Der Winter neigte sich langsam seinem Ende. Die Tage wurden wärmer und einige Nächte waren ohne Frost. An den ersten Pflanzen bildeten sich auch langsam Knospen. Ich selbst saß wieder bei Meister Cáo und diskutierte mit ihm und seinen Schülern über Philosophie. Die Diskussion wurde aber jäh unterbrochen, als Soldaten den Raum betraten und ein Spalier an der Tür bildeten. Wir standen alle auf und wendeten uns der Tür zu. Schließlich betrat ein schwarz gekleideter Mann den Raum. Die Attribute seiner Kleidung zeigten, dass er ein Beamter mittleren Ranges war. Er rief mit klarer Stimme, dass wir uns vor dem ehrenwerten Statthalter zu verneigen hätten. Ohne zu zögern verneigten wir uns alle in Richtung Tür, inklusive mir selbst.
Ich die Schritte einiger Personen, die den Raum betraten, und schließlich die Stimme von Prinz Jiénzĭ. "Ich danke für Eure Ehrerbietung, bitte erhebt Euch."
Nachdem wir alle aufrecht standen, sah ich, dass der Prinz von Soldaten begleitet wurde. Einer der Soldaten hielt ein serisches Schwert in beiden Händen, welches ihm nicht zu gehören schien. Auf ein Zeichen des Prinzen ging er auf mich zu und verneigte sich zwei Armlängen von mir entfernt, wobei er seine Arme leicht ausstreckte, so dass er mir das Schwert präsentierte. Während er das tat, sprach Prinz Jiénzĭ. "Yún Yiù, Ihr habt mir mit Eurem Schwert eine große Freude gemacht. Bitte gestattet mir, Euch mit diesem bescheidenen Erzeugnis unserer Schmiedekunst ebenfalls eine Freude zu machen."
Ich verneigte mich kurz und betrachtete die Waffe in den Händen des Soldaten, der starr wie eine Statue dastand. Griff und Scheide waren aus Rosenholz gefertigt. Knauf und Heft waren aus Bronze. Der Knauf war schlicht gehalten, während das Heft zwar eher klein war und die Hand nicht schützen konnte, aber ein Relief hatte, welches auf jeder Seite einen Tiger zeigte. Die Tiger hatten Augen aus Smaragden. Die Scheide war direkt am Heft mit einem bronzenen Relief, welches dein Rautenmuster zeigte, versehen und einmal ganz die Scheide umschloss. Ich vermutete, dass es dazu diente, das Holz zu schonen. Das nächste umlaufende Relief aus Bronze war etwa zweieinhalb palmi weiter und zeigte ebenfalls ein Rautenmuster. An ihrer Spitze war die Scheide komplett mit glatter Bronze verkleidet. Es war, bis auf die Tiger, eine schlichte, aber elegante Arbeit. Erneut verneigte ich mich und sprach. "Prinz Jiénzĭ, ich danke für die Ehre, doch lag es nicht in meiner Absicht, Euch zu einem Gegengeschenk zu nötigen. Das wäre zu viel, um es anzunehmen."
"Yún Yiù, Ihr habt mich zu nichts veranlasst. Ich beschenke Euch, weil es mir so gefällt. Außerdem habt Ihr noch nicht alles gesehen und vielleicht ist es ja gar kein so gutes Geschenk."
Das wagte ich zwar zu bezweifeln, aber ich erkannte den Hinweis. So ergriff ich mit einer leichten Verneigung mit beiden Händen das Schwert. Daraufhin ließ der Soldat los und ging ein paar Schritte zurück. Mich wieder aufrichtend betrachtete ich das Schwert genau. Mit der Spitze auf den Boden gestellt würde der Knauf etwas oberhalb meines Bauchnabels sein. Die Länge war perfekt. Ich zog die Waffe. Sie lag sehr gut in der Hand, der Schwerpunkt war nah am Heft. Trotz der eher schmalen Klinge war das Gewicht insgesamt mit einer Spatha vergleichbar. Allerdings lag das Schwert, das ich nun hielt, viel besser in den Händen. Mit Ausnahme der Schneiden, die etwa einen Viertel digitus breit waren, war mit feinem Golddraht ein Rautenmuster eingelassen. Zu wenig, um die Stabilität der Klinge zu beeinflussen, aber erkennbar genug, um die Klinge sehr ästhetisch aussehen zu lassen. Es war ein Kunstwerk, das zugleich auch kampftauglich zu sein schien. Ich verneigte mich erneut. "Ich kann das unmöglich annehmen. Diese Arbeit ist viel zu wertvoll für einen einfachen Gelehrten, wie ich es bin."
Nun sprach Prinz Jiénzĭ mit strenger Stimme. "Da Ihr mir keine andere Wahl lasst, befehle ich Euch, mein Geschenk anzunehmen."
Kurz sah ich auf, um mich dann tief zu verneigen. "Es ist mir eine Freude, Eurem Befehl zu folgen. Ich danke Euch, Prinz Jiénzĭ." Tatsächlich hatte ich hier noch nicht erlebt, dass man die Annahme eines Geschenks befahl. Aber vielleicht wollte er sicher gehen, dass ich kein gutes Argument der Ablehnung finden konnte. Während ich weiter verneigt dastand, hörte ich wieder Schritte, die nun den Raum verließen. Als ich mich erhob, war der Prinz mit seinem Gefolge gegangen.
Meister Cáo kam auf mich zu. "Das ist eine bemerkenswerte Klinge. Ich schlage vor, dass Ihr künftig nur noch damit übt, mein Freund. Es wird Euch bei Zeremonien schmücken und bei Euren Reisen beschützen." Dabei lächelte er freundlich.
"Das denke ich auch."
"Nun gut, nachdem der Meister Jién gegangen ist, können wir uns wieder unserer Diskussion widmen. Wo waren wir stehengeblieben?"
Ein Schüler fasste den Diskussionsstand zusammen und wir kamen schließlich ein ganzes Stück weiter auf dem Weg der Wahrheitsfindung. Als ich mich schließlich abends zurück zum Haus von Jì Dé begab, fiel ihm sofort die Waffe in meinem Gürtel auf. Ich musste sie ihm natürlich sofort zeigen und er wies mich darauf hin, dass er mir ja nach der Audienz gesagt hatte, dass mir der Prinz ein Schwert schmieden lassen würde. Zur Feier des Tages lud ich meinen Freund und seine Familie zum Essen in eines der besten Gasthäuser ein. Genug Erlöse aus meinen Waren hatte ich dabei. Auch Arpan wurde mit eingeladen, ebenso wie Cáo Qiáng. Cáo lehnte erwartungsgemäß ab, da er noch eine Empfehlung für den Prinzen verfassen musste. So war ich mit meinen engsten Freunden essen und hatte einen guten Ausklang für den Tag.