Einerseits erleichterte Apollonius die Entscheidung seiner Patientin, auf der anderen Seite war ihm mindestens genauso unbehaglich. Apollonius war es nun mal gewöhnt Männer zu behandeln. Als er sich leicht umwandte bemerkte er erst den Iulianer in seinem Rücken. Sonst waren alle aus dem Raum verschwunden. Apollonius musterte ihn und übte sich wieder in der Kunst der Logik. Also, er hatte dessen Name vergessen? Aber er war sein Schüler. Dann muss es in Hispania gewesen sein. Waren da nicht zwei aus der Legion gewesen? Apollonius winkte ihn näher zu treten. Wenn der junge Mann schon hier war, konnte er ihm gleich noch etwas erzählen. Zuerst nickte Apollonius jedoch Deandra freundlich zu. Dabei verwunderte ihn die Tatsache, dass so eine doch erwachsene junge Frau sich nicht alleine ausziehen konnte. Aber der gute Apollonius war ja auch nicht mit den Tücken der römischen Damenmode vertraut.
Es musste ein Geistesblitz der Musen gewesen sein, doch Apollonius war dem sehr dankbar. Ein Iulier! Natürlich. Zwei Iulier, eine Decima (Valeria) und ein Matinier. Apollonius lächelte vage. „Iulius, wie ich schon im Cursus erläutert habe, gibt es eine bestimmte Rangehensweise für die Erstellung der Prognose. Beginnen wir mit der Beobachtung und Befragung des Patienten. Doch vorweg gesagt, möchte ich Euch noch etwas Theorie mitgeben, die ich im Cursus, mangelnder Zeit wegen, nicht erwähnt habe. Frau und Mann sind sehr unterschiedlich!“ Apollonius nickte bekräftigend bei dieser angeblichen Binsenweisheit. „Das erscheint schon auf den ersten Blick offensichtlich. Aber es ist tiefgründiger als meine Aussage im ersten Moment erscheint. Die für uns sehr wichtigen Unterschiede liegen nämlich in der Säfteverteilung. Frauen haben ein anderes natürliches und harmonisches Mischungsverhältnis als Männer. Frauen sind mehr kalt und feucht und Männer mehr warm und trocken. In der Untersuchung und der anschließenden Prognose ist das von entscheidender Bedeutung. Denn wenn die Frau eher das Kalte bevorzugt, hat die Hitzewallung, das Fieber, eine völlig andere Ursache und Bedeutung. Ebenso die Errechnung der Krisen verändert sich hieraus, wenn natürlich auch die Grundzahlen des Hippokrates davon nicht betroffen sind.“
Apollonius beugte sich zu Deandra vor. Erneut tastete er vorsichtig über ihre Stirn. „Prima, die Inspektion. Was beobachten wir, Iulius? Ihre Haut ist von Wärme durchzogen. Die Hitze und das Pneuma des Blutes erreicht ihre Oberfläche. Was heißt das? Es wird vermehrt Blut gebildet, heißes und wallendes Blut, was die Peripherie erreicht und dort versickert. Zuviel Blut verursacht gerne ein kontinuierliches Fieber. Doch sind vielleicht auch noch die anderen Säfte betroffen? Wie steht es mit der Testes oder der Milz? Spielt die schwarze Galle hier noch eine Rolle? Das Quartanafieber? Es ist Herbst, man könnte das natürlich annehmen. Oder die gelbe Galle und das Tertianfieber? Weniger wahrscheinlich, aber mit der Palpation ist dies auch zu überprüfen, wenn sich die Leber als verändert erweist, dann spürt es die Hand. Fragen?“
Apollonius war in keinster Weise besorgt, dass Deandra das Ganze verstehen würde. Zum einen war sie einLaie und zum anderen nun mal eine Frau. Und Apollonius war immer noch der festen Überzeugung, dass Frauen zu solchen komplexen und logischen Themen nicht leicht mit ihrem Geist Zugang finden konnten. Dafür waren sie einfach viel zu emotionale Wesen, die sich besser für die häuslichen Tätigkeiten eigneten. Es gab nur mal sehr wenige Frauen, denen Apollonius das Gegenteil zusprach. Vorsichtig begann Apollonius mit der Palpation, der Betastung von Deandras Körper. Hals und Kopfbereich, Nacken, unter den Achselhöhlen und am Bauch und sogar am Ansatz der Lendengegend. Dabei achtete er jedoch immer darauf, dass dann die intimen Teile von ihrer Kleidung verdeckt waren und er tat das Ganze mit völlig distanzierter Miene. „Werte Dame, seid wann habt ihr die Beschwerden? Wann fing es an und wie äußerten sich die Schmerzen und das Leid?“ Apollonius Untersuchung und Befragung schritt voran- nicht ohne dem Iulier alles zu erläutern.