Tán Lì war nicht sonderlich erstaunt, dass ich befördert worden war. Wahrscheinlich hatte er es bereits vorher erfahren, denn er schien am Kaiserhof sehr gut vernetzt zu sein. Durch meine Beförderung verschob sich meine Abreise aus Luòyáng um eine weitere Woche. Der Schneider freute sich über den nächsten Auftrag, der für mich noch teurer war, als der letzte. Die Farbe meines Ranges war nun rot, weshalb das Gewand unter dem äußeren Gewand rot sein musste. Die Seidenschuhe der Hofkleidung mussten nun goldene Paspeln und Verzierungen haben, also musste es auch neue Schuhe geben. Das Jìnxián Guān hatte nun auf der Stirn fünf goldene Paspeln. Die beiden zusätzlichen Paspeln konnte man aber nicht einfach ergänzen, sondern es bedurfte einer neuen Kopfbedeckung. Und als wäre das nicht genug gewesen, konnte ich selbst die über allem getragene rote Robe nicht mehr verwenden, sondern musste mir eine neue kaufen, die nun Drachen in roter Seide aufgestickt hatte. Durch die unterschiedliche Laufrichtung des Fadens bei Stickerei und Robe waren sie im Widerschein des Lichts sichtbar. Natürlich kostete das alles Geld, etwa das Doppelte, wie mein letzter Satz Hofkleidung.
Immerhin wurde meine Laune schnell besser, als ich zwei Tage nach der Audienz dazu aufgefordert wurde, meine Besoldung in Empfang zu nehmen. Der Minister der Massen hatte veranlasst, dass ich zwei Jahresgehälter erhalten sollte, um so die Reise und, falls ich dies wünschte, die Rückreise durch die Summe abgedeckt wären. Es wären sechsundneunzigtausend Münzen gewesen, allerdings erhielt ich hiervon nur fünfzigtausend in den hier typischen Münzen der Art einer drachma, während er Rest in Form von wertvoller Seide höchster Qualität. Zusätzlich erhielt ich noch Tee, Wein und etliche Säcke Reis. Spätestens ab jetzt hatte sich meine Reise gelohnt.
Ich nutzte die Zeit auch, um eine Lösung für Tán Lì's Nichte zu finden. Sie erschien mir als die perfekte Braut für Jì Mǐn. Sie war zwar drei Jahre älter als er, aber mit ihrer Bildung würde sie ihm bei seinem Studium an der kaiserlichen Akademie sicher unterstützen können. Außerdem war sie die Tochter eines angesehenen, wenngleich verstorbenen, Offiziers und die Nichte eines einflussreichen Palasteunuchen. Die fehlende Jungfräulichkeit konnte das Geheimnis von Jì Mǐn, ihr, mir und Tán Lì bleiben. Als Mitgift könnte Tán Lì Unterkunft und Verpflegung von Jì Mǐn während dessen Studium übernehmen. Außerdem würde ich noch zehntausend Münzen als Mitgift hier lassen. Das alles würde Jì Dé sicher genügen, um seine Zustimmung zu erteilen. Wobei ich mir sicher war, dass er das von einer Aufnahme von Jì Mǐn an der kaiserlichen Akademie abhängig machen würde.
Daher vereinbarte ich einen Termin mit dem Minister der Zeremonien, der nur einen Rang über mir war, um ihm Jì Mǐn vorzustellen. Der Minister der Zeremonien war zugleich mit der Aufsicht und fachlichen Leitung der kaiserlichen Akademie betraut. Da meine neue Hofkleidung noch nicht fertig war, hatten wir den Termin in den Hallen der kaiserlichen Akademie vereinbart, so dass ich in einfacher schwarzer Gelehrtenkleidung erscheinen konnte. Die Kleidung war aber weiterhin aus Seide. Ich hatte auch Jì Mǐn angewiesen, sich bestmöglich zu kleiden. Zusammen hatten wir uns mehr als rechtzeitig auf den Weg gemacht.
Wir durchquerten die Stadt südwärts, bis wir die südliche Mauer erreichten. Wir durchschritten eines der Tore in Richtung des Luòhé. Der Fluss war etwa eine Meile südlich der Stadtmauer. Ganz so weit war die Akademie zum Glück nicht. es handelte sich um ein großes Gebäude mit mehreren Nebengebäuden. Der Fläche nach schätzte ich den gesamten Komplex als etwas größer ein, als es das Museion mitsamt Bibliothek war. Natürlich waren hier auch dreizigtausend Lehrende und Lernende untergebracht, was deutlich mehr Menschen waren, als man am Museion finden konnte.
Am Eingang meldete ich uns ordnungsgemäß an, wobei ich die schriftliche Einladung zum Termin vorzeigte. Da mein Rang so leicht nicht erkennbar war, wurde er erst bei der Einladung offenbar. Das ließ den Gelehrten, der uns zunächst skeptisch gemustert hatte, erbleichen und sich anschließend mehrfach verbeugen und um Vergebung zu bitten, dass er mich nicht erkannt habe. Ich beruhigte ihn, indem ich ihm sagte, dass ich ja auch erst seit Kurzem in Luòyáng wäre und er mich deshalb noch nicht kennen könne.
Nach einer kurzen Wartezeit wurden wir in ein mittelgroßes Zimmer geführt. Dort saß der Minister der Zeremonien in der Mitte, mit je einem Gelehrten rechts und links von ihm. Ich verneigte mich angemessen, während sich Jì Mǐn sehr tief verbeugte. Nach der Erwiderung der Verneigung durch eine leichte Verneigung des Ministers und tiefe Verbeugungen der Gelehrten, die letztlich mir und nicht Jì Mǐn galten, sprach der Minister mit einem höflichen Lächeln. "Willkommen in der Tàixué, Yúnzǐ. Bitte, setzt Euch." Es gab nur ein Seidenkissen, auf dem ich Platz nehmen konnte. Folglich musste Jì Mǐn stehen. Das hatte ich auch so erwartet.
"Ich danke Euch für die Ehre, mich in diesen Hallen des Lernens zu empfangen, Tàicháng Sì," erwiderte ich, während ich mich setzte. Ich hatte entschieden, ihn mit seinem Ministeramt anzusprechen und nicht mit seinem Namen.
Der Minister deutete auf Jì Mǐn. "Dies ist der begabte junge Mann, den Ihr mir vorstellen wollt?"
Natürlich war das offensichtlich, aber das war auch nicht der Zweck der Frage. "Tàicháng Sì, das ist der junge Herr Jì Mǐn. Er ist der Sohn eines Freundes, der mich auf einem langen Stück meiner weiten Reise begleitet hat. Tatsächlich haben mich beide begleitet, weshalb ich mir ein gutes Bild von Jì Mǐn machen konnte. Er ist neugierig, pflichtbewusst und dem Kaiser treu ergeben. Seine Kindespflichten gegenüber seinem Vater erfüllt er stets vorbildlich und mit größtmöglicher Ehrerbietung und Gehorsam. Er lernt begierig und schnell. Natürlich hat er noch erhebliche Wissenslücken, aber deshalb soll er schließlich hier studieren. Ich bitte Euch, ihm einen Platz unter den Studenten der Tàixué zuzuweisen." Dann verneigte ich mich leicht.
"Ihr seid voll des Lobes, Yúnzǐ. Jedoch hörte ich, dass sein Vater ein einfacher Händler sei. Stimmt das?"
Die Frage des Ministers war kritisch, weil Händler nur geringes Ansehen genossen und nur als wenig ehrenvoll galten. Ihr gesellschaftlicher Status war unter dem der Bauern und Handwerker. Nur Sklaven und Barbaren standen unter ihnen. Ich wusste allerdings, dass dies streng genommen nur für registrierte Händler galt, nicht jedoch für reisende Kaufleute. "Der Vater des jungen Mannes, mein Freund Jì Dé, ist kein einfacher Händler. Er ist Fernkaufmann, der Waren in und aus fernen Ländern bringt. Ein registrierter Händler ist er jedoch nicht, da er Karawanen führt und kein Ladengeschäft. In Cháng'ān genießt er höchstes Ansehen. Ich habe Jì Dé stets als Mann von Ehre wahrgenommen und er hat seine Kinder, also auch seinen Sohn Jì Mǐn, der nun hier steht, zu ehrenhaften Menschen erzogen."
Der Minister nickte, während sich die Gelehrten Notizen machten. "Ihr verbürgt Euch für ihn, Yúnzǐ?"
Das war die wichtigste Frage. Dadurch, dass ich mich verbürgte, übernahm ich die volle Verantwortung für das Verhalten von Jì Mǐn. Seine Fehler würden als meine Fehler gesehen. Ich musste mir hier also absolut sicher sein. "Ja, ich verbürge mich für ihn, Tàicháng Sì."
Der Minister nickte zufrieden. "Gut, dann wollen wir das Wissen des jungen Mannes testen."
In den anschließenden Stunden prüften die beiden Gelehrten und der Minister das Wissen von Jì Mǐn über die Schriften des Kǒng Fūzǐ, aber auch seine Intelligenz und Argumentationsfähigkeit. er schlug sich recht gut und blieb immer höflich und äußerst respektvoll. Das schien sie zu überzeugen und man gestattete ihm in drei Wochen das Studium zu beginnen. Man fragte ihn noch, ob er eine Unterkunft in der Akademie benötigte, was er mit einer gewissen Unsicherheit beantwortete, da er nicht wisse, ob er nicht in Kürze heiraten könne. Das wurde auch sehr gut aufgenommen. Man empfahl ihm, zunächst in der Akademie zu wohnen und nach seiner eventuellen Heirat selbstverständlich außerhalb der Akademie mit seiner Frau zu wohnen. Nach einer angemessenen Verabschiedung verließen Jì Mǐn und ich die Akademie.
Erst, nachdem wir wieder das Stadttor durchquert hatten, fiel die Anspannung von Jì Mǐn ab. Jetzt konnte er ein Dauerlächeln nicht mehr unterdrücken. Er war glücklich, wusste er doch, dass er in einigen Jahren ein Beamter sein würde. Noch mehr gesellschaftliches Ansehen gab es außerhalb des Fürstenstandes nicht. Und dazu würde er in nicht allzu langer Zeit auch noch eine wunderschöne und kluge Frau aus gutem Hause heiraten. Was konnte er mehr wollen?
Zur Feier des Tages lud ich ihn in ein teures Gasthaus zum Essen ein und wir speisten sehr gut. Die Gelegenheit nutzte ich, um ihn zu ermahnen, dass er auch nach seiner Hochzeit seine Energie vor allem zum Studium aufwenden sollte. Mir war natürlich bewusst, dass das mit einer schönen Frau zu Hause nicht leicht sein würde, was ich ihm auch genauso sagte. Er grinste, versprach aber, mich nicht zu enttäuschen. Auch ihm war klar, was es bedeutete, dass ich für ihn gebürgt hatte. An seinem Pflichtbewusstsein hatte ich aber keinen Zweifel.
Am Abend schrieb ich einen Brief an Jì Dé, in dem ich ihm berichtete, dass sein Sohn in Kürze Student der kaiserlichen Akademie sei und dass ich eine Frau für ihn gefunden hätte. Ich schrieb auch ein paar Zeilen über Tán Yù. Erst danach erwähnte ich meine Beförderung, um schließlich festzustellen, dass ich sein Einverständnis zur Heirat seines Sohnes erwarten würde und es ihm notfalls auch einfach befehlen könnte. Ich wusste, dass er auch ohne diese Drohung zustimmen würde. Noch mehr wusste ich aber, dass Jì Dé spätestens in dieser Androhung erkennen würde, dass ich eine wirklich gute Partie für seinen Sohn gefunden hatte.
Am nächsten Tag machte ich Jì Mǐn und Tàn Yù miteinander bekannt. Er war sofort hin und weg und auch Tán Yù schien von ihm ganz angetan zu sein. Tán Jì war ebenfalls bei dem Gespräch dabei und teilte bei einem abendlichen Gespräch unter vier Augen meine Auffassung, dass man eine harmonische Ehe erwarten könne.
Die letzten Tage in Luòyáng nutzte ich, um diese beeindruckende Hauptstadt noch etwas besser kennenzulernen, doch schließlich musste ich immer mehr Zeit in der Organisation der Weiterreise stecken. Wir hatten Boote auf dem Yáng Yùnhé gemietet, dem Kanal, der Luòyáng mit dem Luòhé verband. Es wurden die Waffen und das Gepäck verladen, während schließlich auch zwölf Geschenke des Kaisers von Hán an den Kaiser von Rom eintrafen, die ich zusammen mit einer ebenfalls eingetroffenen Grußbotschaft transportieren sollte.
Als mein neuer Satz Hofkleidung fertiggestellt war, kam schließlich der Tag des Abschieds. Ich verabschiedete mich respektvoll von Tán Lì und seiner Nichte Tán Yù. Der Abschied von Jì Mǐn, der bis zum Beginn seines Studiums und nach seiner Heirat bei Tán Lì wohnen würde, fiel mir schwerer. Ich hatte den jungen Mann in mein Herz geschlossen, als wäre er ein Teil meiner Familie. Was es mir leichter machte, war die unglaubliche Vorfreude von ihm auf sein Studium und seine künftige Ehe. Obwohl wir es beide bedauerten, dass ich nicht bei seiner Hochzeit dabei sein konnte. Was er nicht wusste, war, dass ich bei Tán Lì ein Hochzeitsgeschenk für ihn hinterlegt hatte, welches aus einem Satz Seidenkleidung und einem kleinen Buch von mir mit Tipps zur Lebensführung bestand. Ob ich bereits über genug Weisheit und Lebenserfahrung für ein solches Buch verfügte, wusste ich nicht. Es war mir aber auch egal.
Nach dem Abschied machte ich mich auf den Weg zu den Booten, wo Wú Liàng und seine Soldaten bereits auf mich warteten. Er schien extrem stolz zu sein, mit einem so hohen Beamten zu reisen und hatte seine Soldaten richtig herausgeputzt. Die Truppe war auf die Boote verteilt und als ich an Bord des ersten Bootes gegangen war, ging die Reise los. Während die Bootsmannschaft das Gefährt langsam den Kanal hinab gleiten ließ, blickte ich über unseren kleinen Konvoi zurück nach Luòyáng. Ich nahm mir vor, im Falle einer Rückkehr nicht nur ein paar Tage oder Wochen, sondern eher ein paar Monate hier zu verbringen. Es gab noch so viel zu entdecken. Schließlich blickte ich nach vorne in das weite Tal, in dem der Kanal ostwärts führte. Meine Reise führte mich weiter weg von meinen neuen Freunden und, rein geografisch, auch zunächst weiter weg von Rom. Doch wusste ich, dass es von der östlichen Küste aus zunächst südwärts und dann zurück nach Rom gehen würde. Und langsam, sehr langsam, wich die Neugier und das Fernweh einer leichten Sehnsucht, meine Verwandten wiederzusehen.