Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    "Wahrheit ist die kostbarste aller Tugenden - und sollte aus diesem Grund mit äußerster Vorsicht und Bedachtsamkeit angewandt werden."



    Als ich das Triclinium betrat, legte sich die Befangenheit lähmend schwer auf mich, und das lag nicht an der ungeheuren Pracht dieser Säle. So oft hatte ich mir in den letzten Monaten gesagt: Ich muß mit Manius reden! und so oft hatte ich es dann doch nicht getan. Auch wenn ich mir selbst intensiv versicherte, dass das Verschweigen gewisser Dinge bei weitem nicht das gleiche war wie mutwillige Lügen, so war mir doch, als würde ein Dorn in meinem Herzen stecken, jedes mal wenn ich Manius sah, jedes mal wenn ich an ihn dachte.
    Seit Sciurus, Hadesbrut Sciurus, der verfluchte Sicarius, von den Toten wiederauferstanden war, waren Manius und ich übereingekommen, uns nicht mehr in der Villa Eutopia zu treffen, wir pflegten zur Zeit nur den unverfänglichen Umgang "guter Freunde".

    Und wie einen guten Freund empfing Manius mich vertraulich im Triclinium, nachdem ich unangemeldet vor der Türe seiner Villa gestanden hatte. Es war ein schwüler Tag, die Hitze des beginnenden Sommers machte Roms Glanz stumpf, die Menschen halb schläfrig, halb reizbar. Ich war nach dem Dienst in der Therme gewesen, hatte mir Schweiß und Staub abgewaschen, mich pflegen und ölen lassen, bevor ich zu ihm kam.

    "Salve..." Meine Füße schritten über das noble Mosaik auf ihn zu, und schienen zentnerschwer dabei. Ich lächelte angestrengt. "Nein, es ist nicht wegen Sciurus, es gibt da leider noch immer nichts neues. - Ich wollte nur... dich sehen, mit dir sprechen." Ich holte tief Luft, und fragte dann doch nur: "Wie... wie war deine Woche?"



    "Carissima..." Mit einem verschleierten Lächeln legte ich meine Hand auf ihre, legte den Kopf in den Nacken und fand ihre Lippen für einen langsamen, freundschaftlichen Kuss.
    "Du riechst immer so gut!" stellte ich einfach nur als Tatsache fest. "Habe ich dich geweckt? Das tut mir leid..." Einladend rückte ich auf der Kline ein wenig zur Seite, bot ihr den Arm. "Komm, leg dich zu mir. Magst du auch? Es ist aus eigenem Anbau."
    Die Pfeife war aus Silber, reichverziert, mit einem stilisierten Ibis als Kopf. Bei jedem Zug glommen seine Glasaugen glutrot.

    Am nächsten Morgen, nachdem Stella und ich die erste Nacht zusammen verbracht hatten und nicht wahnsinnig viel Schlaf gefunden hatten, wurde von den Sklaven die Tunica recta, das Bettlaken und der Gürtel im Garten des Hauses aufgehängt. Der Gürtel war noch ganz, jedoch der herkulische Knoten war daraus entfernt, was für neugierige Gäste am Tag nach der Hochzeitsfeier ein Beweis dafür war, dass es mir gelungen war, diesen ohne den Gürtel zu beschädigen zu öffnen. Die Tunica recta war ebenfalls unbeschädigt, so dass man auch daraus ablesen konnte, dass ihre gestrige Trägerin sie nicht zerstören musste, um aus ihr zu schlüpfen. Was das Bettlaken anging, so war dieses definitiv nicht mehr frisch und auch andere Spuren waren darauf zu erkennen, so dass jeder Gast, sollte er das wollen, seine Schlüsse ziehen konnte.*


    Stella empfing die ankommenden Gäste als neue Hausherrin. Natürlich hatten die Sklavinnen und Sklaven alles vorbereitet, Stella hatte keine Chance gehabt, einen Empfang vorzubereiten, doch das war normal und alle erwarteten bloss von ihr, dass sie ihre Gastgeberinnen-Pflichten erfüllen würde.

    Im Atrium waren Tische aufgestellt worden, um die Hochzeitsgeschenke abzustellen. Diejenigen Geschenke, welche bereits gestern in der Domus Iulia übergeben worden waren, standen bereits darauf. Auch hier hatten die Sklaven der beiden Gentes eifrig gearbeitet.

    Ebenfalls standen eine Menge Stühle umher, so dass jeder Gast einen Sitzplatz finden würde und sich auch Gespräche entwickeln konnten.

    3704-nivalis-jpgHufgeklapper erklang in der Straße vor der Domus der Annaer, hallte von den Hauswänden wider. Decimianus Damon, der Stallmeister der Decimer, führte einen stattlichen Schimmelhengst am Halfter. Das Tier war mittelgroß, harmonisch gebaut, und schritt leichtfüßig einher. Dabei blickte es neugierig nach rechts und links und spielte mit den Ohren. Einmal erschrak es vor einem Sonnenreflex in einem Rinnsal, ließ sich jedoch von Damon sofort wieder beruhigen. Das blankgestriegelte Fell glänzte fein. Der Hengst trug auf der Hinterhand das Brandmal decimischer Zucht. In die Mähne war ein glückbringendes Epona-Amulett eingeflochten.
    Der Stallmeister machte sich bemerkbar und übergab schließlich das Pferd mit den Worten:
    "Diesen Hengst sendet mein Patron Decimus Serapio dem glücklichen Paar im Namen der Gens Decima. Er wird Nivalis genannt und ist ein Hispano-Kyrenäer, stammt ab von Audacia und Samawi. Der Bursche ist jetzt vier und macht sich prächtig. Eingeritten habe ich ihn. Er ist flink und hat Feuer. Manchmal ist er frech, testet seine Grenzen, aber nie bösartig dabei. Er liebt es, sich in Sand zu wälzen, und frisst für sein Leben gern Sauerampfer."
    Damon klopfte dem Hengst auf den Hals und zauste ihm die Mähne. Es fiel ihm nicht leicht, sich von dem gelehrigen Kerlchen zu trennen und er hoffte, dass die Annaeer ihn gut behandeln würden, dass sie in der Tat so große Pferdeliebhaber waren wie es ihr Siegel versprach.


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    Unruhig drehte ich mich auf die andere Seite und versuchte wieder einzuschlafen. Morgen stand die Strategiebesprechung mit meinem Kommandanten und dem Praefectus Urbi an, da sollte ich in Form sein. Vibulanus wartete doch offensichtlich nur auf eine Gelegenheit mich abzusägen.
    Doch meine Gedanken kreisten, so unaufhaltsam wie ein Schwarm Geier über einem verendeten Kamel...


    Generell schlief ich gar nicht gut, so einsam in meinem Bett. Es war sehr leer geworden, seitdem ich meinen schönen Britannier, meinen goldenen Barbaren hatte wegschicken müssen. Nach Cremona, in eine renommierte Gladiatorenschule, die auf Retiarii spezialisiert war, hatte ich ihn gesandt... und kürzlich dann erfahren, dass es dort während einer Überschwemmung - eine Mauer war wohl unterspült worden - einen größeren Ausbruch gegeben hatte. Von Angus fehlte seitdem jede Spur. Jedoch hatte ich das ganze verschwiegen, es mit mir selbst ausgemacht, und davon abgesehen, ihm Sklavenjäger hinterherzuschicken. Denn ehrlich gesagt... mochte ich Angus, in all seiner Widerborstigkeit. Er war keine Sklavennatur, war hier im Haus wie ein Löwe in einem Käfig gewesen. Ob er versuchen würde, auf seine Insel zurückzukehren? Ich sah ihn vor meinem inneren Auge von einer Schar verwegener, mit blauen Kringeln bemalter edler Wilder in Empfang genommen, und klammheimlich wünschte ich ihm viel Glück...


    Seit Angus fort war, war da niemand mehr, der mich von meiner Sehnsucht nach Kyriakos ablenken konnte.

    Ach, Kyriakos, fortwährend bist du in meinen Gedanken und doch weiß ich im Grunde nichts über dich!

    Ich war ein Narr, mir wie ein Jüngling den Kopf verdrehen zu lassen... in der Vergangenheit hatten alle, ausnahmslos alle meine Liaisons, die so glutvoll begonnen hatten, desaströs geendet... Dass Manius und ich noch zusammen waren lag nur daran, dass wir nach all unseren katastrophalen Zerwürfnissen und Trennungen einfach dann doch blindlings immer wieder neu angefangen hatten... Ich musste mit Manius sprechen. Nun aber wirklich. Zerrissen wälzte mich wieder auf die andere Seite, an Schlaf war nicht zu denken. Mein Privatleben war mal wieder ein einziges Chaos. (Ky-ri-a-kos... - allein die Silben fügten sich geradezu musikalisch zu einem unvergleichlichen Wohlklang zusammen...)


    Vor dem Fenster zwitscherte ein früher Vogel. Ich war allein in meinem breiten Bett und hatte noch immer verdammt Lust auf Opium. Einen Augenblick lang erwog ich, nach nebenan zu Valentina zu gehen und mich leise zu ihr zu legen. Es war sehr angenehm bei ihr zu sein – solange ich nicht mit ihr schlafen musste, doch wahrscheinlich würde sie genau das erwarten, wenn ich sie jetzt aufsuchte.
    Icarion hingegen mochte es nicht, wenn ich ihn in seinem Bett besuchte. Er hatte mir einmal, vor Jahren, in einem gefühlsseligen Moment in seltener Offenheit anvertraut, dass das für ihn der größte Luxus war: sein eigenes Bett für sich alleine zu haben, in dem er ungestört war.
    Wer mir hier im Haus noch gefiel, das war natürlich der spröde junge Silas. Doch seitdem ich ihn hatte bestrafen müssen, gebärdete der sich, wenn ich ihn nur anblickte, gleich wie ein verschrecktes Rehkitz. Und ich war ja kein Unmensch...


    Wieder kreisten meine Gedanken zurück zu dem Traum und kurz erschien es mir, als ob ich noch immer schliefe, als ob ich noch immer ein blutjunger Legionär wäre, in einem Fiebertraum gefangen, und wenn ich erwachen würde, dann wäre ich wieder im Feldlazarett nach der Schlacht von Edessa. Schwindelig war mir, als ob die Welt jeden Augenblick zur Seite wegkippen könne, mich zu einem freien Fall ins Nicht-Sein verurteilend...


    Schließlich stand ich auf, rieb mir die Augen, entzündete eine Öllampe, und suchte das Kästchen heraus, in dem ich meine Vorräte an getrockneten Hanfblättern, Styrax und eingelegtem Khat aufbewahrte. Draußen auf dem Balkon setzte ich mich auf eine Kline aus Korbgeflecht und bereitete mir eine ägyptische Hanfpfeife. Besser als nichts. Ein Bein angezogen, auf der Kline zurückgelehnt, rauchte ich langsam, Zug um Zug. Der Himmel färbte sich von schwarz zu nachtblau, dann fahlblau, während der Wirbel meiner Gedanken langsam zur Ruhe kam. Über dem Dachfirst stand Eosphoros, der Morgenstern.

    Als einer von tausenden klatschte und jubelte ich für die Künstler und für den Magistraten, der uns dieses Spektakel geboten hatte. Besonders überschwänglich applaudierte ich, als der Darsteller der Helkos vortrat, denn die ungeheure Intensität, mit der er den Unhold verkörpert hatte, hatte mich fasziniert. Ich hatte eben schon immer ein Faible für die zwielichtigen Gestalten... ( – nur im Bezug auf die Kunst natürlich!!)
    Mit brennenden Handflächen und einmal mehr erfüllt vom machtvollen Zauber des Theaters stieg ich schließlich in der Menge die Stufen hinab, während in meinem Kopf die Carpe-Diem-Melodie wiederhallte, und einige Verse, aber ganz besonders die Worte:

    "Erinnerst du dich noch an sie / die schicksalsvolle Jagdpartie?"

    Wider den Tag / Ewig dem Rausch


    ~ der Soundtrack ~


    Durch die Nähte des ledernen Zeltdaches sickerte parthische Sonnenglut. Die Luft roch nach verbranntem Fleisch und Blut und Fäkalien. Benommen hob ich den Kopf von meiner Matte und sah, so von unten, einen Miles Medicus an mir vorübereilen. Er schleppte ein langes, zerquetschtes Ding, das einmal ein menschliches Bein gewesen war. Als wäre ich aus tiefem Wasser emporgetaucht, begann ich nun erst zu hören. Das Feldlazarett war voll verwundeter Kameraden. Manche schrien vor Schmerzen, manche rangen mit zerstochenen Lungen nach Luft. Manche wimmerten kläglich. Und manche gaben gar keinen Laut mehr von sich, waren bereits Passagiere auf Charons Kahn.
    Die Sanitäter und Legionsärzte hasteten mit Verbänden und Chirurgenwerkzeug umher.
    Stimmen:

    "Beißholz."

    "Wasser."

    "Nicht zappeln. Binde, schmal."

    "Kauter, glühend."
    Beißender Rauch stieg auf, als das Eisen zischend in eine Wunde sank. Da hindurch, wie eine Lichtgestalt, wandelte die Frau des Kommandanten, die Matrone Iulia Helena und spendete Trost. Gütig reichte sie mir einen Becher mit Wasser.
    Iulia Helena:

    "Es ist vorbei, niemand wird dir mehr etwas tun."
    Ich:

    "Mein Freund ist gestorben. Sie haben ihm den Hals aufgeschnitten. Noch heute morgen hat er mir Mut gemacht und jetzt ist er tot. Er hat mir noch... einen Gruß zugerufen, bevor... die Reiter...."
    Ich tastete nach meiner bandagierten Schulter, nach der zerschlitzten Wange. Wie konnte es sein, dass ich davongekommen war, ausgerechnet ich, während Lucullus und so viele andere nicht mehr lebten.
    Iulia Helena:

    "Ich bin mir sicher, du hast deinen Freund gerächt, und ehrenvoll gerächt. Wie war sein Name?"
    Ich:

    "Lucullus. Appius Iunius Lucullus. Aus der zweiten Centurie, so wie ich."
    Sie lächelte ruhig und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
    Iulia Helena:

    "Keine Sorge, Junge. Deinem Freund geht es gut. Sieh doch."


    Sie hatte recht. Am Ufer des Euphrates stand ich, neben einem hohen Berg staubiger Caligae. Ganz oben darauf saß Lucullus. Er grinste lässig auf mich herab.
    Lucullus:

    "Hey! Was auch passiert," Er zwinkerte mir zu. "...ich werfe ein Auge auf dich Blauauge."
    Verblüfft starrte ich zu ihm empor. Wie konnte das sein? Irgendetwas musste ich beträchtlich durcheinander gebracht haben!
    Ich:

    "Du lebst!" Unendliche Erleichterung breitete sich in mir aus. "Dabei dachte ich, du wärst gefallen. Ich dachte... wir hätten deinen Scheiterhaufen entzündet. Ich hätte eine Hymne auf dich geschrieben. Die Drecksparther hätten unseren Kaiser ermordet. Ich dachte... es wären Jahre, so viele Jahre ins Land gezogen, mein Stern wäre hoch gestiegen, ich hätte die Garde ins Feld geführt, im Bruderkrieg... den wir verloren. Und ich dachte wirklich, ich wäre alt geworden, und wir hätten schon wieder einen neuen Kaiser, einen Friedenskaiser, dem ich nun diente..."
    Lucullus:

    "Hahaha, Blauauge, was quatschst du für einen Unsinn?" Schwungvoll rutschte er vom Sandalenberg. "Du? Die Garde ins Feld geführt? Ja klar, und ich bin der Shah aller Shahs. Hast du etwa was genommen, ohne mich?"
    Ich:

    "Das würde ich doch nie tun." Schelmisch schlug ich vor: "Wollen wir dem Medicus etwas abluchsen?"
    Lucullus:

    "Schon geschehen."

    Auf seiner schwieliger Handfläche lagen zwei kleine, klebrig glänzende Opiumkügelchen, etwas heller getönt, mit rötlichen Schlieren - Zeugma-Qualität. Tief sog ich ihren betörenden Duft ein. Nur schade dass wir keine Ausrüstung zum Rauchen in unserem Marschgepäck hatten! Nun ja, es ging auch so.
    Ich:

    "Haut nicht so rein, hält aber länger. Lob und Preis Morpheus, sei unsere Parole."
    Lucullus:

    "Wider den Tag..."
    Wie beide:

    "...ewig dem Rausch!"
    Wir schluckten die Kügelchen.


    ~ ~ ~


    Als ich aus diesem Traum erwachte, legte sich wie ein Berg von Geröll die Last der Trauer auf meine Brust, der alten Trauer um Lucullus und um all die anderen Kameraden, die im Laufe der Jahre unter dem Adler ums Leben gekommen waren. Einst genauso lebendig wie ich, atmend, kämpfend und lachend an meiner Seite... jetzt nur noch Staub und Erinnerung.

    Es war stockdunkle Nacht. Ich hatte unheimlich Lust auf Opium...
    Wohlweislich hatte ich aber nichts da.


    Ein Praetorianer tauschte die verblassten alten Steckbriefe gegen neue aus.


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    Die Cohortes Praetoriae geben bekannt:


    Gesucht wird


    SCIURUS


    Meuchelmörder, Tempelschänder, Fugitivus, Christianerkultist.


    Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen.


    Der Gesuchte ist ca. 40 Jahre alt,

    hochgewachsen,

    von sehniger Statur,

    hat kurzes hellblondes Haar,

    auffallend helle Augen, die an Fischaugen erinnern,

    und einen stechenden Blick.

    Er trägt ein kleines Brandmal in Form eines

    Ω
    auf der linken Hüfte.

    Er ist bewaffnet mit Dolch und Würgeschlinge

    und mordet skrupellos.



    Für seine Ergreifung ist eine hohe Belohnung ausgesetzt:


    tot 1000 Sesterzen

    (der Leichnam muss noch zu identifizieren sein)


    lebend 2000 Sesterzen
    bei Ablieferung in der Castra Praetoria.


    Hinweise, die zur Ergreifung des Gesuchten führen, werden mit

    500 Sesterzen
    belohnt!



    gez.
    F. Decimus Serapio
    Gardetribun


    "Talassio! Talassio!"
    Arm in Arm marschierten Valentina und ich fröhlich angeheitert im Brautzug mit. Ich grinste breit über die Spottgesänge, schüttelte eine hölzerne Klapper, die ordentlich Lärm machte um das Unheil zu vertreiben, und warf auch eine Handvoll Nüsse. Ein Schemen am Straßenrand, der sich auffallend zielstrebig bewegte, ließ mich kurz alarmiert aufmerken – wusste ich doch, dass Sciurus, der garstige Garrotteur, noch eine Rechnung mit mir offen hatte, ebenso wie ich mit ihm. Noch immer fehlte jede Spur von ihm, gerade erst hatte ich die Suche intensiviert. - Doch der Schemen war nur ein zerlumpter Bettler, der gierig nach den Nüssen haschte, sie vom Pflaster fegte und in seinen Beutel zusammenraffte.
    Vor mir ging mein hübscher Rivale der Rennbahn mit einer brünetten Dame, er dichtete und lachte ausgelassen, wobei sein Profil sich im Fackelschein reizvoll abzeichnete. Dazu die dunkelwelligen Haare – auf eine wohlig sehnsuchtsvolle Weise musste ich natürlich sogleich wieder an den herrlichen Spartaner am Albaner See denken. Aber auch daran, dass der beredsame Furius sich in der Taberna Palindromos mächtig weit aus dem Fenster gelehnt hatte... (doch dazu an einem anderen Tag.)


    "Wenn Blumen sich nach Sternen recken,
    Wie selig schwelgt das Paar im Kuss.
    Soll's bleiben nicht bei holdem Necken,
    Bedarf es dringend Priapus!"

    Was für ein perfekter Start! Als hätte unser Jubel ihm Flügel verliehen, setzte Sotion, Sotion unser Held, sich rasant an die Spitze des Feldes. Tanco fuhr respektabel, aber Sotion ließ alle Aurata-Herzen höher schlagen.
    "SOTION! SOTION! AURATA VICTRIX! SOTION INVICTUS!!!" schallte es begeistert aus unseren Reihen. Ich umkrallte das Tuch so fest als würde ich selbst die Zügel eines Gespannes führen und hielt den Atem an, als unser Idol unnachahmlich lässig die Kurve nahm. Ach, so fahren zu können wie er...
    Protenaeas, der gerade so gekonnt die Grünen überholte, sogar noch Muße für eine abschätzige Geste dabei hatte, sah ich als Sotions gefährlichsten Rivalen an, doch selbst den hatte er bereits weit hinter sich gelassen.
    "RUSSATA FRISS STAUB!!!"

    "Bravo! Bravissimo!" stimmte ich in den Jubel ein, sprang von der Bank auf und applaudierte frenetisch.

    :app:

    Was für eine mitreißende Inszenierung, was für ein fabulöser Kontrast zwischen der klassischen Schauspielkunst und der innovativen, Genre-Grenzen durchbrechenden Natur des Stückes. Und dann die tiefgründige Symbolik des Titels – ich nahm an, dass sie sich sozusagen auf den 'inneren Löwen' eines jeden Herrschers bezog, welcher Raubtier und Majestät in seiner Person vereinen musste...
    "Auctor! Auctor!"

    Im Fanblock der Aurata war die Stimmung bestens.
    "SOTION!!! SOTION!!! HIER KOMMT DIE SONNE!!!
    SOTION!!! SOTION!!! SOTION ZUM SIIIIIIEG!!!"
    brüllte ich fröhlich im Chor mit meinen Factiokumpels und wedelte enthusiastisch mit dem goldenen Tuch. Wir saßen sehr günstig an der Haarnadelkurve, das gab beste Aussicht auf rasante Wendemanöver. Meine Frau (so langsam konnte ich das denken, ohne zu stutzen) war heute nicht mitgekommen, und das war vielleicht auch besser, denn die derberen der Schmährufe, die hier umherflogen, waren wohl nichts für ihre holden Ohren. Allerdings fehlte heute unser Lieblingsfeind – wo zum Hades steckte die Veneta?

    Das Carpe-diem-Lied war ein echter Ohrwurm! Als leidenschaftlicher Theaterfreund verfolgte ich gebannt das Spektakel, litt und bangte mit dem jungen Königssohn, dessen Zwiespalt ich gut nachempfinden konnte. Gleicher unter gleichen sein, Freundschaft abseits von Rang und Herkunft... war in dieser Welt, so wie sie war, eben doch nur als ein romantisches Hirngespinst möglich - doch die Geschichte brachte eine Saite in mir zum Klingen. Und auch wenn mein Vater kein König war, so waren doch seine Senatoren/Legaten/Statthalter/Allseits-beliebter-Staatsmann-Fußstapfen ähnlich un-ausfüllbar.


    Ich schmunzelte über charmante Reime wie 'Doch geht’s nicht schneller, wenn man wacht / drum geh ich schlafen, gute Nacht!' und lachte über den fidelen Satyr, den Publikumsliebling... wobei meine Gedanken (ebenso wie bei der Jagdszene) rasch zu einem Satyr ganz anderer Art abschweiften, und ebenso schweiften meine Augen unwillkürlich immer wieder suchend über die bunte Menge der Menschen in den aufragenden Rängen des Theaters. Das ging mir in letzter Zeit ständig so, und manches Mal, wenn mein Blick zufällig einen schwarzlockigen Gutgebauten streifte, so aus dem Augenwinkel, da durchzuckte mich blitzartig ein – da ist er! – er war es aber nie, der zweite Blick brachte stets die Enttäuschung. (Es war wohl auch Unsinn, im Publikum einer Komödie Ausschau nach ihm zu halten, schließlich bevorzugte er Tragödien.) Dann blickte ich zur Loge der Flavier und ebenso blitzartig fühlte ich mich wie der allerletzte Hallodri. Ich musste mit Manius sprechen...

    wirklich...


    Sein Sohn hatte sein Wahlkampfversprechen jedenfalls mehr als wahr gemacht. Leider hatte ich aufgrund meines Dienstes den Auftakt der Megalesia verpasst. Die Korybanten hätte ich gerne gesehen, und das Löwengespann, von dem alle sprachen.
    Ich klatschte mitgerissen vom Szenenapplaus beim Auftritt des Geistes... (Es gibt ja viele Theater-Connaisseure, die Kran-Kunststücke verachten, zum Beispiel mein alter Bekannter Cluvius vom Pegasus-Theater, der Purist, aber ich persönlich finde: es ist eine Frage der Umsetzung. Wenn es sich harmonisch in das Stück fügt und der Geschichte dient wie hier – fabelhaft! Cluvius und der Kran waren wohl eher wie der Fuchs und die sauren Trauben.)
    Ich war gespannt wie Symbanes, jugendlicher Held, den Usurpator besiegen würde.

    Ein Sklave der Gens Decima gab ein Schreiben ab.


    Eheregistratur

    Regia C D



    F. Decimus Serapio s.d.

    Ich gebe meine Vermählung per usum sine manu mit Quintilia Valentina bekannt und bitte um deren Eintragung.

    Die Festlichkeiten fanden ANTE DIEM VIII ID DEC DCCCLXX A.U.C. (6.12.2020/117 n.Chr.) statt.



    Vale


    Faustus Decimus Serapio

    Tribunus Cohortis Praetoriae


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    "Gratulationes! Unsere allerbesten Wünsche auch im Namen meiner Gens! Mögen die Götter euch stets gewogen sein und euch Glück, Eintracht und reichen Kindersegen schenken!"
    Dies hatte ich dem glücklichen Paar gewünscht, an der Seite meiner lieben Frau, die heute mal wieder eine perfekte Figur machte. Ich erwiderte liebevoll den Druck ihrer Hand. Es war eine schöne klassische Zeremonie - Annaeus und Iulia gaben ein Bilderbuchpaar ab, jedenfalls von der Fassade her - und eine illustre Gästeschar, sogar zwei Vestalinnen erschienen, als wären Himmelswesen zu uns herabgeschwebt.
    Mein Geschenk würde am nächsten Morgen gebracht werden. Angesichts dessen, dass Annaeus Klient meines Vaters war, der ihn aus Hispania derzeit nicht wirklich unterstützen konnte, da sollte zumindest die Gabe stattlich sein. Darum hatte ich mich für einen prächtigen Schimmelhengst aus unserer hispanisch/kyrenaeischen Zuchtlinie entschieden.

    So gesehen kein guter Vergleich. Und doch war Kyriakos mir wie eine Flammenspur in der Schwärze, und doch war mir, als könne er mit einer Wucht, die nicht in Worte zu fassen war, in meine Welt einschlagen. 'Tausend Küsse', die nach Wein schmeckten, 'darauf hundert, und noch tausend mehr', sein fester Griff in meinem Haar, meine Hand auf seinem gestählten Schenkel, Worte voll herrlichen Überschwanges... wann hatte ich mich zuletzt so frei gefühlt, unbeschwert... und jung...
    "Mhm... jederzeit.... wo du willst..." schmachtete ich, lachte heiter über das verdrehte Bild, das er malte - "Oh ja, die Jungfrauen sind besonders gefährlich."
    Ich war schon schwer in Versuchung alle Karten offen auf den Tisch zu legen, wie ich hieß, wer ich war und so weiter. Doch irgendwo in meinem Hinterkopf fristete eben doch, außer dem Wissen um das Risiko, auch noch die ein oder andere bittere uralte Erinnerung ihr Dasein, daran wie schnell alle weinseligen Schwüre und alle nächtlich großen Worte sich im Morgenlicht ins Nichts zu verflüchtigen vermochten.
    "Nie wieder verliebe ich mich in eine Orgienbekanntschaft" hatte ich mir mehr als einmal in meinem Leben geschworen und jetzt.... jetzt gerade... ließ ich mir hier komplett den Kopf verdrehen. Ich atmete tief durch, senkte den Blick. Im Feuer vor uns barst knackend ein Scheit. Als ich Holz nachlegte, stob ein Funkenregen auf.


    "Das Labyrinth ist nicht ohne. Es ist voll Larven und Lemuren und giftiger Skorpione..." Ich griff nach seiner Hand, führte sie an die Lippen, küsste innig die Wölbung der Innenfläche, das Netz verästelter Linien.

    "Aber mit dir zusammen, Kyriakos... Wir werden uns schon hindurch kämpfen. Ich sage dir wo der Eingang ist: kennst du die Caupona zum Grünen Genius in Trans Tiberim? Über den Türsteher dort – er ist unverwechselbar, ein Hüne voll Sommersprossen – kannst du mir eine Nachricht zukommen lassen."
    Aufblickend trank ich mit den Augen sein Gesicht, vom Feuerschein aus der Dunkelheit gemeißelt.
    "Wie aber kann ich dich erreichen?"

    In tadelloser Haltung leistete Octavius den Schwur. Die Zeremonie war, jedes mal aufs neue, erhebend für ein patriotisches römisches Herz. Doch mehr als sonst hatte ich mich heute bei meiner knappen Ansprache wie ein Hochstapler gefühlt, denn ich wusste, dass ich selbst, vor allem angesichts meiner jüngsten Ausschweifungen in den Albaner Bergen, dem himmelhohen Maßstab den ich hier beschwor, nicht gerecht wurde. Andererseits – wer wurde das schon?! Wenn ich eines in meinem Dienst gelernt hatte, dann dass ausnahmslos jeder etwas zu verbergen hatte. (Zum Beispiel der Trecenarius, der hier gerade mit Mars-Ultor-Statuen-strenger Miene neben mir stand, ganz Rom würde mit den Ohren schlackern wenn bekannt würde dass dieser Mustersoldat... – doch halt, das sind Interna, hier muss ich Stillschweigen wahren.)


    "Centurio Octavius, so nimm deinen Platz in den Reihen der Garde ein." sprach ich förmlich, trat vor Octavius und legte ihm die Kette mit seinem Signaculum mit dem Skorpionemblem um den Hals.
    Daraufhin umringten ihn die Centurionen der dritten Kohorte. Stück für Stück nahm sie die Ausrüstung vom Altar und legten sie ihrem neuen Kameraden an, so dass er zuletzt im brünierten Paradeharnisch, mit den verzierten Beinschienen und wallendem Helmbusch in aller Pracht mit uns aus dem Fahnenheiligtum heraus treten konnte. Die Sonne war untergegangen, ein blutroter Glanz stand noch über der westlichen Mauer der Castra und mischte sich mit dem flackernden Fackelschein, als Octavius durch das Spalier der Centurionen schritt, welche ihren neuen Kameraden mit den rituellen Rufen und mit herzhaftem Handschlag willkommen hießen.