Beiträge von Purgitia Lenaea

    Wenn die Dauer des Abkommens in ziemlich direktem Zusammenhang mit der Dauer ihrer Anwesenheit in Rom stand, dann bedeutete das, dass das Abkommen genauso lange dauerte wie sie hier sein würden. Es hatte etwas gedauert, bis die Worte sich in Lenis Kopf gesetzt hatten. Denn das war schon eine äußerst komplizierte Sache. Sodann plauderte die blöde Neferu auch schon aus, wann sie aufzustehen hatten. Leni fand das nicht gut, dass sie gleich am Tag nach der Ankunft schon so früh aufstehen mussten wie sonst auch. Es war doch der erste Tag!


    "Ach warum dürfen wir nicht länger schlafen? Heute ist doch unsere erste Nacht und bestimmt können wir gar nicht schlafen, weil wir noch so aufgeregt sind. Und wenn wir dann so früh wieder geweckt werden, dann sind wir bestimmt den ganzen Tag müde und schlecht gelaunt..." Leni trat in eifrige Verhandlungen. Auch verschränkte sie unnachgiebig die Arme vor der schmalen Brust. Sie hatte nicht vor aufzustehen und den Onkel zu drücken, solange der verlangte, dass sie morgen so früh aufzustehen hatten.

    Leni kicherte leise, während Stella davon schwärmte, was für ein wunderbarer Soldat ihr Onkel mal gewesen sein musste. Hatte sie das ernst gemeint? So ernst wie Stella schaute konnte es gar nicht ernst gemeint sein! Das fand zumindest Leni und so legte sie einen unverhohlen neugierigen Blick auf ihren Onkel um ihn missmutig zu mustern. Ob er wohl wirklich ein starker und großer und mächtiger Soldat war, vor dem ein Geier sich fürchtete. Leni war der Meinung, dass das nicht sein konnte. Ein Geier fürchtete sich nicht mal vor einem Augustus! Und daher bestimmt auch keinen Onkel Macer.


    Dieser erklärte nun, dass sie aus dem Fenter zu den Pfosten schauen sollten, die da so herumstanden. Leni hatte sie bisher für nutzlos gehalten, denn niemand hatte ihr gesagt wozu sie da waren. Nun hopste das Mädchen aber wieder zum Fenster hin und lehnte sich mit dem halben Oberkörper heraus um alles genau sehen zu können. Leni war sich nicht sicher, wer von ihnen beiden mehr für Zahlen übrig hatte. Leni war jedenfalls oftmals ganz fasziniert von der Zahlenwelt, die so manche Überraschung bereit hielt. Und Leni mochte es, wenn Dinge logisch waren. Und Rechnen war für sie das logischste der Welt. Jedoch hatte sie nicht gesehen, ob das wirklich eine 8 war. Zu schnell war der Pfosten vorbei, als dass sie es genau gesehen hätte. "Bist du sicher? Macht man 8 acht nicht mit Vau und drei Mal Ieh?", wollte Leni schließlich wissen und hockte sich wieder zu dem Onkel.

    Stumm lauschte sie den beiden bei ihren hochgestochenen Phrasen. Erst Stella, der sie einen fragenden Blick zuwarf. Und dann Macer, der etwas sagte, wobei sie zwar nicht jedes Wort verstand, aber doch kapiert hatte worum es ging. Sie drehte also den Kopf wieder ins Zimmer um beide nacheinander anzusehen.


    "Der Wert eines guten Abkommens beruht einzig und allein auf seine Dauer." Das war wohl ein typischer Leni-Einwurf. Wenn man es am wenigsten erwartete, schaltete sie sich mit einem altklugen Sprichwort ein, sodass man annehmen musste, sie wäre schon sehr erwachsen und klug noch dazu. Dann aber... "Ich mag zum Frühstück wieder Oliven haben..." ... aber dann sagte sie etwas anderes... "Geht das, Onkel Macer?" Fragend schaute sie nochmal in seine Richtung. Paula war noch immer ganz überrascht vom Sinneswandel des Mädchens, dass sie es gar nicht fertig brachte dem Herrn eine Antwort zu geben. Perplex stand sie da und sah Leni an, als wäre sie eine aussätzige. Die dumme Paula..., dachte Leni sich da nur und legte den Kopf schief.

    Missmutig schaute Leni noch ein bisschen aus dem Fenster raus und kratzte sich dann hinterm Ohr um sich skeptisch wieder auf ihre vier Buchstaben zu setzen. Sie hatte keinen Geier sehen können und anscheinend war der auch nicht mehr so interessant, denn sogar Stella hatte sich in der Zwischenzeit wieder hingesetzt und erklärt, wie unterschiedlich die verschiedenen Geier doch aussahen. Leni war sich ja nicht so ganz sicher, aber sie vermutete insgeheim, dass Stella viele unterschiedliche Vogelarten für Geier hielt. Vögel, die ziemlich verschieden aussahen, was Farbe und Größe betraf. Aber sicher war sie sich da wirklich nicht.


    Nun drehte Leni ihren Kopf wieder zu ihrer Schwester und ihrem Onkel und guckte sie abwechselnd an, während sie auf ihrer Unterlippe herumnagte. "Onkel Macer, dauert es noch lang?", fragt dann auch Leni langsam etwas ungeduldig. Eine Reise mit kleinen Kindern war eben nicht nur für die Kinder anstrengend, sondern auch und insbesondere für die Eltern. Oder in dem Fall für den mitreisenden Onkel. "Ich mag das Meer sehen...", meinte Leni etwas kläglich und sehnsüchtig.

    Auch Leni konnte den Ausflug ans Meer gar nicht erwarten. Aber nicht, weil sie sich darauf freute die Füße ins Wasser zu strecken, sondern wegen der Schiffe, die sie ja so liebte. Man brauchte nur Segel am Horizont sehen und schon war Leni drauf und dran dorthin zu rennen. Überhaupt mochte sie am liebsten Fische und hatte wenig bis gar nichts für Vögel übrig. Alles was aus dem Meer kam war es, was Leni faszinierte. Ob das jetzt ein ekliger Oktopus oder ein Seeigel oder eine Muschel war. Leni hatte schon eine beachtliche Sammlung von Muscheln, Schneckenhäusern und Seeigel-Skeletten gehabt. Wo die jetzt war wusste sie gar nicht genau. Irgendwo würde sie schon wieder auftauchen, wenn die Tante die tolle Sammlung nicht fortgeworfen hatte. Die Tante hatte nämlich immer behauptet das würde alles so stinken. Leni fand, dass es nach Meer duftete. Auch liebte sie das Rauschen des Meeres, wenn man eine Muschel ans Ohr hielt. Dass sie eigentlich selber rauschte wusste sie natürlich nicht.


    Plötzlich rief Stella etwas von einem Geier und Leni starrte weiter aus ihrem Fenster. Sie konnte keinen Geier sehen. Dabei musste sie doch die gleiche Aussicht haben wie Stella, immerhin schauten sie ja auch aus der gleichen Kutsche heraus. Manchmal konnte Leni einfach nicht logisch räumlich denken, aber dann war sie meistens am lustigsten. Zumindest hatte Stella ihr das mal gesagt. "Wooo?! Ich seh nur langweilige Ziegen... oder sind das Kühe?!", meinte Leni prompt und schaute aus ihrem Fenster raus. Dann kam auch noch ein erschöpftes Seufzen von ihr. Die Tierwelt vom Land gefiel ihr gar nicht so recht. Aber die Blumen mochte sie dafür umso mehr, besonders wenn sie hübsch aussahen. Aber nichts ging über die Unterwasserwelt.

    Leni hatte sich von der anderen Seite her an den Soldaten rangeschlichen, was wohl auch der Grund dafür war, dass er jetzt nur Stella da stehen sah. Plötzlich hob er diese hoch und trug sie fort, woraufhin Leni entsetzt zu quietschen anfing und den beiden hinterher eilte. Der würde ihr doch jetzt wohl nicht ihre Schwester wegnehmen, oder etwa doch?


    Sobald er sie abgesetzt hatte, zog hinten etwas an seinen Kleidern herum. Sobald Bibulus sich umgedreht hatte stand da nochmal das gleiche Kind vor ihm und schaute ihn wütend an. "Heeeee!", machte Leni und stemmte die Hände in die Hüften. "Zeigst du uns jetzt mal deinen Carcer, oder nicht?" Leni wurde ungeduldig. Doch bekam sie dann Angst. Immerhin war das ein großer Mann da vor ihr. Also ging sie schnell um ihn herum um sich neben Stella zu stellen und fest deren Hand zu drücken. Jetzt würde er sie sicher nicht mehr trennen und auseinanderreißen können.

    Während die Zwillinge nebeneinander die Treppen hochgehen bläst Leni ihre Backen ganz dolle auf und lässt die Luft dann langsam und geräuschvoll wieder zwischen den Lippen durchentweichen, was sich anhörte als wäre Leni besonders geschafft. Auch hielt sie sich mit einem Arm immer am Geländer fest, wenn sie eine neue Stufe erklomm. Sonst war sie immer die schnellere, aber heute war Leni in gar nichts mehr schnell. Außer vielleicht im Einschlafen nachher.


    Während Stella mit dem Diskutieren anfing, welche Zimmer genutzt werden durften, drehte Leni ihren Kopf in alle möglichen Richtungen. Endlich kamen die drei dann auch im Zimmer der Zwillinge an, wo Stella sich von Leni trennte um sich umzusehen. Leni blieb auch im Zimmer stehen und musterte die Möbel. Dann lief sie kurz zum Fenster um rauszugucken. Die Fenster waren das wichtigste, damit man den Himmel sehen konnte. Und die Vögel und all das. Nun aber konnte Leni nicht sonderlich viel sehen, da das Fenster recht weit oben war. Sie würde sich überlegen ihr Bett vor das Fenster zu schieben um immer rausgucken zu können. Ja... das würde sie machen. Aber nicht jetzt gleich.


    Endlich gab der Onkel Antwort darauf, welche Zimmer benutzt werden durften. Das war ja klar gewesen. Aber Leni ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken und verfiel wieder ein wenig in ihre Zurückhaltung.

    Auch Leni war nun voll und wollte nichts mehr, auch wenn sie im Gegensatz zu ihrer Schwester nur ein Brot verdrückt hatte. Dafür hatte sie sich noch mit allerlei Oliven vollgestopft. Als sie von ihrem Stuhl hopste sah sie auch nochmal auf den Tisch um sich ein Zweigchen von Trauben abzuzwicken und mitzunehmen. Das würde sie drinnen auf dem Weg essen. Sobald Stella neben ihr war, nahm Leni automatisch die Hand ihrer Schwester und hielt sich das Traubenästchen vor die Nase um mit dem Mund davon eine Traube abzuzupfen. Leni schien eindeutig müde zu sein, wenn sie nicht mehr in Stimmung war noch durch den Garten zu rennen und zwischen den Säulen und Bäumen verstecken zu spielen. Zusammen ging das Purgitia-Gespann dann auch wieder ins Haus zurück, wo Leni wieder die ganzen Büsten auffielen. Nachts wäre es hier sicherlich unheimlich wenn man sich von allen Steinfiguren anstarren lassen musste. Leni fand das jetzt unheimlich und sah sich mit großen Augen um.


    Schon während Macer sie herumführte und ihnen alles zeigte, schaute Leni nur noch mit halboffenen Augen in die Richtungen, die der Onkel andeutete und dabei erzählte, welche Räumlichkeiten das waren. Sicher würde sie sich an den ersten Tagen hier verirren, auch wenn das Haus nicht sonderlich groß war. Leni folgte auch gleich in Richtung Treppe, als Macer dorthinsteuerte. Und so hatte auch Stella keine Chance noch wo anders hinzugehen... außer sie weigerte sich explizit, streckte sich in eine andere Richtung oder ließ die Hand ihrer Schwester ganz los. Leni wollte jedenfalls gleich hoch.

    Auf die Geschichte mit den Vestalinnen reagierte Leni nicht so recht. Sie horchte den beiden zwar zu, registrierte auch, dass der Onkel erlaubte, dass sie dort hingehen durften, aber mehr war an Begeisterung auch schon nicht mehr bei Leni festzustellen. Ob es daran lag, dass sie langsam vom Essen müde wurde und sich daher für nichts mehr begeistern ließ, oder aber ob das generell nicht so ihr Ding war, musste man wohl an einem anderen Tag herausfinden.


    Als Macer jedoch erzählte, dass sie bei einem Tagesausflug den Hafen von Ostia besuchen könnten, setzte Leni sich aufrecht hin und sah den Onkel gespannt an. Den Hafen von Ravenna hatte sie immer sehr gemocht. Alle Schiffe hatte sie auswendig aufzählen und beim Namen nennen können. Leni mochte Wasser und alles was sich darauf und darin bewegte. "Ja, ich möchte den Hafen sehen!", rief sie sogleich und legte den letzten Happen von ihrem Brot zur Seite um dann fest in die Hände zu klatschen. "Das wird bestimmt ganz, ganz spannend.", meinte sie vorfreudig und sah dann mit einem zufriedenen, glücklichen Lächeln wieder auf ihren Teller, von wo aus sie den letzten Happen doch nochmal aufnahm und dann in ihren Mund schob. Auch eine Olive nahm sie sich noch aus dem Olivenschiffchen und steckte diese dazu in den Mund. Den Kern spuckte sie diesmal nicht in den Garten sondern in ein dafür vorgesehenes Schälchen. Mit den Beinen hin und her baumelnd und mit dem Oberkörper ein bisschen vor und zurück, blieb sie vergnügt auf ihrem Stuhl sitzen, an dem sie sich links und rechts mit den Händen festhielt. Sodann fiel ihr aber ein tolleres Spiel ein. Gautschen. So nahm sie beide Hände an die Tischkante und fing schon an sich mit dem Po nach hinten zu lehnen um mit dem Stuhl nur noch auf den Hinterbeinen zu stehen. Der Gautschversuch wurde natürlich gleich unterbunden, indem Paula Leni einen drohenden Blick zuwarf und Leni schmollend das Gesicht verzog.


    Sodann rutschte sie mit ihrem Stuhl weiter nach vorne und beugte sich mit dem Gesicht über den Tisch. Auch einen Arm nahm sie auf denselben um den Ellbogen abzustüzen und mit der Handfläche den schwer gewordenen Kopf zu halten. Bald folgte dem ersten Arm auch der zweite, sodass Leni mit etwas eingequetschtem Gesicht anfing ihrer Schwester ein paar Grimassen zuzuschneiden, indem sie feste ihre Wangen aufblies und dann mit den Händen dagegen drückte. Die Langeweile hatte doch wieder die Überhand genommen. "Können wir jetzt in unsre Zimmer, Onkel Macer?", fragte Leni noch beiläufig.

    Zusammen mit Sisenna am Arm und Stella auf deren anderer Seite rannte Leni los, sobald Stella dafür den Startschuss gegeben hatte. Das Trio kam ziemlich gut voran, denn um die Ecken in den engen Gässchen verlor man seine Schützlinge ziemlich leicht aus den Augen. So war das Trio bald vollkommen verschollen und hatte sich hinter so ein paar Gäulen versteckt. Leni ließ sich Zeit mit dem Hervorkommen. Sie hatte sich leicht vornüber gebeugt und die Hände knapp über den Knien abgestützt. So gebückt konnte sie nämlich unter den Pferdebäuchen hindurchsehen. Schließlich bückte sie sich auch noch und kam hinter Stella und Sisenna auch wieder zum Vorschein. Grinsend biss sie sich auf ihre Unterlippe und sah dabei stolz wie Oskar aus.


    Sodann sah sie zufrieden zwischen den beiden her, als sie austauschten, wer wie alt war. Deswegen hatte Leni Sisenna halb hinter sich herschleifen müssen. Weil sie noch V war und nicht VII. Sodann stemmte Leni die Hände in ihre Hüften und schaute Sisenna an. Sehr schlau war die Kleine ja nicht, fand Leni. "Achwas. Die suchen doch nicht im Kaiserpalast. Die wären ja schön dumm, wenn sie es wagen würden ohne dich heimzukommen. Und es wird noch lustiger, wenn du zuerst wieder daheim bist und dann behauptest alle Sklaven hätten dich stehen lassen. Stella und ich haben das mal gemacht und sind ganz toll verhätschelt worden. Und nachher sind wir an der Tür gestanden und haben gehorcht, wie die Sklaven heimgekommen sind und gescholten worden sind, weil sie uns einfach haben stehen lassen! Aber leider hat das nur einmal geklappt."


    Dennoch wurde Sisennas Vorschlag in die Villa Claudia zu gehen, von offenen Ohren empfangen. Zumindest von Lenis offenen Ohren, die ebenfalls den Kopf drehte und zu der Villa rüberschaute. "Aber wir wissen ja gar nicht, wie wir da reinkommen. Denkst du wir können einfach klopfen und die lassen uns rein? - Nieeeeemals", meinte Leni gleich und stemmte die Hände in die Hüften. "Wenn schon, dann müssten wir über den Hortus oder ein Fenster reinklettern.", schlug sie sogleich vor.

    "Ohdoch! Das ist natürlich mein vollester allervollester Ernst!", meinte Leni mit einem breiten Grinsen von einer Backe bis zur anderen. Dann hob sie eine der kleinen Hände um Plotina zu zeigen, dass sie jetzt erstmal ihrer Schwester zuhören wollte. Das tat sie dann auch. Und Stella fing schon wieder von Ägyptus an. Ihre Schwester hatte ihr davon erzählt. Von dem Mann aus dem fernen Norden - oder wars doch Süden? Leni wusste das jetzt nicht mehr so genau und war einen Moment mit den Gedanken wo anders. Stellas Mündchen ging noch immer ununterbrochen und Leni hatte nicht den Eindruck, etwas verpasst zu haben. Erst die letzte Frage bekam sie aber wieder richtig mit.


    "Natürlich gehn wir da hin. In Rom gibts nichts spannenderes. Oder wir klettern mal in die lustigen, dunklen Löcher am Straßenrand. Da wollten wir doch schon immer mal sehen, wer da unten so wohnt." Lenis Zünglein beschleunigte sich, wenn sie ganz aufgeregt und vorfreudig war. So auch dieses Mal.


    "Nur müssen wir jetzt schauen, wo wir hinaus können. Die Menschenmenge in der wir hätten untertauchen können ist ja nun schon weg..." Jetzt fing Leni zu denken an und das zeigte sich immer daran, dass sie den linken Mundwinkel hoch- und den rechten herunterzog. Außerdem rollte sie beide Augen nach links oben und Drückte beide Augenbrauen herunter. So sah sie immer sehr angestrengt und grüblerisch aus.

    Während sie grade versuchte dem Onkel zu erklären, wie schrecklich langweilig die Reise doch gewesen sei, fing Stella auf einmal zu Husten an. Sie wurde grün und blau im Gesicht und Leni sah ihre Schwester etwas erschrocken an. Wenigstens versuchte Stella noch etwas zu retten, aber wie es schien, hatte der Onkel Macer gar nicht viel davon mitbekommen, dass ihre Maskerade aufgeflogen war. Umso besser. Wenn er so unaufmerksam war, wie Leni meinte, dann würden sie es später einfach haben ihn zu zweit um den Finger zu wickeln. Ja, da war Leni sich schon jetzt sicher, während sie panisch zwischen ihrer Schwester, Neferu, dem Onkel Macer und dem Sklaven mit der Milch hin und her sah. Dabei hob sich auch wie von selbst wieder die eine Hand, die sich mit den Fingernägeln an den Lippen an den Mund des Mädchens presste, sodass man den kleinen Handrücken sehen konnte.


    Sobald Stella sich wieder einigermaßen beruhigt hatte und auch die Verwirrung um die Namen sich gelegt hatte, biss Leni wieder in ihr Brot und passte ganz genau auf, dass das Gekaute auch im richtigen Hals verschwand. Etwas in den falschen Hals zu kriegen war zwar ihre Spezialität, aber so wörtlich musste man es jetzt auch nicht nehmen. Sobald sie geendet und geschluckt hatte und sich etwas wohler fühlte, da ihr Magen sich etwas beruhigte, antwortete sie wieder dem Onkel Macer. "Dochdoch, rausgeguckt haben wir auch. Aber es sah irgendwie überall ziemlich ähnlich aus. Da war nichts spannendes. Ich hab ja gehofft, dass wir mal ein Tier sehen. So einen bösen Wolf, oder einen Fuchs oder sowas. Aber leider haben wir nur Vögel zwischtern gehört und überall sind Mücken rumgeflogen, wenn wir an einem Gewässer vorbeigefahren sind. Meine Beine und Arme sind ganz zerstochen. Ich kanns dir nachher mal zeigen, wenn du willst. So viele Stiche hast du bestimmt noch nie gesehen.", plapperte sie eine Weile vor sich hin. Sie schien wohl doch endlich etwas warm geworden, nachdem der Hunger gestillt war.

    Leni nickte auch nochmal gewichtig, als Stella nachfragte, ob sie das wirklich so meine. Ja. Sie meinte es wirklich so. Und Plotina gab ihr recht, was Leni überaus gut tat. Ein Strahlen legte sich auf ihr Gesichtchen, während sie ein paar Mal mit dem Kopf nickte und vergnügt die Beine baumeln ließ. Ebenso stolz wie Stella war Leni nun auch und freute sich sichtlich darüber. Sodann beginnen die Leute um sie herum aufzustehen. Auch der Fettberg setzt sich langsam in Bewegung und Leni kann wieder nicht anders als ihm hinterherzuschauen und sich dabei auf die Unterlippe zu beißen. Der Kerl war wirklich eklig, fand sie.


    Sodann konnte sie Stellas empörte und traurige Stimme hören und drehte ihr wieder den Kopf zu. Jetzt begriff auch sie, dass das Theater wohl zu Ende war. "Schade...", sagte sie und überlegte, was sie jetzt wohl anstellen könnten. Die Sklaven waren ja nicht da, von daher hätten sie schon noch etwas Zeit gehabt um sich allein zu amüsieren... außer natürlich, die Sklaven warteten vor der Tür. Leni streckte den Kopf um sehen zu können, ob das tatsächlich der Fall war. Aber sie konnte nichts sehen.


    "Jetzt müssen wir schauen, ob wir von unsren Sklaven abgeholt werden. Und wenn ja, dann müssen wir ihnen nochmal ausbüchsen. Und wenn wir das geschafft haebn, dann schaun wir uns nochmal die spannenden, dunklen Gassen in Rom an. Da wo die armen Leute abends rumsitzen und einen anbetteln. Und da wo die Ratten rennen, ja?", flüsterte sie ihrer Schwester zu und war ganz begierig auf so ein Abenteuer. Dass Plotina noch in nächster Nähe saß und es vielleicht nicht gut fand, dass man neben ihr so tuschelte, hatte Leni ganz vergessen.

    Essen im Garten? Sowas hatte es daheim bei der Tante Domitilla auch gegeben, aber irgendwie hatte Leni vermutet, dass man hier in der Casa essen würde. Und sie hätte gewettet, dass auf die noch freien Stühle irgendwelche Büsten gesetzt werden würden, damit es voller aussah. Das hätte sicher lustig ausgesehen mit Büsten links und recht neben einem auf den Stühlen. Sie musste es sich verkneifen, wieder mal die Hand vor den Mund zu halten und zu kichern. Sie musste sich überhaupt langsam beherrschen nicht zu kichern, denn das würde den Onkel Macer ja vielleicht verdächtig stimmen. Zusammen ging die kleine Gruppe den beschriebenen Gang entlang bis schließlich nach draußen.


    Leni hopste auf einen der Stühle und setzte sich auf die Waden um größer zu sein und auch über den Tisch schauen zu können. Das tat sie daheim auch immer, aber in Gesellschaft wurde sie meistens gleich ermahnt. So auch diesmal von Paula, die ihr eine Hand in den Rücken drückte um sie vom Stuhl runterzuschieben, damit sie sich anständig hinsetzte. Mit einem bösen Blick zu Paula gab Leni aber nach und setzte sich anständig hin. Ihre Schultern überragten den Tisch kaum, aber Leni stand einfach kurz auf um sich auch alles mögliche auf ihre Platte zu laden. Erst einmal ein Käsebrot und dann noch eine handvoll Oliven. Die olivfarben gespränkelte Hand wischte sie natürlich erstmal an ihren Kleidern ab, ehe sie sich nochmal umsah, was es sonst noch alles gab. Obst würde sie dann später machen. So kam es auch, dass Leni viel später mit Essen anfing als ihre Schwester, aber dafür mit ähnlichem Hunger, schlang sie die ersten bissen runter. Aber immer abwechselnd zum Käsebrot steckte sie sich auch eine Olive in den Mund um sich sodann einen Spaß damit zu machen die Kerne hinter sich in den Garten zu spucken.


    "LENAEA!", machte die doofe Paula da schon und Leni drehte den Kopf um sie böse anzuschauen. Jetzt hatte die alte Hexe alles verraten! Aber ihr nun zu erklären, dass sie Stella sei, das hätten die beiden eh nicht abgekauft. Um etwas von der Tatsache, dass sie aufgefolgen waren abzulenken schaute Leni ihren Onkel jetzt mit wichtigem Blick an und sagte ihm mit ernster Miene, dass die Fahrt hier her schrecklich langweilig gewesen sei. Bei der nächsten Fahrt solle man doch bitte dafür sorgen, dass sie mit mehr Komfort und Unterhaltung unterwegs sein würden.

    Auch Leni ließ sich nicht lange bitten und hopste ihrer Schwester hinterher auf den Platz neben Plotina. Die beiden Mädchen saßen dann auch dicht nebeneinander, sodass der Platz ausreichte für sie beide. Sodann streckte Leni nochmal den Hals in alle Richtungen um enttäuscht festzustellen, dass die Aufführung wohl schon zu Ende war. Nun hatte sie vom eigentlichen Stück gar nichts mitbekommen und biss sich kurz auf die Unterlippe, während sie Stella darüber sinnieren hörte, warum Erwachsene Leute immer so schwere Worte benutzten.


    Das war ihr Stichwort, denn Leni war ja bekannt dafür, ihre Schwester immer verbessern zu wollen. "Na, das ist doch logisch. Die sagen immer so schwere Wörter, wo sie manchmal selbst nicht wissen, was sie bedeuten, um wichtig zu klingen und ernstgenommen zu werden. Wenn sie sich unterhalten würden wie wir, würden die anderen denken, dass sie Kinder sind und dumm. Darum lernen sie sich so grässliche Wörter an. Ich weiß es genau!", sagte Leni und schaute ihre Schwester ernst an.

    Verhalten drückte sie ihren Onkel und stellte sich dann wieder neben ihre Schwester um zusammen mit ihr zu Macer hochzublicken. Sie wusste, was gleich für eine Frage kommen würde, denn die meisten Leute hatten Schwierigkeiten sie zu unterscheiden. Denn häufig hatten sie die gleichen Kleider an und waren auch gleich frisiert, so wie jetzt. Da glichen sie wie ein Ei dem anderen. Nachdem der Onkel seine Frage gestellt hatte, wusste sie schon, was kommen würde. Stella tat das jedes Mal. Fast zumindest. Jedenfalls immer, wenn sie die Person noch nicht reingelegt hatte mit dem gleichen Trick.


    Einen verschwörerischen Blick tauschten die beiden aus, ehe Stella promt damit hervorbrach, sie sei Leni und die wirkliche Leni sei Stella. Und Lenaea wusste schon genau, dass sie nun ernst gucken musste. Jedenfalls musste sie sich das Kichern verkneifen und musste ihre Finger vom Mund fernhalten. Das wäre auch ZU verräterisch gewesen. Und von daher ließ Leni sich nun nicht anmerken, dass sie ab jetzt Stella war. Dennoch drehte sie kurz den Kopf herum um zu den ganzen Sklaven zu sehen. Die waren glücklicherweise damit beschäftigt die Sachen herumzutragen und zu helfen. Naja... sie mussten ja nur ein paar Mal durcheinander springen und dann behaupten, dass es doch umgekehrt wäre, sofern die Sklavenhorde bald wieder da war. Denn die wussten ihre Schützlinge meist doch zu unterscheiden.


    "Erst will ich aber essen, Leni!", sagte Lenaea zu der vermeintlichen Leni und guckte sie schief an, als sie erst die Zimmer sehen wollte. Zuerst sollten sie essen und danach gleich mal in die Zimmer um sich dort auszubreiten.

    Da endlich kam der Onkel und Leni stellte fest, dass er ganz anders aussah, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Es war zu lange her um wirklich eine realistische Erinnerung von ihm zu haben. Also hätte man eher sagen müssen, dass er nicht so aussah wie Leni sich das vorgestellt hatte. Ob Stella genauso dachte? Wenigstens ließ sie sich nichts davon anmerken... Sofort fühlte Leni wie ihre Schwester aufhopste und ihren Onkel ansprang wie ein Hund einen Einbrecher.


    Sie sah etwas misstrauisch zu, wie die beiden sich in den Armen lagen und hopste dann auch von der Bank herunter. Sobald sich ihre Schwester wieder einigermaßen von Macer getrennt hatte, überbrückte nun Leni die letzten Meter um sich ihm sehr viel verhaltener zu präsentieren und ihn schließlich aber auch leicht zu drücken. "Salve, Onkel.", meinte sie nur und löste sich dann auch wieder rasch von ihm um einen Blick mit der Schwester auszutauschen und diese wieder an die Hand zu nehmen. Ob der Mann sie so verschreckt hatte, oder ob sie wirklich viel ruhiger war als ihre Schwester, würde Macer sicher mit der Zeit noch herausfinden. Jedenfalls schien Leni im Moment eher reserviert.

    Leni überging Stellas entnervtes Seufzen, nachdem sie sie verbessert hatte. Stella konnte da jedes Mal nur so doof schnaufen, aber das machte Leni inzwischen nichts mehr aus. Doch war sie auch viel mehr gespannt auf die weiteren Reaktionen ihrer Schwester bezüglich des Gesprochenen. Diese Reaktionen ließen auch nicht lange auf sich warten und schließlich ging Stella ein paar Schritte voraus auf das Mädchen zu und nahm sie bei der Hand. Leni schloss kurz darauf auf und und nahm mit ihrer Hand die noch freie Sisennas. Nun hatte sie zu jeder Seite eines der Zwillingsmädchen, die sich immer wieder bedeutend angrinsten.


    "Ja... genau. Der Versteck-Trick ist am besten. Denn so muss man sich nich gar so sehr beeilen, weil die ganzen Sklaven ja in ihren Verstecken hocken und darauf warten, dass man sie findet. Die sind ja soooo dämlich.", meinte Leni extra lang gedehnt und rollte dabei mit den Augen um noch mehr zu verdeutlichen, was sie von ihren Sklaven hielt. Das war jedenfalls augenscheinlich nicht viel.


    Schließlich trat die kleine Gruppe auf eine Kreuzung heraus, sodass sie den Kaiserpalast zwischen einigen anderen Villen sehen konnten und beide Mädchen blieben gleichzeitig neben Sisenna stehen um zu staunen. Während Stella ihre Verwunderung und Faszination gleich in Worte ausdrückte, öffnete Leni nur ihre Lippen und starrte mit offenem Mund zum Palast hin, ehe sie sich mit der freien Hand über die Stirn strich, wie nach großer Anstrengung. Ja... spielen konnte man da sicher gut. Stundenlang Verstecken ohne sich jemals zu finden. Bei etwas Pech wurde man da in einem Schrank ja mal drei Tage nicht gefunden und wäre bis dahin verhungert. Oh... vielleicht würden sie beim Versteckspielen im Palast später ja ein verschollenes Kind entdecken. Leni beschloss augenblicklich innerlich, sich nicht von ihrer Schwester zu trennen, sobald sie in diesem großen Gebäude waren. Für sie stand es schon fest, dass sie bald drinnen sein müssten.


    "Natüüüürlich klappt es.", bestärkte sie Sisenna noch einmal. Ohne den ganzen Sklaventross würden sie bestimmt leichter hineinkommen. Aber da Sisenna ihre ganzen Sklaven sicher besser kannte, ließ Leni erstmal ihren Mund zu und wartete ab, wie man solche Angelegenheiten als Kaisertochter regelte. Tatsächlich schien das Mädchen einen Plan zu haben, denn plötzlich blieb sie stehen und rief, dass sie keine Luft mehr bekäme. Leni blieb erschrocken stehen und starrte erst ihre Schwester und dann das Mädchen zwischen ihnen verunsichert an. War das jetzt ihr Trick oder doch die Wahrheit? Es hatte sich wahr angehört, aber das musste es ja auch, wenn es reichen sollte um die Sklaven abzuhängen.


    Diese Taktik funktionierte auch sehr gut, denn schließlich stand nur noch gut die Hälfte der Mannschaft auf der Matte und Leni beschloss, nun ihre eigene Art zu zeigen, wie man das anstellte. Sie drehte sich zu den Sklaven um und rief den stehen gebliebenen etwas zu. "HEY ihr. Habt ihr was an den Ohren? Sie bekommt keine Luft und will trinken! Holt ihr einen Schemel, wo sie sich draufsetzen kann. Und holt einen Schlauch mit Wasser. Und dann noch ein paar Wedel! Los!", kommandierte sie die Sklaven ab, in der Hoffnung wenigstens den einen oder anderen noch damit in die Flucht zu schlagen. "Steht nicht so untätig da rum!"

    "Bibulathek!", verbesserte Leni ihre Schwester ein weiteres Mal und ging gar nicht mehr auf die Sache mit den Babys ein. Das war ihr mittlerweile viel zu anstrengend geworden und viel zu kompliziert. Denn immerhin wusste auch Leni nicht wirklich Bescheid, stellte sie grade fest. Ihre bisherige Erklärung war ihr plausibel genug gewesen um nicht weiter darüber nachzudenken, aber Stella hatte jetzt doch wieder ein paar Steine in Lenaeas Kopf ins Rollen gebracht. Stirnrunzelnd stand sie da und beobachtete auch noch Sisenne, deren Verhalten sie zusätzlich verwirrte.


    "Hast du was an den Augen?", fragte sie prompt, während Sisenna sich mal das eine und mal das andere Auge zuhielt. Für sie war es etwas alltägliches, jemanden zu sehen, der genauso aussah wie sie selber und daher verstand sie nicht die Verwunderung Sisennas. Das Mädchen machte nur 'Ääääh' und 'Aha' und sah dabei nicht sonderlich schlau aus. Leni konnte nicht anders, als ungläubig zu gucken und schließlich Stella einen fragenden Blick zuzuwerfen. Auch hob sie langsam eine Hand um sich den Scheitel zu kratzen, ehe die Tochter des Augustus doch noch etwas sagte. Vielleicht traf sie ja nicht oft auf andere Kinder und war immer nur im Palast eingesperrt! Ja, so musste es sein und daher beeilte Leni sich, diese Erkenntnis gleich ihrer Schwester mitzuteilen. Sie näherte sich mit ihrem Mund dem Ohr ihrer Schwester und hielt beide Hände um Stellas Ohr herum, damit niemand ihr beim Flüstern zuhören konnte.


    "Du... vielleicht darf sie als Kaisertochter nicht mit anderen Kindern spielen und ist deshalb so komisch.", flüsterte Leni schließlich ihrer Schwester ins Ohr und schaute sie dann abwartend an. Doch ließ sie ihr letztendlich doch keine rechte Gelegenheit um zu antworten.


    "Doch, das können wir. Wir haben unseren Tross auch schon abgehängt. Es ist eigentlich ganz einfach und man braucht nur ein paar Tricks!", erklärte Leni sofort eifrig und besah sich das Mädchen. Eigentlich hatte sie gedacht, dass die Kaisertochter schlauer sein müsste.