Beiträge von Nikolaos Kerykes

    "Hast du es Ánthimos schon mitgeteilt?"


    Zwar brachte Nikolaos dem Mann, den er als Knaben kennengelernt hatte (und am liebsten weiterhin so behandeln würde) alles andere als Sympathie entgegen, aber gewisse Regeln des Anstands galten auch gegenüber einem solchen Kerl.


    "Und woher weiß dein Freund das? Ist das Schiff an der Küste dieses Landes angespült worden? Hat dein Freund die Pythia des Orakels bei Delphi befragt? Oder ein ägyptisches Hexenweib?"


    Nikolaos wandte sich abrupt um. Sein Blick war giftig. Er erhob seine Stimme, sie wurde dabei schrill."Hat dein Freund gar Freunde unter den Seeräubern???!!!??"


    Er machte Gesten, als wolle er etwas in der rechten Hand zerquetschen.


    "Hast du es Ánthimos unverzüglich mitgeteilt, wie es sich für einen Ehrenmann gehört, der nach den Regeln der Pflichterfüllung und des Anstandes handelt, und niemandem die Gelegenheit eines Begräbnisses verwehrt, auch wenn der Leichnam nicht gefunden ist? Und ist die Quelle dieser Neuigkeiten überhaupt zuverlässig? Kannst du deinem Freund trauen? Hat er gar nur Gerüchte aufgeschnappt? Will er sich wichtig tuen? Braucht er gar nur Geld von dir - und meint, es damit kaufen zu können?"


    So wütend war Nikolaos selten zu beobachten. Er wurde dabei nicht grob oder laut, sondern kühl und giftig. Seine Stimme war nun wieder leise geworden, doch in ihr lag ein bedrohlicher Unterton.

    Natürlich war der Terentier Soldat und kein Diplomat. Aber Nikolaos blieb nichts anderes übrig, als einmal unauffällig die Nase zu rümpfen und ansonsten den Befehlston hinzunehmen, in dem der Römer mit ihm sprach.


    "Dummheiten werde ich schon auszureden wissen, darauf kannst du dich verlassen - es sei denn, es hat sich an den Machtverhältnissen während meiner Abwesenheit von der Agora etwas geändert. Jedoch werde ich mich im Hintergrund halten, denn du wirst verstehen, dass ich zunächst einige alte Kontakte wieder mit neuem Leben erfüllen muss, ehe ich mich als Redner auf den Volksversammlungen betätige. Gewiss habe ich als Priester des Apollons ein gewisses Ansehen... ."


    Was fiel dem Terentier auch ein?! Einen noch halb kranken Mann, dessen Körper schneller gealtert war als das Jahr, derart zu bedrängen? Freilich war seine Ausrede eben nur eine Ausrede. Nikolaos wollte sich nicht allzu sehr in die Öffentlichkeit drängen, denn er wollte sich nicht angreifbar machen. An Ehre und Ansehen, und an Furcht der Polites und der übrigen nichtrömischen Bevölkerung hatte er genug angehäuft.


    Auch Nikolaos trank einen Schluck Wein, wie es sich gehörte, wenn der Gastgeber zum Becher griff.


    "Das ist mir eine erfreuliche Nachricht, obgleich mich der Verlust der ehrenwerten Urgulania, die ich auch persönlich sehr geschätzt habe, immer noch sehr betrübt.", sagte Nikolaos und sah den Statthalter durchdringend an. Dieser schien sich aus der Sache heraushalten zu wollen... . Das war ungewöhnlich, dachte Nikolaos, denn er hatte den Terentier als jemanden kennengelernt, der alles an sich riss. Offenbar war ihm die Sache zu heikel. Oder steckte mehr dahinter? Was wirklich vorgefallen war, dass würde Nikolaos nie im Leben glauben, selbst, wenn er es einmal erführe.


    "Ein Perser?"


    Es gab tausende Perser in dieser Stadt. Viele davon freilich hellenisiert und ihre Vorfahren seit Ptolomaios hier ansässig, als Kriegsgefangene, denen später die Freiheit geschenkt wurde, häufig durch den Handel reich geworden.


    "Kennt man ihn?"


    Nikolaos stellte diese Frage ganz beiläufig und höflich lächelnd, als gehe es um irgendeinen Tratsch in der Stadt, um jemanden, der bald heiraten würde, gerade in ein Amt gewählt worden wäre, ein Haus verkauft hätte, bankrott gegangen wäre oder ein Fest ausgerichtet hätte.

    "Jugendpsychiatrie-Rpg"? Und die "Story" des einsam im Wald gelegenen Institutes... Ich weiß gerade gar nicht, ob ich das sittenwidrig, geschmacklos finden soll oder einfach nur blöd - letzteres wäre ja ok und eine Ansicht, die ich vielen Online-Rpgs mit Storyline, Charakter- und Geschichten-Absegnungszwang durch Sl etc. entgegenbringe.


    Angesichts der Kohorten psychisch angeschlagener Jugendlicher, die durchs Internet geistern - siehe größere Debatte um Suizidforum vor einiger Zeit- etwas fragwürdig, daraus ein "Spielkonzept" zu machen. Ich meine, es gibt auch keine KZ-Rpgs (hoffe ich doch wenigstens) - zum Thema, dass es vielleicht gewisse Schranken geben sollte. Andererseits wird ja nicht "Recht und Gesetz" verletzt. Allerdings gibt es bei euch nicht etwas wie einen "künstlerischen Humor", da ihr mit Wikipediasymptomkatalogen anscheinend "Authenzität" vermitteln wollt. Ich hoffe bloß nicht, dass bei euch Leute ihre eigene Lebensgeschichte der Spielfigur aufdrücken. Das kann durchaus schwierige Komplikationen nach sich ziehen. Was würden die Betreiber tun, wenn im SimOff-Teil einer ihrer Forenuser eine Suizidankündigung startet? Das Ganze riecht allgemein sehr nach einer fast surrealen Virtualisierung von Leben, lebendisierung der Virtualität - ich weiß auch nicht, wie ich das anders ausdrücken soll. Selbstverletzungsopferfotos in Farbe zu zeigen, das ist auch mehr, als eine "Simulation" verlangen würde.

    Aber wohl nicht unbedingt für alle Bürger. Wobei freilich selbst die Subura besser dran gewesen sein wird, als mancher heutiger Slum - da es selbst dort, soweit ich weiß, eine einigermaßen funktionierende Abwasserentsorgung gab.


    @Graeceius: Das ist aber häufig eher ein männliches Problem. Was meinst du, warum in Osteuropa die Lebenserwartungen von Männern und Frauen viel weiter auseinanderklaffen als bei uns ;).

    Das unerwartete Eingeständnis des Römers belustigte Nikolaos. Natürlich entsprach es der Wahrheit - doch dass dies der Mann aussprach, machte ihn sogar ein wenig sympathisch. Nur für einen kurzen Augenblick, freilich. Nikolaos lächelte sein feines Lächeln, in dem eine Ironie lag, die so zart war, dass man sie zwar wahrnehmen konnte, jedoch ihm nicht vorzuhalten vermochte.


    "In die Politik zurückkehren? Du meinst aber gewiss wohl doch nicht in einem Amt?"


    Nikolaos aß ein Stück von dem seltsamen Fleisch, das ihm aber irgendwie inzwischen recht gut schmeckte. Er zog die Augenbrauen hoch.


    "Denn die Ämter wurden bereits besetzt, für diese Prytanie -"


    Beruhigender Einfluss - solche Worte über sich hatte er nicht vom Terentier erwartet. Er musste ein Grinsen unterdrücken. Er spürte jedoch, dass die Angelegenheit durchaus ernst war. Er kannte Cyprianus, und nun, da es zu ihm kein Gegengewicht gab, was würde er da vermutlich alles tun, wenn man ihm Gelegenheit dazu gäbe? Als ihm gewachsenen intellektuellen Gegner betrachtete Nikolaos den Terentier nicht, nur konnte ein noch so scharfer Verstand wenig gegen eine Legion ausrichten.


    "Gewiss aber habe ich unter den Männern, die Macht und Ansehen in der Polis haben, einige alte Freunde, die sicher nicht gegen meinen Rat handeln würden. Aber vielleicht solltest du mir darlegen, wie du dir genau die Sache vorstellst."


    Die plötzliche, aufgesetzte Freundlichkeit des Statthalters ließ Nikolaos hellhörig werden. Er ahnte schon, was nun folgen würde... Und es folgte!


    "Das will ich wohl ebenso wenig wie du, ehrenwerter Statthalter, und wie der göttliche Basileus, der immerhin einen Großteil der Nahrung für die Einwohner jener Stadt, in der er selbst lebt, aus diesem Teil der Erde bezieht. Eine Hungerrevolte in Rom dürfte ihm nicht allzu gelegen sein. Aber er wird in dir einen Mann erwählt haben, von dem er sicher sein kann, dass er die Ordnung mit Geschick und Bedacht aufrechterhält und unnötiges Blutvergießen tunlichst vermeidet. Einem solchen Mann möchte ich freilich gerne helfen."


    Zwar kleidete Nikolaos die Angelegenheit so ein, dass sie wie ein Geschäft wirkte, aber er wusste, dass er letztendlich keine Wahl hatte. Nur konnte er auf die Bedingungen dieses Paktes einwirken, so hoffte er.


    "Um wieder einmal darauf zurückzukommen, wie genau stellst du dir meine Hilfe für dich vor? Wie ich schon erwähnte, ist es kein guter Zeitpunkt dafür, Anspruch auf ein Amt zu erheben."


    Er nahm einen Schluck Wein.


    "Erlaube mir, zu fragen, wie es um die Ermittlungen zum scheußlichen Verbrechen an der ehrenwerten Iunia Urgulania steht. Diese grausige Tat hat sicher sowohl bei den Römern, als auch bei den Polites von Alexandreia Entsetzen ausgelöst - die einen haben eine ehrenhafte Mitbürgerin verloren, die anderen eine überaus gütige und kluge Amtsträgerin. - Ich selbst weiß natürlich nicht, inwieweit sich die Wogen wieder geglättet haben, dazu war ich zu lange auf dem Lande und nicht einmal in der Lage, mit anderen Bürgern zu korrespondieren. Ich hoffe doch, dass dieses Blutvergießen kein weiteres nach sich gezogen hat."

    Nikolaos fuhr von seiner Kline hoch. Ganz langsam wandte er sich ab. Seine Gesichtszüge wurden hart, es war, als versteinerte er - ohne freilich Stein zu werden- so wie es mit Orpheus geschah, dessen Gestalt menschlich blieb, die Seele aber verdorrte. Er schwieg. Eine unheimliche Stille herrschte im Andron.


    Ein Diener erschien im Eingang, zog sich aber rasch zurück, ohne dass der Herr ihn sehen konnte, denn er hatte gesehen, dass er besser nicht eintrat und nach weiteren Wünschen fragte. Langsam schob sich Nikolaos Unterlippe vor, sein Mund öffnete sich ein wenig- der Unterkiefer klappte nach unten. Plötzlich kehrte das Leben in ihn zurück. Er ballte die Fäuste. Sein Gesicht zuckte. Nur weinte er nicht - nicht eine Träne vergoss er. Er starrte zur Wand und schien Kleonymos nicht mehr zu beachten.


    Dann schüttelte ihn ein Hustenanfall. Er musste sich umdrehen, fiel auf seine Kline zurück. Dabei stieß er ungeschickt mit dem Fuß gegen den dreibeinigen Bronzetisch, sodass die Becher schwankten und etwas Wein überschwappte.


    "Der arme Anthimos-", sagte er tonlos, und meinte sich selbst.


    "Warum hast du das nicht gleich gesagt?"


    Natürlich konnte er ahnen, weshalb. Aus Fürsorge, aus Sorge um seine Gesundheit. Nikolaos sah nicht aus, als erwartete er eine Antwort auf diese Frage. Er war gedemütigt von der Hilflosigkeit, die er an den Tag legte.


    "Wie lange ist das her?", fragte er, um nicht zu schweigen. Da durchfuhr es ihn plötzlich. Die Bleitafel im Maerotis-See! Bei der Hekate der Dreiwege! Nikolaos entglitten die Züge endgültig. Sein Kinn zitterte, seine Augenlider zuckten. Er ballte die Hände zu Fäusten, ließ sie wieder sinken. Auf seiner Schulter spürte er die Krallenhand einer von den Wohlgesinnten. Er schüttelte sich, wie, um sie abzuschütteln.


    "Bei der Tyche!"


    Seine Kehle war trocken, seine Stimme dünn, was diesen leisen Aufschrei schrill klingen ließ. Was hatte er nur getan?

    "Ich danke dir für die Einladung, ehrenwerter Appius Terentius. Sie bedeutet eine große Ehre für mich - und eine umso größere Ehre, da du nun das bedeutende Amt des Statthalters innehast. In der Tat erfuhr ich bereits davon, und ich möchte dir dazu gratulieren, denn dies habe ich bisher versäumt."


    Nikolaos lächelte zurück. Auch er hatte ein ganz besonderes Lächeln, das noch aus seiner Zeit als Prytan stammte, und das selbst in seinem reichlich mitgenommenen Gesicht noch seine Wirkung entfaltete. Er bediente sich an den Speisen - freilich hatte der Statthalter vorzügliche Köche, der Appetit allerdings wollte Nikolaos nicht so recht kommen, sodass er sich zwingen musste, aus Höflichkeit etwas zu essen. Er mimte allerdings sehr überzeugend echten Genuss.


    "Versäumt, nun, da ich, wie du richtig sagtest, sehr krank war. Meine Ärzte verbaten mir, in die Stadt zu fahren, jedoch kann ich meine Geschäfte nicht länger unbeaufsichtigt lassen."


    Er gab sich Mühe, einen zähen Hund zu spielen, der es auch dann noch mit jedem aufnehmen konnte, wenn er auch geschwächt war.


    "Eine echte Überraschung war es nicht, da ich doch weiß, dass du durch dein militärisches Geschick großes Ansehen beim Kaiserhof erworben haben dürftest, und in deiner Zeit als Legionskommandant die Provinz und die Polis Alexandreia besser kennengelernt hast, als jeder Anderer - mit Ausnahme des hochverehrten Germanicus Corvus, auf den nun sicher eine neue Aufgabe wartet."


    Nikolaos trank dem Gastgeber höflich zu und aß etwas von dem streng riechendem Fleisch- ein Moschusochse gar? Ein Krokodil? Was sich diese Römer alles einfallen ließen, wenn sie fern des Forums waren.




    Sim-Off:

    Dankesehr :).

    Nikolaos nickte, so höflich, wie man zu Haussklaven nur sein konnte, und streckte sich auf der Kline aus. Er stützte seinen Kopf in seine Hände. Dabei fiel ihm eine der kunstvoll aufgedrehten Locken seines schwarz gefärbten Haares in die Stirn.


    "Bitte, Mulsum, leicht verdünnt, wenn das recht ist."


    Ohne seine Diener, die draußen warteten, fühlte sich Nikolaos etwas verloren unter der hohen Säulenhalle. Der Garten war gewaltig. Er hörte gleich mehrere Springbrunnen plätschern.

    Nikolaos folgte dem finsteren Orientalen in die Säulenhalle. Sein seidenes Gewand raschelte. Obgleich er wusste, dass er vermutlich damit bei einem Mann, der lange Jahre in irgendwelchen Feldlagern verbracht hatte, keinen großen Eindruck schinden würde, hatte er sich dafür entschieden, denn er hoffte, der matt schimmernde und mit fremdartigen Mustern versehene Stoff würde seine Blässe überstrahlen. Geschminkt hatte sein Leibdiener ihn nur dezent, gerade genug, um zu verbergen, dass seine Haut ein ungesundes Aussehen hatte und dass sich tiefe Falten auf seiner Stirn gebildet hatten.

    Die Einladung des neuen Präfekten hatte Nikolaos mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Einerseits war er gegenüber dem Terentier sehr misstrauisch, und er hatte die böse Ahnung, dass sie vielleicht mit dem, wie Kleonymos ihm mitgeteilt hatte, ungeklärten Mord an Urgulania zusammenhing. Hinzu kam, dass Nikolaos gerade in dieser Hinsicht dem mächtigen Nachfolger von Corvus alles zutraute. Immerhin hatte er Urgulania nur kurze Zeit vor ihrem Tod schlimme Dinge angedroht. Ob der Statthalter eine härtere Gangart gegenüber der Bevölkerung einlegen wollte - mit dem Vorwand, den Tod der Römerin zu rächen- ein noch strengeres und weniger nachgiebigeres Regiment führen wollte - und Nikolaos dafür im Namen der Polis Pate stehen sollte, ob der Terentier ihn gegen das Prytaneion ausspielen wollte...? Aus reiner Freude über die Genesung seines einstigen Gegners hätte der einstige Soldat sicher kein Fest gegeben. Andererseits konnte Nikolaos vielleicht, indem er nun eine gute Miene machte, den Terentier mild stimmen. Den Groll, den er gegen ihn hegte, den bösen Verdacht bezüglich seiner alten Freundin, all die Schlechtigkeiten, die er ihm unterstellt hatte, das alles musste er freilich vergessen. Am liebsten hätte Nikolaos den Mann nie wieder gesehen - aber als angesehener Alexandriner konnte er ihn als Statthalter unmöglich ignorieren.


    So hatte sich Nikolaos auf den kurzen Weg von seinem Haus zum Palast gemacht. Er ging in Begleitung einiger Diener zu fuß, noch etwas schwach auf den Beinen, auf einen Stock aber wollte er verzichten. Dieser Tag war außergewöhnlich heiß, was ihm schwer zu schaffen machte, obgleich die Straßen im Königsviertel schattig und kühl waren.


    Ein Diener ging an den Eingang zum privaten Teil des Palastes und meldete Nikolaos aus dem Geschlecht der Keryken an, den mehrmaligen Gymnasiarch der Stadt und derzeitigen Priester des Apollons.

    Nikolaos zog die Augenbrauen hoch. Wollte Kleonymos ihn vertrösten? Was verbarg der Mann vor ihm? Er nahm eine Dattel, kaute sie ohne großen Appetit und sah seinen Klienten dann eindringlich an.


    "Du schwatzt keineswegs wie ein altes Waschweib, guter Kleonymos, im Gegenteil bin ich sehr froh darüber, jemanden zu haben, auf den ich mich verlassen kann. Erzähle also ruhig weiter."


    Nikolaos hob sein Glas und trank Kleonymos zu. Viel Wein würde er nicht mehr trinken, denn sein Körper war noch zu sehr geschwächt. Ob es dem Gast auffiel, dass der Hausherr ihn nur noch aus einem Auge anblickte?

    "Eine Frau aus Hibernia? Gibt es das sagenhafte Königreich Thule? Ihr Rhomäer seid noch nicht in Hibernia gewesen, obgleich ein gewisser Agrikola behauptete, die Insel Britannia umsegelt zu haben - und somit festgestellt, dass sie wirklich eine Insel sei? Berichte mir davon."


    Nikolaos sprach weiter Attisch, aber störte sich am Latein des Römers nicht, da er es im Gegensatz zu den meisten Alexandrinern verstand.


    "Ja, so ist es, wo wir wieder beim alten Sprichwort wären."


    Etwas melancholisch sah Nikolaos drein. Es gab zu viele Dinge, die er nicht kannte und nicht wusste, und er glaubte nicht, dass er sie in seinem Leben erfahren würde - dafür wäre ein Leben zu kurz.


    "Folge mir. Wir werden uns die Listen vornehmen."


    Er ging voraus zu einem Raum, in dem die Kataloge auslagen. Leider hatte noch niemand den Einfall gehabt, die Namen der Autoren nach dem Alphabet zu ordnen. Daher gestaltete sich die Suche mühselig. Für Strabon jedoch gab es ein eigenes Werkverzeichnis, das Nikolaos bald gefunden hatte. Mit dem Finger fuhr er die Liste der verzeichneten Bücher ab. Endlich hatte er das siebzehnte Buch der Geografie gefunden. Er zog eine Wachstafel hervor, die an einem Band von seinem Gürtel hinab baumelte und machte sich mit einem Griffel einige flüchtige Notizen.


    Eilig bahnte er sich seinen Weg durch die zahlreichen Hallen und Gänge. Beim Gehen wies er verschiedene Sklaven und andere Mitarbeiter der Bibliothek zurecht. Endlich waren sie dort angelangt, wo das Buch zu finden sein musste. Nikolaos überflog die Schilder, die von den Lesestöcken der gestapelten Schriftrollen hinab baumelten. Endlich zog er eine der Rollen hinaus. Er konnte sie kaum tragen, so dick war sie. Lächelnd reichte er sie dem Rhomäer.


    "Hier sind das sechzehnte, das siebzehnte, das achtzehnte und das neunzehnte Buch. Ob du Strabon trauen willst, musst du freilich selbst entscheiden. Leider schrieben über Völker am Rande der Oikumene so wenig Autoren, dass es schwer ist, viele Werke zur Prüfung und zum Vergleich heranzuziehen. Wolltest du die Geschichte irgendeiner Polis erkunden, hättest du freilich mehr Material."

    Dass Kleonymos behauptete, nichts über Fortschritte in den Ermittlungen zu wissen, überraschte Nikolaos. Immerhin hatte sein Klient unter den Männern der Stadtwache sicher viele alte Freunde, die ihm auch außerhalb von irgendwelchen Amtsbefugnissen nützlich waren. Offenbar hatte also die Legion das Ruder an sich gerissen.


    "Axilla in Rom? - Sie hat sicher Verwandte dort.... Weißt du, ob sie sicher angekommen ist?"


    Während Kleonymos mit Appetit speiste, aß Nikolaos nur aus Höflichkeit einige Früchte und trank einige Schlucke Wein. Er hatte nicht viel Hunger, obgleich gut zu essen ihm offenkundig gut getan hätte.


    "Anthimos, wie geht es ihm und seiner Frau? Ist das Kind ohne Schwierigkeiten geboren worden? Und Timotheos und Emilia-"


    Letzterer hatte er immerhin indirekt ein Eheversprechen gegeben. Natürlich wusste er nicht, dass sie bereits verstorben war und dass Timotheos nicht mehr in Alexandria lebte. Auch von der Tragödie um Penelope konnte Nikolaos noch nichts ahnen.

    Aufmerksam, aber nicht misstrauisch musterte Nikolaos den Mann. Der versuchte sich mit hörbar mäßigem Erfolg darin, attisch zu sprechen. Dabei waren die Sprachen der Griechen keine Schweren, jedenfalls nicht strukturell schwer, sah man vom Aspekt ab, der den Römern offenbar Kopfzerbrechen bereitete. Ein feines, ironisches Lächeln zeichnete sich auf des Priesters Gesicht ab.


    "Wie es in einer der ihrem Gott geweihten Schrift der Ioudaier steht, sei das, was ein jeder mit eigenen Augen sähe, das, was man nicht vergessen solle. Daraus kann man folgern, alles Nichtgesehene -worunter freilich Erzählungen von fremden Völkern fallen- sei mit einem Makel behaftet, mit dem, dass es nur solange Gültigkeit habe, wie man nicht selbst gesehen hätte."


    Nikolaos starrte einen Augenblick ratlos ins Leere, als habe er sich in seinen eigenen Schachtelsätzen verlaufen.


    "Daher kann ich dir nur raten, fahre selbst den Fluss Nil hinauf. Freilich ist fraglich, ob man nach einer solchen Reise in der Lage wäre, die gewonnenen Kenntnisse über die im Süden beheimateten Völker zu teilen. Wir im Mouseion können uns nur Berichte anhören, Dinge zerlegen und vor allem die Werke verschiedener Autoren auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin vergleichen, an erster Stelle und als wichtigstes aber Texte in unterschiedlichen Ausgaben auf Verdorbenheit zu prüfen. Wie ich sehe, stützt du dich in deinen Erkundungen auf Plinius und auf Herodot, wobei außer Zweifel steht, dass sich ersterer auf letzteren häufig beruft, gerade bei den ethnografischen Beschreibungen, für die du dich interessierst. Herodot freilich wurde häufig als unzuverlässig geschmäht, als Schreiber von einem Berg an Wundergeschichten, die mehr der Ergötzung des Lesers dienen und weniger einer ernsthaften Beschäftigung. Besonders der große Athener Thukydides kritisierte ihn häufig. Allerdings bietet Thukydides selbst keine Beschreibungen fremder Ethnoi an, sondern beschränkt sich auf die Geschichte der griechischen Poleis.*


    Einen nicht völlig unberechtigten Anspruch auf Zuverlässigkeit erhebt Eratstothenes, der vieles von dem, was er behauptete, gemessen und überprüft hat, und der einer der größten Leiter dieser Einrichtung in ihrer Blütezeit war. Allerdings findest du bei ihm vor allem eine Beschreibung der Gestalt der Welt, weniger der Sitten und Bräuche und des Aussehens der Einwohner ferner Gegenden. Strabon, ebenfalls ein Alexandriner, hat in seiner Geografie im siebzehnten Buch eine Beschreibung des Südens des Nils aufgenommen, die ich allerdings nie selbst gelesen habe. Du müsstest zahlreiche Ausgaben des Buches in dieser Einrichtung finden."


    Er hoffte, den Gast nicht erschlagen zu haben mit seiner langen Rede.


    "Warum interessierst du dich für die Blemmyer? Glaubt man im rhomäischen Heer, sie konnten der Provinz zur Gefahr werden?"


    Sim-Off:

    *Es gab wirklich über die Jahrhunderte antiker Geschichtsschreibung regelrechte "Historikerkontroversen". Im Buch "Die Geschichte des antiken Griechenlandes" (zum Teil auch in deutschen Ausgaben unter anderen Titeln) ist dem in der Einleitung ein langes Kapitel gewidmet.

    Die Erwähnung von Cyprianus neuem Posten und der Abberufung des Corvus ließ Nikolaos Lächeln verschwinden. Immerhin stand die Stadt mit dem einstigen Legionskommandanten auf Kriegsfuß, wohingegen Corvus den lokalen Oligarchen und Aristokraten gegenüber sehr wohlgesonnen gewesen war. Offenbar wollte der römische Imperator - oder seine Vertrauten- einen neuen Kurs in der Provinz fahren.


    "Wie heißt der neue Legionskommandant?", fragte Nikolaos.


    "Ist bekannt, wer dieses grausige Verbrechen an der ehrenwerten Urgulania beging?"


    Nikolaos ließ es kalt den Rücken hinunter bei der Erinnerung an die schreckliche Nachricht. Er hatte die Tote nicht gesehen, doch sie sollte übel zugerichtet gewesen sein.


    "Was ist aus Axilla geworden, dem Mündel Urgulanias? Wohnt sie noch in Alexandreia?"



    Zu diesem denkbar ungünstigen Zeitpunkt platzten Diener herein und brachten Platten mit Speisen, Becher aus dünnem Glas und eine Kanne Wein. Leckereien gab es, wie in Honig eingelegte Früchte, Datteln, Rettich, der gebraten und scharf gewürzt war, Honiggebäck und vieles mehr. *



    Sim-Off:

    *Wisim, gleich.

    Bei der ganzen Diskussion sollte man nicht außer acht lassen, dass die Leute damals vom Kind bis zum Greis den ganzen Tag über einen leichten Rausch mit sich herumschleppten. Immerhin gab es weder Tee noch Kaffee noch Verfahren, Kohlensäure ins Wasser zu drücken, und Wasser pur trinken war mit Infektionsgefahr verbunden (für den Großteil der Bevölkerung, der sich kein fließend Wasser und auch keine private Regenwasserzisterne leisten konnte) oder bestenfalls nicht besonders appetitlich. Also werden wahrscheinlich große Teile der Bevölkerung ihren normalen Flüssigkeitsbedarf mit stark verdünntem Wein, Bier oder anderen, wenigstens niederprozentigen Alkoholika gedeckt haben. Als Alternative dazu stand höchstens noch posca zur Verfügung, also Essigwasser. Schön dargestellt ist das hier.


    Ob sich Leute wie heute - ausgenommen Trinkgelage, wo man das ziemlich sicher weiß - mit psychoaktiven Substanzen um des Rausches Willen (und nicht zu wenigstens primär kultischen Zwecken) vollgedröhnt haben, bleibt dagegen spekulativ.

    Es gibt, auch glaube bei Plinius in einem naturwissenschaftlichen Werk, in Apians Kochbuch oder irgendwoanders (ich habe das bloß leider gerade nicht zur Hand), ein Rezept für einen künstlichen Süßstoff. Dazu muss man Wein und Weinessig in einer Bleipfanne verdampfen lassen, es soll sich ein kristallines Pulver absetzen, dem eine große Süßkraft nachgesagt wird. Damit kann man dann alles süßen, es löst sich schließlich so gut auf wie moderner Zucker aus Zuckerrohr oder Rüben. Jedoch ist das Zeug vermutlich auch gesundheitsschädlich, von wegen Bleioxid oder so.


    Wein wurde vermutlich teilweise aus Gefäßen getrunken, die innen mit Pech bestrichen waren oder mit Wachs (letzteres findet man bei Ovids Version von Philemon und Baukis) - zunächst einmal zum Abdichten, denn Glas, Metall oder glasuierte Keramik konnten sich die meisten Konsumenten nicht leisten, also mussten Holz und Ton her, die irgendwie wasserdicht gemacht werden mussten. Das hat ihm ein ganz eigenes, süßlliches Aroma gegeben - jedoch würde ich das im Rl auch nicht nachmachen wollen, wenigstens das mit dem Pech nicht.

    "Khaire, agathe Kyrie!"


    Der Diener winkte den Gast in das Empfangszimmer, wo der Hausherr bereits wartete. Nikolaos saß auf einem hochlehnigen Stuhl, den Kopf auf die linke Hand gestützt.


    "Sei gegrüßt, werter Kleonymos. Es freut mich sehr, dass du meiner Bitte so rasch nachgekommen bist. Bitte nimm Platz. Du bist sicher von der langen Fahrt hierher sehr hungrig. Gleich wird ein kleiner Imbiss aufgetragen."


    Er lächelte - für Nikolaos ungewöhnlich sanft - und deutete mit seiner schlanken, weißen Hand auf einen Sessel in der Nähe.


    "Ich hoffe, du wirst mir meine Ungeduld nicht verübeln. Ich brenne sehr darauf, zu erfahren, was es Neues gibt. Zwar verbat mir der Arzt jegliche Aufregung, jedoch halte ich mich immer noch für mündig."


    Ein feines, ironisches Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.