Beiträge von Flavia Leontia

    All diese wütenden Fragen waren rein rhetorisch. Leontia wollte keine Antwort hören, keine Verteidigung, nichts, das die Schuld des schönen Eunuchen womöglich relativiert hätte. Mit einer unwirschen Geste und einem herrischen: "Schweig!", schnitt sie ihm deshalb das Wort ab, noch bevor er es richtig hatte ergreifen können, hörte auch gar nicht hin was er zu sagen hatte. "Hamilkar!", befahl sie stattdessen: "Drei Dutzend Schläge für diesen Nichtswürdigen! Vorerst..."


    "Sehr wohl, Domina." sprach der kräftige Custos, und trat hinter den Verurteilten. Er schwang die Geißel und ließ sie, auf ein kleines Nicken von Leontia hin, unbarmherzig auf Daphnus' Rücken niederschnellen. Das Klatschen hallte durch den Innenhof, wieder und wieder. Leontia besah sich die Angelegenheit ruhig, das zarte Kinn ein wenig nach vorne gereckt. Ihr Atem schien etwas schneller zu gehen, und ihre feinen Nasenflügel bebten, als wolle sie den Schmerz des Schönen trinken und sich daran laben. Da geschah es dass ein Tropfen Blut sich im Schwung von den Schnüren der Geißel löste und den Weg auf ihr Gewand fand. Der Tropfen traf sie an der Schulter, nässte das reine Weiß und breitete sich zu einem sattenroten Fleck aus."Tölpel!", scholt Leontia ihren Custos, gebot ihm Einhalt, und sah, auf eine seltsame Weise beunruhigt auf ihre Schulter hinab, wo das Blut wie ein Wundmal in der Sonne glänzte. Es schien ihr ein böses Omen zu sein, und sie schauderte trotz der Sonnenwärme. Salambo griff schnell ihren Arm und Leontia stützte sich auf ihre Sklavin bis der Moment der Konfusion vorüber war.


    "Mach weiter!", gebot sie dann. "Ich werde der Bestrafung nicht länger beiwohnen. Doch ich wünsche die Schreie des Sklaven bis in mein Cubiculum zu hören. Sollte das nicht der Fall sein, beginnt die Prozedur von neuem, und du, Hamilkar, wirst dann sein Schicksal teilen... Und dass er mir nicht mehr unter die Augen kommt! Wenn du fertig bist, geh und verkaufe diesen ungehobelten Wilden an... an...einen Steinbruch! Oder ein Bergwerk!" Schon wollte sie sich zum Gehen wenden, doch der Anblick des Schönen, so gequält und ihr ganz ausgeliefert, fesselte sie, so dass sie wieder an ihn herantrat und ihn fasziniert noch länger betrachtete. Seit jeher hatte der Akt etwas Schönes zu zerstören einen beruhigenden Einfluß auf ihr überspanntes Gemüt gehabt. Leontia hob die Hand und ließ die schlanken Finger langsam durch Daphnus' goldenes Haar gleiten. Das war überaus besänftigend.


    "Nun ja...", meinte sie dann etwas milder, "Vielleicht lernt er ja doch noch Benimm..." Er war doch gar zu dekorativ - nein, mehr als das, wie Leontia in Wirklichkeit genau wußte. Er war von einer wahrhaftigen Schönheit die eine jede Frau, deren Sinne dafür empfänglich waren, aufwühlen und erschüttern musste! Beinahe fürchtete sie sich vor ihm, oder viel eher vor der Macht, die da in ihm waltete, und als ihr dieses bewußt wurde, wandte sie sich abrupt von ihm ab. "Atlas!", befahl sie herrisch einem der gewaltigen Nubier: "Sorge dafür dass der Eunuche, so er die Bestrafung überlebt, und wenn er wieder präsentabel ist, meinem Vetter Gracchus übergeben wird. Ich will ihn nicht mehr, aber vielleicht kann mein Vetter ja noch etwas mit ihm anfangen. Schmücke das Geschenk dann auch ein bisschen - mit Blumen und dergleichen." Affektiert griff sie sich an die Stirn. "Aber ich will nichts mehr von dieser leidigen Angelegenheit wissen! Kein Wort mehr darüber! - Weitermachen!" Und ohne noch einen Blick zurückzuwerfen verließ Leontia, gefolgt von ihren Sklaven, mit gezierten kleinen Schritten den Innenhof, wo Hamilkar alsbald wieder die Geißel schwang.


    Leontia begab sich in ihr Cubiculum, wo sie etwas zerstreut den Geräuschen der Bestrafung lauschte. Sobald Salambo sie von der befleckten Tunika befreit hatte, und sie gegen ein reines frisches Gewand getauscht hatte, ließ Leontia sich die Besitzurkunde bringen und überschrieb besagten Germanen ohne Zögern ihrem liebsten Vetter. Bestimmt würde Gracchus besser mit dem Sklaven zurechtkommen. Vielleicht erfreute ihn auch das kleine Geschenk. Leontia war jedenfalls maßlos erleichtert, diesen Quell der Verwirrung ein für alle mal los zu sein!

    Es war zur Mittagsstunde, am Tage nach dem Verlöbnis des Flavius Aristides und der Claudia Epicharis. Das glanzvolle Fest war vorüber, die sichtbaren Spuren bereits von fleißigen Sklavenhänden getilgt - doch dieses Feier hatte noch weit mehr Spuren hinterlassen als auf den ersten Blick ersichtlich. Der junge Herr Flavius Serenus war spurlos verschwunden, der Eklat mit der toten Ratte hatte sich längst in der ganzen Villa herumgesprochen, man munkelte außerdem dass die junge Herrin Flavia Arrecina sich ein wenig plötzlich aus der Gesellschaft zurückgezogen hatte, beinahe zeitgleich mit einem der geladenen Gäste... - nicht, dass man damit irgend etwas andeuten wollte, versteht sich. Auch wer von den Herrschaften mal wieder zu viel getrunken hatte, und sich wann, wo und wie danebenbenommen hatte, wurde in der Sklavenschaft der Villa natürlich eifrig diskutiert.


    Flavia Leontia war nicht amüsiert. Aus verschiedenen Quellen hatte sie von dem Debakel am Vorabend erfahren: anscheinend hatte Daphnus, ihr schöner Eunuchensklave, ihr während ihrer Ohnmacht - inmitten all der Gäste! - einfach einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet. Unfassbar! Horribel! Wie das ausgesehn haben musste! Man würde spotten und hinter vorgehaltener Hand über sie lachen! Dafür würde Daphnus büßen!


    Mit säuerlicher Miene stand sie nun im Innenhof, unter einem kleinen Baldachin gegen die Sonne, umgeben von einer Schar ihrer Sklaven. Eine lange und blütenweiße Tunika umfloss in leichtem Faltenwurf ihre zierliche Gestalt, ein silberner Reif hielt die Fülle ihres schwaren Haares zurück, und die Blässe ihres liebreizenden Antlitzes, sowie die bläulichen Schatten um ihre Augen, zeugten noch von der seelischen Erschütterung in die sie die Kunde von jeder Blamage gestürzt hatte. Erwartungsvoll sah sie zu, wie zwei ihrer herkulischen nubischen Sänftenträger den Delinquenten grob in die Mitte des Hofes führten. Dort war schon das hölzerne Gerüst aufgebaut, an das man in diesem Hause bisweilen die Sklaven zur Auspeitschung fesselte. Die soliden Balken und die kräftigen Ledergurte, von alten Blutflecken übersät, waren dunkel in der strahlenden Mittagssonne, wirkten klobig und roh inmitten der harmonischen Pracht des Innenhofes. Ein Springbrunnen plätscherte, Rosen verströmten ihren Duft, und ein kleiner roter Singvogel hüpfte zwitschernd in seinem Käfig auf und ab.


    "Bindet ihn fest." Leontias Stimme war frostig. Anmutig setzte sie die silbernen Schühchen, als sie einige Schritte auf den Sklaven zutrat, der sich den unverzeihlichen Fehler hatte zu Schulden kommen lassen. Eilig folgten ihr die Träger des Baldachins, ebenso die anderen Sklaven, darunter einer mit einem Fächer aus Pfauenfedern, der der jungen Patrizierin stets dezent einen frischen Lufthauch verschaffte. Natürlich fehlte auch nicht Salambo, die sich beflissen an der rechten Seite ihrer Domina hielt, und ihre tiefe Genugtuung kaum zu verbergen vermochte - denn schließlich war sie es gewesen, die Daphnus die ganze Zeit über so hartnäckig und bösartig angeschwärzt hatte, dass eine derartige Szene schließlich unausweichlich geworden war. Sie kannte nun einmal ihre Domina und wusste sie geschickt zu lenken, schmeichelte sich die Nubierin, und der Anflug eines hämischen Grinsens umspielte ihre vollen Lippen, als sie das Unglück ihres Rivalen in vollen Zügen genoss. Zu Leontias Linken dagegen wurde sie von ihrem Custos Hamilkar flankiert, der wie stets grimmig dreinsah, und mit den Lederkordeln des Flagrums in seinen Hände spielte.


    "Was hast Du Dir dabei gedacht, Sklave?!" Eisig sah Leontia zu dem Germanen auf, fixierte den Übeltäter böse mit großen nachtblauen Augen. "Wie, bei allen Göttern der Unterwelt, konnte dir solch ein irreparabler Fauxpas unterlaufen - und das auch noch in Gesellschaft! Sag mir einen Grund, Du verkommener Wilder, der Du nicht würdig bist zu meinem Besitz zu gehören, sag mir nur einen Grund, warum ich Dich nicht auf der Stelle zu Tode peitschen lassen sollte!"

    Es würde für lange Zeit der letzte Blick auf Rom sein. Andächtig ließ Leontia noch einmal ihre Augen über die Ewige Stadt schweifen, die sich zum Abschied in seltener Schönheit zeigte. Doch nicht einmal ein Anflug von Wehmut trübte Leontias Gemüt bei diesem Scheiden. Mit einem stillen Lächeln streckte sie sich auf den Polstern der Sänfte, als Tullius den Vorhang schloß. Nun, da sie nach den hektischen Stunden der Vorbereitung endlich aufgebrochen waren, war ihre Aufregung wie fortgeblasen, und eine große Freude trat an ihre Stelle. Wie herrlich war es unterwegs zu sein, um auf dieser verbotenen Reise nach Herzenslust die Schätze und Geheimnisse des sagenumwobenen Ägypten kennenzulernen. Und das alles an der Seite ihres lieben, hochverehrten Manius, der keinen Wimpernschlag lang gezögert hatte, Villa, Gattin und Amt hinter sich zu lassen, um seiner kleinen Base zu ihrem Glück zu verhelfen!


    Über die Maßen dankbar bedachte sie ihn mit einem zärtlichen Lächeln, griff dann in das luxuriöse Katzenkörbchen zu ihren Füßen und hob das Kätzchen Sphinx heraus, um sie ein wenig zu kraulen. Die geschmeidige kleine Ägypterin räkelte sich auf den Kissen, schnurrte und präsentierte wohlig ihr Bäuchlein. Liebevoll streichelte Leontia das seidigweiche, silbern schimmernde Fell ihres kleinen Lieblings. Von Zeit zu Zeit schob sie mit schmaler Hand die Vorhänge einen Spalt zur Seite, um einen Blick nach draußen zu werfen. Die Grabmäler in den Abendschatten, die geheimnisvollen kleinen Lichter und die Umrisse der Bäume zu Seiten der Straße, verbanden sich zu einer märchenhaften und phantastischen, ein wenig unheimlichen Stimmung, jene ergriff Leontias junge und bisher so wohlbehütete Seele zur Gänze, und erfüllte sie mit einer köstlichen Ahnung von lockender Ferne und seltsamer Aventüre, von unerwarteten und großen Dingen die nicht nur diese Reise, nein, die das Leben an sich für sie bereithielt.


    "Allerdings, liebster Manius.", bekräftigte sie auf Tullius ' Frage hin sanft aber nachdrücklich ihren Entschluss. "Ich könnte mir gar nicht sicherer sein. Und mein Herz möchte mir vor Freude beinahe aus der Brust springen in Erwartung all der Wunder an Bildung und Forschergeist, monumentaler Architektur und landschaftlicher Schönheit, die uns erwarten. Oh wie oft habe ich davon geträumt, einmal höchstselbst die erhabenen Hallen des Museions zu besuchen! Und nun wird dieser Traum wahr! Was wir uns auch nicht entgehen lassen sollten, ist eine Nilkreuzfahrt, das soll ganz zauberhaft und entzückend sein. - Doch erlaube mir, theuerster Vetter, diesen Moment zu nutzen, um meiner allertiefempfundensten Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen! Was Du hier und jetzt für mich tust überwältigt mich vollkommen, dieser Schritt den Du ohne Zögern zu meinem Wohle unternimmst, obgleich zum jetzigen Zeitpunkte noch keiner von uns dessen Tragweite und Konsequenzen zu ermessen vermag..."


    Enthousiasmiert vom jenem aufopferungsvollen Edelmut, den sie in den Handlungen ihres Verwandten auszumachen meinte, streckte Leontia ihre zarten Madonnenfinger, und umgriff die Hand des Piraten um sie in Dankbarkeit zu drücken. Häufig schon hatte sie diese Geste freundschaftlicher Vertrautheit mit ihrem liebsten Manius ausgetauscht - heute allerdings verspürte sie dabei eine leichte Irritation, ohne im ersten Moment sagen zu können weshalb. Marginal verunsichert musterte sie ihren Vetter. Wie seltsam, was hatte er wohl mit seinen Händen angestellt, dass deren Haut sich auf einmal so rau und spröde anfühlte? Er musste ihre Pflege ja längere Zeit sträflich vernachlässigt haben!


    Glücklicherweise war Leontia für derlei Notfälle gerüstet. Mit einem einzigen Handgriff hatte sie aus ihrem bestickten Seidentäschchen ein kleines Elfenbeindöschen mit einem wohlduftenden Handbalsam hervorgezaubert und reichte es Tullius lächelnd. "Wenn Du erlaubst, Manius, so würde ich mich erdreisten, Dir diesen Balsam anzubieten. Mir dünkt, er möchte wohl Deinen Händen zu Gute kommen. Salambo hat ihn gemischt, auf einer Basis von Eselinnenmilch und Nektar, mit Orchideenwurzel und zerriebenem Aquamarin. Nimm nur, ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht." Freigiebig stellte sie das Schönheitsmittelchen neben ihm auf ein Kissen, damit er sich bedienen konnte, und widmete sich wieder ihrer kleinen Schoßkatze, die maunzend nach Liebkosungen und Leckereien verlangte.


    Draußen zog die abendliche Landschaft vorbei. Laternen wurden nun entzündet, sie warfen ihren Schein schwankend auf Pflaster und Böschung. In stetem Schritt trugen die Sklaven die Sänfte, bogen nun von der Straße nach Süden ab und schlugen den Weg in Richtung Ostia ein. Die Wägen mit dem Gepäck rumpelten hinterher, Pferdehufe klapperten, als die berittenen Leibwächter ihre Positionen zu den Flanken der Sänfte wieder einnahmen, grimmig darüber wachend, dass weder lästiges Gesindel noch nächtliche Gefahren den beiden Flaviern zu nahe kamen. Dass die größte Bedrohung es sich allerdings schon längst im Inneren der Sänfte bequem gemacht hatte, das konnten diese braven Männer nicht ahnen...

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    Offene Rebellion! Dieser Gedanke, an sich so ungeheuerlich, der Leontia noch tags zuvor zutiefst schockiert hätte, erschien ihr nun, nachdem sie die Entscheidung einmal getroffen hatte, so liebevoll bestärkt durch die bedingungslose Unterstützung ihres verehrten Manius, ganz natürlich. Ihr Vater war ein schnöder Wüstling, blind für Sitte und Anstand, blind für das Glück seiner Tochter, und um jener fatalen Verbindung zu entkommen blieb Leontia keine andere Wahl, als das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen!
    Nun galt es nur noch, dieses Vorhaben möglichst geschickt in die Tat umzusetzen. Hochaufgerichtet, die Hände in die Seiten gestemmt, stand Leontia am Fenster ihres Cubiculums. Die Frühlingsbrise spielte sacht mit den zartblauen Vorhängen, und im Garten drunten leuchteten die Blüten des Mandelbaumes, unter dem sie soeben jenen kühnen Entschluss gefasst hatte. Entschlossen griff Leontia nach den Fensterflügeln und schloss sie. Was es zu besprechen galt, war nicht für fremde Ohren bestimmt. Sie wandte sich zu ihrer treuen Nubierin, die ruhig, die Augen demütig niedergeschlagen, neben einem schon jetzt immensen Berg von Gepäck stand.


    "Salambo."
    "Ja, Domina."
    "Heute Abend werde ich abreisen, gemeinsam mit Manius. Offiziell werde ich dem Ruf meines Vaters nach Ravenna Folge leisten. In Wirklichkeit nicht. Aber das weißt nur du."
    "Ich verstehe vollkommen, Domina."
    "Pack meine Sachen. Beschränke dich auf das Notwendige. Es geht in südliche Gefielde. Alles in allem sollte das Gepäck, denke ich, nicht mehr als ein, zwei Reisewägen betragen. Sphinx wird mich begleiten, und ebenso mein Papagei. Dazu Kosmas, Hamilkar… eventuell Daphnus… dann die Nubier… ein paar Frauen natürlich auch…"
    Leontia legte einen schlanken Finger an die Unterlippe und überlegte. Furchtbar was das, sich so einschränken zu müssen, sie ahnte schon jetzt dass die Reise nicht mit dem üblichen Komfort vonstatten gehen würde.


    "Nicht mehr als acht… nein, zehn – nein, sagen wir besser ein Dutzend Sklaven. Wähle sie mit Bedacht. Dido bleibt hier. Sie hat mich verraten, diese alte Harpie. Wahrscheinlich lauscht sie gerade schon wieder an der Türe! Ich sollte sie eigentlich hinrichten lassen. Aber das wäre jetzt zu auffällig."
    "Sehr wohl, Domina." Keine Regung zeigte welche übergroße Genugtuung Salambo bei diesen Worten verspürte. "Wünschst Du, dass ich mich diskret darum kümmere?"
    "Hmm… Ja." Mit einem kurzen Nicken besiegelte Leontia das Schicksal ihrer guten alten Amme. Heute war der Tag, sich von eingefahrenen Gewohnheiten und liebgewordenen Dingen zu trennen. Jedenfalls wenn sie sich als unnützer Ballast entpuppt hatten.
    "Aber spute Dich. Heute Abend schon geht es los. Und zuvor habe ich dir noch einige Briefe zu diktieren. Meine Bücher packe ich selbst. Aber du musst mir unbedingt schnell noch eine schöne Ausgabe von 'Plutarchs Reisen' besorgen!"
    "Sehr wohl, Domina."
    Die treue Nubierin eilte los, um sich in Windeseile, und doch gewissenhaft, um die Wünsche ihrer Herrin zu kümmern. Auch Leontia machte sich konzentriert an die Reisevorbereitungen, und als des Abends eben der Unterrand der Sonnenscheibe den Horizont berührte, ihre letzten Strahlen das Cubiculum mit goldrotem Licht erfüllt, war tatsächlich alles bereit.


    Leontia erhob sich von ihrem Schreibtisch, wo sie soeben den letzten Brief gesiegelt hatte, und überreichte das Bündel an Salambo. "Hier. Den an Papa musst du nach Ravenna bringen. Überreiche ihm aber auf keinen Fall persönlich, ich will nicht dass er dich den Muränen vorwirft."
    "Ja, Domina." Salambo senkte den Kopf, gerührt ob dieser Sorge um ihr Wohlergehen. "Dann wird es mir nicht vergönnt sein, Dich zu begleiten Domina?"
    "Nein. Du musst zu gegebener Zeit die Briefe überbringen. Vielleicht lasse ich später nach Dir schicken. Bis dahin halte Dich an ihn." Leontia tippte in dem Bündel Schriftrollen auf den Namen eines Adressaten. "Das wäre alles."
    "Ja, Domina. Viel Glück! Mögen die Götter Deinen Weg beschirmen!", wünschte die Nubierin von ganzem Herzen. "Und sei nicht verzagt wegen dem Aemilier. Er ist doch schon so betagt, vielleicht haben die Götter ein Einsehen, und rufen ihn zu sich."
    "Ja", murmelte Leontia nachdenklich. "Wie Cassius. Das wäre schön…" Und sie warf ihrer Leibsklavin einen fragenden, ein wenig unsicheren Blick zu, schien einen Augenblick lang zu einer Frage anzusetzen – schwieg dann.


    Salambo verbeugte sich tief und sprach mit glühender Ergebenheit die Worte: "Es wird alles zu Deiner Zufriedenheit geschehen, Domina."
    "Du bist eine gute Sklavin, Salambo." Dankbar streckte Leontia die Hand aus und strich ihrer treuen Nubierin über den lockigen Scheitel. Dann griff sie nach einem weiten Reisemantel aus tiefblauer Seide, warf ihn sich schwungvoll um die Schultern, und verließ, zugleich mit den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, leichten Schrittes ihr Cubiculum. Und an der Seite des blutrünstigen Räubers, der so tückisch den Platz des Manius Flavius Gracchus eingenommen hatte, begab sich Leontia vertrauensvoll, frohgemut und voller Vorfreude auf eine lange und gefährliche Reise

    Wie schnell er doch groß geworden war! Schade. In Ermangelung ihres Neffen packte Leontia schnell Sphinx am Kragen und hob das verstörte Tier auf ihren Schoß. Der Hund war ihr noch immer unheimlich, auch wenn er wirklich auf Wort zu hören schien. Sie kraulte das arme Kätzchen hinter den Ohren und lauschte Serenus' Redeschwall mit leicht geneigtem Kopf.


    "Die Pyramiden würde ich auch gerne einmal besuchen.", seufzte sie sehnsüchtig. "Nicht unbedingt ausrauben, aber besichtigen! Lyraspieler kannst du aber nicht werden, mein Spatz, das ist nicht standesgemäß. - Wirklich, so etwas hat Milo gesagt!? Na, das sieht ihm ähnlich. Diese Häme! Hör mir zu, ich möchte nicht, dass Du über Furianus spottest mein Spatz. Er ist in seinen Taten ein äußerst ehrenwertes und erfolgreiches Mitglied unserer Familie!"


    Wenn auch nicht unbedingt in seiner Herkunft. Aber soo höflich, und schick sieht er aus, mit all diesen Liktoren um sich herum. Wenn er nicht mein Vetter wäre, also eigentlich ja sogar mein Neffe, würde ich möglicherweise… - also Leontia! Die junge Patrizierin verbat sich diese unbotmäßigen Gedanken. Man sagte ihrer Familie doch ohnehin schon einen ungesunden Drang zueinander hin nach. An solch unaussprechliche Laster wollte sie nicht einmal denken!


    "In der Fußbodenheizung!? Oh, bei den Göttern, das war es also was ich gehört habe! Nachts, beim Weben. Wie konntet ihr mich nur so erschrecken, ich dachte es wären die Lemuren!" Sie griff sich bei der Erinnerung an diese spukhafte Begebenheit geziert an die Stirn, schüttelte dann schmunzelnd den Kopf. "Was machst Du nur für Streiche, mein Spatz?", bemerkte sie milde, und bot ihm noch mehr Süßigkeiten an. Und so saßen die beiden noch eine Zeitlang gemütlich zusammen und plauderten über dies und das, wobei Leontia es nicht versäumte ihrem kleinen Lieblingsneffen nochmals wärmstens eine Zukunft in der Politik ans Herz zu legen.


    Was für ein liebes, herziges Kind, dachte sie, nachdem er irgendwann wieder davon gestürmt war. Und schon so erwachsen! Wenn es dazu nicht der Männer bedürfte, und gewisser… Körperlichkeiten hätte ich auch gerne welche. Gedankenverloren nahm sie das letzte Stück Melone aus der Schale, lehnte sich träge zurück, und genoss mit halbgeschlossenen Augen die Fortsetzung ihrer Fußmassage.

    In ihrem unermesslichen Jammer war Leontia dankbar für jeden Ausdruck des Mitgefühls. Die Anteilnahme ihres liebsten Vetters, bekräftigt durch so viele schmeichelhafte und wertschätzende Äußerungen, war ihr ein Quell des Trostes. Sie nickte schwach, tupfte sich noch hin und wieder die Augen und bedachte ihn mit dankbaren Blicken, schenkte ihn gar ein mattes, märtyrerhaftes Lächeln bei den lieben Worten: Nur der edelste und reinste Mann, so es ihn je geben wird, wäre für Dich gerade zu ertragen. Der Meinung war sie nämlich auch.


    "Oh Manius!", hauchte sie tiefempfunden. "Wie unendlich dankbar ich Dir für Deinen kordialen Zuspruch bin! Doch ich fürchte die Würfel sind gefallen. Papa ist, wie Du weißt, ein starrsinniger Mensch, der sich aus Prinzip kaum jemals von einer bereits getroffenen Entscheidung abbringen lässt. Ich Unselige! Da sah ich die helfende Hand der Götter, als sie den Cassius hinwegrafften, bildete mir ein vom Schicksal begünstigt zu sein, und nun - nun kommt alles noch viel schlimmer!" In schmerzlicher Gebärde hob sie die Handflächen gen Himmel und klagte herzzerreissend: "Warum nur, warum?!"


    Doch unvermittelt weckte Tullius mysteriöse Andeutung, in Verbindung mit dem kontemplativen Kneten der Unterlippe, eine wilde Hoffnung in Leontias unergründlichem Herzen. "Du meinst...", griff sie leise seine Worte auf, und trank wiederum recht gefasst einen Schluck kühlen Granatapfelsaftes, "...es gäbe noch einen Ausweg?" Unwillkürlich glitt ihre Zunge über die blassen, vollen Lippen, fing einen Tropfen des süßen roten Saftes auf, der drohte, über das zarte Kinn zu entfleuchen. "Was könnte das wohl sein...?", fragte sich Leontia sinnierend, klatschte mit einem Mal in die Hände und schickte die Sklaven mit einem nachlässigen "Geht!" davon.


    Ein leises Klimpern ertönte, als die Spitzen ihrer polierten Nägeln ungeduldig gegen ihre Saphirohrringe tippten, bis die Sklaven sie schließlich alleine gelassen hatten. Wiederum raschelte die sanfte Brise, rieselten einige Blütenblätter aus dem Geäst des Mandelbaumes herab. "Und wenn ich diesen Weg einschlüge...", begann vorsichtig Leontia, die, getreu der Prägung durch die absonderlichen Gewohnheiten ihres Elternhauses, in Tullius' Worten eine unverhohlene Aufforderung zur gewaltsamen Beseitigung des unliebsamen Auserkorenen erkannt zu haben meinte, "...wäre das denn nicht ein unverzeihlicher Ungehorsam gegenüber dem erklärten Willen meines Herrn Vater?" Das düstere Funkeln, das sich bei diesen Worten unheilvoll am Grunde der dunklen, noch verweinten Augen, regte, sprach allerdings eine ganz andere Sprache.
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    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus
    "Ein wenig hölzern womöglich, ist doch gerade die Antigone ein Stück, welches durch die darstellerische Umsetzung der Emotio bestechen muss, von brennender Leidenschaft zu den Traditionen und Göttern durchwirkt, vom unbändigem Drang zur Pflichterfüllung entgegen allen Zwängen und nicht letztlich zur unabdingbaren Konsequenz über alle Zweifel hinweg. Doch gedulde dich, meine Liebe, dies war sicherlich nur als Präludium zu sehen, welches sich in sukzessiver Steigerung dem Höhepunkt hin zuwenden wird, vielleicht garade ob dessen so reduziert, um hernach den Bruch zwischen persönlich-emotionaler und geforderter staatlich-frostiger Pflicht zu versinnbildlichen."


    Andächtig lauschte Leontia den Worten ihres liebsten Vetters, wieder einmal von Begeisterung ergriffen ob der unnachahmlichen Brillianz seiner Gedanken und der Eleganz mit der er ihnen Ausdruck verlieh! Sie nickte inbrünstig - ganz gewiss hatte er recht! - und lehnte sich wieder auf ihrem Sitz zurück, um sich, getreu der kleinen Mahnung, in Geduld gegenüber der sich entfaltenden Komposition dieser Inszenierung zu üben. Erwartungsvoll harrte sie dem erhofften Crescendo schauspielerischen Engagements entgegen. Mit der Zeit musste sie allerdings an sich halten, nicht unwillig auf ihrem Sitz herumzurutschen. Hinter vorgehaltener Hand unterdrückte sie ein Gähnen und ertappte sich dabei, dem Getuschel des Plebs mehr Beachtung zu schenken als dem schleppenden Fortgang des Stückes. Trotzdem überraschte sie der energische Aufbruch ihres Vetters, sowie sein Ausdruck unverblümten Unmutes, ganz gehörig.


    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus
    "Das genügt. Antonia, Leotia, wir gehen. Ich bin kaum gekommen, um mir solch eine Frechheit bieten zu lassen. Es ist eine Schande, dass unser Neffe seinen Namen für solcherlei hergibt, wahrlich eine deplorable Angelegenheit, um nicht zu sagen ungeheuerlich."


    "In der Tat im höchsten Maße ennuiant.", stimmte sie ihm, nach einem Moment der Verblüffung, von Herzen zu, ergriff geziert die dargebotene Hand und erhob sich mit raschelndem Gewande. Leise versuchte sie noch zu beschwichtigen: "Jedoch bin ich, mit Verlaub lieber Manius, davon überzeugt, dass unser geschätzter Furianus an der Unsäglichkeit dieser Inszenierung nicht den geringsten Anteil hat." Sodann rauschte sie, am Arm ihres Vetters, hocherhobenen Hauptes aus dem Theater, gefolgt von ihren Leibwächtern, jeden Zoll durchdrungen von jener unnachahmbaren geringschätzigen Überlegenheit, in deren Ausdruck es die Gens Flavia im Laufe der Zeit zu einer mühelosen, ja, nahezu vollendeten Perfektion gebracht hatte.

    So deplorabel es ist, werde ich doch in den nächsten Tagen nicht die Muße zum Verfassen von Beiträgen haben. Man möge es mir also nachsehen wenn meine *hach* Ohnmacht etwas länger währt.

    "Wunderschön..." hauchte Leontia andächtig, als Epicharis Antonia und ihr den Verlobungsring präsentierte. "Ganz exquisit! Zudem entspricht das verschlungene Element perfekt dem Anlass. Er steht Dir ausgesprochen gut, liebe Epicharis." Und Epicharis' Lächeln strahlte mit dem Gold um die Wette. Solche Fröhlichkeit fand Leontia dann doch ein wenig befremdlich. Ihre eigene Verlobung damals war mehr ein formeller Akt gewesen, und mit welch ungeheurer Erleichterung hatte sie, nach Cassius' unerwartetem Tod, den Ring - der auch längst nicht so schön wie dieser hier gewesen war, eher protzig - wieder vom Finger gezogen. Und noch am selben Tag, an dem sie die Todesnachricht erhalten hatte, hatte sie, von einer Klippe herab, das Schmuckstück ohne Zaudern ins Meer geschleudert, und sich dabei frei und leicht gefühlt...


    Ein feines Lächeln, der Erinnerung an diesen Tag heimlicher Freude zuzuschreiben, spielte noch um ihre Lippen, als sie den Kopf wandte, und dem nahenden Tiberius Durus entgegensah. "Salve, Tiberius. Willkommen!" erwiderte sie seinen Gruß mit ruhiger, klarer Stimme, begleitet von einem andeutungsweisen Neigen des Hauptes. Mehr als andeutungsweise wäre mit dieser Frisur auch riskant gewesen. Nicht dass womöglich eine Locke verrutschte und die ganze Komposition durcheinanderbrachte!
    Tiberius Durus... war das nicht der Mann der vor einer Weile für Minervina im Gespräch gewesen war? Jedenfalls war dieses Gerücht durch die Villa getragen worden. Interessant. Aufmerksam hefteten sich ihre Augen, groß und dunkel in dem mamorblassen Antlitz, auf den Senator, schienen die Umgebung vollkommen auszublenden und nur noch ihn wahrzunehmen. "Ich freue mich sehr, Dich kennenzulernen.", sprach sie gravitätisch. "Mein Name ist Flavia Leontia. Ich bin die Base des Flavius Aristides." Ein wiederum nur leichtes Wenden des Kopfes in Richtung ihres Vetters begleitete diese Worte. Anscheinend nahm das Paar gerade die ersten Geschenke entgegen. "Ich hoffe die Festivität sagt Dir zu", fuhr sie fort, und verlieh dieser Höflichkeitsfloskel einen Ausdruck von echtem Interesse, "es blieb ja, unglücklicherweise, recht wenig Zeit für die Vorbereitung. Doch erlaube mir zu fragen ob Du mit meinem Vetter bekannt bist, und woher diese Bekanntschaft rührt?"


    Zugleich gab Leontia ihrem schönen Eunuchen mit einem marginalen Wink zu verstehen, er solle dem Tiberier etwas von dem bereitstehenden Wein kredenzen - und hoffte, dass Daphnus inzwischen über den nötigen Feinschliff verfügte, um ihren Wunsch manierlich zu erfüllen. Schließlich war es das erste Mal, dass er die Ehre hatte, bei solch einem Anlass die Gäste zu bedienen. Sehr dekorativ war er auf jeden Fall, wie er da in der Nische stand....


    Kurz darauf setzte plötzlich Stille ein. Überrascht wandte Leontia den Blick von ihrem Gesprächspartner, sah verwundert einen Musiker, dessen Finger reglos über den Saiten seiner Kithara verharrten. Sie folgte dem starren Blick des Sklaven hin zu dem Geschenk des Serenus, reckte sich neugierig... und bekam ganz große Augen! Scheußlich! Ekelhaft! Wenn es eines gab, wovor Leontia sich wirklich grauste - außer vor Männern natürlich - dann waren es Ratten! Diese kleinen wuselnden quietschenden schmutzigen fürchterlichen Dinger! Entsetzt presste sie die Hand vor den Mund, ein ersticktes "Oh!" drang dahinter hervor, ihr wurde ganz schwummerig, und in die noble Blässe mischte sich ein deutlich grünlicher Unterton, als sie das grausige widerliche tote Ding da auf der Platte liegen sah - das klebrige Fell... die spitze Schnauze... die glasigen Äuglein... der lange fleischfarbene nackte Schwanz...


    "Oh..." hauchte Leontia noch einmal, schwankte leicht, und presste den schlanken Handrücken matt gegen die Stirn. Eine Locke löste sich, und kringelte sich an ihrer weißen Schläfe, wo bläulich die Adern durchschienen, und nun ein feiner Schweißtropfen entlangfloss. "Verzeihung. Mir wird so... - " Und formvollendet fiel die junge Patrizierin in Ohnmacht. Ihre Sinne schwanden, sie kippte und fiel...

    Am Zustandekommen dieser Verbindung war Leontia nicht ganz unbeteiligt, hatte sie doch, auf Wunsch von Marcus' Mutter, dessen Zukünftige kritisch in Augenschein genommen, sodann ein ausführliches Dossier über sie verfasst und nach Baiae gesandt. Und Agrippina hatte sich tatsächlich für Epicharis entschieden. Eine gute Wahl, dessen war sich Leontia recht sicher. Mit Bewunderung und Zuneigung gedachte sie ihrer Tante, die, auch aus der Ferne ihres idyllischen Refugiums heraus, die Geschicke der Familie so virtuos und umsichtig zu lenken verstand.


    Leichten Schrittes wandelte Leontia nun durch die apart geschmückten Räume, genoss die festliche Atmosphäre, ohne es dabei an geziemendem Ernst und Würde mangeln zu lassen. Einzig das stillvergnügte Funkeln tief in den nachtblauen Augen zeugte davon, dass Leontia sich durchaus amüsierte. Ein feiner Hauch von Jasmin umwehte ihre ätherische Gestalt. Weich fiel das pfauenblaue, über und über silbern bestickte Gewand, und zärtlich schmiegte sich ein Geschmeide funkelnder Saphire an ihren zarten Schwanenhals. Auch in den kunstvoll hochgetürmten glänzendschwarzen Locken blitzten kleine Reflexe des märchenhaften Blaus, als Leontia in den Garten hinaustrat, und genußvoll den süßen Duft der Rosen einsog. Einen Augenblick lang spielten ihre Finger gedankenverloren mit den kühlen Blütenblättern einer üppigen weißen Rosenblüte, dann setzte sie ihren Weg fort, um dem schönen Paar ebenfalls ihre besten Wünsche auszudrücken.


    Im Vorübergehen bemerkte sie Arrecina, deren auffallend schlichte Erscheinung Leontia beinahe dazu veranlasst hätte, missbilligend eine Braue zu wölben. Doch sie verbarg die Irritation hinter ihrer Miene solenner Leichtigkeit - womöglich war ihre Nichte noch immer nicht ganz gesund, die Arme - und lächelte ihr mitfühlend zu. "Salve, Arrecina." Ob Arrecina ihrem Vater grollte? Leontia hätte das sehr gut verstanden. Sie selbst hatte die Geliebten ihres Vaters schon als kleines Mädchen mit unversöhnlichem Hass verfolgt, und mehr als eine von ihnen war durch ihr Wirken vorzeitig zu Fischfutter geworden. Doch eine Ehefrau war natürlich ungleich schwerer zu beseitigen als eine Konkubine...


    In diesen Überlegungen gefangen schweifte ihr Blick weiter zu dem Mann an Arrecinas Seite. "Salve Aquilius.", grüßte Leontia höflich im Vorüberschreiten und neigte grazil den Kopf vor ihrem hispanischen Vetter, dessen Anblick sie, genau wie früher schon, auf eine seltsame Art und Weise so mädchenhaft verlegen machte. Sie hatte den vagen Verdacht, dass es möglicherweise damit zusammenhängen könnte, dass er so unverschämt gut aussah... mochte diesen Gedanken aber lieber nicht weiterverfolgen. Außerdem war sie ihm heimlich ein bisschen böse, dass er im Herzen von Manius, ihrem hochgeschätzten Manius, anscheinend einen sehr großen Platz einnahm.


    Schließlich erreichte sie das von allen Seiten umschwärmte Paar. Auch farblich harmonierten die beiden heute ausgesprochen gut, stellte Leontia zufrieden fest, und passte einen ruhigen Moment ab, um das Wort zuerst an Epicharis zu richten: "Liebe Epicharis, ich freue mich über die Maßen, Dich hier wiederzusehen. Es war ja so eine Überraschung zu hören, dass Du Teil unserer Familie werden wirst! Oh, und dieses Gewand, wirklich atemberaubend!" Mit gemessener Herzlichkeit drückte sie Epicharis' Hände und sprach durchaus ehrlich: "Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen zu Deiner Verlobung!" Dass Epicharis vielleicht gar nicht glücklich über das Arrangement sein mochte, kam Leontia nicht in den Sinn. Schließlich bekam sie mit Aristides einen Flavier, wie er erhabener - und gutherziger - nicht sein konnte. Fand jedenfalls Leontia.


    "Und Marcus, mein teurer Vetter, Dir gratuliere ich auch ganz herzlich!" Warm drückten ihre schmalen weißen Finger seine rauhen Soldatenhände. "Meine allerbesten Wünsche an Euch beide, mögen die Götter Eure Verbindung segnen und mit Wohlwollen über euch wachen!" Und ganz besonders über ihren Vetter, damit er heil zurückkam! Doch das sprach Leontia nicht aus.


    So ein glückliches - oder jedenfalls glücklich erscheinendes - Paar war doch etwas schönes, dachte sich Leontia, gelinde verwundert über diesen plötzlichen Anflug von Romantik ihrerseits, während sie sich dezent wieder in den Hintergrund zurückzog, um auch den anderen Gratulanten eine Chance zugeben.

    "Verzeih.", sprach Leontia mit erstickter Stimme, und tupfte sich schnell noch eine Träne aus dem Augenwinkel. Dass ihr hochgeschätzter Manius offenbar Zeuge ihrer Unbeherrschtheit gewesen war, brachte sie in große Verlegenheit, doch noch größer war der schreckliche Kummer, den sie wie eine grausame Hand fest um ihr Herz herum gekrallt spürte. "Es ist nur..." Ein schwerer Atemzug hob und senkte ihre Brust. "...ich muss gehen. Nach Ravenna zurück. Papa will es so."


    Hilflos blickte sie zu ihrem Vetter auf, dann auf den zerknautschten Brief, dann wieder zu Tullius. "Er schreibt mir hier: 'kehre unverzüglich zurück, ich habe einen neuen Verlobten für Dich aufgetan, den das Debakel mit dem letzten nicht davon abhalten wird, um Deine Hand anzuhalten...' etcetera. Debakel!" Zorn blitzte in den nachtblauen Augen. "Als ob das meine Schuld gewesen wäre mit der Gräte!" Schnell führte sie den gläsernen Kelch zum Mund, nahm einen Schluck des kühlen Getränkes, um nicht schon wieder die Fassung zu verlieren.


    "Und er ist böse mit mir, weil ich im Vestatempel gewesen bin, heimlich. Er hatte es ja verboten. Dabei habe ich mich dort bloß unterhalten mit deiner Schwester! Sie ist wirklich sehr liebenswürdig. - Aber Papa hat es doch herausgefunden, ich bin sicher meine Amme hat mich an ihn verraten. Außer Salambo sind doch alle meine Sklaven seine Spione. Bestimmt ist das der Grund für diesen überstürzten Entschluss. - Als ob ich je erwogen hätte, mich gegen seinen Willen den Vestalinnen anzuschließen! Es ist nicht fair."Leontia schüttelte den Kopf, erbittert über die Niederträchtigkeit ihres Vaters, ihrer Amme, und über ihre eigene Unvorsichtigkeit. Geistesabwesend fasste sie eine lange glänzendschwarze Locke, und wickelte sie fest um den Finger herum, während sie ihrem liebsten Vetter erschüttert ihr Leid klagte:


    "Oh Manius, es ist schrecklich. Der Mann den er ausgesucht hat, ein Aemilier, der ist... im höchsten Maße degoutant und degeneriert! Ich kenne ihn flüchtig, da er oft bei Papas ..." - sie krauste das Näschen - "... Festivitäten anwesend war. Ein Senator, immerhin, aber mehr nominell, er zieht es wohl vor, sich in der Provinz den Vergnügungen hinzugeben. Zudem war er schon des öfteren vermählt, hat eine Vielzahl von Kindern, doch, wie Papa betont: 'Bisher hat jedoch keiner seiner legitimen Söhne überlebt. So Du ihm also einen kräftigen Erben schenkst, meine liebe Tochter, so steht Dir eine goldene Zukunft bevor.' " Sie leerte ihren Kelch, und schnaubte erbost: "Eine goldene Zukunft! Gedankenlos stürzt er mich ins Unglück! Oh, ich fasse es nicht, dass er mich einfach an diesen Wüstling verschachert hat!!"

    Leontia neigte den Kopf leicht zur Seite, zu ihrem Vetter, und schmunzelte belustigt und geschmeichelt bei seinem Kompliment. Anscheinend war ihr Haar heute doch nicht ganz so unmöglich wie sie gedacht hatte. Andererseits, so sinnierte sie still, konnte sie sich, seitdem sie ihm unter der Hand das Geheimnis "Schöne-Komplimente-sind-der-Königsweg-zum-Herzen-einer-Frau" verraten hatte, nicht mehr sicher sein, ob er diese Worte wirklich ernst meinte, oder sie nur - auf die ihm eigene subtile und feinsinnige Weise - neckte. "Ich danke Dir, liebster Vetter.", hauchte sie zurück, und fügte mit einem Anflug von Schalk in der Stimme ganz leise hinzu: "Gestatte mir zu bemerken, dass die Toga, die Du heute gewählt hast, Dir vortrefflich zu Gesicht steht. Das dunkle Gold dieser herrlichen Borte harmoniert aufs Vorzüglichste mit der Farbe Deiner Augen."


    Auch sie blickte wieder zu Bühne und nickte bedächtig. "Das ist erfreulich." Doch nachdem die beiden Frauen abgetreten waren, wandte sie sich mit einem Ausdruck von Skepsis zu Gracchus und Antonia, und fragte recht ratlos, mit noch immer etwas gedämpfter Stimme: "Hmm... es handelt sich um eine recht reduktionistische Aufführung, nicht wahr? Ich las ja von Strömungen, die das Theater durch Elimination alles unwesentlichen Gepränges auf die reine, kraftvolle Urform zurückführen wollen. Doch mir erschien das immer ein recht theoretischer Ansatz. Und die Umsetzung hier dünkt mir etwas, nun ja, hölzern. Doch was meinst ihr - ist die Inszenierung vielleicht in diesem Kontext zu sehen?"

    Mit einem letzten Aufglucksen sah Leontia Serenus samt Hund abziehen - mit einem Sklaven auf den Fersen, der die kunterbunten Pfotenabdrück eifrig wegschrubbte, sobald sie entstanden. "Du meine Güte...", murmelte Leontia, noch etwas verlegen, und spürte ein höchst unpassendes Gefühl der Sympathie für Antonia, als die so taktvoll über ihren undamenhaften Ausbruch von Heiterkeit hinwegging. Dabei war das doch die Frau, die den armen Manius mit ihrer Kälte so grausam quälte!


    Nachdenklich folgte sie ihr zur Wand, und betrachtete stirnrunzelnd die Schmiererei, dann Antonias betroffene Miene. "Was für ein Frechdachs!", rief sie, nach einem Moment des Schwankens, aus, "Das ist doch eindeutig meine alte Amme, Dido maior!" Sie tippte anklagend auf die Wand: "Hier, die spitze Nase, die erkenne ich genau. Dieser Lausejunge! Es ist nicht fein, sich über diese treue Seele so zu mokieren." Sie winkte knapp ihrer Leibsklavin und sprach: "Hinfort damit.", worauf die Nubierin der Schmiererei mit Lappen und Bürste entschlossen zu Leibe rückte.


    Überhaupt kehrte nach der kleinen Katastrophe im Atrium nun langsam wieder Ordnung und eine Atmosphäre geschäftigen Arbeitens ein. Erleichtert, dass niemand sonst aus der Familie Zeuge dieses irritierenden Zwischenfalles geworden war - auch wenn die Sklaven es natürlich weitererzählen würden - sah Leontia sich um, übergab dann die Aufsicht an Salambo, um sich mit Antonia anderen Aspekten der Umgestaltung zu widmen."Wollen wir dann die Stoffe für die neuen Vorhänge aussuchen? Und für die Klinen? Ich bin da auf eine ganz herrliche cremefarbene Seide gestoßen, ein Traum, sage ich Dir, ein Traum! Die musst Du Dir unbedingt ansehen!" Mit verzückt verdrehten Augen nötigte Leontia ihre Schwägerin, ihr zu folgen, und verließ dynamischen Schrittes das Atrium. Einige Wortfetzen wie: "Kirschholzmöbel dazu...", "im Peristyl ein paar Singvögel...", "Porphyr-Springbrunnen..." waren noch zu hören, dann verklang ihr unerschöpflicher Rede- und Ideenschwall in den Tiefen der Villa.


    Und tatsächlich erstrahlte nach ein paar weiteren Tagen emsiger Betriebsamkeit und horrender Geldausgaben die Villa in neuem Glanz, elegant und liebevoll dekoriert, passend zur Jahreszeit mit vielen Pflanzen, leichten hellen Stoffen, und raffinierten, luxuriösen Details, alles angelehnt an die heitere Ästhetik der minoischen Kultur. Eine exquisite Synthese von Erhabenheit und Leichtigkeit war da verwirklicht worden. Und obgleich Leontia sich nicht sicher war, ob die meisten Männer der Familie einen Sinn für diese Art von Gesamt-Kunstwerk hatten - ja, ob ihnen die Veränderungen überhaupt auffallen würden - so war sie mit dem Ergebnis doch überaus zufrieden!

    "Wie kann er mir das antun!" fauchte Leontia zornentbrannt, warf das Pergament zu Boden und schlug mit den Fäusten auf das Mamortischchen. "Wie kann er nur! Ich bin doch seine Tochter! Und diese... diese alte Wachtel, der ich vertraut habe, blind vertraut, die hat mich verraten, diese Harpie!" Am ganzen Körper bebend vor Wut schloss sie die Finger um ihre kleine Nähschere, und stach sie mitten in ihre Stickerei, zerriss die goldene Blume, an der sie zuvor so sorgfältig gearbeitet hatte, in viele kleine Fetzen... Doch das stillte noch lange nicht ihren Zorn, und in dem unbändigen Drang, etwas schönes zu zerstören, ließ sie die Schere auf das Gesicht des Sklaven Paris herniederfahren, der seine Lyra hatte sinken lassen, und mit himmelblauen Augen mitfühlend zu Leontia hinaufsah. "Wer hat dir gesagt, du sollst aufhören zu spielen!?", zischte Leontia, und stach ihm die Schere in die Wange.


    Der Anblick dieser ebenmäßigen Züge, die sich blitzartig im Schmerz verzerrten, der strahlenden Augen, die nun voll Tränen und fassungslosem Schrecken standen, hatte wie stets in solchen Situationen einen beruhigenden Einfluss auf Leontia. So schnell ihre Zerstörungswut entbrannt war, so schnell war sie auch wieder vorüber. Langsam lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück, atmete ruhig, und spürte, wie der Zorn abebbte, sie wieder Herrin ihrer selbst werden ließ. Mit spitzen Fingern wische sie sich eine Träne von der Wange, räusperte sich, und sprach mit belegter Stimme zu Paris: "Du darfst dich entfernen. Geh zu Kosmas, meinem Medicus, er soll sich um die Verletzung kümmern." Schockiert, die Hand auf die stark blutenden Wange gepresst, stolperte der misshandelte Künstler in Richtung der Villa davon. Salambo reichte ihrer Herrin beflissen ein Taschentuch, schenkte ihr ein Glas schneegekühlten Fruchtsaft ein, und machte sich dann daran, die Fetzen der Stickerei einzusammeln, bevor ein Wind sie in alle Himmelsrichtungen zerstreute.


    Leontia seufzte leise und blieb auf ihrem Korbstuhl sitzen, aufrecht, verschlossen und wie erstarrt. Hätte sie sich mit dem Tüchlein nicht immer wieder schnell die Augen getupft, so hätte man meinen können, eine traurige mamorne Statue vor sich zu haben, Andromache vielleicht, die verlassene Psyche oder auch die in den Hades verschleppte Persephone.

    "Leontia? Künd? Kü-hünd!" Behäbig stapfte Dido maior, Leontias gute alte Amme durch den Garten, bog um einen Rosenbusch und erblickte ihren Schützling. "Ah, mein liebes Künd, da bist du ja!", flötete sie, warf dem Musikanten zu Leontias Füßen nebenbei einen giftigen Blick zu, und streckte Leontia mit einem mütterlichen Lächeln eine versiegelte Pergamentrolle entgegen. "Es ist Post von daheim gekommen. Von deinem Papa, mein Schatz." - "Von Papa?" Leontia ließ überrascht das Stickzeug sinken - ihr Vater schrieb so gut wie nie Briefe - und griff erfreut und neugierig nach der Rolle. "Wie schön. Danke, Dido." Flink brach sie das Siegel, entrollte das Schriftstück, und begann, mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht, es leise murmelnd zu lesen...


    Ein Windstoß ging durch den Garten. Wie roséfarbener Schnee rieselten Mandelblüten von den Zweigen. Dido maior stand wartend und streng neben Leontia. Der Nubier hielt im Fächeln inne. Paris spielte eine leise, traumverlorene Melodie. Salambo schielte ihrer Herrin unauffällig über die Schulter, las lautlos mit, und ihre dunklen Augen weiteten sich unmerklich, Ausdruck stummen Schreckens - und einen Augenblick später wurde Leontias Miene ganz starr, das Lächeln verschwand als wäre es nie dort gewesen, und fassungslos starrte sie auf den Brief. "Nein. Das kann nicht sein...", flüsterte sie ungläubig. "Wie kann er denn ahnen, dass...?" Ihre schmalen Hände ballten sich um das Pergament, zerknüllten es mit Ingrimm, während sie aufsah, und zuerst Salambo ins Auge fasste, dann ihre Amme. "Wer von euch hat es ihm gesagt?"


    "Aber Künd, was ist denn nur in dich gefahren?", erkundigte sich Dido besorgt, Salambo dagegen sprach emphatisch: "Domina, ich bin dir treu ergeben!" Leontia nickte langsam, und fixierte Dido, als wolle sie sie mit ihren Blick durchbohren. "Geh, bevor ich mich vergesse!", sprach Leontia eisig, nur mühsam beherrscht. Die alte Sklavin zögerte, rang die Hände, schien noch etwas sagen zu wollen, und ergriff dann doch die Flucht, eilte hastig von dannen ohne sich noch einmal umzusehen. Als ihre plumpe Gestalt hinter den Rosenbüschen verschwunden war, atmete Leontia langsam und schwer ein, die Hände um den Brief gekrallt, mit bebenden Nasenflügeln und eisiger Miene. Salambo trat vorsichtshalber einen Schritt zurück... Und wie sie es erwartet hatte, ließ das Donnerwetter nicht lange auf sich warten.

    Leise Lyraklänge schwebten durch die laue Frühlingsluft. In voller Blüte stand der Garten, die leuchtenden Farben, die süßen Düfte und das leise Summen der Bienen mischten sich an diesem sonnigen Nachmittag zu einem lieblichen, ein wenig schläfrigen Idyll. Im Schatten des großen Mandelbaumes, und beschirmt von seinem ausladenden, von rosa Blüten schier überquellendem Geäst, erwartete Leontia ihren liebsten Vetter, mit dem sie sich an diesem herrlichen Tag zu einer kleinen Ludus-Latrunculorum-Partie verabredet hatte. Sie saß, in eine leichte zartblau-goldene Tunika gewandet, bequem in einem weißen Korbstuhl, hielt in den Händen einen großen ovalen Stickrahmen, und vertrieb sich die Zeit, indem sie mit flinken Fingern ein durchscheinendes Seidentuch mit einer phantasievoll verschnörkelten goldenen Blume bestickte.


    Ein anderer Korbstuhl, überreichlich mit weichen weißen Seidenkissen mit goldenen Trodeln ausgestattet, war noch leer und harrte ihres Vetters. Auf einem runden Mamortischchen waren einige ausgesuchte Erfrischungen bereitgestellt, und hinter Leontia standen zum einen ihre Leibsklavin Salambo, zum anderen ein wohlgestalteter Nubier, der ihr mit einem großen Wedel aus Pfauenfedern ruhig und stetig einen wohltuenden Strom frischer Luft zufächelte. Auf dem weichen Gras zu ihren Füßen saß der schöne Sklave Paris, die Lyra auf den Knien, und entlockte seinem Instrument einen Strom sanfter Klänge, deren exquisite Schönheit und Harmonie immer wieder ein feines Lächeln auf Leontias Züge zauberte. Ein blauschillernder Schmetterling gaukelte vorbei. Es war ein perfekter Tag.