[Capitolium] Templum Iovis Capitolini

  • Draußen hatte man ebenso perfekt wie drinnen alles vorbereitet, was für den blutigen Teil des Opfers notwendig war. Nach während Cornelius Palma auf den Altar zuschritt, begannen die Flöten zu spielen und die Menge verstummte. Man reichte ihm nacheinander die nötigen Utensilien, so dass Tiere und Opferwerkzeuge auf das Opfer vorbereitet werden konnten, wie es notwendig war. Tatsächlich hatte Cornelius Palma nicht vor, selber das Messer oder Beil anzusetzen, sondern würde dies den kundigeren Helfern überlassen, die darin wesentlich mehr Erfahrung hatten als er. Sein letztes Stieropfer lag auch schon ein wenig zurück und gerade bei großen Tieren sollte man wohl nichts falsch machen, erst Recht nicht bei einem Staatsopfer.


    Daher gab er das Opfermesser nach der rituellen Entkleidung der Tiere wieder zurück und wandte sich stattdessen dem Altar und dem Tempel zu, um das Gebet zu sprechen, mit dem die Tiere dargebracht werden sollten. Anders als drinnen musste er diesmal wieder laut sprechen und sein Text hatte einen wesentlich größeren Bezug zum Staat, als sein persönliches Gebet im Inneren.


    "Großer Iuppiter Optimus Maximus, Herrscher des Himmels, Beschützer des Staates, des Hauses, des Hofes und der Familie. Wir stehen gleichsam am Ende und am Beginn einer Ära und blicken voll Dankbarkeit und Hoffnung zu dir, ohne dessen Willen in diesem Staat nichts vergeht und nichts entsteht. Deshalb sieh diese beiden Stiere, die wir dir heute opfern wollen.


    Der erste Stier sei dir geopfert zum Dank, dass mit deinem Einverständnis und durch dein Wirken die Herrschaft des Vescularius Salinator beendet wurde, der nicht das Recht hatte als Nachfolger des Ulpius Valerianus auf dem Thron Roms zu sitzen. Es war ein blutiges Ende, doch das Blut des Opfertieres soll der letzte Tropfen sein, der aus diesem Anlass ehrenvoll vergossen wird.


    Der zweite Stier sei dir geopfert als Bitte, dass durch deinen Schutz und deinen Ratschluss die Zukunft eine bessere sei, in der das römische Recht und der göttliche Wille wieder geachtet werden in Rom. Lasse den Senat, die gewählten Magistrate und die kaiserlichen Legaten stets klug und umsichtig entscheiden und gewähre mir als vom Senat bestimmten Imperator Caesar Augustus, die mir auferlegten Pflichten zum Wohle Roms zu erfüllen. Das Blut des Opfertieres soll das einzige Blut sein, mit dem der Beginn dieser Ära markiert wird, die mit deiner Hilfe eine friedliche sein soll.


    Denn nichts in Rom geschieht ohne deinen Willen und wir können nichts tun in Rom ohne deine Unterstützung."


    Wie schon im Tempel verharrte Cornelius Palma einen Augenblick schweigend in seiner Gebetspose, legte dann die rechte Hand auf seinen Mund und wandte sich nach rechts. Sein Blick traf die Blicke der Opferhelfer, die auf sein Zeichen zum Vollzug des Opfers warteten.


    "Agite!"

  • Gebannt starrten die Zuschauer und hörten den neuen Augustus sprechen, ein Gebet, welches staatsmännisch und würdevoll daherkam, ohne große Aufregung und damit wohl bewusst so angelegt, dass jeder wusste, dass die stürmischen Zeiten des Krieges nun vorbei waren - zumindest legte Lepidus das so aus. Der große Augenblick war gekommen und die Männer mit dem malleus standen bereit. Es waren derer zwei, die Parallel auf neben den Stieren standen, einen kurzen Blick austauschten und dann gemeinsam ihren Hammer auf den jeweiligen Kopf des Tieres niederschlugen. Es wurde bewusst gleichzeitig angeordnet, denn manchmal wurde das eine Tier stark unruhig, wenn es das andere neben sich niederfallen sah.


    Nun kam der Opferstecher zum Zuge, der allein war, was aber völlig ausreichte. Er hatte nun das freudige Vernügen den Tieren in die Kehle zu stechen. Das Opfermesser ging durch die Haut wie nichts und schon begann das Blut zu spritzen. Nun zahlte es sich aus, dass den Tieren genug zu trinken zur Verfügung gestellt wurde. Schon bemühten sich einige Opferhelfer einen Teil des Blutes mit Behältnissen aufzufangen. Dann konnten auch endlich die Eingeweide herausgeschnitten werden. Nach und nach entnahm man sie den Tieren. Da war der Teil der verbrannt werden sollte und natürlich diejenigen, aus denen der Haruspex etwas herauslesen sollte, wozu besonders die Leber gehörte. Die Opferhelfer trugen die exta um den Altar. Drei Mal umliefen sie ihn langsam und erst dann legten sie sie dem Haruspex zurecht. Gespannt konnten die Bewohner des Opfers nun bald erfahren, ob Iuppiter dem neuen Kaiser wohlgesonnen sein würde.

  • Das Opfer wurde vollzogen, die beiden Stiere hauchten ihr Leben aus... Sextus stand im Hintergrund herum und wartete. Es dauerte eine Weile, bis ein so großes Tier wie ein Stier sein Leben verlor, und wenn es derer gleich zwei waren, dauerte es deshalb nicht kürzer. Schließlich wurden die Bauchdecken geöffnet und die Eingeweide entnommen.
    Natürlich hätte Sextus auch aus den minderwertigeren Eingeweiden wie Niere oder Herz etwas lesen können, auch solcherlei lernte man schließlich. Aber zuverlässig, den göttlichen Willen zu offenbaren, war nur die Leber. Ein Organ, das bei einem ausgewachsenen Rind nicht unbedingt klein war, und dementsprechend benötigte es Zeit, bis selbige auf eine Opferschale verladen und herumgetragen war.


    Erst dann trat Sextus nach vorne in den Vordergrund mit langsamen und gemessenen Schritten und ließ sich die Lebern zeigen. Natürlich gab er dem Kaiser einen kleinen Wink, dass dieser als Opferherr mit draufsehen sollte, insbesondere dann, wenn Sextus ihm die Zeichen nun schließlich auf eigenen Wunsch erklären sollte.
    Warum dabei die römischen Riten sich nur auf ein simples „Ja“ oder „Nein“ beschränkten und diese unsäglichen Auguren mit ihren beschränkten Fähigkeiten immernoch Macht in Rom besaßen, nahm ihm dabei ein Wunder. Immerhin konnte jeder Gott, der es wollte, auf der Leber eines Tieres Zeichen hinterlassen. Die disciplina etrusca teilte die Leber in genügend Zonen ein, dass jeder der großen Götter oder übergreifenden Wesenheiten nach Gutdünken Zeichen darauf hinterlassen konnten, die man anschließend natürlich auch deuten konnte. Daher beschränkte sich Sextus natürlich nicht darauf, etwaige Zeichen von Iuppiter ausschließlich zu lesen, sondern die sämtlicher Götter, die hierzu etwas zu sagen gedachten.

  • Von seiner Position nahe am Altar, wo er das Gebet gesprochen hatte, hatte Cornelius Palma es nicht weit bis zu jener Stelle am Altar, wo der Haruspex die Leber betrachtete, so dass er auf dessen Wink hin selbstverständlich hinzu trat und ebenfalls einen Blick auf die Innereien warf. Mehr als ein Zeichen des Interesses als Opferherr war dies aber nicht, denn seine Kenntnisse in der Deutung der Zeichen beschränkten sich auf das, was man nach Jahren an blutigen Opfern zu verschiedenen Anlässen eben wusste. Und damit waren sie ganz sicher nicht ausreichend, um einem Haruspex bei einem Staatsopfer das Wort zu nehmen oder auch nur Fragen zu stellen. Also betrachtete er schweigend, was sich zeigen und wie der Haruspex es deuten würde.

  • Die Opferung stellte einen Pflichttermin dar, aber für Menecrates auch ein Bedürfnis. Er musste für sich selbst wieder einen engeren Kontakt zu den Göttern aufbauen. Opferherr heute zu dieser Stunde war der neue Kaiser. Er bat um Unterstützung. Mochte seine Bitte erhört werden, dachte Menecrates bei sich als die Anweisung zum Vollzug des Opfers kam, denn Unterstützung brauchten sie wohl alle: der Kaiser, Rom, seine dezimierten Truppen, die Hinterbliebenen.


    Er unterdrückte ein Seufzen. Nur nicht die Zeremonie stören, dachte er bei sich, zog den Stoff über den Kopf und schickte dem Kaisergebet ein eigenes hinterher, bevor er seine Aufmerksamkeit der Organschau widmete.

  • Nicht nur für die Menschen in Rom war es eine ehrenvolle Pflicht, diesem Staatsopfer bezuwohnen. Auch der Göttervater selbst schaute ganz selbstverständlich in Erfüllung seiner vornehmsten Pflicht mit der nötigen Würde und Ernsthaftigkeit auf das Tun an seinen Altären. Denn in der Tat geschah nichts in Rom gegen seinen Willen und niemand änderte den Lauf der Dinge ohne seine Hilfe. Wer es doch tat, dem war kein langer Erfolg und ein bitteres Ende beschieden - so lautete das göttliche Gesetz, das in vielen vergangenen Jahrhunderten in mannigfaltiger Form zu irdischen Gesetzen geworden war, die genau dies sicherstellen sollten.


    Doch während sich die meisten damit begnügten, diesen Gesetzen Folge zu leisten und einige sich anschickten, sie mehr oder weniger weise zu ändern, gab es auch einige, die sich darum bemühten, die Sprache der Götter zu verstehen und jedes Vorhaben darauf zu prüfen, ob es wirklich im Einklang mit dem Willen der Götter stand. Der Göttervater war froh, dass der neue Kaiser offenbar weise genug war, sich der Hilfe eines solchen Gelehrten zu bedienen. So würde sicher weder die spürbar harte Stelle auf der negativen Seite der Leber übersehen oder falsch interpretiert werden, noch der leicht metallische Schimmer auf der gegenüberliegenden Seite, den man nur sah, wenn das Licht richtig fiel. Was der Kaiser aus diesen Botschaften machen würde, würde dann wohl die Zeit zeigen müssen.

  • Als man Sextus die Lebern so anreichte, erinnerte er sich wieder daran, warum ihm Schafe als Opfertiere lieber waren: Man konnte deren Lebern einfach in die Hand nehmen. Die des Rindes war da 'etwas' größer und auch 'etwas' undhandlicher. Und dann galt es derer nicht nur eine zu untersuchen, sondern gleich zwei.
    Zum Glück war Sextus kein Schwächling. Ein alter Tattergreis hätte wohl Hilfe beim Wenden der Stücke benötigt, um sie von allen Seiten zu begutachten. Und so besah sich Sextus die Lebern von allen Seiten, fuhr mit den Fingern über die Oberfläche, knetete hier ein wenig, fühlte da ein wenig, und kam schließlich zu einem Urteil, das er dem Princeps erläutern konnte.
    “Mein Kaiser, die Lebern sagen folgendes:


    Hier auf der negativen Seite“ und Sextus wuchtete beim Erzählen das Organ herum und zeigte die Stelle mit seinen Fingern, auf dass der Kaiser selber nachsehen (oder nachfühlen) konnte, wenn er denn wollte, um die Angaben des Haruspex zu prüfen. “...ist eine Erhärtung zu fühlen, ebenso auf der anderen Leber... hier. Einmal im Bereich von... Pluto“ Natürlich benutzte die disciplina etrusca das etruskische Pantheon, aber glücklicherweise konnte man dieses ja größtenteils auf das stadtrömische übertragen. Sextus wählte daher gleich die dem Kaiser wohl gängigeren Götternamen, anstatt ihm erst zu erklären, dass der etruskische Letham in weiten Teilen den römischen Pluto entsprach oder dem ägyptischen Osiris. Das interessierte im Zweifelsfall ohnehin niemand. “und auch im Bereich von Saturn. Zur Bedeutung komme ich gleich.


    Hier, auf der ...positiven Seite, Diese Lebern waren verplutot schwer “siehst du im Licht einen leicht silbernen Schimmer, der sich über die größten Teile der Leber erstreckt und somit im Bereich mehrerer Gottheiten liegt.


    Die Bedeutung, Imperator Cornelius, ist wie folgt. Die Zeichen auf der negativen Seite deuten auf eine Gefahr, ein Hindernis hin, das du aber überwinden oder abwenden wirst wirst. Auf der positiven Seite schließlich ist die Aussicht auf das, was hernach folgt.
    Pluto ist Herr der Silberminen, Saturn Herr des Goldes und des Ackerbaus. Daher liegen die Probleme, denen du dich stellen musst, hauptsächlich in der Finanzierung deines Staates und dem herrschenden Hunger in der Stadt. Aber auch wenn die Probleme jetzt groß erscheinen, es wird dir möglich sein, sie zu überwinden und Rom in eine gute Zukunft zu führen.
    Der Schimmer auf der Vorderseite der Leber sagt, dass die Götter mit dir zufrieden sind und zeigt an, dass es dem Staat und deinem Volk gut ergehen wird. Allerdings ist er silbern, nicht golden. So wie das silberne Zeitalter für die Menschen ein Segen war, aber nicht das allumfassende Glück des goldenen Zeitalters erreichte, sind die Zeichen jetzt im Moment so, dass auch die Zukunft des Römischen Reiches gut sein wird, aber für allumfassende Glückseligkeit wirst du größere Anstrengungen unternehmen müssen und die Geduld haben, zu sehen, ob die Zeichen sich ändern.“

    Dass der Schimmer auch etwas eiserner sein könnte als silbern, je nach Interpretation, und das wohl eher auf weitere Waffengewalt hindeuten könnte, verschwieg Sextus wohlweißlich. Er wollte dem Cornelier nicht noch die Flausen in den Kopf setzen, weiterhin und länger als nötig Krieg zu führen, weil die Götter das für notwendig erachteten oder dergleichen.
    “Im übrigen haben die Götter dein Opfer angenommen“, schloss Sextus die Interpretation der Organe, auf dass der Opferherr mittels eines lauten 'Litatio' seinem Volk auch die frohe Botschaft verkünden konnte. Immerhin hörte niemand, der nicht in relativer Nähe bei ihnen stand, was die genaue Bedeutung der Zeichen war, die hinteren Reihen waren da schon auf einen lauten Ruf des Opferherrn angewiesen. Und vielleicht wollte der frischgebackene Kaiser ohnehin noch einmal zu seinem Volk sprechen.

  • Mit ehrlichem und nicht nur vorgespieltem Interesse folgte Cornelius Palma den Ausführungen des Haruspex, der nicht nur eine sehr detaillierte, sondern auch eine sehr überzeugende Interpretation vortrug. Mit dem Erkennen des Schimmers hatte Cornelius Palma zwar so seine Probleme, aber vielleicht waren seine Augen einfach nicht mehr die besten oder er stand falsch, so dass das Licht nicht richtig fiel. Auf umständliche Bemühungen, den Schimmer zu erkennen wollte er aber doch lieber verzichten, denn von Ferne hätte es sonst womöglich so ausgesehen, als ob er die Leber wegen eines bösen Vorzeichens so genau in Augenschein nehmen würde. Stattdessen nickte er lieber langsam und mit einem ernsten, aber zufriedenen Gesichtsausdruck, um schon ohne Worte erkennen zu lassen, dass das Opfer ein positives Ergebnis haben würde. Als der Haruspex seine Ausführungen beendet hatte, wandte Cornelius Palma sich dann auch mit genau diesem Ergebnis mit lauter Stimme an die Zuschauer.


    "Litatio! Iuppiter hat das Opfer angenommen. Die Zeichen sagen eine glänzende Zukunft voraus. Der Weg wird nicht ohne Hindernisse sein, denn die Schatten der Vergangenheit verfolgen uns noch, aber wir werden dies mit Iuppiters Hilfe zu überwinden wissen. Dies ist der erhoffte gute Tag für Rom!"


    Mit weit ausgebreiteten Armen lächelte er der Menge entgegen und blickte dann zum Himmel. Ein leichtes Seufzen konnte er nicht unterdrücken und auch die Müdigkeit, die langsam in seinen Körper schlich, konnte er nicht leugnen. Es war ein lager Tag gewesen und es würden noch viele lange Tage folgen. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Also sammelte er sich einen kurzen Augenblick, um dann wieder eine staatsmännische Miene aufzusetzen und sich noch einmal Aurelius Lupus zuzuwenden.


    "Ich danke dir für deine Dienste als Haruspex. Das war eine sehr kundige Interpretation, wie mir scheint. Zweifellos werden wir in Zukunft noch häufiger das Vergnügen miteinander haben."

  • Sextus ließ sich ein Tuch anreichen, um sich das Blut von den Händen zu wischen, und nahm das Lob des Kaisers betont demütig entgegen. “Ich danke dir, mein Kaiser. Und es wäre mir eine Ehre, dir häufiger bei der Erkundung des göttlichen Willens behilflich sein zu können.“ In der Tat war das eine nicht zu verachtende Möglichkeit zur Einflussnahme, die er sich natürlich nicht entgehen lassen würde. Abgesehen davon, dass er die Hälfte seines Lebens so wirklich letzten Endes nützlich investiert hatte und die Entscheidung seiner Mutter sich damit als doch nicht so unnütz herausstellte.
    Allerdings war Sextus hier und heute auch großmütig genug aufgelegt, sich bescheiden zu geben und den Dank zu teilen. Zumindest, wenn man sich so noch ein paar Freunde mehr machen konnte und es Sextus nicht mehr kostete als vielleicht ein klein wenig Stolz. “Ich denke, alle Diener des Cultus Deorum werden dir gerne bei der Einhaltung des göttlichen Friedens helfen. Ohne die Mithilfe dieser Männer hier und der kurzfristigen Ausrichtung des Opfers hätten wir beide wohl nur wenig zu tun gehabt.“
    Ja, es schadete sicher nicht, sich mit den jetzigen Vertretern der Götterkulte auch schon beid er Amtsübernahme des Corneliers gut zu stellen. Sextus hatte vor, noch eine ganze Weile mit ihnen zusammen zu arbeiten, und umso reibungsloser das ganze ging, umso erträglicher wäre es auf lange Sicht gesehen.

  • 'Der erhoffte gute Tag für Rom.' Ja, in der Tat. Die Menge freute sich über die guten Zeichen, das gelungene Opfer und den Willen der Götter. Dass der Weg dabei nicht nur geradeaus führen würde, das war ja fast zu denken. Einen Bürgerkrieg überwand man schließlich nicht in ein paar Tagen, wohl selbst nicht mit der Hilfe Iuppiters. Die Folgen würden aber wohl noch lange anhalten.


    Lepidus beaufsichtigte unterdessen, wie die einzelnen Fleischstücke der Stiere separiert wurden. Vor allem das Volk würde noch davon profitieren. So begannen die Helfer nach einiger Zeit Fleischstücke in sportulae zu packen, die dann nach und nach an die noch wartenden Teilnehmer der Opferung ausgegeben wurden. Die Nahrungsmittel-Knappheit war noch in bester Erinnerung, so freuten sich natürlich nicht wenige, dass es auch wieder einmal etwas kostenlos gab.


    Auch Lepidus selbst half ein wenig bei der Verteilung, auch wenn ihm diese Arbeit im Grunde zuwider war. Doch er war sichtlich erleichtert, dass nun alles vorbei und gelungen war. Diese Opferung hatte viel Kraft gekostet, musste sie doch so kurzfristig und schnell organisiert werden. Dazu stets die nervliche Anspannung, dass dem Kaiser auch kein Missgeschick passierte oder dass die Opferhelfer auch ja nichts falsch machten. Für einen Aedituus war so ein Staatsopfer allein nervlich schon eine große Bürde. Alles, was organisatorisch nicht richtig lief, würde schließlich an ihm hängen bleiben. Doch heute ging es noch einmal gut - nicht wie damals, als er bei seiner eigenen Opferung an Iuppiter einmal versagte. Aber seitdem kam auch vieles an Erfahrung hinzu.


    Dazu war er nur derjenige, der im Hintergrund blieb und seine Aufgabe still und leise erfüllte. Lepidus hielt sich auch an diese Rolle, doch er befand sich immer im Spannungsverhältnis zwischen seinem (seiner Ansicht nach) guten Namen, der ihm doch eigentlich besseres versprach und dem Posten, den er bekleidete. Und dieser war eben keiner, der es gestattete sich in den Vordergrund zu drängen. Es war der einzige, auf dem Salinators Schergen ihn haben dienen lassen. Klein und unbedeutend war seine Rolle. Und so war er wohl auch diesmal kein Tiberius. Heute war er nur Aedituus.


    So blickte er dennoch mit einem Lächeln der Erleichterung auf die Bürger, denen ein kleiner Korb mit Fleisch zuteilwurde. Erst wenn sich alle Teilnehmer der Opferung so langsam entfernt hatten, konnte die Reinigung des Tempels beginnen, denn schließlich musste ja wieder alles hergerichtet werden für das nächste große Opfer, welches sicherlich kam, aber wohl zumindest kein Staatsopfer sein würde.

  • An einem ruhigen Tage konnte man beobachten, wie Lucius Tiberius Lepidus "seinen" Tempel ablief. Er hatte sich gerade noch zwischen den Säulen bewegt, als er schließlich die Treppen hinabstieg und sich anschickte um das Gebäude herumzulaufen. Er tat es einmal, dann das zweite Mal und schließlich zum dritten und letzten Mal. Drei Mal lief er um die heilige Stätte, bevor er wieder die Stufen hinaufschritt und sich den Cellae der drei Gottheiten gegenübersah. In der Mitte blickte er auf diejenige des Iuppiter, links zu deren Seite betrachtete er diejenige der Iuno, doch letztlich blieb das Angesicht des Tiberiers auf der Cella zu des Iuppiters rechten Seite hängen. Es war diejenige der Minerva, der er sich nun gänzlich zuwandte. Er hatte ein Opfer für die neben Tiberinus wichtigste Stammgöttin der Gens Tiberia anlässlich seiner Kandidatur zum Viginitivirat und der bevorstehenden Rede im Senat geplant.


    Eine Handvoll Sklaven schaffte eine ganze Reihe von unblutigen Opfergaben herbei, die der Tiberier der großen Minerva darbringen würde. Während jene Dienerschaft noch damit beschäftigt war, alles einzurichten, kümmerte sich der Tiberier um seine Reinheit und wusch sich Füße und Hände. Nachdem diese Bereits weitgehend gesäubert waren, ließ er seine Füße drei Mal mit Wasser besprengen und tauchte seine Hände drei Mal in ein Behältnis ein, bevor er sich bereitfand, ein Stück seiner Toga mit der rechten Hand über den Kopf zu ziehen und in die Cella der Minerva hineinzutreten. Ganz nach traditionellen - zu diesem Zeitpunkt bereits etwas archaisch anmutenden - Riten vollführte er den Dreiklang und die ausschließliche Handlung mit der rechten Hand penibel aus. Seine traditionalistische Haltung hätte einem Cato sicherlich geschmeichelt. Jeden anderen hätte sie wahrscheinlich eher belustigt.


    Er ließ sich ein Behältnis mit Weihrauch reichen, nahm ihn mit der rechten Hand auf und streute ihn über die Feuerstelle, wo dieser verglühte und ein sanftes Knistern von sich gab. Er atmete den Geruch des Weihrauchs mit einem tiefen Atemzug ein. Nun würde Ianus die Verbindung zu Minerva herstellen, damit sie seinen Worten Gehör schenken konnte. Der Tiberier hatte ein reiches Tablett herangeschafft, welches voller Gebäck war. Auf diesem Gebäck war überall der Name der Gens Tiberia und der Name der Minerva eingeritzt. Auf einem weiteren Tablett waren Blumen zu sehen, die so angeordnet waren, dass man darauf das Wappen der Tiberii mit dem eigentümlichen Luchs erkennen konnte. Symbolisch verbrannte Lepidus einige der Blüten über der Feuerstelle, bevor einige weitere besondere Votivgeschenke folgten. Ein persönliches Weihegeschenk war eine Toga, die der Tiberier trug, als er sich für das Amt beim Consul bewarb und eine vergoldete quadratische Tafel, auf der ein Bildnis der Minerva eingraviert wurde. Drei Mal hob der Tiberier diese an, präsentierte sie dem Kultbild der Minerva und legte sie wieder ab. Nachdem alles platziert war, streckte Lepidus seine Arme nach oben und setzte zum Gebet an.


    "Oh, Minerva, Hüterin der Weisheit, Göttin des Verstandes, des Denkens und des Erfindens. Oh große Schutzgöttin der Tiberia. Nimm diese Gaben zu deinen Ehren. Ich wende mich an dich zu besonderem Anlass, denn meine Kandidatur für das Viginitivirat ist beschlossen und die Senatoren Roms werden bald meiner Rede lauschen und befinden, ob ich würdig bin, ein Amt des Cursus Honorum zu bekleiden. Es ist der Höhepunkt meines bisherigen noch jungen Lebens und wie sollte ich diese Herausforderung bestehen, wenn nicht durch deine Kraft und deine Weisheit? Seit dem Tage, an dem du meine Ahnen nach Rom schicktest, suchten wir hier unser Glück im Bewusstsein, dass unser Schicksal stets mit dem Wohl und Wehe der Stadt zusammenfallen würde. Nachdem meine Familie so viel Leid durch den Krieg durchlitt, steht sie zum ersten Mal wieder am Beginn eines neuen Weges. Ich möchte diesen Weg bestreiten und meine Ahnen und vor allem auch dich ehren. So gib mir die Kraft, die ich für meine Rede vor dem Senate brauche, lasse meinen Verstand zu Höchstformen auflaufen, wenn ich meine Worte forme, lass mich deinen Erfindungsgeist spüren, der mich in die Lage versetzt eloquent zu reden und zu antworten, auf das die Senatoren meine Worte wahrnehmen und schätzen. Ich weihe dir diese Toga, in der ich mich für das Amt bewarb und die symbolisch für meinen Weg in die Politik steht. Sie wurde nun zum ersten Mal eingetauscht gegen die Toga candida. Nimm auch dieses Geschenk einer Tafel mit deinem Abbild. Der Anblick des edlen Metalls soll dir Freude bereiten und deine Cella verschönern. Zuletzt bitte ich dich: Sorge dafür, dass die Senatoren ein wohliges Gefühl verspüren, wenn sie mich sehen, auf dass sie die Konzentration haben, meinen Worten zu folgen und mich fair beurteilen und mir eine Chance geben, mich zu beweisen. Darum bitte ich dich, oh große Minerva. Mein Dank sei unermesslich. Durch meinen Aufstieg in der Politik wird auch dein Andenken stets gewahrt. Opferung, Stiftung und Ehrung soll dir durch das stetige Anwachsen der Macht und der Mittel der Tiberia zuteilwerden. Dies gelobe ich, so wahr ich hier stehe!"


    Der Tiberier schwieg lang, ging tief in sich mit dem Blick aufs Kultbild der Minverva gerichtet, bevor er sich dann endlich besann und zum Zeichen der Beendigung des Gebetes rechts abging. Ohne ein Opfer hätte sich ein Mann wie er nicht in den Senat gewagt. Zu ausgeprägt war seine pietas bereits, dass er den Göttern diese Huldigung darbieten und um ihre Unterstützung bitten musste, um auch nur ansatzweise ein Gefühl von Sicherheit zu verspüren. Doch dieses Gefühl hin oder her. Er glaubte nicht, dass er ohne die Götter in dieser Stadt je etwas erreichen würde. So schritt er hinaus aus der Cella zu den Stufen des Tempels und blickte vom Capitol auf das wunderschöne Rom - ein Rom, von dem er sicher war, dass es die Gens Tiberia brauchte. Bevor er sich wieder dem Alltag zuwenden konnte, schritt er erneut um den Tempel herum - ganze drei Mal, als hätte er eine Zwangsstörung.

  • Innerhalb der rechten Cella des capitolinischen Tempels, die eigentlich der Minerva geweiht war, fand sich neben der zentralen Nische, in welcher die Göttin der Weisheit in Überlebensgröße dargestellt war, eine weitere, die ein Abbild der Iuventas barg, da, mochte man legendären Narrationen Glauben schenken, jene Göttin ebenso wie Terminus dem Tarquinius Priscus versagt hatte, den Platz für ein Heiligtum der Trias Capitolina zu räumen und das römische Staatsheiligtum somit gleichsam um die ältere Kultstätte der Göttin der heranwachsenden Jünglinge herum konstruiert worden war.
    Hierhin pflegte jeder Jüngling am Tage seiner Mannbarwerdung zu pilgern, nachdem er zuvor vor dem Praetor seinen Status konfirmiert bekommen und sich folgend im Tabularium in die Libri Iuniorum immatrikuliert hatte.


    Jenem Brauch hatte auch der junge Flavius Gracchus Folge zu leisten, nachdem er seine Toga Virilis angelegt hatte, bei strömendem Regen nicht per Pedes, sondern vielmehr bequemlich in einer Sänfte sitzend und an der Spitze einer formidablen Schar an Familiaren seinen Weg vom Quirinal hinab zum Forum Ulpium und nicht wie gewöhnlich auf das Forum Romanum angetreten hatte, um dort vor dem Praetor Urbanus seine Mannbarkeit zu postulieren, und endlich die unsägliche Banalität der Inskription im Tabularium über sich ergehen hatte lassen.
    In Anbetracht der Faktizität, dass der capitolinische Tempel allerdings auf einem Fundament ruhte, dessen Niveau das der Area Capitolina mit den großen Opferaltären und unzähligen Beutestücken einer langen Reihe von Imperatoren um einige Stufen übertraf, musste der Knabe doch einen beachtlichen Raum bar jeden Schutzes vor den himmlischen Ergüssen überwinden, sodass er keinesfalls mehr von großer Trockenheit war und das Hasten über die Treppe seine neue Toga Virilis in gewissem Maße disturbiert hatte. Unterhalb der Säulen, doch außerhalb der güldenen Pforten war somit neuerlich eine knappe Pause zur Regulierung der Kleidung anzuberaumen, die sogleich genutzt wurde, um den Saum der Toga gleich über das Haupt des Knaben zu drapieren, ehe endlich das Heiligtum des Iuppiter Optimus Maximus zu betreten war.


    Geregt von größter Pietät durchschritt der Knabe dann endlich das Innere des majestätischen Bauwerks, sog die Luft ein, welche Spuren von duftendem Weihrauch der letzten Darbringungen mit sich führte, erblickte den überdimensionalen Schemen der überaus impressiven Statue der obersten Staatsgottheit, gehüllt in Purpur und mit güldener Haut, den Adler zu seinen Füßen und die Blitze in Händen. Spontan kam ihm in den Sinn, dass dieses Heiligtum vor einigen Jahren vom letzten der flavischen Kaiser nach einem Blitzschlag renoviert worden war, dass er mit seiner Mannbarkeit somit in Fußstapfen zu treten genötigt sein musste, welche konträr zu den geradezu winzigen seines Vaters durchaus tiefe Spuren im Antlitz der Urbs Aeterna hinterlassen hatten. Und doch würdigte er Iuppiter lediglich eines devoten Blickes, ehe er sich der rechten Cella zuwandte, wo Minerva thronte, die er aber ebenfalls unbeachtet zurückließ und sich in seiner Fixierung auf eine neuerliche Konfirmation seiner Pietas direkt der Nische der Iuventas zuwandte.


    Im Angesicht der Statue verharrte er endlich, blickte auf zu der jugendlichen Gestalt, welche er aus er Nähe kaum zu identifzieren in der Lage war. In ihrer hocherhobenen Hand leuchtete etwas gülden, wobei es sich, wie Manius Minor wusste, um eine Kanne zum Servieren von Nektar und Ambrosia handeln musste, oberhalb des über die Hüften gerafften leuchtend farbigen Gewandes ließen sich gewisser Phantasie die dort befindlichen femininen Rundungen erahnen, welche bei ihm, anders als dies bei vielen anderen Jünglingen, die soeben die Toga Virilis angelegt hatten, der Fall sein mochte, allerdings keinerlei sexuelle Konnotationen erweckten, sodass er gänzlich auf sein zu sprechendes Gebet sich zu konzentrieren imstande war, welches Patrokolos soufflierte:
    "Iuventas, Hüterin der Jünglinge und Geleiterin auf dem Weg zur Mannbarkeit. Höre mich an und gewähre mir, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Manius, Deine Beachtung!
    Du hast mich geleitet bis zum heutigen Tage und mich mit reichem Segen bedacht. Nimm zum Dank diese Münze und gewähre mir, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Manius, Dein Wohlwollen! Wie ich bisher bewahrt wurde, so bewahre mich auf meinem weiteren Wege zum Manne."

    Kein Zweifel bestand für den jungen Flavius, dass dieser Weg in seinem Falle noch überaus weit war, dass er durchaus sämtlicher Segen und Hilfen bedurfte, um endlich zu dem zu werden, was er heute wiederholt postuliert hatte, sodass er mit großem Ernst die traditionelle Opfergabe, eine Münze, welche ob seiner patrizischen Provenienz selbstredend ein Aureus war, in den Kasten warf, der zu Füßen der Göttin angebracht war.
    Dann erst wandte er sich nach rechts und schritt auf die ihn noch immer accompagnierende Schar der Familiaren zu und kam zum Stehen.
    "Gehen wir nach Hause?"
    , fragte er dann mit infantiler Unschuld, welche performativ all jene gravitätischen Mannbarkeitsrituale Lügen strafte, dennoch aber aus tiefstem Herzen rührten, da all die Geschehnisse des Tages, verbunden mit jener disturbierenden Vielzahl von emotionalen Regungen den Knaben in nicht geringem Maße erschöpften.

  • Obgleich an diesem Tage ihm kaum eine aktivere Rolle zugekommen war als jene der Einleitung und Bezeugung, so fühlte auch Gracchus Maior sich von den zurückliegenden Stunden recht ausgelaugt, war mehr als froh, dass er nach der Opferung seinen Sohn - seinen erwachsenen Sohn - konnte endlich zurück in die Villa Flavia geleiten. Zum wiederholten Male also strebte die Liberalia-Gesellschaft den Sänften zu, musste sich die Stufen des Tempels hinab neuerlich mit zahllosen Regentropfen bedecken lassen. Vor der Sänfte der Gracchen warteten bereits die Sklaven, ihren Herren die durchnässten Stoffbahnen der Togen abzunehmen, dass diese im Inneren sich mit trockenen Mänteln vor der Kälte konnten schützen. Gracchus Maior strich sich die nassen Haare zurück und betrachtete ein wenig schmunzelnd wie Titus einen Mantel um seinen Leib hüllte als wäre es eine Decke und in den weichen Kissen sich zusammen rollte. Sodann wanderte sein Blick zu Minor, und obgleich es ihn durchaus Überwindung mochte kosten, rang er sich schlussendlich doch zu einigen Worten durch, welche aus seinem Inneren sich empor drängten.
    "Ich bin sehr stolz auf dich, Minimus. Du hast die Riten und Pfli'hten dieses Tages mit Bravour gemeistert, jede Aufgabe souverän erfüllt, dass ich keinen Zweifel mehr daran hege, die richtige Ent..scheidung getroffen zu haben. Ich bedaure einzig, dass deine Mutter dem nicht konnte beiwohnen, doch ich werde ihr in allen Details von deinem großen Tage beri'hten, und ich bin sicher, sie wird darüber ebenso großen Stolz verspüren wie ich selbst."

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Die Frage des Knaben wurde rasch repliziert, wobei mehr Taten denn Worte folgten. Unter den Kolonnaden des Heiligtums endlich ging er dann noch seiner frisch erworbenen Toga Virilis verlustig, ehe man ihn ein letztes Mal in die Sänfte bugsierte, wo Vater und Bruder bereits ihn erwarteten.
    Und nun endlich ließ Manius Maior sich zu einer Ansprache hinreißen, sprudelten diverse Floskeln aus seinem Munde, welche ihre Wirkung indessen verfehlten, denn obschon Manius Minor sich dank seiner neuartigen Interpretation von Adoleszenz, welche sich über die souveräne Wahl der Protektoren ihm definierte, durchaus jener Herausforderung als gewachsen erachtete, so war er doch nicht geneigt, seitens seines Erzeugers Bezeugungen des Stolzes oder gar Selbstkonfirmationen der Entscheidung, ihn aus seinem Schutze zu entlassen, zu akzeptieren, weshalb er sein Gegenüber lediglich mit großen Augen fixierte und seine Appetenz dann doch eher dem Bedauern über die maternale Absenz zuwandte, welche zu kommentieren er durchaus in der Lage war:
    "Wann kommt Mama nach Hause?"
    Trotz der leise aufkommenden Satisfaktion mit den Geschehnissen des Tages wurde ihm nun nur allzu bewusst, dass ein wesentliches Element seiner infantilen Geborgenheit ihm heute fehlte, dass bei all jenen Stationen in der Schar der Gratulanten und des Publikums doch stets seine geliebte Mutter, welche er konträr zu seinem Vater noch immer mit dem weitaus vertrauteren 'Mama' denn dem distanzierteren 'Mutter' titulierte, ihm schmerzlich abgegangen war und abging, ja vielmehr schon seit seiner Retoure aus Cremona wohl eben jener Mangel ihn diskomfortierte und wohl die Verantwortung trug, dass er sich trotz allem einsam und in gewisser Weise nur unvollständig zu Hause fühlte.

  • Es waren bereits einige Tage ins Land gegangen, seit der Iulier erfahren hatte, dass er von über vier Fünftel der Senatorenschaft Romas gewählt worden war und folglich zu jenen 20 Männern gehörte, die im kommenden Amtsjahr im Dienste der Ewigen Stadt das Vigintivirat bekleiden würden. Und während die erhabenen Senatoren dieser Tage vermutlich unter anderem über die genaue Zuteilung der Vigintiviri in die vier Kollegien befanden, freute sich Dives nicht nur, dass er das historisch beste Wahlergebnis der Iulii Caepiones - für das Vigintivirat genauso wie für die Gesamtheit aller Ämter des Cursus Honorum - eingefahren hatte und zudem sogar noch eines der in jüngerer Historie besten Ergebnisse eines Plebeiers bei Vigintiviratswahlen erlangte, sondern kümmerte sich überdies auch um entsprechende Opfergaben, die dem besten und größten Iuppiter angemessen wären.
    So also traf der designierte Vigintivir oder Vigintivir designatus in der weißen Tracht eines Opfernden am frühen Morgen eines unbestimmten Tages zwischen seiner Wahl und seinem voraussichtlichen Amtsantritt am Capitolium der Urbs Aeterna ein, wo bereits ein an entsprechender Stelle angebundener wenigstens äußerlich fleckenlos weißer Ochse hübsch mit dorsule geschmückt auf seine Ankunft wartete. Dem höchsten der Götter würde vermutlich auffallen, dass eines der letzten Opfer des Iuliers an ihn die doppelte Zahl an Rindern das Leben gekostet hatte. Doch so schwer wie das Ende des Bürgerkriegs die iulische Gens getroffen hatte, war abzüglich der Wahlkampfkosten, der nötigen Einsparungen für eine Renovierung der Casa Iulia, sowie nicht zuletzt natürlich auch der Ausgaben für eine gewisse, eigentlich ungewollte Hochzeit ein zweiter Ochse einfach nicht drin gewesen. Dafür, bildete sich Dives ein, waren die im Wind leicht tanzenden weißen und roten infulae mit vittae besonders chic, während die dünn vergoldeten Hörner im Licht der aufgehenden Sonne ganz besonders goldig funkelten und blitzten.


    Der Vigintivir designatus stieg die Stufen zum Tempelinneren empor, während zwei iulische Sklaven auf den etwas benebelten Ochsen Acht gaben. Bevor Dives jedoch in den Tempel trat, bedeckte er zunächst sein Haupt mit einem Teil seiner strahlend weißen Toga und vollzog die symbolische Reinigung am Wasserbecken:
    "Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es."


    Hernach betrat der Iulier das Innere des Heiligtums, bevor ihm einen Augenblick später zwei weitere seiner Sklaven beladen mit den Opfergaben für das unblutige Voropfer folgten. Er schritt andächtig zum Altar in der mittleren Cella, wo das Opferfeuer brannte und sich nur unweit davon auch das aus Gold und Elfenbein gefertigte Kultbild des triumphalen Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus vor ihm erhob. Noch einmal prüfte Dives den korrekten Sitz seiner Kopfbedeckung, bevor er die Hände mit nach oben zeigenden Handflächen in die Höhe streckte und sprach:


    "Ianus, Gott des Wandels, der du gleichsam am Anfang und Ende aller Dinge stehst! Gott der Götter, der du wachst über die himmlischen Tore! Gott des Übergangs! Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, möchte dir diesen Weihrauch zum Geschenk machen! Bitte nimm dieses Opfer an und lass mich damit ein gutes Gebet sprechen!"


    Unterdessen opferte er den ihm von einem seiner Sklaven gereichten Weihrauch, sodass sich ein wohlriechender Nebel ausbreitete. Abschließend wandte er sich nach rechts, womit dieses Gebet beendet war. Damit sollte durch Ianus die Verbindung mit Iuppiter hergestellt werden können. Nun könnte also das eigentliche Voropfer folgen, wofür Dives sich die weiteren gut vorbereiteten Opfergaben reichen ließ. Er nahm jede einzelne Gabe und streckte sie geduldig, eine nach der anderen dem Gott entgegen, sodass jener auch genau sehen könnte, was geopfert werden sollte. Anschließend legte er sie am Altar ab: weiße Dianthus-Blumen (denn was wäre wohl passender für Iuppiter als Zeus-Blumen?), einige duftende Kräuter, frisches Obst und einen Krug Wein, der in eine entsprechende Öffnung gegossen wurde.
    Es folgte das erste Gebet zu Iuppiter. Dazu streckte der Iulier abermals beide Hände mit nach oben zeigenden Handflächen in die Höhe und sprach:


    "Iuppiter Optimus Maximus, höchster aller Götter und Herr des Himmels! Schwurgott und Gott der Blitze, dem alle Vögel heilig sind und der den Vogelflug lenkt! Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, möchte dir mit diesen Opfergaben meine tiefe Ergebenheit zeigen! Danken möchte ich dir damit für die so überaus erfolgreich gewonnene Wahl zum Vigintivir der Urbs Aeterna! Ich danke für deinen Beistand!"


    Zum Abschluss dieses Dankesgebetes an Iuppiter wandte er sich nun traditionsgemäß zur rechten Seite um. Damit war das Voropfer vollendet und Dives ging mit einem guten Gefühl würdevoll wieder nach draußen und dort die Stufen hinab, um mit dem blutigen Hauptopfer auch den wichtigsten Teil der Opferzeremonie zu vollführen. Noch immer stand dafür der schneeweiße Ochse an seinem Platz und sah mit leerem Blick stumm auf den Boden vor sich.
    Da sich zu dieser Zeit des Tages die Zahl der hier oben auf dem Mons Capitolinus Anwesenden in durchaus überschaubaren Grenzen hielt, konnte Dives getrost auf Musikanten oder einen 'Favete linguis!' rufenden Herold verzichten. Wer dem Opfer zuschauend beiwohnte, wurde allerdings ganz selbstverständlich den Sitten und Bräuchen gemäß etwas mit Wasser besprengt und dadurch symbolisch gereinigt, während der Iulier sich zwei Schritte vor dem Ochsen stehend zum Tempel umwandte. Er blickte die Stufen hinauf zur mit Goldplatten verzierten Eingangstür und hernach weiter hinauf bis in den unendlichen Himmel über dem mit goldenen Schindeln gedeckten Tempeldach. Dann erhob er seine Hände mit abermals nach oben zeigenden Handflächen und sprach:


    "Iuppiter Optimus Maximus, höchster aller Götter und Herr des Himmels! Schwurgott und Gott der Blitze, dem alle Vögel heilig sind und der den Vogelflug lenkt! Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, danke dir nochmals für deinen Beistand und deine Hilfe, die mich von der Curia Ostiensis nun erfolgreich in die ersten Schritte der stadtrömischen Politik führten! Daher möchte ich dir nun diesen mit Argusaugen ausgesuchten blütenweißen Ochsen zum Geschenk machen!
    Und damit möchte ich dich auch bitten, mich trotz oder vielleicht gerade wegen der auf mir und meiner Gens lastenden Vergangenheit auch weiterhin gut auf meinem Weg in die Politik zu unterstützen! Denn nur so vermag ich dem Augustus, vermag ich Roma und vermag ich nicht zuletzt auch dir, mächtiger Iuppiter, optimal dienen zu können! Davon bin ich überzeugt. Und dann will ich auch für die Zukunft geloben, dir weitere große und prächtige Opfer darzubringen! Do ut des."


    Mit einer Wendung nach rechts symbolisierte der designierte Vigintivir, dass er sein Gebet gesprochen hatte und sogleich wurde ihm eine Schüssel zum erneuten Waschen seiner Hände gereicht, die er anschließend mit einem weißen Tuch, dem mallium latum, abtrocknete. Unterdessen schmückten die beiden Sklaven, die zuvor auf das Opfertier Acht gegeben hatten, ebenjenes sorgfältig ab, während die beiden anderen, die das Tragen der Opfergaben des Voropfers übernahmen, das Tier mit der mola salsa bestrichen.
    Dann bekam der Iulier das das Opfermesser gereicht, mit welchem er nun langsam dem noch immer etwas duseligen Tier scheinbar von Kopf bis Schwanz strich, bei genauerer Betrachtung die Klinge jedoch nur knapp über dem weißen Fell führte. Denn natürlich war die weiße Färbung hier noch mit ein wenig Kreide dezent bekräftigt worden. Nach Abschluss dieses Vorgangs übergab Dives das Opfermesser dem cultrarius, woraufhin der victimarius mit dem Hammer in der Hand ihm die Frage der Fragen stellte: "Agone?" - "Age!", antwortete der Vigintivir designatus mit fester Stimme.


    ZACK! - ZACK!


    So fand erst der Hammer in routiniertem Bogen den Weg auf den Kopf des Ochsen, bevor keinen ganzen Wimpernschlag später die Halsschlagader des Tieres gezweiteilt wurde. Kraftlos und bis auf das Geräusch, welches das tote Fleisch beim Aufprall auf den Boden machte, auch ganz lautlos sackte das Opfertier in sich zusammen und fand ein jähes Ende. Sogleich eilten einige Opferdiener herbei, um einen Teil des reichlichen Blutes - ein gutes Omen (!) - in paterae aufzufangen.
    Und während hernach der Bauchraum des leblosen Ochsen vorsichtig geöffnet wurde, um die Eingeweide zu entnehmen und in einzelne paterae zu legen, kontrollierte Dives also erst einmal, dass er auch ja nicht mehr als nur einige Spritzer des roten Lebenssaftes abbekommen hatte. Es bestand ja schließlich die nicht ganz unwahrscheinliche Möglichkeit, dass er hier gleich auch noch auf Lepidus treffen würde. Da müsste er ja gut aussehen, selbst wenn sich der Patrizier in diesem Fall vermutlich erst einmal darüber beschweren würde, dass sich der Iulier nicht persönlich im Vorfeld bei ihm gemeldet hatte. Aber so war das eben, wenn man manch organisatorische Aufgaben einfach delegierte und gewohnheitsmäßig (denn in Ostia dienten am Capitolium ja andere Aeditui) keinen weiteren Kommentar zu derlei Details abgab.
    Wie dem aber auch wäre, so begann nun erst einmal die Eingeweideschau. Würden die Organe des Ochsen nun also vom Erfolg dieses großen blutigen Opfers zeugen? Vorsichtig begann der Iulier das Herz als erstes und wichtigstes Organ abzutasten und zu untersuchen...


    Sim-Off:

    Mein rechter, rechter Platz ist leer; ich wünsche mit Iuppiter her.

    ir-senator.png Iulia2.png

    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus Minor
    Die Frage des Knaben wurde rasch repliziert, wobei mehr Taten denn Worte folgten. Unter den Kolonnaden des Heiligtums endlich ging er dann noch seiner frisch erworbenen Toga Virilis verlustig, ehe man ihn ein letztes Mal in die Sänfte bugsierte, wo Vater und Bruder bereits ihn erwarteten.
    Und nun endlich ließ Manius Maior sich zu einer Ansprache hinreißen, sprudelten diverse Floskeln aus seinem Munde, welche ihre Wirkung indessen verfehlten, denn obschon Manius Minor sich dank seiner neuartigen Interpretation von Adoleszenz, welche sich über die souveräne Wahl der Protektoren ihm definierte, durchaus jener Herausforderung als gewachsen erachtete, so war er doch nicht geneigt, seitens seines Erzeugers Bezeugungen des Stolzes oder gar Selbstkonfirmationen der Entscheidung, ihn aus seinem Schutze zu entlassen, zu akzeptieren, weshalb er sein Gegenüber lediglich mit großen Augen fixierte und seine Appetenz dann doch eher dem Bedauern über die maternale Absenz zuwandte, welche zu kommentieren er durchaus in der Lage war:
    "Wann kommt Mama nach Hause?"
    Trotz der leise aufkommenden Satisfaktion mit den Geschehnissen des Tages wurde ihm nun nur allzu bewusst, dass ein wesentliches Element seiner infantilen Geborgenheit ihm heute fehlte, dass bei all jenen Stationen in der Schar der Gratulanten und des Publikums doch stets seine geliebte Mutter, welche er konträr zu seinem Vater noch immer mit dem weitaus vertrauteren 'Mama' denn dem distanzierteren 'Mutter' titulierte, ihm schmerzlich abgegangen war und abging, ja vielmehr schon seit seiner Retoure aus Cremona wohl eben jener Mangel ihn diskomfortierte und wohl die Verantwortung trug, dass er sich trotz allem einsam und in gewisser Weise nur unvollständig zu Hause fühlte.


    "Ich weiß es nicht"
    , beantwortete Gracchus die Frage seines Sohnes ein wenig beklommen. Obgleich er in Anwesenheit Antonias stets auch ein wenig Unwohlsein, ein wenig Furcht gar empfand, so war ihre Ehe letztlich doch zu einer trauten Konstante seines Lebens geworden, hatte doch die Claudia all die Aufgaben, welche einer römischen Matrone zukamen, stets geflissentlich ausgefüllt, hatte bei offiziellen, aber auch familiären Gelegenheiten stets verlässlich an seiner Seite ihre Position eingenommen. Obgleich er dies zweifelsohne niemals würde eingestehen, weder sich selbst gegenüber, noch einem anderen, so vermisste Gracchus ihre Anwesenheit tatsächlich. Er hatte ihr eine Nachricht nach Patavium gesandt, auch mit der Frage nach ihrer Rückkehr, doch sie hatte dies nur erwidert mit der Ankündigung, dass Flamma und sie noch einige Zeit auf dem Landgut ihrer Familie würden verweilen. Ohne Angabe von Gründen, ohne ein Wort darüber, wann sie nach Rom würde zurückkehren.
    "Im Frühjahr allfällig."
    Der Winter war bereits nah, und weder die wetterlichen Verhältnisse, noch die reichliche Absenz der Sonne in dieser Jahreszeit, welche Straßenräubern und Banditen aller Art ihr Handwerk erleichterte, trugen zur Sicherheit einer Reise in dieser Zeit bei - kaum nur würde Antonia dies Wagnis eingehen. Gracchus wandte den Blick von Minor, zog die provisorische Decke über Titus zurecht, welcher durch das rhythmische Schaukeln der Sänfte eingeschlafen war, und stich über ihm den Schatten hinfort, welchen er beständig um das Kind herum sah, den verirrten Geist des Sklavenjungen, welchen er bei dessen Geburt an seinen Sohn hatte gebunden.

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  • Mitnichten gereichte jene Replik dem Knaben zur Satisfaktion, obschon sie nicht im Geringsten von jenen differierte, welche zahlreiche weitere Angehörige des Hausstandes der Villa Flavia Felix ihm hatten bieten können, angefangen bei Artaxias, seinem greisen Paedagogus, bis hin zu einer der Ornatrices seiner Mutter, welche er akzidentiell in einer der Zimmerfluchten angetroffen hatte, denn das Haupt jenes Hausstandes, zugleich der Ehegatte und Pater Familias seiner Mutter, war doch in weitaus höherem Maße verantwortlich, über den Verbleib und die zukünftigen Pläne der ihm Anvertrauten zu jedem Zeitpunkt aufs trefflichste informiert zu sein.
    Für den Augenschlag einer Sekunde fühlte er sich geneigt, neuerlich eine bewusste Verschleierung der Wahrheit zu argwöhnen, ehe doch statt Schmähungen lediglich eine innocente und knappe Frage seine Lippen verließ:
    "Warum?"
    Anklagend stand jenes Fragepartikel im engen Raum der Sänfte, ehe Manius Minor gewahr wurde, dass derartige naive Interrogationen, wie sie ihm in letzter Zeit eher seitens des kleinen, nunmehr schlummernden Titus bekannt waren, einem vollwertigen Civis Romanus nicht anstehen mochten, sodass er die recht allgemein gehaltene Erkundigung spezifizierte:
    "Warum ist Titus allein gekommen?"

  • Während Gracchus sich nicht gänzlich sicher war über die genauen Beweggründe seiner Gemahlin, noch immer in Patavium zu verbleiben, so war die konkrete Frage, welche Minor seinem initialen Fragewort hernachstellte, ein wenig einfacher zu beantworten, konnte er diese erste Entscheidung seiner Gemahlin doch durchaus nachvollziehen, obdessen er versuchte beides in seine Antwort zu inkludieren.
    "Nun, die Implikationen und Folgen des Bürgerkrieges werden auch nach dessen Ende noch eine lange Zeit spürbar sein - nicht nur in politischer Dimension, auch das alltägliche Leben wird davon tangiert. Noch immer etwa sind Güter in Rom knapp - obgleich wir selbst davon aufgrund unseres Standes nichts bemerken mögen - und sofern etwa vor dem Winter nicht re'htzeitig die Getreidelieferungen aus den Provinzen eintreffen, so mag es durchaus zu Not in den ärmeren Schichten und in Konsequenz dessen zu Unruhen oder gar Aufständen kommen. Ins..besondere für Flamma ist dies kein optimaler Rahmen, wiewohl für sie und deine Mutter keine zwingende Notwendigkeit besteht, hier in Rom zu sein - deine Schwester kann in Patavium alles von ihrer Mutter lernen, was wichtig für sie ist."
    Zwar war Gracchus nicht mehr davon gänzlich überzeugt, seine Tochter zu geeigneter Zeit den Sacerdotes Vestales zu überantworten, doch hatte er bisherig noch mit niemandem darüber gesprochen - doch auch unabhängig davon war die Ausbildung eines römischen Mädchens in jeglichem Zuhause möglich, auch fernab der Hauptstadt.
    "Titus indes ist ein Flavius, es ist essentiell für ihn, am römischen Leben teilzuhaben. Er ist nun in einem Alter, in welchem es allmähli'h Zeit wird, dass er seine ersten Schritte im Cultus absolviert, dass er den Salutationes beiwohnt, und die Riten, Traditionen und Kon..ventionen rezipiert, welche später einmal sein Leben konstituieren. Es mag auch andere Orte geben, an welchen solcherlei für ihn - wenn auch in eingeschränktem Maße - durchaus möglich wäre, doch ein Landgut in Patavium, bar jeder Lehrer und Lehrmeister, ist zweifels..ohne kein adäquater Ort."
    Gleichwohl der beste Platz für einen jungen Römer an der Seite seines Vaters war, indes Gracchus bisweilen zweifelte, dass dies auch für seine Söhne galt.

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  • Der Schatten des dem Knaben überaus verhassten Bürgerkrieges war augenscheinlich nicht geneigt, den jungen Flavius endlich preiszugeben, sondern haftete an ihm wie eine grässliche Krankheit. Mochte er Hunger und Entbehrung für den Pöbel bedeuten, zahlreiche Todesopfer auf dem Altare der Macht und eine innere Zerrissenheit des Imperium Romanum insgesamt, so erschien all das dem Knaben doch unbeachtlich angesichts der Bürde, die ihm selbst zu tragen aufgegeben worden war: Seine Familie war zerstört worden, ihr Haupt hatte sich als Feigling erwiesen und würde wohl für alle Zeit ihm nicht mehr zum Vorbilde gereichen, Onkel Flaccus laborierte noch immer an einem mysteriösen Leiden und nun waren auch Mutter und Schwester hinfortgerissen für unbestimmte Dauer.
    "Schade."
    , verblieb als überaus schwacher Kommentar ob jener Situiertheit, während Manius Minor eine hockende Position einnahm, das Kinn auf die Faust, den Arm aber auf dem Schoße ruhend und einen unbestimmten Ort in der Ecke der Sänfte, direkt über dem friedlich einer besseren Welt entgegenschlummernden Titus, fixierend. Im Geiste hingegen malte er sich Bilder von seiner geliebten Mutter und Flamma, welche zweifelsohne ebenso einen Wachstumsschub hinter sich gebracht hatte wie sein Bruder. Doch kurioserweise hatte er beinahe die Impression, dass seine Fehlsicht sich bisweilen bis in seine Imaginationen hinein zu fressen in der Lage war, denn er fühlte sich außerstande, ein scharfes Bild der beiden zu gewinnen...

  • Mit einem leichten Nicken affirmierte der Vater das Bedauern des Sohnes, lehnte sich hernach ebenfalls zurück und betrachtete neuerlich Titus. Minor hatte er an diesem Tage als Kind verloren, doch Titus war noch so jung, hatte noch so viel zu lernen und zu erfahren. All die Zeit war er seinem Jüngsten gegenüber distanziert gewesen, erinnerte ihn sein Anblick doch stets an den Tag seiner Geburt, an den unberechtigten Vorwurf seiner Gemahlin gegenüber, welcher unsäglich war gewesen, den er doch hatte ausgesprochen, an das tote Sklavenkind - das entleibte Sklavenkind - und dessen rastlosen Schatten. Doch wollte er die Chance ergreifen, all jene Fehler zu vermeiden, welche er Minor gegenüber hatte begangen, so würde er sich allfällig daran gewöhnen müssen. An diesem Tage jedoch galten seine Gedanken weiterhin seinem Ältesten, dessen Liberalia in offizieller Weise ihr Ende hatte gefunden, im familiären Kreise indes noch einige weitere Stunden würde andauern.

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