Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Am nächsten Tag ging es weiter. Ab jetzt hatte ich keine Ahnung mehr, wie lange die Reise weitergehen würde oder wie die Gegenden aussehen konnten. Ich war nun auf meine neuen Freunde angewiesen.


    Wir zogen weiter nach Osten, bis fast an das Ende des Tals. Abends machte ich Notizen. Wir kamen noch zu einer kleiner Stadt, die wohl Osch geheißen wurde. Von hier aus ging es nach immer weiter hinauf, bis wir schließlich einen Pass zwischen schneebedeckten Bergen erreichten, der von den Einheimischen Irkeschtam genannt wurde. Der Wind war trotz der Jahreszeit kalt und ich war froh, in Alexandria Eschate warme Kleidung gekauft zu haben. Den Kamelen hingegen machte die Kälte im Gegensatz zu mir wenig aus. Doch schlimmer als die Kälte war die Luft. Sie schien dünner zu sein und das Atmen fiel mir schwer. Was hatte ich mir nur angetan? Ich sah zu Lì Dé, der auch mit der Luft zu kämpfen schien. Dann sah ich zu Arpan. Zu meiner Verwunderung sah selbst er erschöpft aus. Was hatte mich nur geritten, diese Reise anzutreten? Ich hätte nach Alexandria Eschate umkehren können. Immerhin war ich bereits monatelang unterwegs. Aber eine innere Stimme sagte mir, dass ich das Beste verpassen würde, wenn ich mich jetzt nicht zusammenreißen würde und weiterzöge. Ich musste das Land der Serer kennenlernen. Mein Freund Lì Dé sagte mir, dass die Serer das Land nach der herrschenden Dynastie Hàn nannten, manchmal aber auch Qín, was wohl eine frühere Dynastie war. Hinter diesem Gebirgszug würde es noch nicht beginnen, aber hinter einer Ebene, die darauf folgte. Ich musste es einfach sehen.

    Nach ein paar Tagen, in denen wir uns ausruhen und Kraft für den nach einhelliger Meinung schwierigsten Teil der Reise sammeln konnten, war der Abend vor der Abreise. Ich war mit Arpan in einer Taverne etwas essen. Mit ihm musste ich noch etwas besprechen.


    "Mein guter, treuer Arpan. Setz dich, wir müssen etwas Wichtiges besprechen."


    "Ja, Herr?" fragte er und schien zu rätseln, was so wichtig sein könnte, dass ich es in einem fast feierlichen Ton vortrug.


    Ich überreichte ihm eine versiegelte Bulle. "Hiermit lasse ich dich frei. Du sollst kein Sklave mehr sein. Zugleich heiße ich dich in der Gens Iunia willkommen, denn als Libertus bist du ein römischer Bürger und Teil meiner Gens."


    Arpan sah mich nur ungläubig an, also sprach ich einfach weiter. "Ich habe beschlossen, dich Marcus Iunius Firmus zu nennen. Ich hoffe, dass es dir nichts ausmacht. Auf Grund deiner treuen Dienste will ich dich von allen Pflichten eines Klienten befreien."


    Arpan konnte es noch nicht glauben. "Frei?" fragte er und sah verwirrt aus.


    "Ja, frei." Ich gab ihm noch einen Beutel voller Münzen. "Und du heißt jetzt Marcus Iunius Firmus, wenn du damit einverstanden bist."


    Er blickte auf die Bulle und dann auf den Beutel. "Wofür ist das?"


    "Damit solltest du es schaffen, in deine Heimat zurückzukehren. Du kannst dich mit den Leuten hier verständigen, es kann also nicht so weit sein. Freust du dich denn gar nicht? Und passt dir der Name?"


    Langsam schien Arpan zu realisieren, dass er nicht träumte. "Herr... das Geld... aber... aber..." Dann schien er zu realisieren, was ich noch gesagt hatte. "Welcher Name?"


    "Marcus Iunius Firmus."


    Arpan nickte, schien aber immer noch etwas geistig abwesend zu sein. "Ja, der passt mir. Danke."


    "Dafür brauchst du mir nicht danken." Ich beugte mich über den Tisch und klopfte ihm auf die Schulter. "Hast du dir verdient. Und, wie gesagt, deine Heimat scheint nicht fern zu sein. Kehre zurück nach Hause und lebe dein Leben." Dabei lächelte ich ihn an.


    Nun schüttelte er allerdings energisch den Kopf. "Herr, bei allem Respekt, meine Heimat ist Rom. Dort habe ich Freunde gefunden, dort gibt es Thermen, dort muss ich nicht dauernd durch die Steppe reiten."


    Ich zuckte mit den Schultern. "Auch gut, dann gehst du eben zurück nach Rom. Ich kann dir eventuell ein paar meiner Notizen mitgeben, dann habe ich weniger Material zu transportieren."


    Wieder schüttelte er den Kopf. "Nein, das werde ich nicht. Ich kann dich nicht alleine lassen. Du brauchst meine Hilfe."


    Nun war ich etwas verärgert. Wie konnte er mich für so unselbstständig halten? "Ich denke, ich schaffe das auch ohne dich. Jì Dé wird mich bis in seine Heimat mitnehmen. Also, was kann schon passieren? Er kennt sich hier sicher besser aus als du. Nutze deine Freiheit!"


    "Herr, ernsthaft, es gibt hier überall Gefahren. Außerdem mag ich dich. Du warst immer gut zu mir. Und ich habe geschworen, dich sicher nach Hause zurückzubringen."


    Jetzt war ich nicht mehr verärgert, sondern erstaunt. "Wann soll das gewesen sein? Ich kann mich nicht an einen solchen Schwur erinnern."


    "Ich schwor es den Göttern, als wir in Antiochia waren. In dem zweiten Antiochia. Da war ich näher an meinen Göttern."


    "Und warum sollten fremde Götter jemandem böse sein, der einen Schwur zu Gunsten eines Römers bricht?"


    "Herr, das ist nicht lustig. Einen Schwur zu brechen, kostet meine Ehre. Noch schlimmer ist es, wenn ich einen Schwur zu meinen Göttern breche."


    Da konnte ich ja nur schwer etwas gegen sagen. "Verstehe. Na gut, komm mit. Aber dann musst du dir dein Geld gut einteilen. Du bist jetzt ein freier Mann, da werde ich dich nicht dauernd verpflegen können."


    Wir unterhielten uns noch etwas über die Götter und die Welt, bevor wir wieder in die Karawanserei zurückkehrten, um am nächsten Morgen ausgeruht weiterreisen zu können.

    Da ich nun das Ende der Welt, die mir die Karte zeigte, erreicht hatte, beschloss ich, meinen Verwandten eine Mitteilung zu schicken. Also schrieb ich einen Brief.


    Ad

    Iunia Matidia

    Domus Iunia

    Mogontiacum

    Provincia Germania Superior

    Imperium Romanum


    Liebstes Schwesterchen,


    weder habe ich Ahnung, ob dich dieser Brief erreichen wird, noch weiß ich, wo ich sein werde, wenn dich dieser Brief erreicht. Dennoch schreibe ich, weil zumindest eine geringe Chance besteht, dass dieser Brief dich erreicht.


    Ich bitte um Verzeihung, dass ich abgereist bin, ohne mich von dir zu verabschieden. Aber diese Reise ist wichtig und ich wollte niemandem die Möglichkeit geben, mich umzustimmen. Wenn einem Apollo, Minerva und Mercurius einen Wink geben, dann sollte man das nutzen. Ich habe es genutzt und bin nun auf dem Weg nach Serica, wo die Seide herkommt. Ich muss dieses Land einfach sehen.


    Die Überfahrt über das Mare Nostrum war ereignislos, ebenso die Reise durch Parthien. Parthien ist oft sehr trocken, nur in Mesopotamien, in den Oasen und in den Bergen ist es grün. Doch die Wüste hat auch ihre Schönheit, die mir erst auf dieser Reise bewusst wurde. Doch bin ich nicht mehr in Parthien, sondern in Baktrien. Genauer gesagt bin ich, während ich diese Zeilen schreibe, in Alexandria Eschate, dem von Makedonien am weitesten entfernten aller Alexandrias. Hier endete das Reich Alexanders des Großen. Die Stadt liegt in einem Tal. Am Horizont erkenne ich rundherum hohe Berge. Wenn ich richtig trianguliere, sind diese mindestens so hoch wie die Alpen. Die Bevölkerung hier scheint einen skythischen Dialekt zu sprechen, doch ist Griechisch in Oberschicht und Verwaltung immer noch verbreitet.


    Ich habe mich mit einem Serer angefreundet, der als Händler bis an die parthische Grenze reist. Wir wollen gemeinsam bis in seine Heimat reisen. Es geht weiter nach Osten, über einen hohen Gebirgszug. Dahinter kommt laut meinem Freund noch eine große Wüste, und danach ein weiteres Gebirge, bevor Serica beginnt. Das klingt strapaziös, aber ich werde nicht umkehren, wo das Ziel zum greifen nah ist.


    Die Verpflegung ist leider nicht allzu üppig und die Strapazen zeigen auch bei mir Wirkung. Ich habe abgenommen, werde aber auch kräftiger. Außerdem übe ich täglich mit der Spatha, um den möglichen Gefahren gewachsen zu sein. Inzwischen bin ich recht gut in Übung, was das anbetrifft. Wer hätte das gedacht? Dein Bruder, der Jurist und Philosoph, ist nun auch ein Schwertkämpfer. Mit einem Gladiator würde ich mich dennoch nicht messen wollen, aber für die normalen Räuber reicht es, denke ich. Du musst dir aber keine Sorgen um mich machen. Ich reise in einer großen Karawane. Das allein schützt mich bereits gut vor Überfällen.


    Falls dich dieser Brief erreicht, bitte ich dich, auch unsere Mutter und Scato und Stilo herzlich von mir zu grüßen. Ich werde wohl noch lange unterwegs sein, aber ich verspreche, euch allen Geschenke mitzubringen. Wenn ich in Serica bin, werde ich versuchen, euch einen weiteren Brief zu schicken.


    Vale bene, liebe Schwester


    Siegel Aulus Iunius Tacitus Advocatus


    Während ich schrieb, fiel mir auf, wie sehr ich meine Schwester vermisste. Außerdem vermisste ich meine anderen Verwandten. Die Thermen und die römische Lebensart vermisste ich auch, wenngleich in geringerem Maße. Doch ich konnte jetzt nicht umkehren. Ich musste weiter. Es war ein Drang in mir, den ich nicht kontrollieren konnte.


    Den Brief gab ich einem Händler, der vertrauenswürdig schien und aus Indien kam. Dort wollte er ihn an andere Händler weitergeben, die in in einen Hafen bringen würden. Von dort aus sollte der Brief per Schiff nach Ägypten geschickt kommen und von dort aus mit dem Cursus Publicus weiter. Ich selbst war nun länger als ein Vierteljahr unterwegs und schon bald wäre ein halbes Jahr ins Land gezogen. Ich ging davon aus, dass der Brief ähnlich lange unterwegs sein würde. Wenn er in Germanien eintreffen würde, wäre ich wahrscheinlich schon in Serica.

    Die Reise führte uns durch Steppen und Flussläufe, durch Karawansereien und an kleineren Städten vorbei. Die Landschaft war karg und vereinzelt sahen wir Viehherden, vor allem Schafe und Ziegen. Schließlich erreichten wir den Oxus. Der Fluss führte gerade wenig Wasser, so dass wir leicht durch eine Furt kamen. Eine Gruppe Räuber wollte bei der Querung des Flusses einen Überfall versuchen, wurde jedoch durch unser entschlossenes Entgegenreiten in die Flucht geschlagen. Sie wollten wohl kein Risiko eingehen.


    Man sprach in dieser Gegend häufig Griechisch, aber dominant war eine andere Sprache, die mein Sklave Arpan gut zu verstehen schien. Er erklärte mir, dass es sich um einen skythischen Dialekt handelte. Zwar gab es Unterschiede zur Sprache seiner Kindheit, doch waren diese nicht gravierend genug, um ihn an der Verständigung zu hindern.


    Wir erreichten eine weitere Stadt, die nach der Karte, die ich mit mir führte, Marakanda hieß. Die Einheimischen nannten sie aber samar kand, was wohl 'steinerne Stadt' hieß. Die Stadt war gut befestigt, womit sie ihrem einheimischen Namen Ehre machte. Auch war sie weniger aus Ziegeln, als aus Stein erbaut. Doch vor allem war es eine Handelsstadt, die an dem Handelsweg zwischen den Serern und unserem Imperium lag. Der Flusslauf, der die Stadt nördlich umfloss, war zugleich die Wasserquelle für die Stadt und die sie umgebenden Felder. Die Größe dieser Stadt war recht ansehnlich.


    Ich besuchte zusammen mit einem Serer namens Jì Dé das Forum dieser Stadt, um ein paar meiner Waren zu verkaufen. Die Serer hatten Haut, deren Farbe mich an Bronze erinnerte. Ihre Haare waren tiefschwarz, wenngleich Jì Dé auch graue Strähnen hatte. Ihre Augen waren dunkel und mandelförmig. Jì Dé trug auch einen Bart, der sauber gestutzt war. Er war ein Händler, der in unserer Karawane reiste. Wir hatten uns ein wenig angefreundet. Praktischerweise sprach er ein wenig Koiné, was die Verständigung erleichterte. Er nutzte diese Sprache, um sich mit alteingesessenen und wohlhabenden Bürgern der hiesigen Städte zu verständigen, bei denen es sich wohl um Nachfahren der Soldaten Alexanders des Großen handelte. Wir hatten die Vereinbarung getroffen, dass ich Jì Dé und seinen Sohn Jì Mǐn in Koiné unterrichtete und im Gegenzug von ihnen die serische Sprache lernte. Das gesprochene Wort ihrer Sprache war einfach, doch die Schrift war ausgesprochen schwierig. Immerhin schrieben sie nicht in Buchstaben, sondern in Silben. Ich fragte mich, ob ich jemals diese Sprache gut beherrschen würde.


    Jì Dé half mir, einen guten Preis für einige meiner Waren auszuhandeln, bevor wir uns wieder zu unserer Karawane begaben. Auch riet er mir dazu, warme Kleidung zu kaufen. Dieses tat ich auch. Die Hosen waren ungewohnt und mit einem Mantel aus Fell war ich auch noch nie unterwegs gewesen, doch vertraute ich dem Urteil meines neuen Freundes.


    Wir verbrachten dort noch zwei Tage, bevor es weiter ging. Der Weg führte uns zunächst kaum merklich, dann doch bemerkbar bergaufwärts. Wir zogen über ein Mittelgebirge in ein weites Tal, dessen Verlauf wir nach Osten folgten. Je weiter uns der Weg führte, umso höher wurden die Berge, die sich auf beiden Seiten des Tals mit schneebedeckten Gipfeln abzeichneten. Schließlich erreichten wir eine Stadt, bei der es sich wohl um Alexandria Eschate handeln musste. Meine Karte endete hier mit einem hohen Gebirgszug im Osten, den ich aber so nicht ausmachen konnte. Eher lag das hohe Gebirge süd-südöstlich von hier. Das Tal war in Alexandria Eschate aber auch noch nicht zu Ende.


    Zu einem gewissen Grad erfüllte mich Stolz. Ich hatte den äußersten Punkt des Reiches Alexanders des Großen erreicht. Weiter als hierher war noch nie ein Bewohner des Mittelmeerraums gekommen. Zumindest niemand, von dem ich wusste.


    Sim-Off:

    "Imperium Cossanum" ist der lateinische Begriff für das Reich Kuschana; der "skythische Dialekt" ist das Baktrische; "Serer" ist der Begriff, mit dem die Römer und Griechen die Chinesen bezeichneten.

    Die Reise verlief ab Antiochia ad Orontes ereignislos. Sie hatte uns an Babylon mit seinen glänzenden blauen Ziegeln vorbeigeführt, die wie Wasser in der Sonne erschienen. Von dort aus ging es durch Parthien, über karge Berglandschaften und von Oase zu Oase und zu Städten an Flüssen, bis wir nun in einem anderen Antiochia ankamen. Die Oasenstadt Antiochia in Parthia, am östlichen Ende des einstigen Seleukidenreichs und jetzt das östliche Ende des Partherreichs. Das Partherreich grenzte hier an das Reich Kuschana. In dieser Stadt lebten vor allem Baktrer und zu meiner Überraschung sprach man hier wieder Koine, wenngleich mit einem mir unbekannten Akzent. Die Stadt war vor allem aus Lehmziegeln erbaut, doch wiesen einige Gebäude eindeutig griechische Architekturmerkmale auf. Wir betraten die Stadt und fanden Unterkunft in einer Karawanserei.


    Während ich diese Stadt gemäß meiner Karte als Antiochia in Parthia kannte, nannten die Einheimischen diese Stadt Marguš. Allerdings war in meiner Karte vermerkt, dass es sich um das einstige Alexandria Margiana handelte, was immerhin nach Marguš klang. Diese Stadt wurde aber laut Anmerkung in meiner Karte von Antiochos I. zerstört und neu gegründet. So waren sie halt, die Griechen. Ich konnte Marguš ich zwar nicht richtig aussprechen, jedoch hatte mein Sklave Hasdrubal, den ich inzwischen, so wie seine Eltern einst, Arpan nannte, keine Probleme mit der richtigen Aussprache.


    Auf dem Weg hierhin hatte ich mit ihm jeden Abend mit dem Schwert geübt und inzwischen war ich deutlich besser geworden, als ich es meines Erachtens jemals war. Arpan würde sicher auch einen guten Lanista abgeben. Es wirkte wohl auch abschreckend, so dass keiner unserer Begleiter es gewagt hatte, uns zu bestehlen.


    Der parthische Händler, der uns seit Antiochia am Oronthes mit seiner Karawane begleitete, hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt und sich deshalb das versprochene Talent Silber verdient. Er war nun deutlich reicher und ich deutlich ärmer. Aber das machte mir nichts. Vertrag war Vertrag. Nachdem sich der Parther verabschiedet hatte, mussten Arpan und ich einen neuen Landeskundigen finden, der uns weiter nach Osten bringen konnte. Jedoch fiel es mir schwer, Baktrer und Parther auseinanderzuhalten.


    Nach wenigen Tagen wusste ich, dass die Händler sich gerne zu großen Karawanen zusammenschlossen und zusätzlich Bewaffnete anheuerten, um sicher nach Osten zu kommen. Es gab wohl häufiger Überfälle. So fand ich auch heraus, dass momentan eine Karawane zusammengestellt wurde. Ich beteiligte mich finanziell am Schutz, wobei es auch gut ankam, dass ich mein Schwert nicht nur zu dekorativen Zwecken mit mir trug, sondern inzwischen recht gut handhaben konnte.


    Die verbleibenden Tage bis zur Abreise konnte ich dafür nutzen, um Antiochia in Parthia etwas mehr zu erkunden. Die Stadt war größer, als ich dachte. Vermutlich lebten hier kaum weniger Menschen als in Antiochia am Orontes. Das Erbe der Seleukiden, vielleicht sogar Alexanders des Großen, war in Teilen noch lebendig. Zugleich waren aber auch unübersehbar parthische Einflüsse vorhanden. Die Baktrer schienen den Parthern ähnlich, doch gab es auch teils deutliche Unterschiede, insbesondere in der Religion. Hier gab es einige Tempel und Gemeinschaften einer mir unbekannten Religion, in der sie einen gewissen Buddha verehrten. Ich sprach mit den Priestern dieses Gottes, nur um in Diskussionen feststellen zu müssen, dass dieser Buddha wohl doch kein Gott war, sondern eine Art Philosoph oder Halbgott, der aus Indien stammte. Sicher war ich mir darin aber nicht. Die Lehren ließ ich mir grob erklären und stellte fest, dass es Parallelen zum Stoizismus gab. Leider genügte die Zeit nicht, um einige der Schriften der Buddhisten zu kopieren, doch machte ich mir Notizen zu den Lehren. Als Philosophie erschien mir dieser Glaube durchaus interessant zu sein.


    Schließlich kam der Zeitpunkt, um weiterzuziehen. Wir waren eine Karawane mit fast 100 Kamelen. Auf Anraten der Händler verkaufte ich meine Dromedare und ersetzte sie durch zweihöckrige Kamele. Wir waren, inklusive mir und Arpan, acht Händler und zehn Wachen. Ich wäre gerne noch etwas länger in dieser Stadt geblieben, doch lag mein Ziel im Osten und es war wohl wichtig, rechtzeitig die Berge zu überqueren. Wenn man die Monsunzeit erreichte, würde das Wetter sehr unangenehm werden. Das wollte man nicht erleben, ließ ich mir sagen.


    Sim-Off:

    Bei Antiochia in Parthia handelt es sich um die Oasenstadt Merw, die ein wichtiger Ort an der Seidenstraße war.

    Nach einer – der Jahreszeit zum Trotz - ereignislosen Überfahrt von Ostia aus hatten wir den Hafen von Seleucia Pieriae erreicht. Dort hatte ich Kamele (die korrekterweise Dromedare genannt werden sollten) gekauft, um meine Waren und auch mich selbst und meinen Sklaven Hasdrubal zu transportieren. Von dort aus machten wir uns als kleine Karawane mit neun Kamelen, davon zwei Reitkamele für mich und Hasdrubal, auf den Weg nach Antiochia am Oronthes.


    Die Mauern waren beeindruckend, wenngleich nicht so beeindruckend wie die Mauern Roms. Die Stadt betraten wir über eine Brücke über den Oronthes, die in einem Stadttor endete. Nach der üblichen Befragung und Durchsuchung ging es in die Stadt. Von den Wachen hatte ich mir ein paar wertvolle Hinweise geben lassen und mich dafür großzügig gezeigt.


    Zu unserer Rechten stand das Stadion. Es war kleiner als der Circus Maximum, doch mit dem Stadion auf dem Campus Martius vergleichbar. Links von uns befanden sich Thermen und dahinter erhob sich der einstige Palast der Seleukidenherrscher. Die Fassaden schienen mir alle sehr neu zu sein. Jedenfalls waren sie besser in Stand gehalten als manches Gebäude Roms. Schließlich erreichten wir ein zweites Tor. Der Blick nach links offenbarte eine Straße, die in an einem Gebäude endete, welches ein Circus zu sein schien. Wir zogen aber weiter durch das Tor und landeten auf einer weiteren Brücke über den Oronthes. Mir wurde in diesem Moment klar, dass sich der Palast und die soeben gesehenen Gebäude auf einer Insel befunden haben mussten.


    Nun ging es an Thermen und danach an repräsentativeren Wohngebäuden vorbei, von denen einige mit Mörtel ausgebesserte Risse zeigten. Schließlich kreuzte unsere Straße eine weitere breite Straße, in die wir nach rechts einbogen. Es erstaunte mich, dass manche Gebäude sehr neu aussahen und andere wiederum Ausbesserungen zeigten. Schließlich entschloss ich mich, Passanten zu fragen, was es damit auf sich hätte. So erfuhr ich, dass vor einigen Jahren, als Divus Traianus hier weilte, ein Erdbeben die Stadt heimgesucht und große Zerstörungen angerichtet hatte. Nun verstand ich, was ich sah. Die neuen Häuser und Fassaden mussten eingestürzt gewesen sein und wurden deshalb neu errichtet, während die ausgebesserten Gebäude nur beschädigt worden waren und deshalb repariert werden konnten.


    Nachdem wir über einen runden Platz mit dem Nymphaeum gezogen waren und ein ganzes Stück später wieder Stadtmauern am Ende der Straße in Sicht kamen, sahen wir zu unserer Linken die Agora mit dem Tempel des Kapitolinischen Iuppiter. Ich suchte die rechte Straßenseite ab und erblickte schließlich die Herberge, die uns empfohlen worden war. Sie war definitiv nicht für ärmere Reisende und der Schutz, den sie für meine Waren versprach, war mir den Preis von einem halben Aureus für die Übernachtung wert.


    Am nächsten Morgen entschloss ich mich, zu frühstücken. Dort begegnete ich einem parthischen Händler, mit dem ich ins Gespräch kam. Wir diskutierten über Götter und die Welt, bis wir schließlich auf seine und meine Reise zu sprechen kamen. Er riet mir davon ab, durch Parthien zu reisen, weil mich die parthischen Händler als Konkurrenz empfinden würden. Auch seien Römer nicht überall gut gelitten nach dem letzten Krieg. Je mehr wir uns jedoch unterhielten, umso besser verstanden wir uns. Schließlich machte mir der Parther einen Vorschlag: Er würde mich durch Parthien bis an die Grenze nach Baktrien bringen, wenn ich dafür vor Iuppiter schwören würde, keine dauerhafte Konkurrenz für den Handel mit den Serern werden würde. Es sollte also meine einzige Reise mit Handelswaren sein. Gesagt, getan, begaben wir uns in den Tempel des Iuppiter und ich legte mein Versprechen ab. Danach mussten wir uns nur noch über eine angemessene Entschädigung einig werden. Bei einem Talent Silber waren wir uns schließlich einig. Das war vermutlich zu viel, aber dafür hoffte ich, nun einen landeskundigen Begleiter zu haben. Wir vereinbarten noch, dass ich nur Koine sprechen sollte und ich einen griechischen Namen nutzen sollte. Ich entschied mich für den Namen „Aristides“. Diesen hatte mir mein Lehrer am Museion gegeben.


    Hasdrubal war zwar nicht allzu begeistert und fürchtete um meine Sicherheit, doch beschloss ich, mein Leben und meinen Erfolg in die Hände der Götter zu legen und einfach auf den mir noch bis vor wenigen Stunden fremden Parther zu vertrauen.


    Da der Tag nun schon recht fortgeschritten war, übernachteten wir noch einmal in der Herberge und zogen schließlich am nächsten Morgen weiter nach Osten. Der Parther war der Führer einer Karawane von zwanzig Kamelen und drei Begleitern, was uns schon zu einer recht stattlichen Truppe machte. Wir zogen die ganze Hauptstraße entlang bis zur Porta Orientalis, von fast dem südlichen Ende bis fast zum nördlichen Ende der Stadt, was mir noch einmal die Größe Antiochias zeigte. Die Stadt musste ähnlich viele Einwohner haben wie mein geliebtes Alexandria. Langsam folgten wir der Straße in Richtung Beroea. Die Straße würde uns nach Osten führen, über Sura bis Dura Europos und Babylon und darüber hinaus.

    Die geplante Reise hatte ich gut vorbereitet. Vor allem hatte ich mich kundig gemacht, welche Waren wohl bei den Serern* und den anderen Völkern, auf die ich auf dem Weg dorthin treffen würde, gefragt waren. Die rote Koralle, wie sie vor Sardinien und Korsika wuchs, schien wohl recht beliebt zu sein. Edelmetalle waren auch beliebt, wenngleich sie ziemlich viel Gewicht mitbrachten. Interessanterweise schienen dünn gewebte Seide, in Purpur gefärbte Stoffe, sowie goldbestickte Tücher ebenfalls beliebt zu sein. Auch Zinn schien sich mit Gewinn verkaufen zu lassen. Mit diesen Waren wollte ich meine Reise finanzieren, indem ich sie unterwegs verkaufte. Den Rückweg wollte ich mit Waren bestreiten, welche ich im Land der Serer erwerben wollte.


    So entschied ich mich, eine Kamelladung Koralle, eine Kamelladung dünnen Seidentuchs, eine Kamelladung purpurn gefärbter Wolle, zwei Kamelladungen goldbestickter Tuche, wobei ich mich für florale Motive entschied, sowie eine Kamelladung mit Zinn und einige Talente Silber zu beschaffen. Außerdem hatte ich noch eine Kamelladung voll mit Tinte, Papyrusrollen und Pergament, um meine Reise schriftlich festzuhalten. Das alles hatte einen großen Teil meines Vermögens verschlungen, eigentlich fast alles. Wenn die Reise ein Erfolg werden würde, dann würde sich mein Einsatz vervielfachen. Falls nicht, könnte ich froh sein, am Ende überhaupt wieder als freier Mann in Rom anzukommen. Alles oder nichts.


    Natürlich war mir bei diesen Aussichten etwas bange, doch hatte ich mich entschieden. Ich musste es wagen. Noch war ich jung und hatte kaum Verpflichtungen. Wenn ich erst einmal älter wäre, könnte ich eine solche Reise nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren. Jetzt war der richtige Zeitpunkt.


    In einem Laden auf dem Campus Martius hatte ich mir eine Spatha gekauft, welche mich auf dieser Reise begleiten sollte. Ich hatte mir auch einen ehemaligen Gladiator, Hasdrubal, der in seiner Heimat einst Arpan hieß, als Sklaven gekauft, der mich im Kampf trainieren sollte, damit mich selbst zur Wehr setzen konnte. Zwar hatte mein Vater dafür gesorgt, dass ich trainieren musste, selbst am Museion. Doch war er damals fern gewesen und ich war am Schwertkampf nie so interessiert gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte, wenngleich ich zumindest eine solide Grundlage im Schwertkampf erworben hatte. Für Hasdrubal hatte ich entschieden, ihn spätestens in Baktrien freizulassen. Ob das nah an seiner sarmatischen Heimat war, konnte ich nicht beurteilen. Allerdings hatte ich für ihn ein Donativum eingeplant, mit dem ich ihm hoffentlich seine Heimreise ermöglichen würde. Jedoch hatte ich ihm das noch nicht mitgeteilt und würde es auch erst dann machen, wenn ich ihn freilassen würde.


    So waren wir nun mit jeder Menge Waren an Bord der einmastigen Corbita, deren Kapitän sehr freundlich zu uns war. Das lag sicher auch an der guten Bezahlung, mit der ich den sicheren Transport von mir, meinem Sklaven und den Waren gewährleisten wollte. Ich beobachtete die Besatzung beim Lösen der Taue und verspürte zugleich Fernweh und Heimweh. Ich hoffte, dass Matidia mir verzeihen würde, dass ich sie vermutlich für einige Jahre im Stich lassen würde. Doch war ich mir sicher, dass sie sich über die Geschichten, die ich danach zu erzählen hätte, freuen würde.


    Langsam verließen wir den Hafen und ich sah mir das Gewirr der Fracht-, Militär- und Fischerboote an. Es herrschte ein frischer Wind, der uns nach dem Verlassen des Hafens schnell Fahrt aufnehmen ließ. Langsam, aber stetig, wurden die Gebäude Ostias immer kleiner, bis schließlich nur noch der hohe Leuchtturm sichtbar war. Doch auch dieser wurde immer kleiner, bis er schließlich hinter dem Horizont verschwand. Auf der Backbordseite erstreckte sich von Horizont zu Horizont die Küste Italiens mit ihren vielen kleinen Fischerdörfern und den kleinen Hafenstädtchen. Mir gefiel dieser Anblick. Doch zugleich wurde mir bewusst, dass mich die Fahrt immer weiter von meiner Heimat, Rom, wegführen würde. Weiter, als ich jemals gereist war. Vielleicht sogar weiter, als jemals ein Römer gereist war.


    In den nächsten Tagen passierten wir Misenum und ich skizzierte den Blick auf den Feuerberg, der Herculaneum, Pompeii und andere Städte mit seiner Asche verschlungen hatte. Ich fragte mich, ob man nicht einmal graben könnte, um die Toten einem richtigen Begräbnis zuzuführen, doch kam mir schon bald der Gedanke, dass sie genau so begraben waren, wie Vulcanus sich das vorgestellt hatte. Und mit einem Gott anlegen wollte ich mich nicht.


    Nach weiteren Tagen passierten wir die Südspitze Italiens und drehten nach Osten, fuhren dann entlang der griechischen Küste und machten einen Stopp in Piraeus. Diesen Stopp hätte ich gerne genutzt, um mir Athenae anzusehen. Leider gab mir der Kapitän zu verstehen, dass wir dort nur übernachteten und am nächsten Morgen weiterfahren würden. So musste ich also mit meiner Koje vorlieb nehmen und die Polis ein anderes Mal besuchen. Am nächsten Tag ging es weiter in Richtung Zypern.


    Sim-Off:

    "Seres" war der römische Begriff für Chinesen

    Ein iunischer Sklave brachte diesen Brief zur Domus Annaea:


    Ad

    Lucius Annaeus Florus Minor

    Domus Annaea

    Roma


    Mein Patron,


    ich schreibe dir diesen Brief, weil ich mich auf eine Reise begebe und die Winde günstig sind, so dass mich der Kapitän zur Abfahrt drängt. Nach seiner Meinung beginnen bald die Winterstürme und dann komme ich nicht weiter. Auf eine Verabschiedung bei der Salutatio muss ich deshalb leider verzichten.


    In Mogontiacum habe ich nun eine lange Zeit bei meiner Familie verbracht. So weit sind alle wohlauf. Auch habe ich einen Cursus Iuris abgehalten, den zwar nur zwei Teilnehmer besucht haben. Diese waren aber sehr gute Studenten. Der eine ist ein Decurio der Ala I Aquilia Singularum mit Namen Publius Matinius Sabaco. Der andere ist dein Klient Nero Aemilius Secundus. Aemilius Secundus hat meiner Meinung nach durchaus das Potential, um ein guter Jurist und irgendwann einmal Praetor zu werden. Fehlende Wissenslücken im Rechtswesen konnten im Cursus Iuris geschlossen werden. Allerdings neigt er zu recht harten Urteilen. Juristisch habe ich aber nur wenig auszusetzen gehabt.


    Nun zurück zu mir und meiner Reise. Ich bin zwar seit kurzem wieder in Rom, will aber nach Osten reisen, da ich eine kommentierte Karte fand, die den Weg bis Alexandria Eschate beschreibt. Diesen Weg werde ich gehen und noch darüber hinaus. Das Land der Serer interessiert mich, vor allem die Herkunft der Seide. Es soll mein letztes großes Forschungsprojekt werden, bevor ich mir eine Frau suche und eine Familie gründe. Sozusagen mein Meisterstück zu Ehren des Museions, Roms und der Götter. Die Gefahren sind mir bewusst, ebenso die Dauer. Persönlich rechne ich mit etwa drei Jahren.


    Sollte ich nicht zurückkehren, hat mein Verwandter Sisenna Iunius Scato alle notwendigen Weisungen erhalten.


    Nun muss ich aber dringend mein Schiff erreichen.


    Ich verabschiede mich somit bei dir und hoffe, dir nach meiner Rückkehr ein schönes Geschenk aus fernen Ländern übergeben zu können.


    Mögen die Götter über dich und deine Familie wachen.


    Vale bene


    Siegel Aulus Iunius Tacitus Advocatus

    Nachdem ich den Cursus Iuris abgeschlossen und alle Vorbereitungen für meine geplante Reise abgeschlossen hatte - zumindest jene Vorbereitungen, die ich in Mogontiacum abschließen konnte, war es an der Zeit, abzureisen. Es war schon spät im Jahr und das Wetter würde sicher nicht besser werden. Es war also an der Zeit. Natürlich hätte ich bis zum Frühjahr abwarten können, aber ich war voller Neugierde auf ferne Länder und das Fernweh hatte mich gepackt.


    Es war noch dunkel und ich war der erste Iunier, der heute auf den Beinen war. Das war geplant, weil ich kein Freund großer Abschiede war. Ich hatte meinen Verwandten eine Notiz hinterlassen, dass ich mich auf eine wichtige Reise in den Osten begeben musste. Dass mit diesem "Osten" nicht der Osten des Imperiums gemeint war, sondern Länder jenseits davon, erwähnte ich absichtlich nicht. So konnte man auch deuten, dass ich ans Museion reisen würde oder an die östlichen Küsten des Mare Nostrum. Scato kannte die Wahrheit, aber der Rest meiner Verwandten, vor allem Matidia, musste es ja nicht erfahren. Sie würde sich da nur Sorgen machen.


    So packte ich meine Sachen auf mein Pferd und verließ die Domus Iunia. Ich führte das Pferd bis zur Via Borbetomaga und folgte dann der Straße, bis es dämmerte. Ab da ritt ich. Mein Weg würde mich zunächst nach Rom führen. Dort würde ich meine Reisevorbereitungen abschließen, denn in Rom gab es alles, was ich auch nur ansatzweise brauchen würde. Von dort aus würde es weitergehen nach Osten.

    Es war wirklich nicht neu für mich, dass ich mich um mich selbst kümmern musste. Vielleicht nicht so, dass ich eine Familie gründen würde - jedenfalls noch nicht. Aber um mich selbst kümmerte ich mich bereits am Museion. Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und drückte sie kurz.


    "Ehrlicherweise mache ich mir bei dir keine großen Gedanken. Du schaffst das, davon bin ich überzeugt. Erstens, weil du eine Iunia bist. Und zweitens, weil du du bist."


    Das war ehrlich gemeint.


    "Außerdem glaube ich, dass du die gleiche Neugierde hast, die auch ich habe, und die auch unsere Eltern hatten. Neugierde hilft, Neuem offen gegenüberzustehen. Und deine iunische Willenskraft wird dir helfen, sich an Neues anzupassen. Also, mach dir keine Gedanken. Wir werden unseren Weg machen."

    Das musste ich jetzt erst einmal verarbeiten. Matidia klang auf einmal so viel erwachsener, als ich meine kleine Schwester in Erinnerung hatte. Aber natürlich war sie jetzt auch eine junge Frau. Dennoch...


    "Also... rein juristisch gesehen haben wir beide noch Zeit. Die Lex Iulia et Papia fordert eine Eheschließung für Frauen ab dem zwanzigsten Lebensjahr und für Männer ab dem fünfundzwanzigsten."


    Gesetze gaben mir stets einen gewissen Halt, gerade wenn mich etwas überraschte, wie jetzt gerade meine Schwester.


    "Wobei du natürlich frei darin bist, einen Mann für dich zu suchen und ihn zu heiraten. Du bist sui iuris."


    Was natürlich auch nur eine juristische Feststellung war. Was mich anbetraf...


    "Für mich selbst werde ich die Frist ausnutzen, die mir das Gesetz gibt. Vielleicht sogar noch etwas mehr. Ich will erst eine Position erreichen, die mich zu einer guten Partie macht. Aber noch bin ich zu unbedeutend."

    Aufmerksam hörte ich meiner Schwester zu.


    "Die Barbaren werden sich wohl nicht über einen Besuch von neugierigen Römern freuen, nehme ich an?"


    Dann lachte ich, weil mir bewusst wurde, wie seltsam ich in einer Gegend ohne Zivilisation aussehen musste. Und wie wenige Fähigkeiten ich für ein Leben außerhalb der Zivilisation wahrscheinlich hatte.


    "Dann bleibe ich lieber auf dieser Seite des Rhenus. Ich bin ja nicht verrückt."


    Natürlich gab es auch Leute, die mich zumindest als leicht irre ansahen. Aber das verschwieg ich lieber.


    "Übrigens gibst du eine recht gute Stadtführerin ab. Und ich glaube, du hättest auch die Fähigkeit, anderen Unterricht zu erteilen. Nur so als Denkansatz."

    "Die zweite Sache ist für den Fall, dass ich in den nächsten zehn Jahren nicht zurückkehre und deshalb als tot anzusehen bin. Für diesen Fall habe ich sicherheitshalber eine Totenmaske anfertigen lassen. Kümmere dich in dem Fall darum, dass die Maske ihren Weg ins Lararium der Domus Iunia in Rom findet."


    Man merkte mir an, dass diese Planung wohlüberlegt war und mir dennoch nicht einfach fiel.


    "Und ich weiß, dass abergläubische Menschen das als schlechtes Omen ansehen würden. Das ist es aber nicht. Ich bin mir sicher, dass es im Sinne Minervas ist, vorbereitet zu sein."


    Nun zeigte ich ein sehr selbstbewusstes Lächeln.


    "Mit dieser Sicherheit, dass alles geregelt ist, kann ich meinen Verstand vollständig auf meine Reise und die Herausforderungen darin fokussieren. Das wird zum Erfolg führen. Außerdem sagen die Stoiker, dass unsere Wege vorbestimmt sind und wir nur begrenzten Einfluss haben. Also sind Erfolg oder Misserfolg der Reise bereits festgelegt."

    "Ich hoffe jedenfalls, dass es jeder vernünftig denkende Mensch irgendwann merkt."


    Natürlich implizierte das, dass nicht jeder Mensch vernünftig dachte.


    Matidias Stolz auf unsere Präsenz in Germanien freute mich, denn das würde ihr hier Halt geben. Ebenso freute es mich, dass sie hier viel lernte.


    "Man kann nie genug lernen."


    Dabei grinste ich verschmitzt.


    Zum Fluss musste ich ihr mangels Ortskenntnis folgen, aber das machte mir nichts. Im Gegenteil machte es mich stolz, dass sie sich hier gut auszukennen schien. Das zeigte, dass sie sich nicht im Domus Iunia abschottete, sondern aktiv die Stadt erkundete und dabei hoffentlich auch neue Menschen kennenlernte. Nur wenig war schlimmer als ungewollte Einsamkeit.


    Der Weg zum Ufer war kürzer, als ich dachte. Die Stadt war wirklich nicht allzu groß. Ich blickte über den Rhenus, der sich weit vor mir erstreckte. Zu meiner Linken sah ich die lange Brücke, die Mogontiacum mit der anderen Seite verband. Etwas dahinter, auf höherem Ufer, stand ein Castellum, soweit ich das erkennen konnte.


    "Die Brücke ist beeindruckend. Ich kann mir vorstellen, dass der Rhenus bei Hochwasser eine Herausforderung für das Bauwerk darstellt. Das ist sehr gute Ingenieurskunst."


    Den Stolz auf die römischen Ingenieure konnte man aus meiner Stimme heraushören. Dann zeigte ich auf einen Punkt etwas weiter das Ufer hinauf.


    "Das Castellum dort sichert die Brücke, damit wir hier keinen unliebsamen Besuch der Barbaren bekommen, nehme ich an? Hat es einen Namen?"


    Und dann schweifte mein Blick südwärts, über Sümpfe hinweg, bis ich bei einer Mündung verweilte.


    "Das dort ist der Moenus, oder?"

    "Das freut mich zu hören. Tüchtige Soldaten in den Grenzprovinzen sind überlebenswichtig für das Imperium. Schließlich verteidigen sie nicht nur die Grenzen, sie bauen auch Straßen, Aquädukte, öffentliche Gebäude und vieles mehr. Sie kommen ins Barbaricum und erschaffen Zivilisation. Die Zivilisation ist es, die den Barbaren die Lust auf Aufstände vergehen lässt. Man ist vielleicht nicht immer mit unserer Herrschaft einverstanden, aber auf fließendes Wasser, Thermen, Theater und all die anderen Annehmlichkeiten möchte man nicht verzichten. Der Kompromiss ist klar. Man akzeptiert die römische Herrschaft und hat dafür ein gutes Leben. Und man kann ja auch versuchen, das Bürgerrecht zu erlangen."


    Ja, ich war überzeugt von der Anziehungskraft der römischen Zivilisation.


    "Natürlich gibt es immer auch ein paar Uneinsichtige. Aber die Mehrheit fügt sich schon alleine wegen der zivilisatorischen Errungenschaften. Oder wie du es sagst: Man kann es hier aushalten."


    Dabei lächelte ich fröhlich, während ich die Basilica wieder verließ.


    "Wollen wir zum Fluss gehen?"

    "Rom ist besonders. Es gibt keinen zweiten Ort, der so ist."


    Gut, das traf auf fast jeden Ort zu.


    "Was ich meine, ist, dass Rom die zivilisierteste Stadt der Welt ist. Die Hauptstadt der Welt. Die Stadt, die ewig sein wird. Aber deshalb sollten wir nicht vergessen, auch das zu schätzen, was uns die Welt sonst noch bietet. Die Welt ist voller Wunder. Manche sind offensichtlich, andere muss man suchen. Vielleicht hast du die Wunder Mogontiacums noch nicht gefunden?"


    Dabei lächelte ich sie aufmunternd an, während wir in den Eingangsbereich der Basilica betraten. Ich wollte nur einen Blick in das Gebäude erhaschen, so dass ich keine Anstalten machte, weiter hineinzugehen.

    "Das klingt doch interessant. Das habe ich Ägypten auch gesehen. Dort wurde mit Serapis ein Gott verehrt, der sowohl hellenistisch, als auch ägyptisch war. Mit diesem Gott wurden beide Welten vereint und die Ägypter haben sich der Herrschaft der Griechen und dann unserer Herrschaft gefügt. Und letztlich weiß ja auch niemand, wie genau die Götter aussehen. Sie können sich nach Belieben verwandeln. Deshalb kann es durchaus sein, dass sie hier ihre Form anpassen und in einer Form erscheinen, die den Barbaren vertrauter ist, damit Frieden herrscht."


    Ob das stimmte, konnte ich nicht sagen.


    "Ich bin natürlich kein Pontifex, sondern nur ein einfacher Philosoph. Aber es erscheint mir logisch."


    Natürlich waren die Götter nicht immer logisch, aber zumindest bei Minerva konnte ich klare Logik annehmen.

    Zwar nahm ich wahr, dass ihr der barbarische Einfluss nicht unbedingt gefiel, doch war meine Neugierde geweckt.


    "Etwas anders, als in Rom? Das klingt doch interessant. Jedenfalls aus einer rein wissenschaftlichen Sicht."


    Während ich sprach, ging ich neben ihr her in Richtung der Basilica Germanica.

    "Vor allem finden wir dort eine Taberna, die ich schon vor meiner Reise reserviert habe. Es lohnt sich, die richtigen Leute zu kennen. Beispielsweise einen Mandanten, dessen Schwager zufällig für die Verwaltung der Tabernae in dieser Basilika zuständig ist."


    Ja, durch meine Tätigkeit als Advocatus kannte ich recht viele vermögende und einflussreiche Personen.


    "Allerdings kann ich sie noch nicht übernehmen, weil ich schneller hier angekommen bin, als erwartet. Welche Tempel gibt es hier eigentlich?"

    "Abgebrannte Ruinen sind super! Das ist wie in Rom."


    Dabei musste ich laut lachen, obwohl es sicher für die Bewohner der Insulae Roms, die öfter einmal abbrannten oder einfach so einstürzten, überhaupt nicht lustig war.


    "Ist das da die Basilica Germanica?"