disciplīnae Mārci Annaei Cōnservātoris - pars quārta
Die Lehren des Mārcus Annaeus Cōnservātor - vierter Teil
Als Mārcus zwölf Jahre alt wurde, war es ein Jahr nach dem Tode seines zweitjüngsten Bruder Faustus Annaeus Milō. Er saß gerade im ātrium und war mit den Übungen beschäftigt, die ihm sein Lehrer aufgegeben hatte, da trat sein Vater Paulus Annaeus Camillus hinzu. Im Schlepptau einen ernst dreinschauenden Mann, in dessen Gesicht ein gepflegter kurzer Bart schon durchzogen war von grauen Haaren. Seine Augen waren leicht zusammengekniffen, kaum merklich, so als wenn man sich auf etwas besonders konzentrieren will. Sein Haupthaar war kurz geschnitten, so ein digitus, vielleicht auch zwei , lang. Seine Stirn hatte die typischen Falten des Lebens, eines Lebens, das auch die Abgründe gesehen hatte, doch um seinen Mund waren, zwar gut versteckt, die Falten lachender Menschen gezeichnet. Er hatte also schon mal Freude gekannt und lachen können.
An seinem Hals war eine längere Narbe zu sehen, die sich vom hinteren rechten Ohr, so auf Höhe des Ohrläppchens, runter zog bis sie auf die Höhe des Schlüsselbeins. Die Haut dort war wesentlich heller als die gebräunte der nicht vernarbten Haut.
Seine Arme, die aus seiner Tunica ragten, waren mit deutlich wahrnehmbaren Muskeln versehen. Nicht diejenigen, die nur Männer bekommen, die stupide irgendwelche Gewichte stemmten und heben, um dann zu ungelenk zu werde, diese auch nutzen zu können. Es waren vielmehr Muskeln, die sichtbar waren, weil es kaum einen Fettüberschuß gab. Sie waren deutlich an ihren Plätzen zu erkennen, doch flexibel, Kraft in Bewegung.
Unten schaute ein Paar Beine aus der Tunica, die ebenfalls das Wort Fett nicht zu kennen schienen. Die Waden waren sehr muskulös und stramm. Sie schienen ihr Leben lang in Bewegung gehalten worden zu sein. Die Füße steckten in calceī (*1), aus denen kurze Strümpfe herauslugten. Seine gesamte Haltung war straff und gerade, die Beine breitbeinig, die Last seines Körpers tragend. Gekleidet war er in einer leicht rostfarbenen Tunica, die in bewährtem Fischgratmuster gewebt war und über mittellange Ärmel verfügte, die zwei, drei Finger über dem Ellbogen aufhörten. Gegürtet war er mit einem cingulum mīlitāre, an dem eine kleine Ledertasche aufgegurtet war, so daß sie vorne auf Höhe seiner linken Hüfte zu liegen kam. Auf seiner Linken hing ein pugiō, an seiner Rechten, an einem balteus hängend und durch das cingulum am Platz gehalten ein gladius.
Ein sagum, bräunlich - ockerfarben, hing über seiner linken Schulter, mit einer fibulā über der Rechte geschlossen und zusammengehalten. Das sagum war zu einem Drittel in seinem Längsverlauf gefaltet, daß man bei Bedarf auch seinen Kopf bedecken konnte. Doch was am auffälligsten war, daß waren seine Augen. Augen wie scharfe Klingen, musternd, schätzend, beobachtend, geschult in Wahrnehmung und eben diese Augen musterten erst das ātrium, nahmen jede Einzelheit auf und ruhten schlußendlich auf Mārcus, die zwölfjährige Hoffnung der Familie. Sie durchdrangen ihn, bohrten sich in ihn hinein, schätzten seinen Wert, seine Veranlagung, seine virtūs (*2). Er krempelte mit ihnen Mārcus Innerstes einmal um, so daß Mārcus eine leichtes Frieren fühlte.
"Mein Sohn, dies ist Mānius Ligārius Celer. Er hat kürzlich seine missiō honesta als optiō erhalten und war im Zweiten Dacer Krieg. Ich habe ihn für unsere Familie gewonnen und angestellt. Ligārius Celer wird cūstōs corporis (*3) der Familie und dein doctor gladiōrum (*4) sein. Sein 26-jähriger Dienst unter dem Adler wird dazu betragen, dich wenigstens in soweit auszubilden und zu schulen, daß diese Familie nicht auch noch dich frühzeitig verlieren wird. Anscheinend gehen meine Söhne wohl lieber zur Armee, denn ins väterliche Geschäft. Nun denn, wenn dem also so ist, und wenn ich ferner annehme, daß sich dies bei dir ebenfalls abzeichnen wird, bist du zumindest rechtzeitig vorbereitet und vermagst gar dort Erfolge zu verzeichnen."
Mārcus hörte seinem Vater schweigend zu, während er die Musterung des Celer über sich erduldete. Er sah Celer direkt in die Augen, jene beiden ihn fixierenden Punkte im Gesicht, die den Begriff Wärme wohl nur aus einer Schriftrolle kannten.
"Du wirst ab sofort täglich mit Ligārius Celer üben, neben deiner schulischen Ausbildung natürlich.", sagte sein Vater und legte ihm seine rechte Hand auf die linke Schulter. "Ich erwarte von dir, daß du dein Bestes gibst und dich wirklich bemühst. Celer wird dir nun deinen Übungsplan vorstellen, der ab morgen angegangen wird." Damit übergab sein Vater das Wort an den Mann, den optiō veterāna.
Dieser schien festgewachsen an seinem eingenommenen Platz zu verharren. Es trat ein Augenblick der Stille ein, da sein Vater schwieg und Celer noch nichts gesagt hatte. Die Stille wiegte schwer für Mārcus, da es für ihn eine ungewohnte Situation war. Er konnte sein Herz schlagen hören … bum … bum bum … bum … bum bum … und es schien immer lauter zu werden. Sein Atem gesellte sich hinzu und gab die Begleitmusik zum Klang der Herzschläge. Er hatte das Gefühl, der Raum versinkt in den rhythmischen Tönen, so laut waren sie für ihn.
"Dein Vater hat mich schon vorgestellt, Conservator. Du wirst von mir geschult und ausgebildet werden, und zwar so, als ob du eben als tīrō zur legiō gekommen wärst. Da du noch andere Verpflichtungen hast, und deine Mutter, die Götter wissen warum, dich anscheinend auch noch braucht, wird die Ausbildung für dich nicht leichter. Ganz im Gegenteil, da unsere gemeinsame Tageszeit begrenzt ist, leider. Höre gut zu. Vor allem merke dir, was ich dir jetzt sagen werde."
Die Stimmer von Celer erscholl durch das ātrium, wie auf dem Übungsplatz einer castra. Sie war bestimmt noch in den Nachbarhäusern zu hören gewesen. Er sprach langsam, aber sehr deutlich. Dabei fixierte er Mārcus mit seinen Augen, durchdrang ihn und rang sein Inneres nieder.
"Du wirst in wenigen Jahren zum Mann, also werde ich dir die noch vorhandene weibische Art nehmen und zeigen, was auf dich zukommen wird. Du wirst bluten, schwitzen, schreien und vielleicht gar sterben wollen. Dieser Wunsch, dieses weibische Nachgeben des sterben wollens, dies wird dein Tod sein, sei gewiss. Tausche ihn aus durch Biss, Willen, Fähigkeiten Dinge abzuschätzen, zu analysieren und rechtzeitig zu erkennen. Und lerne endlich, mit offenen Armen dein Schicksal anzunehmen, und wenn morta klopft wirst du dies frohen Herzens annehmen. Und zwar weil du pietās, virtūs und animus besitzt und du recht gehandelt hast, indem du deine Pflicht erfülltest."
Die Worte waren noch nicht ganz verhallen da traf Mārcus ein donnernder Schlag gegen den Brustkorb, daß er einige Schritte nach hinten taumelte und fast gefallen wäre. Er rieb sich seinen Brustkorb und verzog sein Gesicht schmerzerfüllt. Seine Augen waren weit aufgerissen und noch eher er sich versah folgte ein neuer Schlag auf den Brustkorb, so daß er nach hinten auf den Boden fiel.
"Du siehst, Jüngling, was deine Zukunft sein wird – Schmerz. Lerne damit zu leben und fange an zu lernen.
Ab morgen werden wir gemeinsam dich zum Stolz deines Vaters machen. Wir fangen jeden Morgen mit Laufen an. Und zwar eine mille passūs (*5) schnelles Laufen und ein stadium (*6) Sprint. Danach wirst du 10 amphorae (*7) Wasser in ein Badebecken füllen, so daß du dich waschen kannst. Danach erfolgt die Waffenausbildung am Pfahl mit Übungsschwert. Wir beenden unsere gemeinsame Tageszeit wieder mir einer mille passūs schnelles Laufen und ein stadium Sprint beenden."
So lernte Mārcus Mānius Ligārius Celer kennen – im ātrium, auf dem Boden liegend. Und es folgten noch viele Tage, an denen er am Boden lag, sich die Glieder rieb vor Schmerzen und er blaue Flecken sammelte, wie andere Blumen oder Knochenwürfel. Zu Beginn litt er sehr, da alles ungewohnt und neu für ihn war. Das Laufen strengte ihn ebenso an, wie der Sprint und da er noch nicht in einem eine amphora tragen konnte, mußte er sie unterteilen, was erneut laufen, laufen, laufen bedeutete. Doch aus Tagen wurden Wochen und Monate, in denen er täglich den Übungen und dem Drill des Ligārius Celer unterworfen war und mit jedem Tag, der verging, wuchs seine Ausdauer, wuchsen seine Kräfte und vor allem sein Wille zu zeigen das er kein Weib war. Das er ertragen konnte, das er, wenn nötig, leiden konnte und vor allem das er nicht klagen wollte. Er wurde schneller und besser und Celer ging mit der Zeit dazu über, ihn auch in der Wahrnehmung zu unterweisen, Dinge wahrzunehmen, die wichtig waren, die etwas andeuten konnten, Bewegungen zu antizipieren und darauf zu reagieren. Und mit den Fortschritten, die Mārcus machte, wurde Celer weniger herrisch. Zwar immer noch bestimmt und fordernd, aber eben weniger herrisch.
Im zweiten Jahr der Ausbildung gingen sie täglich nach dem Laufen im Meer schwimmen und der Übungspfahl für die Fechtausbildung war da schon so abgenutzt, daß sie gemeinsam einen neuen einsetzten. Er hatte gelernt, wie er seinen Oberkörper in einer Linie mit seinem Oberschenkel des hinteren Standbeines zu bringen hatte, um den Stößen des Celer etwas entgegensetzen zu können. Und er sammelte immer noch blau Flecken und Schrammen, aber der Schmerz war verschwunden. Der Körper und er hatten sich an das Training und die Anforderungen so gewöhnt, daß Mārcus auch dann alleine seine Übungen machte, wenn Celer mit seinem Vater unterwegs war.
Es war an einem Herbstmorgen, der Wind kam von See kälter als gewohnt heran, da saßen sie beide im ātrium. Es gab puls mit Speck. Seit Wochen nun schon aß Mārcus wie ein Soldat, wenn er mit Celer zusammen war. Es hat sich einfach so ergeben und es war nahrhaft und sättigend. Sein Körper war mittlerweile so geformt und gestählt, als hätte er schon immer sub aquila gestanden. Celer legte Mārcus einen Adler aus Ton in die Hand. Seine Schwingen breiteten sich erhaben aus und seine Krallen hielten die Blitzbündel des Iupiter Optimus Maximus.
"Dies, Mārcus, ist Rōma. Hier war für lange Zeit mein Leben und ist es noch. Meine Brüder sind hier und starben hier. Wir sind viele, die das Licht vor der Dunkelheit schützen. Wenn du also eines Tages dich entschließen solltest mein Bruder zu werden, dann wird mich das sehr freuen. Ich weiß, unser Anfang war für dich hart. Doch du warst weich, du warst wie Kinderbrei in einer Welt, die von Dunkelheit umgeben ist. Nun sieh dich an. Du bist klug und gebildet, deine Familie hat dich gut unterrichten lassen. Du ehrst die Götter und die larēs praestitēs (*8), und du bist körperlich gestählt und bestens trainiert. Unsere gemeinsame Zeit hat aus dir einen Mann gemacht. Keine weibische Liederlichkeit und Jammerei, sondern einen, der einsteckt und austeilt, der ertragen kann, ohne zu jammern. Deine Muskeln sind wohl geformt doch dir nicht hinderlich. Du, Mārcus, hast nun alles, um mein Bruder sein zu können, wenn du es willst. Darum biete ich dir an, hier und jetzt, eben meine Bruder zu werden. Wir werden um so eifriger am Willen und Könne arbeiten, um auch weiterhin Roms Bestimmung zu erfüllen und die Dunkelheit der Barbarei zu verdrängen."
Mārcus vernahm die Wort mit innerem Stolz und Freude. Er hatte all die Jahre seinen Geist und Körper trainiert, hatte Wettkämpfe gewonnen und den Respekt der städtischen Jugend sich erarbeitet, manchmal mit Worten, manchmal mit Taten. Hier nun bot ihm seine Ausbilder, sein Bruder zu werden, seine Waffenbruder. Er merkte wie stolz Celer auf sein Werk, auf Mārcus, war. Er hatte aus ihm einen idealen mīles geformt, so wie er idealerweise zu sein hätte – hart im Nehmen, hart im Geben und gebildet. An diesem Tag wurden sie Brüder, sie teilten Essen und Getränke, sie waren wie eine kleine eingeschworene Gruppe.
Als Mārcus siebzehn wurde, waren sie seit 5 Jahren zusammen. An diesem Morgen wollte er gemeinsam mit Celer am Strand seinen Morgenlauf absolvieren, doch Celer kam nicht ins ātrium. Er ging zum Schlafgemach seines Waffenbruder und öffnete die Tür. Er fand Celer in seinem Bett liegend vor, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Mārcus näherte sich ihm, sprach ihn an, doch Celer stand der Schweiß auf der Stirn, die Augen fiebrig. Er murrte nicht, er klagte nicht, doch Mārcus merkte, daß es Celer sehr schlecht ging. Er holte einen Krug Wasser, Obst und Nüsse und begann sich um Celer zu kümmern. Zwischendurch laß er ihm aus iosephus vor und den Jüdischen Krieg, sprach über die Daker-Kriege, über Brüder und Freundschaft. Zwei Wochen lang war Mārcus an der Seite des Celer, eine Zeit in der er seinen Übungen nicht nachkam und sich nur um seinen Bruder kümmerte.
Zur beginnenden dritten Woche holte morta Celer von hier und seine Augen schlossen sich für immer. Mārcus kümmerte sich um eine angemessene Bestattung und begann seinen Bart als Zeichen der Trauer lang wachsen zu lassen. Und er nahm seine Übungen wieder auf, verbissener und mit sich selbst noch strenger als zuvor. Celer hatte selbst im Augenblick des nahen Todes nicht geklagt, sondern es angenommen, was decima ihm bemessen und nona gesponnen hatte.
Als Mārcus nach drei Monaten seine Trauer beendete und den Bart sich abnehmen ließ, war seine Ausbildung hier abgeschlossen. Nicht die körperliche. Er hatte gelernt Leid zu ertragen und beständig an sich zu arbeiten, seinen Körper zu straffen und wenn notwendig Leid zu erteilen, ohne Groll und ohne Mitleid. Er hatte gelernt, daß alle sub aquila und jene sub vēxillum seine Brüder werden, wenn er ebenfalls ihren Weg geht und daß das Licht vor der Dunkelheit geschützt werden muß und er der Beschützer werden kann. Und das alles bemessen und gesponnen wird, das nicht klagen hilft, nur die Tat zählt. Mārcus hatte von Celer gut gelernt und Celer hatte ihn zum Ideal geformt, daß häufig besungen und nur selten gefunden wurde. Doch er war nur Mācus und ob er den Vorstellung gerecht werden würde, lag in ferner Zukunft.
Sim-Off:*1) calceus – Halbstiefel, Schuh
*2) virtūs – Mannhaftigkeit, Stärke, Tugend
*3) cūstōs corporis - Leibwächter
*4) doctor gladiōrum – Fechtmeister
*5) mille passūs – 1.000 passūs ~ 1,48 km
*6) stadium ~ 185 Meter
*7) amphora ~ 25,93 L
*8) Larēs praestitēs - die schützenden Hausgötter