Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Der Winter neigte sich langsam seinem Ende. Die Tage wurden wärmer und einige Nächte waren ohne Frost. An den ersten Pflanzen bildeten sich auch langsam Knospen. Ich selbst saß wieder bei Meister Cáo und diskutierte mit ihm und seinen Schülern über Philosophie. Die Diskussion wurde aber jäh unterbrochen, als Soldaten den Raum betraten und ein Spalier an der Tür bildeten. Wir standen alle auf und wendeten uns der Tür zu. Schließlich betrat ein schwarz gekleideter Mann den Raum. Die Attribute seiner Kleidung zeigten, dass er ein Beamter mittleren Ranges war. Er rief mit klarer Stimme, dass wir uns vor dem ehrenwerten Statthalter zu verneigen hätten. Ohne zu zögern verneigten wir uns alle in Richtung Tür, inklusive mir selbst.


    Ich die Schritte einiger Personen, die den Raum betraten, und schließlich die Stimme von Prinz Jiénzĭ. "Ich danke für Eure Ehrerbietung, bitte erhebt Euch."


    Nachdem wir alle aufrecht standen, sah ich, dass der Prinz von Soldaten begleitet wurde. Einer der Soldaten hielt ein serisches Schwert in beiden Händen, welches ihm nicht zu gehören schien. Auf ein Zeichen des Prinzen ging er auf mich zu und verneigte sich zwei Armlängen von mir entfernt, wobei er seine Arme leicht ausstreckte, so dass er mir das Schwert präsentierte. Während er das tat, sprach Prinz Jiénzĭ. "Yún Yiù, Ihr habt mir mit Eurem Schwert eine große Freude gemacht. Bitte gestattet mir, Euch mit diesem bescheidenen Erzeugnis unserer Schmiedekunst ebenfalls eine Freude zu machen."


    Ich verneigte mich kurz und betrachtete die Waffe in den Händen des Soldaten, der starr wie eine Statue dastand. Griff und Scheide waren aus Rosenholz gefertigt. Knauf und Heft waren aus Bronze. Der Knauf war schlicht gehalten, während das Heft zwar eher klein war und die Hand nicht schützen konnte, aber ein Relief hatte, welches auf jeder Seite einen Tiger zeigte. Die Tiger hatten Augen aus Smaragden. Die Scheide war direkt am Heft mit einem bronzenen Relief, welches dein Rautenmuster zeigte, versehen und einmal ganz die Scheide umschloss. Ich vermutete, dass es dazu diente, das Holz zu schonen. Das nächste umlaufende Relief aus Bronze war etwa zweieinhalb palmi weiter und zeigte ebenfalls ein Rautenmuster. An ihrer Spitze war die Scheide komplett mit glatter Bronze verkleidet. Es war, bis auf die Tiger, eine schlichte, aber elegante Arbeit. Erneut verneigte ich mich und sprach. "Prinz Jiénzĭ, ich danke für die Ehre, doch lag es nicht in meiner Absicht, Euch zu einem Gegengeschenk zu nötigen. Das wäre zu viel, um es anzunehmen."


    "Yún Yiù, Ihr habt mich zu nichts veranlasst. Ich beschenke Euch, weil es mir so gefällt. Außerdem habt Ihr noch nicht alles gesehen und vielleicht ist es ja gar kein so gutes Geschenk."


    Das wagte ich zwar zu bezweifeln, aber ich erkannte den Hinweis. So ergriff ich mit einer leichten Verneigung mit beiden Händen das Schwert. Daraufhin ließ der Soldat los und ging ein paar Schritte zurück. Mich wieder aufrichtend betrachtete ich das Schwert genau. Mit der Spitze auf den Boden gestellt würde der Knauf etwas oberhalb meines Bauchnabels sein. Die Länge war perfekt. Ich zog die Waffe. Sie lag sehr gut in der Hand, der Schwerpunkt war nah am Heft. Trotz der eher schmalen Klinge war das Gewicht insgesamt mit einer Spatha vergleichbar. Allerdings lag das Schwert, das ich nun hielt, viel besser in den Händen. Mit Ausnahme der Schneiden, die etwa einen Viertel digitus breit waren, war mit feinem Golddraht ein Rautenmuster eingelassen. Zu wenig, um die Stabilität der Klinge zu beeinflussen, aber erkennbar genug, um die Klinge sehr ästhetisch aussehen zu lassen. Es war ein Kunstwerk, das zugleich auch kampftauglich zu sein schien. Ich verneigte mich erneut. "Ich kann das unmöglich annehmen. Diese Arbeit ist viel zu wertvoll für einen einfachen Gelehrten, wie ich es bin."


    Nun sprach Prinz Jiénzĭ mit strenger Stimme. "Da Ihr mir keine andere Wahl lasst, befehle ich Euch, mein Geschenk anzunehmen."


    Kurz sah ich auf, um mich dann tief zu verneigen. "Es ist mir eine Freude, Eurem Befehl zu folgen. Ich danke Euch, Prinz Jiénzĭ." Tatsächlich hatte ich hier noch nicht erlebt, dass man die Annahme eines Geschenks befahl. Aber vielleicht wollte er sicher gehen, dass ich kein gutes Argument der Ablehnung finden konnte. Während ich weiter verneigt dastand, hörte ich wieder Schritte, die nun den Raum verließen. Als ich mich erhob, war der Prinz mit seinem Gefolge gegangen.


    Meister Cáo kam auf mich zu. "Das ist eine bemerkenswerte Klinge. Ich schlage vor, dass Ihr künftig nur noch damit übt, mein Freund. Es wird Euch bei Zeremonien schmücken und bei Euren Reisen beschützen." Dabei lächelte er freundlich.


    "Das denke ich auch."


    "Nun gut, nachdem der Meister Jién gegangen ist, können wir uns wieder unserer Diskussion widmen. Wo waren wir stehengeblieben?"


    Ein Schüler fasste den Diskussionsstand zusammen und wir kamen schließlich ein ganzes Stück weiter auf dem Weg der Wahrheitsfindung. Als ich mich schließlich abends zurück zum Haus von Jì Dé begab, fiel ihm sofort die Waffe in meinem Gürtel auf. Ich musste sie ihm natürlich sofort zeigen und er wies mich darauf hin, dass er mir ja nach der Audienz gesagt hatte, dass mir der Prinz ein Schwert schmieden lassen würde. Zur Feier des Tages lud ich meinen Freund und seine Familie zum Essen in eines der besten Gasthäuser ein. Genug Erlöse aus meinen Waren hatte ich dabei. Auch Arpan wurde mit eingeladen, ebenso wie Cáo Qiáng. Cáo lehnte erwartungsgemäß ab, da er noch eine Empfehlung für den Prinzen verfassen musste. So war ich mit meinen engsten Freunden essen und hatte einen guten Ausklang für den Tag.

    Inzwischen war der Winter eingebrochen. Es gab kaum noch Niederschläge, doch wehte hin und wieder ein eisiger Wind. Obwohl die Temperaturen gar nicht so kalt waren, schienen sie durch den Wind deutlich kälter. Leichten Frost gab es dennoch. Und hin und wieder fielen ein paar Schneeflocken. Inzwischen sprach ich ein recht gutes Serisch und beherrschte auch die lokalen Sitten. Wäre nicht mein römisches Gesicht, würde ich wohl von den meisten hier als einer aus dem Reich Hán akzeptiert.


    Cáo Qiáng ließ mir auch Buch um Buch bringen, damit ich studieren konnte. Und ich las die Bücher nicht nur, sondern schrieb sie auch ab. So, wie die Originale, waren auch meine Abschriften auf Bambusstreifen geschrieben, die zusammengebunden wurden. Meine persönlichen Notizen aber schrieb ich auf etwas, das ich erst hierkennengelernt hatte. Es war ein Material, das eine seltsam weiche Haptik hatte, dem Pergament ähnlich, und doch anders. Es war weich und leicht gelblich. Das Material wurde aus Pflanzenfasern und wohl auch oft mit zusätzlichen Seidenfasern hergestellt und der Legende nach sollte es dem Material nachempfunden worden sein, aus dem Wespen ihre Nester bauten. Das Verfahren zur Herstellung hatte wohl ein Gelehrter den Wespen abgeschaut und verbessert. Man nannte dieses Material Zhōngguózhǐ, doch in meinen lateinischen Aufzeichnungen nannte ich es 'Papyrus sericus'.


    Die lokalen Speisen gefielen mir sehr gut, doch hielt ich mich zurück. Ich war ganz froh, dass ich auf der Reise abgenommen hatte und nun eher drahtig war. Das sah deutlich besser aus als mein leicht fülliges Selbst vor der Abreise. Die hiesige Kleidung gefiel mir auch zunehmend besser, da ich mich inzwischen daran gewöhnt hatte. Was ich wirklich vermisste, waren die Thermen. Natürlich badete man hier auch, aber zu Hause, im Privaten. Die Geselligkeit der Thermen mit den unzähligen Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, fehlte hier. Zwar konnte man auch in den Tabernae neue Menschen treffen, aber man nahm hier eben nicht so einfach Kontakte auf, wie in der ungezwungenen Atmosphäre der Thermen. Auch Theateraufführungen gab es nicht, so dass ich mich mit den Diskussionsrunden mit meinen Freunden zufriedengeben musste. Eine Ausnahme bestand in der Musik, die auf mir fremden Instrumenten gespielt wurde und in den Tabernae zur Unterhaltung beitrug. Das war nun anders, als in Rom, aber dennoch eine erfreuliche Bereicherung des Alltags. Meine Hauptbeschäftigung war aber weiterhin das Studieren der Texte, direkt gefolgt von den Übungen mit dem Schwert.

    In den nächsten Wochen traf ich mich häufiger mit Cáo Qiáng. Wir diskutierten die Philosophie der Stoa und die Philosophie des Kǒng Fūzǐ. Es gab Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Jedoch merkte ich, dass sich hierdurch mein philosophisches Weltbild schärfte. Dinge, die mir bei Kǒng Fūzǐ sinnvoll erschienen, nahm ich in meine Philosophie auf, so dass ich sicher eine recht einmalige Interpretation des Stoizismus annahm. Doch war ja auch das ein Sinn des Reisens. Die Synthese unterschiedlicher Philosophien zu etwas Neuem.


    Neben unseren Diskussionen hatte Meister Cáo einen seiner Schüler damit beauftragt, mir die Kunst des serischen Schwertkampfs beizubringen. Einerseits, weil ich gesagt hatte, dass ich mir hier ein neues Schwert holen würde und er der Meinung war, dass ich damit nicht angemessen umgehen könnte. Andererseits, weil der Umgang nicht nur beim Reisen nützlich wäre, sondern auch, weil nach Cáo Qiángs Meinung die tägliche Übung im Schwertkampf den Geist schulte. Es sollte mir helfen, mich zu konzentrieren und über Dinge nachzudenken, während ich gleichzeitig etwas Nützliches machte. Die Idee war gar nicht dumm und ich merkte bei den Übungen schnell, dass die serischen Schwerter vor allem zum Schneiden und Stechen genutzt wurden und Hiebe nicht wirklich zu dem Kampfstil der Serer passten. Das hölzerne Übungsschwert war recht schwer geraten, hatte aber einen sehr komfortablen Schwerpunkt nah am Heft. So konnte man die Waffe sehr kontrolliert führen. Mich überraschte auch die Eleganz und Sparsamkeit der Bewegungen, die vor allem darauf abzielten, die Klinge des Gegner mit minimalem Aufwand abzulenken und dann schnell und präzise einen Gegenangriff zu führen, so lange der Gegner verwundbar war. Ich würde noch viel üben müssen, aber ich hatte einen guten Lehrer.


    So übte ich jeden Tag bis zum Mittag den Schwertkampf, während ich Nachmittags mein Serisch verbesserte und die Schriften studierte, die mir Cáo Qiáng zur Verfügung stellte. Zunächst war eine Buchreihe mit dem Namen Lǐjì das Ziel meiner Studien. Hier ging es um Riten, Verhaltensweisen und Hofzeremonien. Ein paar der Riten kannte ich bereits, andere waren mir neu. Ich lernte aber auch sehr viel darüber, stets das rechte Maß zu wahren. Das schien überhaupt bei den Serern sehr wichtig zu sein: Weder zu viel, noch zu wenig. Stets das Maß der Mitte finden. Durch diese Regeln sollte Ordnung in der Gesellschaft erhalten werden. Aus der Ordnung sollte eine gute Gesinnung entstehen und aus der guten Gesinnung ein guter Staat. Die Idee war durchaus logisch nachvollziehbar. Zumal auch die Staatsführung den Regeln unterworfen war und sich ebenfalls daran halten sollte. Führung durch Vorbild. Danach erhielt ich ein Buch mit dem Namen Lún Yǔ, welches Gespräche des Kǒng Fūzǐ mit seinen Schülern enthielt. Auch dieses studierte ich eifrig.


    Durch das Studium der Schriften erkannte ich, dass diese Philosophie auf fünf Grundtugenden basierte: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Weisheit und Aufrichtigkeit. Ich erkannte hierin die Tugenden der Humantitas, Iustitia, Pietas, Honestas und teilweise Industria und Providentia wieder. Aus diesen Tugenden wurden drei Pflichten abgeleitet: Loyalität, vor allem gegenüber Höhergestellten, Folgsamkeit und Respekt gegenüber den Eltern, sowie die Wahrung von Anstand und Sitte. Dieses Moralgebilde sollte dann von unten nach oben wirken. Wenn sich jeder einzelne moralisch verhielt, wäre die Familie in Harmonie. Aus harmonischen Familien folgten harmonische Gemeinden, aus harmonischen Gemeinden harmonische Provinzen, aus harmonischen Provinzen ein harmonisches Reich, aus harmonischen Reichen eine harmonische Welt. Dieses Ganze sollte der Mensch stets erkennen und deshalb in all seinem Handeln das Wohl der ganzen Welt im Auge behalten. Das war nicht gerade wenig, was hier gefordert wurde, doch entsprach es dem, was mich der Stoizismus gelehrt hatte. Nur die Grundlagen unterschieden sich, doch die Konsequenzen waren sehr ähnlich. Teilweise erschienen mir die Konsequenzen hier auch radikaler, als im Stoizismus.


    Während ich mich den Studien widmete und mindestens so viel Zeit bei Cáo Qiáng verbrachte, wie bei Jì Dé, verbrachte Arpan nun die meiste Zeit im Tempel der Buddhisten. Es schien ihm einen inneren Frieden zu geben, den er anscheinend gesucht hatte, seit er die Arena als befreiter Gladiator verlassen hatte. Vielleicht hatte das Töten bei ihm Spuren hinterlassen, die er nun zu korrigieren strebte. Ich freute mich für ihn, wenn es ihn zu einem zufriedeneren Menschen machte.

    Schließlich erreichten wir das Haus des Cáo Qiáng. Es war bunt bemalt und hatte zur Straße einen Empfangsraum, der größer war als die Wohnung der einfachen Menschen in mancher Insula in Rom. In dem Empfangsraum saß eine bewaffnete Wache hinter einem Schreibtisch, die ein echter Soldat zu sein schien. Über einen Innenhof, der als Garten mit Bäumen und Blumen gestaltet war, gelangten wir schließlich in die eigentliche Empfangshalle. Dort saß ein Mann in seinen Vierzigern an einem Tisch und schien Texte zu verfassen, während mehrere Jugendliche davor auf dem Boden saßen und Texte studierten.


    Der Schüler, der mich begleitete, verneigte sich und ging dann zu dem Mann am Schreibtisch. Dort wartete er, bis dieser das Wort an ihn richtete. Dann flüsterte er kurz etwas und winkte mir dann zu. Ich ging bis kurz vor den Schreibtisch und verneigte mich.


    "Der ehrenwerte Yún Yiù. Danke, dass Ihr meine Einladung angenommen habt. Bitte, setzt Euch."


    Der Schüler brachte schnell ein Kissen, auf dem ich mich niederließ.


    "Ihr seid dann der ehrenwerte Cáo Qiáng, nehme ich an? Es freut mich, Euch kennenzulernen."


    Der Mann hinter dem Schreibtisch verneigte sich. In der Zwischenzeit brachte ein Schüler eine Kanne mit einem Getränk, das ich in Rom schon einmal gekostet hatte. Tee. Dann servierte er auch zwei Tassen aus heller, dünner Keramik und goss in beide Tassen Tee. Zuerst bei seinem Meister, dann bei mir.


    "Prinz Jiénzĭ hat mich über Eure Anwesenheit informiert. Er sagte mir auch, dass Ihr ein Gelehrter seid und hier Euer Wissen erweitern wollt. Ich muss sagen, dass es mich erstaunt, dass Ihr den weiten Weg von Daqín bis hierher auf Euch genommen habt, nur um zu lernen." Cáo Qiáng lächelte dabei höflich, doch merkte ich, dass seine Augen nicht mitlächelten. Er schien mir nicht zu trauen.


    "Nun, wenn Ihr gestattet, mich zu erklären: Ich bin nicht wie alle anderen Menschen. In meiner Familie sind eher außergewöhnliche Menschen. Dort, wo andere das Risiko scheuen, ergreifen wir die Chance, etwas von Bedeutung zu leisten." Während ich sprach, beobachtete ich ihn genau. "Das geht nicht immer gut, aber so ist es eben mit dem Schicksal. Manche warten ein Leben lang darauf, dass ihnen das Schicksal zeigt, was sie zu tun haben. Und andere, so wie ich, ergreifen die Initiative im Vertrauen darauf, dass jede ihrer Handlungen genau die ist, die das Schicksal für sie vorgesehen hat."


    "Aber ist es nicht so, dass man sich seinen Platz nicht selbst erkämpfen soll? Sollte der Edle nicht danach streben, bescheiden zu sein und es anderen zu überlassen, seine Eignung zu erkennen, anstatt die Initiative zu ergreifen?"


    Ich dachte über das Gesagte nach. "Sich selbst in den Vordergrund spielen, ist nicht das, was ein Philosoph anstreben sollte. Doch sich selbst stetig verbessern und immerzu lernen, das ist die wichtigste Eigenschaft des Philosophen. Wenn sein Wissen ohne sein Zutun bekannt wird und seine Dienste von anderen begehrt werden, dann soll das nicht auf seiner Initiative beruhen."


    "Ihr kennt die Schriften von Meister Kǒng?"


    "Nein," sagte ich lächelnd, "aber wenn das eine seiner Aussagen ist, dann scheinen die Lehrer der Stoa und er zum gleichen Ergebnis gekommen zu sein."


    Cáo Qiáng machte sich eine Notiz. "Und was haltet Ihr davon?"


    "Ich denke, dass es natürlich erstrebenswert ist, so viel von der Welt zu verstehen, dass einem automatisch die Aufmerksamkeit der Menschen zuteil wird. Doch manchmal ist es für die Menschen nützlicher, wenn man sich selbst in eine Position bringt, in der Mächtigere auf einen aufmerksam werden und die Fähigkeiten, die man hat, zum Wohle der Menschen einsetzt." Ich pausierte nur kurz, um meinen nächsten Satz zu formulieren. "Doch soll man sich nicht aufdrängen. Wahrgenommen werden bedeutet, sich ins Sichtfeld zu bewegen. Gesehen und erkannt werden muss man von anderen. Das soll man nicht erzwingen."


    Meister Cáo trank einen Schluck Tee und deutete mir, ebenfalls einen Schluck zu nehmen, doch winkte ich höflich ab.


    "Ihr meint also, wenn der Edle sich abseits der Menschen bewegt, so dass sie ihn nicht finden können, ist sein Talent verschwendet?"


    "Nun... nein." Die Frage war schwierig, zumal mein Serisch noch nicht so sattelfest war, dass ich ohne nachzudenken antworten konnte. "Verschwendet ist das falsche Wort. Nicht genutzt ist ein besserer Begriff."


    Cáo deutete wieder an, dass ich von meinem Tee trinken sollte, und ich winkte wieder höflich ab.


    "Ist nicht nutzen denn keine Verschwendung?"


    Während ich nachdachte, wurde meine Mimik zwangsläufig kühl und rational, so dass mein Lächeln verschwand. Meister Cáo schien das zu bemerken, aber mir nicht übel zu nehmen. Und er ließ mir die Zeit, meine Gedanken zu ordnen und die richtigen Worte zu finden. "Wenn ich ein Schwert an die Wand hänge und nicht damit kämpfe, dann nutze ich es nicht. Es ist aber keine Verschwendung. Es gibt eine Zeit der Übung und eine Zeit des Kampfes. Aber es gibt auch eine Zeit, in der man nichts von beidem tut. Das ist aber keine Verschwendung."


    Cáo nickte. "Ich glaube, Euch zu verstehen, Yún Yiù. Verschwendung ist es also nur dann, wenn die rechte Zeit zur Verwendung gekommen wäre, man es dann aber nicht verwendet. So also auch der Edle. Wenn es an der Zeit ist, ihn zu verwenden, soll er zur Verfügung stehen. Doch zu anderer Zeit kann er sich anderen Dingen widmen. Ist es so?"


    Das war jetzt in einem Serisch formuliert, dem ich erstmal folgen können musste. So dauerte es ein wenig, bis ich die Worte erfasste. "Ja, so sehe ich das."


    Cáo Qiáng lächelte. Diesmal war es ein ehrliches Lächeln. Das Eis schien gebrochen. "Ihr seid wahrlich ein Gelehrter. Und was meint Ihr, ist es nicht der rechte Zeitpunkt, einen Tee zu trinken, wenn man beisammen sitzt und über Philosophie diskutiert?"


    Beinahe hätte ich gelacht, doch ich konnte es bei einem Lächeln belassen. So hatte man mir auch noch kein Getränk angeboten. "Dem kann ich nicht widersprechen."


    So hoben wir beide unsere Tassen und jeder trank einen Schluck Tee. Er war bitter und doch aromatisch. Anders als der Tee, den ich in Rom getrunken hatte. Meiner Meinung nach war der Tee hier besser.


    "Über unsere Sitten werden wir wohl nicht reden müssen. Immerhin wisst Ihr genau, dass man am Anfang ablehnt, aber auch nicht zu oft ablehnen soll. Ist das in Eurer Kultur auch üblich?"


    "Nein. Jedenfalls nicht so, wie hier."


    "Erzählt mir von Eurer Kultur. Sie interessiert mich."


    Also erzählte ich ihm von römischer Kultur und Lebensweise. Von Straßen, Theatern, Thermen und Aquädukten. Auch vom Amphitheatern, die ihm jedoch sehr barbarisch erschienen, obwohl ich ihm erklärte, dass Gladiatoren uns die Tugenden von Mut, Kampfkraft und Tapferkeit bis in den Tod vor Augen führten. Dazu erzählte ich ihm von unseren Göttern und wie wir ihnen im Alltag begegneten. Das wurde dann zu einer Diskussion, in der wir die Unterschiede und Gemeinsamkeiten unserer Kulturen herausarbeiteten. Schließlich wurde es so spät, dass ich noch zum Essen eingeladen wurde und wir bei der gemeinsamen Speise weiterdiskutierten, bis es schließlich so spät war, dass Meister Cáo mir ein Gästezimmer anbot, damit ich hier übernachten konnte.


    Am nächsten Morgen diskutierten wir bei einem Frühstück weiter, das hier eine bedeutende Mahlzeit war. Ganz anders, als in Rom. Auch darüber diskutierten wir. Schließlich wurde ich von einem von seinen Schülern zum Haus von Jì Dé gebracht, der bereits am Abend über meine Übernachtung bei Meister Cáo informiert worden war. Zuvor jedoch vereinbarten wir, uns mindestens einmal in der Woche zu treffen, um weiter Wissen auszutauschen.

    Die nächsten Wochen waren für mich ohne Verpflichtungen, so dass ich mir die Stadt ansehen konnte. Die Stadtmauer war für eine größere Stadt angelegt, doch sorgte der zusätzliche Platz dafür, dass kleinere Parks angelegt werden konnten. Es gab verschiedene Stadtviertel, die zum Teil mit eigenen Mauern eingefasst waren. Diese Mauern waren aber nicht so mächtig wie die Stadtmauern. In der Stadt gab es ein Castrum, in dem sowohl Fußtruppen, als auch Berittene untergebracht waren. Tempel waren oft nur dadurch von größeren Verwaltungsgebäuden zu unterscheiden, weil man entweder durch ein Tor und einen kleinen Garten zu ihnen kam, oder weil man die Bezeichnung lesen konnte - wenn man denn der serischen Schrift mächtig war. Immerhin konnte ich täglich mehr Schriftzeichen lesen und auch mehr Wörter sprechen.


    Es gab auch einen neuen Tempel, der so aussah, als wären mehrere Gebäude aufeinander gestapelt. Dabei war das jeweils höhere Gebäude ein wenig kleiner, als das drunter liegende. Dieser Tempel wurde von den Anhängern des Buddha genutzt. Sie nannten ihn Stupa, was wohl aus der indischen Sprache kam. Die Einheimischen hatten verschiedene Bezeichnungen, doch bei den meisten war es einfach nur 'Tempel' oder 'Tempelturm'. Mein Freund Arpan verbrachte dort viel Zeit, während ich mich vor allem in den Gasthäusern aufhielt, um bei einigen Tassen Tee den Gesprächen der Anwesenden zu lauschen oder mich selbst mit Fremden zu unterhalten. So lernte ich die Sprache. Jì Dé kümmerte sich vor allem um seine geschäfte, so dass er mich nur selten begleitete.


    Inzwischen fiel ich, zumindest, was die Kleidung anbetraf, nicht mehr auf. Jì Dé hatte mich zu einem Schneider gebracht, der mir Kleidung herstellen sollte, die eines Gelehrten würdig war. Anscheinend waren Gelehrte hier hoch angesehen und in der Regel in gut bezahlten Positionen. Das erkannte ich an der Kleidung, die ich erhalten hatte. Zwei Sätze Unterkleidung aus ungefärbter Seide. Jeder Satz bestand aus einer langen Hose mit weiten Beinen, die man oben mit angenähten Bändern festziehen konnte, und einer Jacke mir eng anliegenden Ärmeln. Die Jacke überlappte vorne und wurde zunächst innen mit zwei Bändern fixiert und dann noch einmal außen. Darüber trug ich ein bodenlanges Gewand aus heller Seide mit floralen Stickereien aus blauer Seide. Die Ränder waren blau mit hellen Mustern. Die Ärmel waren weit und ohne entsprechende Ränder. Dieses Gewand wurde ähnlich wie die Jacke fixiert. Hinzu kam aber noch ein handbreiter Gürtel aus recht dickem Stoff, der mit blauer Seide überzogen war, der am Rücken mit Bändern zusammengebunden würde und ebenfalls mit Stickereien, vor allem vorne, verziert war. Dazu kam noch ein zweites Gewand, das ähnlich geschnitten war, aber aus dunkelblauer Seide ohne Verzierungen bestand und mit einem ebenso wenig verzierten Gürtel. Außerdem hatte ich eine Kopfbedeckung aus schwarzer Seide erhalten, die im Prinzip nur eine einfache Kappe war. Komplettiert wurde alles durch drei paar Schuhe aus Seide mit dicken Ledersohlen. Das erste paar war weiß, das zweite dunkelblau und das dritte aus ungefärbter Seide. Dafür war das dritte paar aber zusätzlich mit dickerem Stoff gefüttert. Außerdem hatte ich noch eine weitere, eng anliegende, Hose aus feinem Stoff, der aber keine Seide war, eine entsprechende Jacke als Unterkleidung und ein weiteres Gewand aus dem gleichen Stoff, das aber nicht ganz so lang war, wie die Übergewänder. Diese Kleidungsstücke, die nicht aus Seide waren, sollten im Winter als zusätzliche Kleidungsschichten Wärme spenden.


    Momentan war es aber noch angenehm mild und deshalb keine Winterkleidung nötig. So war ich meistens in der hellen Kleidung unterwegs. Da es doch die am häufigsten von mir getragene Kleidung war, hatte ich die gleiche Kleidung noch einmal bei dem Schneider bestellt, inklusive einem weiteren paar Schuhe.


    Man merkte, dass die Tage und Nächte kühler wurden, doch noch war es angenehm. Stärker bemerkte man den Herbstbeginn durch häufige Regenfälle, die auch mal stärker sein konnten. Hier waren die ausladenden Dächer ziemlich praktisch und wahrscheinlich auch notwendig. Irgendwie gefiel mir die Stadt, zumal Höflichkeit hier sehr wichtig war und alle nicht nur mit mir, sondern auch miteinander, stets sehr respektvoll umgingen. Das war in Rom nicht immer so. Andererseits hatte ich mich hier bisher auch noch nicht in die wirklich schlechten Viertel verirrt. Das wollte ich als komplett in Seide gekleideter Mann aber auch nicht. Seide war hier zwar deutlich günstiger, als in Rom. Dennoch konnten sich auch hier nur Kaufleute, wohlhabendere Handwerker, Beamte und Adlige Seide leisten. Bei den Beamten war ich aber nicht sicher, ob diese ihre Amtskleidung selber bezahlen mussten.


    Da es wieder einmal regnete, suchte ich in einer Taberna Unterschlupf und trank eine Tasse Tee. Als der Regen weniger wurde, kam ein junger Mann auf mich zu und verneigte sich.


    "Ehrenwerter Yún Yiù, mein Meister, Cáo Qiáng, lädt Euch ein, mit ihm über Philosophie zu diskutieren," sprach der junge Mann.


    Da ich inzwischen etwas über die hiesigen Sitten, vor allem der Oberschicht, gelernt hatte, wusste ich, wie ich mich zu verhalten hatte und erwiderte eine leichte Verneigung. "Der ehrenwerte Cáo Qiáng ist sicher ein bedeutender und hochgelehrter Mann. Ich hingegen bin nur ein einfacher Mann, deshalb bitte ich um Verzeihung, doch ich bin der Einladung deines Meisters unwürdig."


    Der junge Mann verneigte sich erneut. "Ehrenwerter Yún Yiù, Ihr seid weit gereist und habt viel von der Welt gesehen. Allein das macht Euch zu einem gefragten Gesprächspartner. Mein Meister wäre hocherfreut, Euch zu sehen."


    Wieder verneigte ich mich leicht. "Junger Herr, weit gereist sind auch viele Händler. Das allein ist kein Verdienst, mit dem es sich geziemte, sich zu schmücken. Euer Meister würde nur seine Zeit mit mir verschwenden."


    Noch einmal verneigte sich der junge Mann. "Eure Bescheidenheit ehrt Euch, Yún Yiù, doch hat mein Meister vernommen, dass Ihr nicht als Händler, sondern als Gelehrter hierher gereist seid. Er wäre geehrt, wenn Ihr Euch mit ihm austauschen würdet. Ich muss Euch deshalb bitten, die Einladung meines Meisters anzunehmen."


    Nun erhob ich mich aus meinem Stuhl und richtete meine Kleidung. "Da ich Euch nicht überzeugen konnte, Eures Meisters unwürdig zu sein und ich weder Euch, noch Euren Meister, beschämen möchte, werde ich seiner Einladung folgen."


    Der junge Mann verneigte sich noch einmal und deutete mir, ihn zu begleiten. Nachdem ich meinen Tee bezahlt hatte, verließen wir zusammen die Taberna.

    Ohne mich umzuziehen nahm ich mein Schwert und wir begleiteten die Wachen zum alten Kaiserpalast, in dem nun der Statthalter residierte. Von der Stadt, die wir durchquerten, nahm ich nur wenig wahr. Das lag daran, dass ich mir mehr Gedanken darum machte, was für ein Mensch der Statthalter war, aber auch daran, dass es langsam dunkel wurde. Am Haupttor zum Palast wurde ich höflich darum gebeten, mein Schwert abzugeben. Natürlich folgte ich dieser Bitte, kannte ich doch ein ähnliches Vorgehen beim Betreten des Palatins. Wir wurden über einen großen Hof die Stufen hinauf zu einer großen Halle geleitet, wo wir zunächst warten mussten. Jì Dé erklärte uns, wie tief die korrekte Verneigung zu sein hatte und dass wir nur das Wort ergreifen sollten, wenn man uns ansprach. Auch erklärte er uns, dass er selbst noch nie so nah an den Statthalter herankam.


    Schließlich ließ man uns eintreten. Ich ging drei Schritte in die Halleund verneigte mich in der Art, wie es mir Jì Dé gezeigt hatte, so tief, dass mein Oberkörper fast im rechten Winkel zu meinen Beinen war.


    "Statthalter, wir danken für die Ehre Eurer Einladung." Meine Sprache war deutlich und ich hoffte, alles richtig ausgesprochen zu haben. Während ich sprach, verharrte ich in meiner Verbeugung. Es fühlte sich komisch an, sich zu verbeugen, vor allem so tief. Immerhin war ich ein Römer. Aber hier, fernab von Rom und in einer anderen Kultur, erschien es mir dennoch irgendwie richtig.


    "Bitte, tretet vor und erhebt euch." Der Statthalter sprach mit einer tiefen, freundlichen Stimme. Als ich mich wieder aufrichtete, betrachtete ich ihn aufmerksam. Seine dunkle Kleidung schien aus Seide zu sein. Sein Gesicht war schmal und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Sein Bart wurde langsam grau. Seine Haare verbargen sich unter einer dunklen Mütze.


    Nachdem wir ein paar Schritte hervorgetreten waren, stoppten wir drei Schritte vor den Stufen, die zum Thron des Statthalters hinauf führten.


    Der Statthalter betrachtete uns ebenso aufmerksam, wie ich ihn betrachtet hatte. Arpan stand einen Schritt hinter mir, ebenso Jì Dé. Damit war ich dann wohl der Hauptansprechpartner.


    "Gestattet mir, mich vorzustellen, ich bin Liú Jié, ein Verwandter des Sohns des Himmels und der Statthalter dieser Stadt. Ihr dürft mich als 'Prinz Jiénzĭ' ansprechen. Wie darf ich euch nennen?"


    "Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Prinz Jiénzĭ." Ich verneigte mich noch einmal, nachdem ich diesen Satz gesagt hatte, richtete mich danach aber wieder auf. "Mein Name ist Aulus Iunius Tacitus. Ich bin ein Gelehrter aus Rom, welches ihr Daqín nennt. Zu meiner Rechten seht Ihr meinen Freund Arpan, aus Skythien. Er ist zugleich mein Beschützer. Zu meiner Linken seht Ihr meinen Freund Jì Dé, einen Kaufmann, dem ich auf meiner Reise begegnete. Er war so freundlich, mich zu Euch zu begleiten. Mein Chinesisch ist leider nicht sehr gut. Jì Dé wird deshalb übersetzen, wenn mir die richtigen Wörter nicht einfallen."


    "Aulù Yún Yiù…" Prinz Liú zuckte leicht mit den Schultern. "Ich darf Euch Yún Yiù nennen?"


    Ich lächte höflich. "Gerne."


    Der Prinz nickte kurz. "Euer Freund, Er Pá. Und der Kaufmann Jì Dé, sehr schön, von ihm habe ich bereits gehört. Nun, Yún Yiù, was treibt einen Gelehrten nach Cháng'ān?"


    "Neugier?" Fragte ich, was der Prinz mit einem leichten Grinsen quittierte. "Ganz ehrlich, über die Länder, die Alexander der Große erobert hatte, ist viel bekannt. Aber die enden noch vor Shūlè. Alles, was östlich davon liegt, kennen wir nicht. Wir wissen, dass die Seide von hier kommt. Wir wissen auch, dass manche Gewürze und Aromen von hier kommen. Aber sonst wissen wir nichts, nicht einmal, wie die Menschen hier aussehen. Das musste ich ändern. Wenigstens ich wollte es wissen."


    Der Prinz hörte aufmerksam zu. "Und warum gerade Ihr? Hat Euch Euer Kaiser geschickt? Die Reise ist sicher nicht einfach gewesen. Unser Feldherr Bān Chāo hatte vor einer Generation eine Gesandtschaft nach Westen geschickt, doch kamen sie nur bis in die Nähe der östlichen Küste des Meeres, das sich bis Daqín erstreckt. Sie kehrten um, weil der Weg über das Meer zu lang und zu gefährlich gewesen wäre und die Reise schon sehr lange gedauert hatte."


    "Die Reise hat lange gedauert. Ich war fast ein Jahr lang unterwegs. Es war schwierig, oft gefährlich und sehr anstrengend," bestätigte ich die Vermutung des Prinzen, "doch bin ich kein offizieller Gesandter und nur deshalb unterwegs, weil ich selbst neugierig bin. Ich will mein Wissen aber mit dem Museion in Alexandria teilen. Dort wird dem Gott Apollon und der Musen gedacht und dort habe ich einst einen großen Teil meines Wissens erworben."


    Der Prinz nickte und ich konnte ihm ansehen, dass er mich verstand. "Ihr wollt Eure Lehrer und Eure Götter ehren. Gut, das kann ich befürworten. Habt Ihr bereits von unseren Gelehrten gehört?"


    "Nein, Prinz Jiénzĭ."


    "Das werde ich ändern." Der Prinz winkte einen anderen dunkel gekleideten Mann heran und besprach etwas mit ihm im Flüsterton, so dass ich nichts verstehen konnte. Die Besprechung dauerte länger, als eine einfache Anweisung. Schließlich wandte er sich wieder an mich. "Yún Yiù, Ihr hattet ein Schwert dabei. Dürfte ich es sehen?"


    "Gerne, Prinz Jiénzĭ."


    Er gab ein kaum merkliches Zeichen und man hörte im Hintergrund schnelle Schritte die Halle verlassen. Nach einem Moment kamen wieder schnelle Schritte herein und eine Wache brachte meine Spatha zum Prinzen. Dabei blieb der Soldat so auf den Stufen stehen, dass er das Schwert mit einer Verneigung mit beiden Händen überreichen konnte. Der Prinz nahm es an sich und begutachtete die Scheide und den Griff. Dann sah er mich fragend an, während er den Griff mit seiner Rechten umschloss. Ich nickte ihm zu, woraufhin er meine Spatha zog und die Klinge genau betrachtete. "Eine gute Klinge, möchte ich meinen. Einhändig geführt, von einem einzelnen Krieger. Vielleicht vom Pferd aus. Schade, dass ich an eine Klinge genau dieser Machart hier nicht herankomme. Sie würde sich gut in meiner Sammlung machen. Ihr werdet sie aber auf Euren Reisen benötigen." Er steckte die Spatha zurück in die Scheide und winkte seine Wache wieder herbei.


    Obwohl ich nicht gefragt wurde, ergriff ich das Wort. "Prinz Jiénzĭ, wenn Ihr gestattet, würde ich Euch mein Schwert gerne schenken. Es hat mir gute Dienste geleistet, doch gibt es hier bessere Klingen. Wenn es Euch erfreut und in Eure Sammlung passt, würde ich mich freuen, Euch ein Geschenk machen zu dürfen. Ich werde mir hier eine neue Klinge kaufen."


    Der Prinz sah mich an, während er seiner Wache das Schwert übergab. Schließlich lächelte er kaum merklich. "Ich erlaube Euch, mir dieses Geschenk zu machen und danke Euch. Ich werde mich bei Gelegenheit erkenntlich zeigen."


    Lächelnd verneigte ich mich.


    "Wir hatten ein sehr gutes Gespräch, Yún Yiù. Vielleicht können wir das in Zukunft wiederholen. Seid willkommen in meiner Stadt und studiert gerne, weshalb Ihr herkamt. Wo kann ich Euch finden, wenn ich nach Euch suche?"


    "Er wohnt bei mir," sagte Jì Dé, bevor ich etwas sagen konnte.


    Der Prinz erhob sich von seinem Thron. "Ich danke Euch für Euren Besuch." Dann verließ er den Saal.


    Wir hatten uns wieder verbeugt, als er sich vom Thron erhoben hatte. Nun verließen wir ebenfalls die Halle und den Palast, um zu Jì Dé’s Haus zurückzukehren. Er sah sehr stolz aus.


    "Yún Yiù, hmm?" meinte Jì Dé schließlich. "Mich lässt du mühsam deinen unaussprechlichen Daqín-Namen aussprechen, aber ihm erlaubst du es, dir einen Namen zu geben, den man auch aussprechen kann. Ein schöner Freund bist du!" Dann lachte er herzlich. "Du weißt aber, dass du eben einen mächtigen Freund gewonnen hast, oder? Das Schwert hat ihn sehr gefreut. Er hat es nicht gezeigt, aber ich bin davon überzeugt Er sammelt exotische Waffen und ein Schwert aus Daqín hatte er sicher noch nicht. Wenn ich dir einen Tipp geben darf, kaufe dir kein neues Schwert."


    "Warum?" fragte ich instinktiv.


    "Hast du nicht zugehört? Er will sich bei Gelegenheit erkenntlich zeigen. Das heißt, dass er ein Schwert für dich in Auftrag geben wird."


    "Meinst du?" Ein Blick in das Gesicht meines Freundes zeigte mir aber, dass ich das nicht hinterfragen sollte. Gut, es war seine Kultur, hier kannte er sich aus.


    Im Haus von Jì Dé unterhielten wir uns noch bis spät in die Nacht, bevor ich mich zufrieden zu Bett begab. Mein Freund hatte wirklich gute Betten und ich schlief zum ersten Mal seit meinem Aufbruch richtig gut und bequem.

    Nachdem wir den Jadepass passiert hatten, reisten wir zwischen zwei Gebirgszügen weiter. Schließlich erreichten wir fruchtbares Kulturland mit Feldern und Obstwiesen. Die Wege wurden auch zunehmend besser, wenngleich wir erst am Ende auf Straßen reisten, die mit den Straßen des Imperiums mithalten konnten.


    Arpan und ich fielen deutlich auf. Arpan hatte sich bereits vor dem Aufstieg nach Kaschgar skythisch eingekleidet. Das schien einigen Leuten hier nicht geheuer zu sein, doch schien es auch nicht extrem ungewöhnlich zu sein. Ich fiel da schon mehr auf. Einerseits wegen meiner Gesichtszüge, die so deutlich anders als die der Serer waren. Andererseits auch wegen meiner Kleidung. Zwar verzichtete ich trotz der sommerlichen Temperaturen darauf, römische Kleidung anzuziehen. Doch waren die Kombination aus skythischen Stiefeln und Hosen und einer einfachen Leinenjacke der Hàn sicher ungewöhnlich.


    Immerhin hatte ich von meinem Freund Jì Dé inzwischen gelernt, mit Stäbchen zu essen und mich angemessen nach Art der Serer zu verbeugen. Beides war hier hoch angesehen. Inzwischen besaß ich sogar ein Paar Essstäbchen aus Jade, die ich in einer Schachtel aus Rosenholz transportierte. Das stieß wohl noch mehr auf Verwunderung, weil es einen Wohlstand zeigte, der nicht zu meiner Kleidung passte. Und dass ich ein zur leichten Unterhaltung geeignetes Serisch beherrschte, traf die meisten auch unvorbereitet. Jì Dé brachten die Reaktionen seiner Volksgenossen hierauf regelmäßig zum Schmunzeln.


    Die Siedlungen wurden immer größer und wohlhabender und oft waren es Städte, die sich mit denen in der römischen Provinz messen konnten. Und dann, der Sommer wurde zum Herbst, näherten wir uns einer wirklich großen Stadt. Die Blätter der Bäume färbten sich langsam bunt. Die Stadt war vielleicht nicht so groß wie mein geliebtes Rom, das ich inzwischen schmerzlich vermisste, aber doch beeindruckend, mit großen Gebäuden und einer Stadtmauer, die sich mit der Mauer Roms messen konnte. Ich hatte das Gefühl, das Ziel meiner Reise zu erreichen. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob nicht der Weg das Ziel war.


    Jì Dé lehnte sich von seinem Kamel zu mir herüber. "Willkommen in Cháng'ān, der westlichen Hauptstadt. Das ist meine Heimat. Es gibt größere Städte, aber keine schöneren." Dabei lächelte er und zwinkerte mir zu.


    "Ich erkenne an, dass du hier nicht ganz neutral bist, mein Freund. Aber ich erkenne auch an, dass es eine schöne Stadt zu sein scheint." Nach kurzem Nachdenken musste ich etwas fragen. "Du sagst, es sei die westliche Hauptstadt. Heißt das, ihr habt zwei Hauptstädte?"


    Jì Dé lachte. "Erwischt! Nein, wir haben nur eine, Luòyáng. Aber die ist weiter östlich. Cháng'ān war früher die Hauptstadt. Da war sie wohl auch noch größer, aber das macht nichts. Die Stadt ist immer noch wichtig, du wirst sehen. Willst du hier bleiben? Ich lade dich ein, sei mein Gast."


    Ich verneigte mich leicht. "Ich danke dir für die Ehre, dein Gast sein zu dürfen, und nehme die Einladung mit Freude an."


    Arpan war natürlich auch gemeint, so dass wir beide uns zumindest für die Nacht keine Gedanken um eine Unterkunft machen mussten.


    Vergnügt plaudernd kamen wir beim Stadttor an, wo wir durchsucht wurden und man uns schließlich passieren ließ. Jì Dé schien hier bekannt zu sein und ein wichtiger Kaufmann zu sein. Wir ritten mit unseren Kamelen gemächlich durch die Straßen, vorbei an Garküchen, Geschäften und Tempeln, bis wir schließlich an einem Tor halt machten. Jì Dé öffnete das Tor und wurde kurz darauf herzlich von einer Frau und drei Kindern begrüßt. Auch sein Sohn wurde herzlich empfangen. Er stellte mich und Arpan vor und man begrüßte uns respektvoll mit Verneigungen. Schließlich wies man uns Zimmer zu und ich besprach mit Jì Dé, dass er meine Waren am besten gegen eine Provision verkaufte. Ich versprach mir daraus höhere Erlöse, als wenn ich die Waren und Kamele selbst verkaufen würde.


    Während wir zusammen aßen, klopfte es an das Tor und Soldaten traten ein. Sie erklärten, dass sie der Statthalter von Cháng'ān geschickt hätte, weil er von den Fremden erfahren hätte. Er würde die Fremden gerne kennenlernen und uns zu einer Audienz einladen. Mir war schnell klar, dass es zwar als höfliche Einladung vorgetragen war, sich aber real um einen Befehl handelte. Ich bat nur darum, dass Jì Dé uns begleiten dürfe, um notfalls übersetzen zu können. Der Bitte wurde stattgegeben. Zwar schienen die Soldaten damit gerechnet zu haben, dass wir sofort losziehen würden, doch bestand Jì Dé's Frau darauf, dass wir erst zu Ende essen. Dafür bekamen auch die Soldaten etwas zu essen, was sie wohl dazu brachte, uns die Zeit zu geben.

    Wir zogen weiter. Die hohen Berge rechts von uns waren inzwischen ein vertrauter Begleiter geworden. Und die sowohl die Tage, als auch die Nächte wurden immer wärmer. Der Wind wehte auch immer seltener von Norden. An einem Fluss fand ich einen etwa faustgroßen, schwach grünen und sehr schön anzusehenden Stein. Es war Jade. Sie würde sich im reich Hàn gut verkaufen lassen.


    Immer wieder konnten wir in Städten rasten. Inzwischen waren wir im Königreich von Shànshàn, einem weiteren Protektorat. Während wir das Königreich durchquerten, wurden die Berge zu unserer Rechten langsam immer niedriger.


    Schließlich erreichten wir einen großen See, der Luó Bù Pō hieß. Um den See gab es Felder und Dörfer. Hier waren wir wohl am Ende der Taklamakan. Das Gebirge zu unserer Rechten war inzwischen deutlich niedriger geworden, jedoch immer noch ansehnlich. Ich wähnte mich schon am Ziel, bis mir Jì Dé mitteilte, dass wir gerade einmal knapp den halben Weg von Kaschgar bis zu seiner Heimatstadt Cháng'ān geschafft hätten. Dennoch ließ ich mich nicht entmutigen. Jì Dé überstand die monatelange Reise, dann schaffte ich das auch. Außerdem waren wir nun – endlich – in Hàn. Und das Wetter war auch von einer angenehmeren Wärme, als in der Taklamakan. Doch war diese Wärme anders, als in Italien. Die Luft war trockener, obwohl hier ein See war.


    Immerhin, es war nun Sommer und wir konnten den Weg ohne Probleme fortsetzen. Die Berge wurden niedriger, während die Vegetation grüner wurde. Es gab mehr Büsche, schließlich Wälder und zugleich mehr Siedlungen, oft kleine Dörfer. Die ausladenden Dächer der Häuser ließen mich vermuten, dass es hier öfter regnen würde. Schließlich erreichten wir einen Pass, der zwischen zwei langen Gebirgszügen lag und den Jì Dé mit Yùmén Guān bezeichnete, was er als „Pass des Jadetores“ übersetzte. Der Pass war von Wachtürmen aus Lehmziegeln geschützt.


    Die serischen Soldaten überprüften unsere Waren und fragten, wer wir seien und wohin wir reisen würden. Vor allem mich und Arpan beäugten sie argwöhnisch, wobei ihre Hauptaufmerksamkeit mir galt. Ich erklärte ihnen, dass ich eine lange Reise hinter mir hätte und von meinem Freund Jì Dé eingeladen war, sein Zuhause zu besuchen. Da sich Jì Dé für mich verbürgte und meine Geschichte bestätigte, ließ man uns weiterreisen. Zuvor durften wir aber Zölle auf unsere Waren entrichten.


    Nachdem wir das Jadetor passiert hatten, sagte mir Jì Dé, dass wir nun im Reich Hàn waren. Kein Protektorat mehr, sondern Zhōngguó, das Reich der Mitte, das eigentliche Reich.

    Wir erreichten eine größere grüne Oase, durch die zwei Flüsse flossen. Man hatte in Richtung der Wüste Bäume, ja sogar kleine Wälder, aus Pappeln und Tamarisken, sowie Büsche, entweder gepflanzt oder stehen lassen. Doch der größere Teil der Oase wurde für Ackerbau genutzt. Ich erblickte auch einige Gebäude, die von Menschen in orangenen Togas bewohnt wurden. Jì Dé erklärte mir, dass es sich um Wohnorte der buddhistischen Mönche handelte. Diese Männer hatten sich einem Leben in Friedfertigkeit und Keuschheit verschrieben, um durch Meditation der Erleuchtung näher zu kommen.


    Im östlichen Teil der Oase befand sich eine Stadt aus Lehmziegeln, die hinter wehrhaften Mauern stand. Man sprach hier verschiedene Sprachen, meist einen skythischen Dialekt, aber auch Koiné, die Sprache der Serer und eine Sprache, die ich nicht kannte. Der Name dieser Stadt war im Serischen Hétián, doch die Einheimischen nannten sie Godana. Sie war die Hauptstadt eines gleichnamigen Königreichs. Jì Dé erklärte mir, dass dieses Königreich das westlichste Königreich der Westlichen Protektorate des Reichs der Serer war. Er zeigte mir auch das Hauptquartier eines Statthalters des Reichs der Serer, jedoch betraten wir das Gebäude nicht. Ich betrachtete die Wachen vor dem Gebäude. Sie trugen mir fremde Rüstungen und lange Hosen, außerdem Lanzen und sie hatten Säbel in ihren Gürteln.


    Das Wetter hier war allerdings eine Qual. Tagsüber heiß, nachts jedoch eisig kalt. Die Götter stellten mich auf die Probe. Stoppen konnten sie mich aber nicht. Das Ziel war nah. Ich war in den Protektoraten meines Ziels angekommen. Nicht mehr lange, so hoffte ich, und ich würde endlich das Reich sehen, aus dem die Seide kam.


    Sim-Off:

    Die Stadt Hétián ist das heutige Hotan in der Provinz Xinjiang in China. In der Antike war es eine bedeutende Stadt an der südlichen Route der Seidenstraße.

    Leider mussten wir schon am nächsten Tag weiterziehen. Wir hatten die Möglichkeit, eine nördliche Route oder eine südliche Route zu nehmen, entschieden uns aber für die südliche Route. Diese war wohl momentan sicherer. Wir bewegten uns nördlich eines hohen Gebirges, welches sich stets zu unserer rechten Seite befand. Die schneebedeckten Gipfel schienen sehr hoch zu sein. Höher, als die mir bekannten Alpen waren – jedenfalls in meiner Erinnerung. Ich nutzte eine Pause, um in etwa die Höhe zu triangulieren. Sie mussten sich etwa drei Meilen über unsere Höhe erheben. Hin und wieder ließ der Nordwind Schnee von den Gipfeln wehen, was dann so aussah, als würden dünne Fahnen zu unseren Ehren wehen. Dieses Gebirge wurde von Jì Dé mit dem Namen Kūnlún Shānmài bezeichnet.


    Zunächst bewegten wir uns durch eine Landschaft aus gedrungenen Pappeln, Tamarisken, niedrigen Büschen und Gräsern nach Südosten, an einer weiteren Stadt vorbei. Dann änderten sich sowohl Richtung, als auch Gelände. Es ging nun ziemlich genau ostwärts. Nördlich von uns erstreckte sich eine Landschaft, bei der sich Götter noch nicht entschieden hatten, ob es eine Wüste sein sollte oder nicht. Dort, wo sich Flüsse schlängelten, gab es Gräser, Büsche und sogar Pappeln. Der Rest war hingegen karg. Wir bewegten uns durch diese Landschaft, von Flussoase zu Flussoase. Diese Landschaft nannte Jì Dé mit dem Namen Tǎkèlāmǎgān Shāmò, während die Einheimischen es Täklimakan Toghraqliri nannten.

    Nach dem hohen Gebirgspass erreichten wir eine Stadt, die von den Serern Shūlè genannt wurde. Die hier lebende Bevölkerung nannte die Stadt hingegen Kaschgar. Die Stadt lag an einem Fluß, der von Westen nach Osten floss und den Namen der Stadt trug. Oder hatte die Stadt den Namen des Flusses? Die Gebäude waren aus Ziegeln erbaut und eine wehrhaft aussehende Mauer umgab die Stadt. Karawanen waren vor und hinter uns, während andere die Stadt verließen. Wir waren also immer noch an der Handelsstraße. Wir mussten immer noch recht hoch liegen, denn der Abstieg durch den Pass hatte weniger Höhe überbrückt, als der Aufstieg bis zum Pass. So gut war ich naturwissenschaftlich gebildet, um das einschätzen zu können.


    Nachdem wir innerhalb der Mauern waren, tat es gut, in einem warmen Gasthaus unterzukommen. Es gab ein Getränk, das ich schon einmal in Rom getrunken hatte. Damals, in einer Taberna trank ich diesen Chai genannten Aufguß schon einmal. Ich unterhielt mich mit Jì Dé über die Gegend hier, während um uns herum andere Menschen ebenfalls Gespräche. Ein dem Klang nach skythischer Dialekt war vorherrschend, so wie auch schon auf der anderen Seite des Gebirgspasses. Aber ich erblickte auch einige Serer.


    Politisch schien die Stadt noch zum baktrischen Königreich Kuschana zu gehören, durch das wir schon seit Antiochia in Parthien gereist waren. Doch hatte sie laut Jì Dé wohl auch schon einmal den Serern gehört. Alexander der Große hingegen war niemals hier gewesen. Das war mir schnell klar geworden, weil im Gegensatz zur anderen Seite der Berge keinerlei Elemente griechischer Architektur oder Kultur vorhanden waren.


    Trotz ihrer Lage an einer wichtigen Handelsstraße schien mir die Stadt nicht so wohlhabend zu sein, wie man es erwarten konnte. Immerhin kamen hier viele Händler durch und um die Stadt herum gab es Ackerbau. Und natürlich jede Menge Wasser. Und doch war die Luft recht trocken und hin und wieder wehte feiner Sand von Nordosten hierher.


    Gerne hätte ich diese Stadt und ihre Umgebung ausführlich erkundet, doch schon am nächsten Tag musste die Karawane weiterziehen. Jeden Tag würden wir reisen, um abends am Ufer des nächsten Flusses zu rasten. Immerhin sollten die meisten Rastplätze Siedlungen, oft sogar Städte, sein. Das versprach zumindest ein bequemes Bett. Denn die Strapazen der Reise waren erheblich. So freute ich mich auch, als ich abends im Bett lag, meine Beine ausstrecken konnte und den eisigen Wind des Gebirgspasses, der uns tagsüber gequält hatte, vergessen konnte.

    Am nächsten Tag ging es weiter. Ab jetzt hatte ich keine Ahnung mehr, wie lange die Reise weitergehen würde oder wie die Gegenden aussehen konnten. Ich war nun auf meine neuen Freunde angewiesen.


    Wir zogen weiter nach Osten, bis fast an das Ende des Tals. Abends machte ich Notizen. Wir kamen noch zu einer kleiner Stadt, die wohl Osch geheißen wurde. Von hier aus ging es nach immer weiter hinauf, bis wir schließlich einen Pass zwischen schneebedeckten Bergen erreichten, der von den Einheimischen Irkeschtam genannt wurde. Der Wind war trotz der Jahreszeit kalt und ich war froh, in Alexandria Eschate warme Kleidung gekauft zu haben. Den Kamelen hingegen machte die Kälte im Gegensatz zu mir wenig aus. Doch schlimmer als die Kälte war die Luft. Sie schien dünner zu sein und das Atmen fiel mir schwer. Was hatte ich mir nur angetan? Ich sah zu Lì Dé, der auch mit der Luft zu kämpfen schien. Dann sah ich zu Arpan. Zu meiner Verwunderung sah selbst er erschöpft aus. Was hatte mich nur geritten, diese Reise anzutreten? Ich hätte nach Alexandria Eschate umkehren können. Immerhin war ich bereits monatelang unterwegs. Aber eine innere Stimme sagte mir, dass ich das Beste verpassen würde, wenn ich mich jetzt nicht zusammenreißen würde und weiterzöge. Ich musste das Land der Serer kennenlernen. Mein Freund Lì Dé sagte mir, dass die Serer das Land nach der herrschenden Dynastie Hàn nannten, manchmal aber auch Qín, was wohl eine frühere Dynastie war. Hinter diesem Gebirgszug würde es noch nicht beginnen, aber hinter einer Ebene, die darauf folgte. Ich musste es einfach sehen.

    Nach ein paar Tagen, in denen wir uns ausruhen und Kraft für den nach einhelliger Meinung schwierigsten Teil der Reise sammeln konnten, war der Abend vor der Abreise. Ich war mit Arpan in einer Taverne etwas essen. Mit ihm musste ich noch etwas besprechen.


    "Mein guter, treuer Arpan. Setz dich, wir müssen etwas Wichtiges besprechen."


    "Ja, Herr?" fragte er und schien zu rätseln, was so wichtig sein könnte, dass ich es in einem fast feierlichen Ton vortrug.


    Ich überreichte ihm eine versiegelte Bulle. "Hiermit lasse ich dich frei. Du sollst kein Sklave mehr sein. Zugleich heiße ich dich in der Gens Iunia willkommen, denn als Libertus bist du ein römischer Bürger und Teil meiner Gens."


    Arpan sah mich nur ungläubig an, also sprach ich einfach weiter. "Ich habe beschlossen, dich Marcus Iunius Firmus zu nennen. Ich hoffe, dass es dir nichts ausmacht. Auf Grund deiner treuen Dienste will ich dich von allen Pflichten eines Klienten befreien."


    Arpan konnte es noch nicht glauben. "Frei?" fragte er und sah verwirrt aus.


    "Ja, frei." Ich gab ihm noch einen Beutel voller Münzen. "Und du heißt jetzt Marcus Iunius Firmus, wenn du damit einverstanden bist."


    Er blickte auf die Bulle und dann auf den Beutel. "Wofür ist das?"


    "Damit solltest du es schaffen, in deine Heimat zurückzukehren. Du kannst dich mit den Leuten hier verständigen, es kann also nicht so weit sein. Freust du dich denn gar nicht? Und passt dir der Name?"


    Langsam schien Arpan zu realisieren, dass er nicht träumte. "Herr... das Geld... aber... aber..." Dann schien er zu realisieren, was ich noch gesagt hatte. "Welcher Name?"


    "Marcus Iunius Firmus."


    Arpan nickte, schien aber immer noch etwas geistig abwesend zu sein. "Ja, der passt mir. Danke."


    "Dafür brauchst du mir nicht danken." Ich beugte mich über den Tisch und klopfte ihm auf die Schulter. "Hast du dir verdient. Und, wie gesagt, deine Heimat scheint nicht fern zu sein. Kehre zurück nach Hause und lebe dein Leben." Dabei lächelte ich ihn an.


    Nun schüttelte er allerdings energisch den Kopf. "Herr, bei allem Respekt, meine Heimat ist Rom. Dort habe ich Freunde gefunden, dort gibt es Thermen, dort muss ich nicht dauernd durch die Steppe reiten."


    Ich zuckte mit den Schultern. "Auch gut, dann gehst du eben zurück nach Rom. Ich kann dir eventuell ein paar meiner Notizen mitgeben, dann habe ich weniger Material zu transportieren."


    Wieder schüttelte er den Kopf. "Nein, das werde ich nicht. Ich kann dich nicht alleine lassen. Du brauchst meine Hilfe."


    Nun war ich etwas verärgert. Wie konnte er mich für so unselbstständig halten? "Ich denke, ich schaffe das auch ohne dich. Jì Dé wird mich bis in seine Heimat mitnehmen. Also, was kann schon passieren? Er kennt sich hier sicher besser aus als du. Nutze deine Freiheit!"


    "Herr, ernsthaft, es gibt hier überall Gefahren. Außerdem mag ich dich. Du warst immer gut zu mir. Und ich habe geschworen, dich sicher nach Hause zurückzubringen."


    Jetzt war ich nicht mehr verärgert, sondern erstaunt. "Wann soll das gewesen sein? Ich kann mich nicht an einen solchen Schwur erinnern."


    "Ich schwor es den Göttern, als wir in Antiochia waren. In dem zweiten Antiochia. Da war ich näher an meinen Göttern."


    "Und warum sollten fremde Götter jemandem böse sein, der einen Schwur zu Gunsten eines Römers bricht?"


    "Herr, das ist nicht lustig. Einen Schwur zu brechen, kostet meine Ehre. Noch schlimmer ist es, wenn ich einen Schwur zu meinen Göttern breche."


    Da konnte ich ja nur schwer etwas gegen sagen. "Verstehe. Na gut, komm mit. Aber dann musst du dir dein Geld gut einteilen. Du bist jetzt ein freier Mann, da werde ich dich nicht dauernd verpflegen können."


    Wir unterhielten uns noch etwas über die Götter und die Welt, bevor wir wieder in die Karawanserei zurückkehrten, um am nächsten Morgen ausgeruht weiterreisen zu können.

    Da ich nun das Ende der Welt, die mir die Karte zeigte, erreicht hatte, beschloss ich, meinen Verwandten eine Mitteilung zu schicken. Also schrieb ich einen Brief.


    Ad

    Iunia Matidia

    Domus Iunia

    Mogontiacum

    Provincia Germania Superior

    Imperium Romanum


    Liebstes Schwesterchen,


    weder habe ich Ahnung, ob dich dieser Brief erreichen wird, noch weiß ich, wo ich sein werde, wenn dich dieser Brief erreicht. Dennoch schreibe ich, weil zumindest eine geringe Chance besteht, dass dieser Brief dich erreicht.


    Ich bitte um Verzeihung, dass ich abgereist bin, ohne mich von dir zu verabschieden. Aber diese Reise ist wichtig und ich wollte niemandem die Möglichkeit geben, mich umzustimmen. Wenn einem Apollo, Minerva und Mercurius einen Wink geben, dann sollte man das nutzen. Ich habe es genutzt und bin nun auf dem Weg nach Serica, wo die Seide herkommt. Ich muss dieses Land einfach sehen.


    Die Überfahrt über das Mare Nostrum war ereignislos, ebenso die Reise durch Parthien. Parthien ist oft sehr trocken, nur in Mesopotamien, in den Oasen und in den Bergen ist es grün. Doch die Wüste hat auch ihre Schönheit, die mir erst auf dieser Reise bewusst wurde. Doch bin ich nicht mehr in Parthien, sondern in Baktrien. Genauer gesagt bin ich, während ich diese Zeilen schreibe, in Alexandria Eschate, dem von Makedonien am weitesten entfernten aller Alexandrias. Hier endete das Reich Alexanders des Großen. Die Stadt liegt in einem Tal. Am Horizont erkenne ich rundherum hohe Berge. Wenn ich richtig trianguliere, sind diese mindestens so hoch wie die Alpen. Die Bevölkerung hier scheint einen skythischen Dialekt zu sprechen, doch ist Griechisch in Oberschicht und Verwaltung immer noch verbreitet.


    Ich habe mich mit einem Serer angefreundet, der als Händler bis an die parthische Grenze reist. Wir wollen gemeinsam bis in seine Heimat reisen. Es geht weiter nach Osten, über einen hohen Gebirgszug. Dahinter kommt laut meinem Freund noch eine große Wüste, und danach ein weiteres Gebirge, bevor Serica beginnt. Das klingt strapaziös, aber ich werde nicht umkehren, wo das Ziel zum greifen nah ist.


    Die Verpflegung ist leider nicht allzu üppig und die Strapazen zeigen auch bei mir Wirkung. Ich habe abgenommen, werde aber auch kräftiger. Außerdem übe ich täglich mit der Spatha, um den möglichen Gefahren gewachsen zu sein. Inzwischen bin ich recht gut in Übung, was das anbetrifft. Wer hätte das gedacht? Dein Bruder, der Jurist und Philosoph, ist nun auch ein Schwertkämpfer. Mit einem Gladiator würde ich mich dennoch nicht messen wollen, aber für die normalen Räuber reicht es, denke ich. Du musst dir aber keine Sorgen um mich machen. Ich reise in einer großen Karawane. Das allein schützt mich bereits gut vor Überfällen.


    Falls dich dieser Brief erreicht, bitte ich dich, auch unsere Mutter und Scato und Stilo herzlich von mir zu grüßen. Ich werde wohl noch lange unterwegs sein, aber ich verspreche, euch allen Geschenke mitzubringen. Wenn ich in Serica bin, werde ich versuchen, euch einen weiteren Brief zu schicken.


    Vale bene, liebe Schwester


    Siegel Aulus Iunius Tacitus Advocatus


    Während ich schrieb, fiel mir auf, wie sehr ich meine Schwester vermisste. Außerdem vermisste ich meine anderen Verwandten. Die Thermen und die römische Lebensart vermisste ich auch, wenngleich in geringerem Maße. Doch ich konnte jetzt nicht umkehren. Ich musste weiter. Es war ein Drang in mir, den ich nicht kontrollieren konnte.


    Den Brief gab ich einem Händler, der vertrauenswürdig schien und aus Indien kam. Dort wollte er ihn an andere Händler weitergeben, die in in einen Hafen bringen würden. Von dort aus sollte der Brief per Schiff nach Ägypten geschickt kommen und von dort aus mit dem Cursus Publicus weiter. Ich selbst war nun länger als ein Vierteljahr unterwegs und schon bald wäre ein halbes Jahr ins Land gezogen. Ich ging davon aus, dass der Brief ähnlich lange unterwegs sein würde. Wenn er in Germanien eintreffen würde, wäre ich wahrscheinlich schon in Serica.

    Die Reise führte uns durch Steppen und Flussläufe, durch Karawansereien und an kleineren Städten vorbei. Die Landschaft war karg und vereinzelt sahen wir Viehherden, vor allem Schafe und Ziegen. Schließlich erreichten wir den Oxus. Der Fluss führte gerade wenig Wasser, so dass wir leicht durch eine Furt kamen. Eine Gruppe Räuber wollte bei der Querung des Flusses einen Überfall versuchen, wurde jedoch durch unser entschlossenes Entgegenreiten in die Flucht geschlagen. Sie wollten wohl kein Risiko eingehen.


    Man sprach in dieser Gegend häufig Griechisch, aber dominant war eine andere Sprache, die mein Sklave Arpan gut zu verstehen schien. Er erklärte mir, dass es sich um einen skythischen Dialekt handelte. Zwar gab es Unterschiede zur Sprache seiner Kindheit, doch waren diese nicht gravierend genug, um ihn an der Verständigung zu hindern.


    Wir erreichten eine weitere Stadt, die nach der Karte, die ich mit mir führte, Marakanda hieß. Die Einheimischen nannten sie aber samar kand, was wohl 'steinerne Stadt' hieß. Die Stadt war gut befestigt, womit sie ihrem einheimischen Namen Ehre machte. Auch war sie weniger aus Ziegeln, als aus Stein erbaut. Doch vor allem war es eine Handelsstadt, die an dem Handelsweg zwischen den Serern und unserem Imperium lag. Der Flusslauf, der die Stadt nördlich umfloss, war zugleich die Wasserquelle für die Stadt und die sie umgebenden Felder. Die Größe dieser Stadt war recht ansehnlich.


    Ich besuchte zusammen mit einem Serer namens Jì Dé das Forum dieser Stadt, um ein paar meiner Waren zu verkaufen. Die Serer hatten Haut, deren Farbe mich an Bronze erinnerte. Ihre Haare waren tiefschwarz, wenngleich Jì Dé auch graue Strähnen hatte. Ihre Augen waren dunkel und mandelförmig. Jì Dé trug auch einen Bart, der sauber gestutzt war. Er war ein Händler, der in unserer Karawane reiste. Wir hatten uns ein wenig angefreundet. Praktischerweise sprach er ein wenig Koiné, was die Verständigung erleichterte. Er nutzte diese Sprache, um sich mit alteingesessenen und wohlhabenden Bürgern der hiesigen Städte zu verständigen, bei denen es sich wohl um Nachfahren der Soldaten Alexanders des Großen handelte. Wir hatten die Vereinbarung getroffen, dass ich Jì Dé und seinen Sohn Jì Mǐn in Koiné unterrichtete und im Gegenzug von ihnen die serische Sprache lernte. Das gesprochene Wort ihrer Sprache war einfach, doch die Schrift war ausgesprochen schwierig. Immerhin schrieben sie nicht in Buchstaben, sondern in Silben. Ich fragte mich, ob ich jemals diese Sprache gut beherrschen würde.


    Jì Dé half mir, einen guten Preis für einige meiner Waren auszuhandeln, bevor wir uns wieder zu unserer Karawane begaben. Auch riet er mir dazu, warme Kleidung zu kaufen. Dieses tat ich auch. Die Hosen waren ungewohnt und mit einem Mantel aus Fell war ich auch noch nie unterwegs gewesen, doch vertraute ich dem Urteil meines neuen Freundes.


    Wir verbrachten dort noch zwei Tage, bevor es weiter ging. Der Weg führte uns zunächst kaum merklich, dann doch bemerkbar bergaufwärts. Wir zogen über ein Mittelgebirge in ein weites Tal, dessen Verlauf wir nach Osten folgten. Je weiter uns der Weg führte, umso höher wurden die Berge, die sich auf beiden Seiten des Tals mit schneebedeckten Gipfeln abzeichneten. Schließlich erreichten wir eine Stadt, bei der es sich wohl um Alexandria Eschate handeln musste. Meine Karte endete hier mit einem hohen Gebirgszug im Osten, den ich aber so nicht ausmachen konnte. Eher lag das hohe Gebirge süd-südöstlich von hier. Das Tal war in Alexandria Eschate aber auch noch nicht zu Ende.


    Zu einem gewissen Grad erfüllte mich Stolz. Ich hatte den äußersten Punkt des Reiches Alexanders des Großen erreicht. Weiter als hierher war noch nie ein Bewohner des Mittelmeerraums gekommen. Zumindest niemand, von dem ich wusste.


    Sim-Off:

    "Imperium Cossanum" ist der lateinische Begriff für das Reich Kuschana; der "skythische Dialekt" ist das Baktrische; "Serer" ist der Begriff, mit dem die Römer und Griechen die Chinesen bezeichneten.

    Die Reise verlief ab Antiochia ad Orontes ereignislos. Sie hatte uns an Babylon mit seinen glänzenden blauen Ziegeln vorbeigeführt, die wie Wasser in der Sonne erschienen. Von dort aus ging es durch Parthien, über karge Berglandschaften und von Oase zu Oase und zu Städten an Flüssen, bis wir nun in einem anderen Antiochia ankamen. Die Oasenstadt Antiochia in Parthia, am östlichen Ende des einstigen Seleukidenreichs und jetzt das östliche Ende des Partherreichs. Das Partherreich grenzte hier an das Reich Kuschana. In dieser Stadt lebten vor allem Baktrer und zu meiner Überraschung sprach man hier wieder Koine, wenngleich mit einem mir unbekannten Akzent. Die Stadt war vor allem aus Lehmziegeln erbaut, doch wiesen einige Gebäude eindeutig griechische Architekturmerkmale auf. Wir betraten die Stadt und fanden Unterkunft in einer Karawanserei.


    Während ich diese Stadt gemäß meiner Karte als Antiochia in Parthia kannte, nannten die Einheimischen diese Stadt Marguš. Allerdings war in meiner Karte vermerkt, dass es sich um das einstige Alexandria Margiana handelte, was immerhin nach Marguš klang. Diese Stadt wurde aber laut Anmerkung in meiner Karte von Antiochos I. zerstört und neu gegründet. So waren sie halt, die Griechen. Ich konnte Marguš ich zwar nicht richtig aussprechen, jedoch hatte mein Sklave Hasdrubal, den ich inzwischen, so wie seine Eltern einst, Arpan nannte, keine Probleme mit der richtigen Aussprache.


    Auf dem Weg hierhin hatte ich mit ihm jeden Abend mit dem Schwert geübt und inzwischen war ich deutlich besser geworden, als ich es meines Erachtens jemals war. Arpan würde sicher auch einen guten Lanista abgeben. Es wirkte wohl auch abschreckend, so dass keiner unserer Begleiter es gewagt hatte, uns zu bestehlen.


    Der parthische Händler, der uns seit Antiochia am Oronthes mit seiner Karawane begleitete, hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt und sich deshalb das versprochene Talent Silber verdient. Er war nun deutlich reicher und ich deutlich ärmer. Aber das machte mir nichts. Vertrag war Vertrag. Nachdem sich der Parther verabschiedet hatte, mussten Arpan und ich einen neuen Landeskundigen finden, der uns weiter nach Osten bringen konnte. Jedoch fiel es mir schwer, Baktrer und Parther auseinanderzuhalten.


    Nach wenigen Tagen wusste ich, dass die Händler sich gerne zu großen Karawanen zusammenschlossen und zusätzlich Bewaffnete anheuerten, um sicher nach Osten zu kommen. Es gab wohl häufiger Überfälle. So fand ich auch heraus, dass momentan eine Karawane zusammengestellt wurde. Ich beteiligte mich finanziell am Schutz, wobei es auch gut ankam, dass ich mein Schwert nicht nur zu dekorativen Zwecken mit mir trug, sondern inzwischen recht gut handhaben konnte.


    Die verbleibenden Tage bis zur Abreise konnte ich dafür nutzen, um Antiochia in Parthia etwas mehr zu erkunden. Die Stadt war größer, als ich dachte. Vermutlich lebten hier kaum weniger Menschen als in Antiochia am Orontes. Das Erbe der Seleukiden, vielleicht sogar Alexanders des Großen, war in Teilen noch lebendig. Zugleich waren aber auch unübersehbar parthische Einflüsse vorhanden. Die Baktrer schienen den Parthern ähnlich, doch gab es auch teils deutliche Unterschiede, insbesondere in der Religion. Hier gab es einige Tempel und Gemeinschaften einer mir unbekannten Religion, in der sie einen gewissen Buddha verehrten. Ich sprach mit den Priestern dieses Gottes, nur um in Diskussionen feststellen zu müssen, dass dieser Buddha wohl doch kein Gott war, sondern eine Art Philosoph oder Halbgott, der aus Indien stammte. Sicher war ich mir darin aber nicht. Die Lehren ließ ich mir grob erklären und stellte fest, dass es Parallelen zum Stoizismus gab. Leider genügte die Zeit nicht, um einige der Schriften der Buddhisten zu kopieren, doch machte ich mir Notizen zu den Lehren. Als Philosophie erschien mir dieser Glaube durchaus interessant zu sein.


    Schließlich kam der Zeitpunkt, um weiterzuziehen. Wir waren eine Karawane mit fast 100 Kamelen. Auf Anraten der Händler verkaufte ich meine Dromedare und ersetzte sie durch zweihöckrige Kamele. Wir waren, inklusive mir und Arpan, acht Händler und zehn Wachen. Ich wäre gerne noch etwas länger in dieser Stadt geblieben, doch lag mein Ziel im Osten und es war wohl wichtig, rechtzeitig die Berge zu überqueren. Wenn man die Monsunzeit erreichte, würde das Wetter sehr unangenehm werden. Das wollte man nicht erleben, ließ ich mir sagen.


    Sim-Off:

    Bei Antiochia in Parthia handelt es sich um die Oasenstadt Merw, die ein wichtiger Ort an der Seidenstraße war.

    Nach einer – der Jahreszeit zum Trotz - ereignislosen Überfahrt von Ostia aus hatten wir den Hafen von Seleucia Pieriae erreicht. Dort hatte ich Kamele (die korrekterweise Dromedare genannt werden sollten) gekauft, um meine Waren und auch mich selbst und meinen Sklaven Hasdrubal zu transportieren. Von dort aus machten wir uns als kleine Karawane mit neun Kamelen, davon zwei Reitkamele für mich und Hasdrubal, auf den Weg nach Antiochia am Oronthes.


    Die Mauern waren beeindruckend, wenngleich nicht so beeindruckend wie die Mauern Roms. Die Stadt betraten wir über eine Brücke über den Oronthes, die in einem Stadttor endete. Nach der üblichen Befragung und Durchsuchung ging es in die Stadt. Von den Wachen hatte ich mir ein paar wertvolle Hinweise geben lassen und mich dafür großzügig gezeigt.


    Zu unserer Rechten stand das Stadion. Es war kleiner als der Circus Maximum, doch mit dem Stadion auf dem Campus Martius vergleichbar. Links von uns befanden sich Thermen und dahinter erhob sich der einstige Palast der Seleukidenherrscher. Die Fassaden schienen mir alle sehr neu zu sein. Jedenfalls waren sie besser in Stand gehalten als manches Gebäude Roms. Schließlich erreichten wir ein zweites Tor. Der Blick nach links offenbarte eine Straße, die in an einem Gebäude endete, welches ein Circus zu sein schien. Wir zogen aber weiter durch das Tor und landeten auf einer weiteren Brücke über den Oronthes. Mir wurde in diesem Moment klar, dass sich der Palast und die soeben gesehenen Gebäude auf einer Insel befunden haben mussten.


    Nun ging es an Thermen und danach an repräsentativeren Wohngebäuden vorbei, von denen einige mit Mörtel ausgebesserte Risse zeigten. Schließlich kreuzte unsere Straße eine weitere breite Straße, in die wir nach rechts einbogen. Es erstaunte mich, dass manche Gebäude sehr neu aussahen und andere wiederum Ausbesserungen zeigten. Schließlich entschloss ich mich, Passanten zu fragen, was es damit auf sich hätte. So erfuhr ich, dass vor einigen Jahren, als Divus Traianus hier weilte, ein Erdbeben die Stadt heimgesucht und große Zerstörungen angerichtet hatte. Nun verstand ich, was ich sah. Die neuen Häuser und Fassaden mussten eingestürzt gewesen sein und wurden deshalb neu errichtet, während die ausgebesserten Gebäude nur beschädigt worden waren und deshalb repariert werden konnten.


    Nachdem wir über einen runden Platz mit dem Nymphaeum gezogen waren und ein ganzes Stück später wieder Stadtmauern am Ende der Straße in Sicht kamen, sahen wir zu unserer Linken die Agora mit dem Tempel des Kapitolinischen Iuppiter. Ich suchte die rechte Straßenseite ab und erblickte schließlich die Herberge, die uns empfohlen worden war. Sie war definitiv nicht für ärmere Reisende und der Schutz, den sie für meine Waren versprach, war mir den Preis von einem halben Aureus für die Übernachtung wert.


    Am nächsten Morgen entschloss ich mich, zu frühstücken. Dort begegnete ich einem parthischen Händler, mit dem ich ins Gespräch kam. Wir diskutierten über Götter und die Welt, bis wir schließlich auf seine und meine Reise zu sprechen kamen. Er riet mir davon ab, durch Parthien zu reisen, weil mich die parthischen Händler als Konkurrenz empfinden würden. Auch seien Römer nicht überall gut gelitten nach dem letzten Krieg. Je mehr wir uns jedoch unterhielten, umso besser verstanden wir uns. Schließlich machte mir der Parther einen Vorschlag: Er würde mich durch Parthien bis an die Grenze nach Baktrien bringen, wenn ich dafür vor Iuppiter schwören würde, keine dauerhafte Konkurrenz für den Handel mit den Serern werden würde. Es sollte also meine einzige Reise mit Handelswaren sein. Gesagt, getan, begaben wir uns in den Tempel des Iuppiter und ich legte mein Versprechen ab. Danach mussten wir uns nur noch über eine angemessene Entschädigung einig werden. Bei einem Talent Silber waren wir uns schließlich einig. Das war vermutlich zu viel, aber dafür hoffte ich, nun einen landeskundigen Begleiter zu haben. Wir vereinbarten noch, dass ich nur Koine sprechen sollte und ich einen griechischen Namen nutzen sollte. Ich entschied mich für den Namen „Aristides“. Diesen hatte mir mein Lehrer am Museion gegeben.


    Hasdrubal war zwar nicht allzu begeistert und fürchtete um meine Sicherheit, doch beschloss ich, mein Leben und meinen Erfolg in die Hände der Götter zu legen und einfach auf den mir noch bis vor wenigen Stunden fremden Parther zu vertrauen.


    Da der Tag nun schon recht fortgeschritten war, übernachteten wir noch einmal in der Herberge und zogen schließlich am nächsten Morgen weiter nach Osten. Der Parther war der Führer einer Karawane von zwanzig Kamelen und drei Begleitern, was uns schon zu einer recht stattlichen Truppe machte. Wir zogen die ganze Hauptstraße entlang bis zur Porta Orientalis, von fast dem südlichen Ende bis fast zum nördlichen Ende der Stadt, was mir noch einmal die Größe Antiochias zeigte. Die Stadt musste ähnlich viele Einwohner haben wie mein geliebtes Alexandria. Langsam folgten wir der Straße in Richtung Beroea. Die Straße würde uns nach Osten führen, über Sura bis Dura Europos und Babylon und darüber hinaus.

    Die geplante Reise hatte ich gut vorbereitet. Vor allem hatte ich mich kundig gemacht, welche Waren wohl bei den Serern* und den anderen Völkern, auf die ich auf dem Weg dorthin treffen würde, gefragt waren. Die rote Koralle, wie sie vor Sardinien und Korsika wuchs, schien wohl recht beliebt zu sein. Edelmetalle waren auch beliebt, wenngleich sie ziemlich viel Gewicht mitbrachten. Interessanterweise schienen dünn gewebte Seide, in Purpur gefärbte Stoffe, sowie goldbestickte Tücher ebenfalls beliebt zu sein. Auch Zinn schien sich mit Gewinn verkaufen zu lassen. Mit diesen Waren wollte ich meine Reise finanzieren, indem ich sie unterwegs verkaufte. Den Rückweg wollte ich mit Waren bestreiten, welche ich im Land der Serer erwerben wollte.


    So entschied ich mich, eine Kamelladung Koralle, eine Kamelladung dünnen Seidentuchs, eine Kamelladung purpurn gefärbter Wolle, zwei Kamelladungen goldbestickter Tuche, wobei ich mich für florale Motive entschied, sowie eine Kamelladung mit Zinn und einige Talente Silber zu beschaffen. Außerdem hatte ich noch eine Kamelladung voll mit Tinte, Papyrusrollen und Pergament, um meine Reise schriftlich festzuhalten. Das alles hatte einen großen Teil meines Vermögens verschlungen, eigentlich fast alles. Wenn die Reise ein Erfolg werden würde, dann würde sich mein Einsatz vervielfachen. Falls nicht, könnte ich froh sein, am Ende überhaupt wieder als freier Mann in Rom anzukommen. Alles oder nichts.


    Natürlich war mir bei diesen Aussichten etwas bange, doch hatte ich mich entschieden. Ich musste es wagen. Noch war ich jung und hatte kaum Verpflichtungen. Wenn ich erst einmal älter wäre, könnte ich eine solche Reise nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren. Jetzt war der richtige Zeitpunkt.


    In einem Laden auf dem Campus Martius hatte ich mir eine Spatha gekauft, welche mich auf dieser Reise begleiten sollte. Ich hatte mir auch einen ehemaligen Gladiator, Hasdrubal, der in seiner Heimat einst Arpan hieß, als Sklaven gekauft, der mich im Kampf trainieren sollte, damit mich selbst zur Wehr setzen konnte. Zwar hatte mein Vater dafür gesorgt, dass ich trainieren musste, selbst am Museion. Doch war er damals fern gewesen und ich war am Schwertkampf nie so interessiert gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte, wenngleich ich zumindest eine solide Grundlage im Schwertkampf erworben hatte. Für Hasdrubal hatte ich entschieden, ihn spätestens in Baktrien freizulassen. Ob das nah an seiner sarmatischen Heimat war, konnte ich nicht beurteilen. Allerdings hatte ich für ihn ein Donativum eingeplant, mit dem ich ihm hoffentlich seine Heimreise ermöglichen würde. Jedoch hatte ich ihm das noch nicht mitgeteilt und würde es auch erst dann machen, wenn ich ihn freilassen würde.


    So waren wir nun mit jeder Menge Waren an Bord der einmastigen Corbita, deren Kapitän sehr freundlich zu uns war. Das lag sicher auch an der guten Bezahlung, mit der ich den sicheren Transport von mir, meinem Sklaven und den Waren gewährleisten wollte. Ich beobachtete die Besatzung beim Lösen der Taue und verspürte zugleich Fernweh und Heimweh. Ich hoffte, dass Matidia mir verzeihen würde, dass ich sie vermutlich für einige Jahre im Stich lassen würde. Doch war ich mir sicher, dass sie sich über die Geschichten, die ich danach zu erzählen hätte, freuen würde.


    Langsam verließen wir den Hafen und ich sah mir das Gewirr der Fracht-, Militär- und Fischerboote an. Es herrschte ein frischer Wind, der uns nach dem Verlassen des Hafens schnell Fahrt aufnehmen ließ. Langsam, aber stetig, wurden die Gebäude Ostias immer kleiner, bis schließlich nur noch der hohe Leuchtturm sichtbar war. Doch auch dieser wurde immer kleiner, bis er schließlich hinter dem Horizont verschwand. Auf der Backbordseite erstreckte sich von Horizont zu Horizont die Küste Italiens mit ihren vielen kleinen Fischerdörfern und den kleinen Hafenstädtchen. Mir gefiel dieser Anblick. Doch zugleich wurde mir bewusst, dass mich die Fahrt immer weiter von meiner Heimat, Rom, wegführen würde. Weiter, als ich jemals gereist war. Vielleicht sogar weiter, als jemals ein Römer gereist war.


    In den nächsten Tagen passierten wir Misenum und ich skizzierte den Blick auf den Feuerberg, der Herculaneum, Pompeii und andere Städte mit seiner Asche verschlungen hatte. Ich fragte mich, ob man nicht einmal graben könnte, um die Toten einem richtigen Begräbnis zuzuführen, doch kam mir schon bald der Gedanke, dass sie genau so begraben waren, wie Vulcanus sich das vorgestellt hatte. Und mit einem Gott anlegen wollte ich mich nicht.


    Nach weiteren Tagen passierten wir die Südspitze Italiens und drehten nach Osten, fuhren dann entlang der griechischen Küste und machten einen Stopp in Piraeus. Diesen Stopp hätte ich gerne genutzt, um mir Athenae anzusehen. Leider gab mir der Kapitän zu verstehen, dass wir dort nur übernachteten und am nächsten Morgen weiterfahren würden. So musste ich also mit meiner Koje vorlieb nehmen und die Polis ein anderes Mal besuchen. Am nächsten Tag ging es weiter in Richtung Zypern.


    Sim-Off:

    "Seres" war der römische Begriff für Chinesen

    Ein iunischer Sklave brachte diesen Brief zur Domus Annaea:


    Ad

    Lucius Annaeus Florus Minor

    Domus Annaea

    Roma


    Mein Patron,


    ich schreibe dir diesen Brief, weil ich mich auf eine Reise begebe und die Winde günstig sind, so dass mich der Kapitän zur Abfahrt drängt. Nach seiner Meinung beginnen bald die Winterstürme und dann komme ich nicht weiter. Auf eine Verabschiedung bei der Salutatio muss ich deshalb leider verzichten.


    In Mogontiacum habe ich nun eine lange Zeit bei meiner Familie verbracht. So weit sind alle wohlauf. Auch habe ich einen Cursus Iuris abgehalten, den zwar nur zwei Teilnehmer besucht haben. Diese waren aber sehr gute Studenten. Der eine ist ein Decurio der Ala I Aquilia Singularum mit Namen Publius Matinius Sabaco. Der andere ist dein Klient Nero Aemilius Secundus. Aemilius Secundus hat meiner Meinung nach durchaus das Potential, um ein guter Jurist und irgendwann einmal Praetor zu werden. Fehlende Wissenslücken im Rechtswesen konnten im Cursus Iuris geschlossen werden. Allerdings neigt er zu recht harten Urteilen. Juristisch habe ich aber nur wenig auszusetzen gehabt.


    Nun zurück zu mir und meiner Reise. Ich bin zwar seit kurzem wieder in Rom, will aber nach Osten reisen, da ich eine kommentierte Karte fand, die den Weg bis Alexandria Eschate beschreibt. Diesen Weg werde ich gehen und noch darüber hinaus. Das Land der Serer interessiert mich, vor allem die Herkunft der Seide. Es soll mein letztes großes Forschungsprojekt werden, bevor ich mir eine Frau suche und eine Familie gründe. Sozusagen mein Meisterstück zu Ehren des Museions, Roms und der Götter. Die Gefahren sind mir bewusst, ebenso die Dauer. Persönlich rechne ich mit etwa drei Jahren.


    Sollte ich nicht zurückkehren, hat mein Verwandter Sisenna Iunius Scato alle notwendigen Weisungen erhalten.


    Nun muss ich aber dringend mein Schiff erreichen.


    Ich verabschiede mich somit bei dir und hoffe, dir nach meiner Rückkehr ein schönes Geschenk aus fernen Ländern übergeben zu können.


    Mögen die Götter über dich und deine Familie wachen.


    Vale bene


    Siegel Aulus Iunius Tacitus Advocatus

    Nachdem ich den Cursus Iuris abgeschlossen und alle Vorbereitungen für meine geplante Reise abgeschlossen hatte - zumindest jene Vorbereitungen, die ich in Mogontiacum abschließen konnte, war es an der Zeit, abzureisen. Es war schon spät im Jahr und das Wetter würde sicher nicht besser werden. Es war also an der Zeit. Natürlich hätte ich bis zum Frühjahr abwarten können, aber ich war voller Neugierde auf ferne Länder und das Fernweh hatte mich gepackt.


    Es war noch dunkel und ich war der erste Iunier, der heute auf den Beinen war. Das war geplant, weil ich kein Freund großer Abschiede war. Ich hatte meinen Verwandten eine Notiz hinterlassen, dass ich mich auf eine wichtige Reise in den Osten begeben musste. Dass mit diesem "Osten" nicht der Osten des Imperiums gemeint war, sondern Länder jenseits davon, erwähnte ich absichtlich nicht. So konnte man auch deuten, dass ich ans Museion reisen würde oder an die östlichen Küsten des Mare Nostrum. Scato kannte die Wahrheit, aber der Rest meiner Verwandten, vor allem Matidia, musste es ja nicht erfahren. Sie würde sich da nur Sorgen machen.


    So packte ich meine Sachen auf mein Pferd und verließ die Domus Iunia. Ich führte das Pferd bis zur Via Borbetomaga und folgte dann der Straße, bis es dämmerte. Ab da ritt ich. Mein Weg würde mich zunächst nach Rom führen. Dort würde ich meine Reisevorbereitungen abschließen, denn in Rom gab es alles, was ich auch nur ansatzweise brauchen würde. Von dort aus würde es weitergehen nach Osten.