Er hatte es nicht gewollt...das glaubte Helena ihm sogar. Sie ging nicht davon aus, dass er es mit bösem Willen getan hatte. Nein, er hatte einfach so gehandelt wie immer und es war ihm nicht aufgefallen, dass er sie damit verletzte. "Von Schuld zu sprechen hat keinen Sinn. Und es ist noch nicht mal wirklich deine Schuld. Immerhin hast du das Messer nicht geführt, sondern ich." Warum sagte sie das? Natürlich war es seine Schuld, zumindest versuchte sie sich das einzureden. Aber scheinbar hatte ihr Verstand so langsam wieder Überhand über ihre Gefühle und ließ sie erkennen, dass sie sich vielleicht doch etwas zu sehr in die Sache hinein gesteigert hatte. Trotzdem wollte sie ihm nicht so einfach vergeben! Sie wehrte sich dagegen und wenn es auch nur aus kindlichem Trotz war. Noch immer sah sie ihn an, das Gesicht fast regungslos. Es musste ihm unheimlich schwer fallen so mit ihr zu reden. Seine Mimik sprach Bände. Was würde er wohl tun, wenn sie jetzt in Tränen ausbrechen würde? Aber selbst wenn sie es gewollt hätte, sie hätte es nicht gekonnt. Ihre Tränen waren versiegt und das war vielleicht auch ganz gut so.
Mittlerweile war Marcus aufgestanden und wanderte durch das Zimmer. Helena blieb ruhig sitzen und wandte nur den Kopf, um seinen Bewegungen zu folgen. Er suchte nach einer Lösung, doch das was er vorschlug gefiel ihr nicht sonderlich. Er wollte ihr helfen, aber das konnte er nicht. Wie denn auch? Leider konnte er ihre Gefühle nicht für sie beherrschen. "Ich denke, es ist besser wenn wir uns erstmal aus dem Weg gehen." Diesem Satz folgte ein längeres Schweigen. Machte sie es ihm nicht zu einfach? Wahrscheinlich war er erleichtert, dass sie ihn in der nächsten Zeit nicht sehen wollte. "Ich werde natürlich bei allen familiären Anlässen dabei sein und dich auch wieder auf die nächsten Feste begleiten. Nach außen hin bleibt der Anschein einer friedlichen Familie gewahrt. Ansonsten bin ich einfach noch nicht bereit normal mit dir umzugehen. Ich brauche noch Zeit. Und dabei kannst du mir nicht helfen, auch wenn du es willst." Nun endlich wandte Helena den Blick ab und sah zum Fenster hinaus. Sie hatte geahnt, dass es schwer werden würde wieder ein normales Leben zu führen. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn sie eine Weile weggehen würde? Möglicherweise zu ihrer Tante zurück? Aber damit würde sie den Gerüchten, die es sicher schon gab, nur zuspielen. Nein, wenn sie wirklich irgendwann wieder ein alltägliches Leben in Rom verbringen wollte, dann musste sie hier bleiben.