vestae nicht.", antwortete er auf die Frage. Den Sinn dahinter verstand er:

    "Ihre Zucht ist streng. Einige von ihnen werden ....nun ja wunderlich. Von fanatischer Ergebenheit, da die Göttin Vesta sie ja auch ausgewählt hat. Ansonsten sprechen sie nie mit jemandem außerhalb des Atriums. Sie gehen nur nach draußen wenn sie einen Auftrag haben.

    Wenn du aber Sorge hast, sie könnten nicht verschwiegen sein, Cornicularius, könnte ich Cominius ausrichten, er soll den vieren die Zungen herausschneiden lassen. Das wäre dann eine Sorge weniger."


    Sein Blick wurde forschender. Er hätte gerne erfahren, was die Sklaven dem Cornicularius berichtet hatten. Aber es ging ihn nichts an.

    Sein Vorschlag war gar nicht grausam gemeint. Denn so könnten die Sklaven immer noch ihren Pflichten nachkommen und mussten nicht in die Fremde verkauft werden. Oder noch Unangenehmeres.

    Nun trat der Liktor aus der Tür. In seinem Herzen war er froh, soviel Verständnis bei dem Urbaner gefunden zu haben. Denn wer, wenn nicht sie alle, waren Rom?

    Die einzige Bitterkeit, die er fühlte, war die, die Maxima verloren zu haben. Cornicularius Octavius hatte Recht. Die Zeiten änderten sich. Lucceius wusste nur nicht, ob er diese neuen Zeiten haben wollte. Nur die Zeiten würden ihn nicht danach fragen, ob er sie wollte, nahm er an.


    Er bedeutete den vier Sklaven, in das Officium einzutreten.


    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~

    Verhör der Sklaven



    Die vier Sklaven des Atrium waren Männer, die aussahen wie viele Servi Publici; sie trugen verwaschene, jedoch saubere Tunikas und waren ausnahmslos kräftig. Der Älteste von ihnen hatte schon einmal mit dem Cornicularius gesprochen. Er hieß Dacus. Da das Schicksal sie zu den Vestalinnen geführt hatte, fühlte sich zumindest Dacus selbst ein wenig auserwählt. Ansonsten hatten sie am liebsten in der Stille des Atriums gewerkelt, und vor der Wucht der Ereignisse, in die sie gezogen worden waren, fürchteten sie sich.


    Dacus neigte den Kopf und gab dem Urbaner eine von Herminia Tarpa beschriftete Wachstafel, auf der ihre Namen standen:

    Die Sklaven: Dacus, 42 Jahre, Medus 33 Jahre, Lacedaemonius 30 Jahre, Fronto,17 Jahre



    „ Ich stehe nun im fünfzehnten Jahr im Dienste der Vestalinnen, Dominus Miles.“, antwortete Dacus, der meist für die Gruppe sprach, weil er der Dienstälteste war: “Die anderen.“,er wies auf sie in der Reihenfolge seiner Worte: „ Zehn, sieben und fünf Jahre. Wir unterstehen dem Aedituus Vestae, Dominus Cominius, der auch den Zutritt in das Atrium regelt und die Liktoren einteilt.

    Es war an jenem Unglückstag, als Dominus Cominius vier von uns zu sich rief. Wir sollten sofort mit Domina Herminia Tarpa mitgehen. Sie nahm eine Sänfte und vier Träger, und wir folgten ihr zu Fuß.

    Aber ein Messer, nein, das haben wir nicht angefasst!“, mit großen Augen schauten nun alle drein: „Wir wissen doch, dass uns Waffen verboten sind!“


    „Wir kamen an, und da standen drei Personen: Schwester Valeria, der Liktor Lucceius und eine Unbekannte, so ein altes Weib. Und die Vestalis Maxima lag am Boden. Erstmal hat Domina Herminia befohlen, ihr zu helfen, sie in die Sänfte zu schaffen. Sie war ja zusammengebrochen, hieß es.

    Als wir damit fertig waren, befahl sie uns, so aufzuräumen, dass keine Spur mehr von irgendetwas zu sehen wäre.

    Jetzt sahen wir erst das ganze Blut.

    Und die Alte lag mittlerweile auch auf dem Boden. Ich horchte noch einmal an ihrer Brust. Mausetot.

    Die Sacerdos Valeria und Herminia sind dann mit der Obervestalin mitgegangen, und wir blieben alleine zurück. Natürlich führten wir den Befehl von Domina Herminia aus.", fuhr Dacus fort und etwas grimmig: „Wärst du nicht dazwischengetreten, Dominus Miles, hätten wir unseren Auftrag ordentlich erledigen können.“


    Die anderen Sklaven schauten nicht sehr glücklich drein, aber sie nickten: „Wir tun ja nur was man uns befiehlt. Aber wir haben noch nie jemanden Toten aufräumen müssen. Wenn die nicht ordentlich begraben werden, kommen sie wieder als Plage...“

    „Doch nicht wenn eine der Vestalinnen das befohlen hat, dann ist es der Wille der Göttin!“, sprach Dacus mit gewissem Stolz.


    Etwas ungläubig blickte der Jüngste der Gruppe, ein breitschädliger Jüngling, der deshalb Fronto gerufen wurde, hoch. Er sah aus, als würde ihm gleich übel werden, ganz blass um die Nase.:

    „Aber wir Jungs haben aufräumen müssen und wussten echt nicht, was tun. Wir wollten keinen Ärger, und haben die Leiche in einen Müllsack gestopft. Und dann ab in den Tiber. Und jetzt haben wir Ärger. Du weißt schon, dass wir verkauft werden?! Oder Schlimmeres. Wir sind für das Atrium nicht mehr tragbar hieß es."


    „Sowas würden die Priesterinnen uns nie antun.“, widersprach Dacus: „Und ich weiß nix von einem Messer, ich schwöre es bei dem Genius des Dominus Cominius.“

    Der Breitschädlige war aber anderer Meinung, er flüsterte: „Es gab ein Messer, Dacus. Wir hatten es nicht in unseren Händen, das ist richtig. Ihr habt es nicht gesehen, weil ihr die Domina Vestalis Maxima getragen habt, aber ich blieb zurück, weil ich mir einen Bändel schnüren musste. Wenn ich alles sage, was ich gesehen habe, passiert uns doch nix, Dominus Miles?"


    Fronto rieb sich jetzt eine Träne aus dem Gesicht.


    "Domina Virgo Vestalis Valeria hatte einen Einkaufskorb dabei, Dominus Miles.*", sagte er mit fester Stimme: "Sie gab ihn Dominus Liktor Lucceius. Da lag wohl ein Messer drin. Denn er nahm den Korb, holte es heraus und hat das alte Weib abgestochen. Und dann hat er das Messer wieder zurückgelegt in den Korb und ihn Domina Valeria wieder gegeben."



    Sim-Off:

    * Das wird hier berichtet


    „Dein Vorschlag ist sogar sehr sinnvoll, Cornicularius.“, erwiderte Liktor Lucceius:

    „Ein Liktor im Rücken und womöglich auch Praetorianer in Zivil an den Seiten. Das wird die Zukunft werden. Der verehrte Kaiser hat uns bereits welche zugesagt.

    Wir werden auch am und im Atrium Vestae selbst Wächter brauchen. Bisher hatte jeder Bürger bis Sonnenuntergang freien Zutritt.

    Ein Angriff auf die Vestalinnen ist ja nicht nur ein Angriff auf irgendwelche Jungfrauen, sondern auf das römische Reich selbst. Der symbolische Schutz von togatragenden Männern mit Rutenbündeln über der Schulter ist zu wenig, das haben wir auf bittere Weise erfahren. So etwas funktioniert nur, wenn alle die Symbole verstehen und respektieren.“

    Wieder überlegte er und antwortete:

    "Ich kann nur die gleiche Auskunft geben wie schon damals im Atrium: Ich schritt voraus, und die Sacerdos Maxima ging neben ihrer Discipula und redete mit ihr. Ich drehte mich erst um, als ich an einer Bewegung spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, denn niemand hatte einen Laut von sich gegeben. Die Obervestalin lag am Boden, die Discipula kniete bei ihr, und die Frau, die zugestochen hatte, stand vor ihr und hielt das Messer in der Hand. Schwester Valeria erhob sich, forderte die Waffe ein und bekam sie für einen Moment. Dann machte die Angreiferin eine rasche Geste auf sie zu, und ich musste sie aufhalten, dabei habe ich sie getötet.

    Das hört sich an wie eine Ewigkeit, aber praktisch geschah alles innerhalb weniger Augenblicke. "


    Die Mörderin war eben nicht direkt nach der Tat getötet worden.

    Schwester Valeria hatte erstaunlicherweise die Nerven behalten, behauptet, die Obervestalin habe nur einen Schwächeanfall und äußerlich äußerst gefasst darauf gewartet, dass die Sklaven mit der Sänfte, Herminia Tarpa und weitere Sklaven herbei eilten.

    Erst dann hatte Schwester Valeria Lucceius zugenickt, in Einverständnis, die Frevlerin zu richten.


    Wie gesagt, Lucceius wollte Valeria Maximilla schützen, denn ihre Schuld hätte in seinen Augen nichts mehr an der Sache geändert. Wenn wirklich die göttliche Vesta sie mit Stummheit geschlagen hatte, war sie gestraft genug:


    „Die Schülerinnen bleiben am Anfang ihrer Lehrzeit im Atrium. Ich glaube, es war das erste Mal, dass sich Schwester Valeria in der Öffentlichkeit präsentierte."

    Hier irrte er, da Maximilla zuvor die Erlaubnis erhalten hatte, an der Hochzeitsfeier von Iulia Stella teilzunehmen. Aber auch hier waren sie zu zweit gewesen und nur sehr kurz geblieben:

    „Ich habe selbst Töchter in dem Alter. Die wären auch versteinert vor Schreck, hätte man ihre Lehrerin vor ihren Augen erstochen. Die junge Vestalin Valeria hat niemanden eigenhändig getötet, das nehme ich auf meinen Eid. Ich bin es gewesen, weil ich nicht wusste, was die Mörderin noch vorhatte. Sie hätte noch weitere Waffen dabei haben können.

    Tausendfach hat es das Weib verdient, dass ich es dort hingeschickt habe, wo es herkam: In den Orcus.


    Nur dass ich sie euch Urbanern zum Verhör nicht ausliefern konnte, das bedaure ich im Nachhinein sehr. Ich weiß, dass ihr oder die Schwarzen sie zum Sprechen gebracht hättet. So weiß leider keiner, ob es eine verwirrte Frau war, die der nackte Wahnsinn jagte oder ob es noch mehr von ihrer Sorte gibt."


    Herminia Tarpa klopfte an die Porta des Officiums, und sie sagte durch die geschlossene Tür:

    "Cornicularius Octavius, die von dir angeforderten Sklaven sind da."

    Sie befahl den vieren, vor der Tür zu warten.


    Der Liktor Lucceius jedoch horchte auf. Die Sklaven kannten den genauen Ablauf der Ereignisse. Er wollte nur darauf hoffen, dass sie so ergeben und treu waren, dass sie lieber sterben würden als eine ihre Herrinnen ins Zwielicht zu setzen. Dann fiel ihm ein: Es waren vier eher schlichte Gemüter. Daher der Sack und das Entsorgen im Tiber. Sie würden die Wahrheit sagen, so weit sie sie wussten.

    Lucceius Aterianus nickte:

    „Ja, das ist richtig, Cornicularius. Ich bin einer der Liktoren, die dazu auserwählt sind, die Vestalischen Jungfrauen zu geleiten.

    Nicht jeder Einwohner in Roma erkennt die Vestalinnen, hast du gesagt?",er seufzte leicht:

    „Dann hat sich das geändert in den letzten Jahren. Aber es gibt ja mittlerweile genügend Fremdländer und Barbaren hier in der Urbs, die nichts von dem Mos Maiorum wissen und noch weniger davon halten.

    Die heilige Schwesternschaft der göttlichen Vesta besteht doch schon mindestens so lange wie unser Roma Aeterna.


    Wenn die Priesterinnen in die Öffentlichkeit treten, tragen sie blendendes Weiß, ihre Suffibula, die langen viereckigen Schleier, die Kopfbinden und eine weiße Stola. Sie gehen immer paarweise, und vor ihnen schreitet ein Liktor her.

    Die Bürger machen ihnen für gewöhnlich Platz. Man schreibt den Vestalinnen auch bestimmte Kräfte zu: Jemand, der unter der Sänfte einer Vestalin durchgeht, muss sterben, beispielsweise.*

    Wir Liktoren sind heutzutage jedoch keine wirklichen Leibwächter mehr. Da wären Praetorianer sinnvoller, würde ich meinen. Wir tragen das Rutenbündel als Zeichen der Macht. Wir gehen Amtsträgern voraus und machen den Weg frei und verschaffen Respekt, aber eigentlich vertrauen wir darauf, dass uns die Bürger freiwillig aus dem Weg gehen.

    In den alten guten Zeiten haben wir zuweilen mit Riemen zugeschlagen, aber auch das war lange nicht mehr notwendig.

    Niemand hat mir bisher Vorwürfe gemacht, doch ich selbst mache sie mir. Ich konnte das Leben der Oberpriesterin nicht beschützen, so sehr ich es mir gewünscht hätte.

    Welch großes Unglück.“

    Er seufzte wieder betrübt, während er überlegte, um die Fragen des Urbaners korrekt zu beantworten:

    "Nun, jede Vestalin hat das Ehrenrecht auf einen Liktor. Schwester Valeria ist allerdings erst eine Schülerin, daher kann es sein, dass Sporus nur an einen dachte. Der Aedituus Titus Cominius Sporus teilt uns zum Dienst ein.

    Ob und warum die Vestalis Maxima den Einkauf selbst tätigen musste...es tut mir Leid, in religiösen Fragen bin ich nicht bewandert. Das muss dir jemand anderes beantworten, Cornicularius Octavius."


    Der Liktor fasste sich nun an den Kopf und schüttelte ihn dann:

    "Dies hier ist nicht mehr das Rom meiner Jugend. Wie sehr muss man unsere Götter hassen, um eine Vestalische Jungfrau zu töten! Ich kann es immer noch nicht fassen."


    Sim-Off:

    * Nach Plutarch, Numa

    Herminia nickte, und sie sagte einer Sklavin leise Bescheid, und das Mädchen ging und kurze Zeit später wurde eines der Officia geöffnet: Ein eher schlichter Raum mit einem Schreibtisch, hinter dem ein Stuhl mit einer Lehne, vor dem zwei metallene Klappstühle standen.

    Der Vorteil dieses Officiums bestand in seiner Lage abseits vom Kommen und Gehen der Hausbewohner und Besucher. Nur ein einziges vergittertes Fenster führte auf das Peristyl hinaus; und wenn man die massive Tür zuschloss, war man nahezu unsichtbar.

    Auf Octavius´ Frage nach den Sklaven antwortete Herminia Tarpa:

    „Die Virgo Vestalis Maxima und Discipula Valeria waren ganz ohne Sklaven unterwegs. Ich kam erst dazu, als Schwester Valeria nach mir schickte. Ich brachte vier Sänftenträger und zusätzlich vier Haushaltssklaven mit an die Stelle. Eigentlich unterstehen die Sklaven Cominius Sporus, der für die groberen Arbeiten zuständig ist. Aber er lieh sie mir aus.

    Wir alle jedoch haben den Mord an der Obervestalin und was darauf folgte, nicht mit eigenen Augen gesehen."


    Herminia Tarpa schluckte. So sehr sie es sich auch gewünscht hatte, hatte die göttliche Vesta das Los nie auf sie fallen lassen und sie als ihre Priesterin erwählt. Sie war jedoch jungfräulich geblieben wie eine der Virgines Vestales und diente den Priesterinnen mit großer Ergebenheit. Ja, jeder war Gehorsam schuldig denen, die über ihm standen. Auch ein Cornicularius war da keine Ausnahme und musste Rechenschaft ablegen, wie er gerade selbst gesagt hatte.

    Nun übernahm die Aeditua die Verantwortung für ihre Anordnung:

    „Da wir beschlossen hatten, Cornicularius Octavius, vorläufig geheim zu halten, was geschehen war, war ich es ganz allein, die befohlen hat, alle Spuren des Geschehenen zu beseitigen.

    Den Leichnam der teuren Maxima nahmen wir mit uns. Die Leiche der Mörderin konnten wir schlecht mitnehmen, sie hätte jeden verunreinigt, der mit ihr zu tun hatte.

    Also räumten die Arbeitssklaven auf, so gut sie es verstanden und bestreuten die Blutflecke mit Sand, bis deine Männer und du sie bei ihrem Tun unterbrachen.“


    Das sie versucht hatten, die Mörderin der Maxima in seinem Sack zu entsorgen, erwähnte Herminia Tarpa nicht noch einmal:

    „Natürlich kannst du jederzeit über die vier Sklaven des Atriums verfügen. Wohin möchtest du sie haben?“

    Etwas bekümmert schaute sie drein ob dem, was den Unfreien während eines Verhörs drohen konnte, aber der Befehl des Kaisers, den Urbanern in allem Unterstützung zu gewähren, war eindeutig.


    Wenig später traf Liktor Caius Lucceius Aterianus ein. Wie fast alle, die mit den Vestalinnen zu tun hatte, war er ein reifer Mann, grauhaarig und zurückhaltend. Er kannte den Urbaner schon von der Befragung im Atrium. Wenn er erstaunt war, weshalb er noch einmal vorsprechen sollte, zeigte er es mit keiner Regung.

    „Salve Cornicularius Octavius“, grüßte er und blieb in angemessenem Abstand stehen.


    Herminia Tarpa, die ihm das Officium gezeigt hatte, zog sich zurück.

    „Das werden wir einrichten, wir schicken die Klageweiber und Besucher fort, wenn der Miles Medicus eintrifft.“, versprach Herminia Tarpa: „Und den Liktor Caius Lucceius Aterianus kann ich sofort rufen lassen. Der Hausherr hier stellt dir ein Officium zur Verfügung und einen Sklaven vor die Tür, der dafür sorgt, dass du in allem ungestört bist.

    Doch mit der Virgo Valeria wirst du kein Gespräch führen können, Cornicularius Octavius. Wir fanden sie stumm wie eine Statue vor. Wir wissen nicht, ob Vestas Hand auf ihr liegt oder ob sie gar gefrevelt hat und bestraft wird
    oder...“,
    nicht alles, was an Seltsamen geschah hatte einen übernatürlichen Ursprung, dies war der Aeditua auch bewusst:

    “….ob ihr Gemüt krank wurde, und sie sich mit Ruhe und Pflege durch die Matrona Tigellina wieder erholt.

    Wenn du es wünschst, kannst du ihr freilich Fragen stellen, und sie antwortet dir auf einer Wachstafel. So hält sie es gerade mit uns allen.

    Möchtest du denn hier warten, bis der Liktor eintrifft, Cornicularius Octavius? Dann bitte ich Tigellina gleich um die Räumlichkeit."

    Der Ianitor der Casa Mamilla öffnete die mit Immergrün und Zypressenzweigen geschmückte Porta und wusste sogleich, wer der Besucher war, weil ihn sein Dominus oben auf die Liste der Personen gesetzt hatte, die ungehinderten Zutritt zur collocatio funebris der Obervestalin hatten: "Salve, tritt ein Dominus Octavius".

    Er schickte einen Jungen auf Grunde der Abwesenheit des Pater Familias zu seiner Herrin Tigellina, und diese ließ Herminia Tarpa, die die öffentliche Aufbahrung beaufsichtigte, herbei holen.

    Auch die Aeditua nickte mit dem Kopf zur Begrüßung. Sogar ein scheues Lächeln wagte sie, da der umsichtig vorgehende Cornicularius ihr Vertrauen gewonnen hatte. Mittlerweile existierte aber auch eine pontificalische Anordnung, mit den Cohortes Urbanae zu kooperieren:

    "Salve Cornicularius Octavius", sprach Herminia Tarpa:"Kann ich dir weiter helfen? Hast du denn den Medicus mitgebracht?"

    Die ärztliche Untersuchung der Verblichenen war angekündigt gewesen, und sie schaute hinter den Octavius.

    Bevor sich jemand über die Frage von Cornicularius Octavius wundern konnte, nickte Herminia nach allen Seiten, bückte sich und zog den geflochtenen Korb unter der erhöhten Bettstatt heraus. Darin befand sich das Messer. Die Aeditua hoffte nur, der Soldat würde diesen unheiligen Gegenstand nicht sofort herausholen.

    Mammius Planta, der Herr des Hauses, gab seine Zustimmung zu des Urbaners Worten, obwohl seine Gattin über die Ankündigung, dass profane Soldatenhände den Leichnam der Obervestalin berühren wollten, die Stirn runzelte . Aber sie war eine im traditionellen Geiste erzogene Matrona und hätte nie ihrem Gatten in der Öffentlichkeit Widerworte gegeben.


    "Der Cornicularius weiß genau, was zu tun ist.", sagte Herminia Tarpa schnell:

    "Wenn der Medicus kommt, schickst du bitte die Klageweiber aus dem Zimmer. Doch ich werde bei der Untersuchung dabei bleiben, damit der Anstand gewahrt wird."

    Das nichts, was innerhalb der Casa geschah, deren Mauern verließ, war selbstverständlich, nicht umsonst war Sentia Tigellina mit der Pflege der Priesterinnen betraut gewesen. Und ob Herminia Tarpa wirklich bei der Obduktion dabei sein würde, war zweitrangig. Wichtig war nur, dass es jeder für wahr halten würde.