Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Knappe zwei Wochen, nachdem wir Muziris in Indien verlassen hatten und über das offene Meer segelten, erreichten wir wieder Land. Kapitän Porcius Natta schien die Küste erst einmal nicht zuordnen zu können und beschloss, westwärts an der Küste entlang zu segeln. Wir schienen das gewünschte Ziel verpasst zu haben. Gegen Mittag schien er sich aber wieder auszukennen. Er deutete auf eine Felsstruktur, die mich an den Mons Vesuvius erinnerte. Allerdings war der Vesuvius höher als der Fels, den ich nun sah. Das wurde umso deutlich, je näher wir dem Fels kamen. Der Felsen schien eine Halbinsel zu formen. In unsere Richtung, also nach Osten, war der Krater des Felsens offen und beherbergte eine Stadt aus Lehmziegeln. So also sah Arabia Emporion aus.


    Wir legten im Hafen an und von hier aus schätzte ich, dass der Rand des Kraters etwas mehr als zweieinhalb stadia hoch über uns ragte. Porcius kam auf mich zu. "Tacitus, die zahlen hier ziemlich hohe Summen für gute Seide. Dafür kommst du hier ziemlich günstig an Weihrauch und Myrrhe heran. Wenn du magst, kannst du mich begleiten."


    Mir war klar, dass er so etwas Platz schaffen wollte. Aber mir war es recht, schließlich konnte ich so auch wesentlich einfacher später weiterreisen. "Sehr gerne. Und ich werde ein paar Seidenballen mitnehmen."


    Gesagt, getan. Ich suchte mir drei Ballen aus. Nicht die beste Qualität, aber doch ziemlich gut. Als Erstes durfte ich für die Seide Zoll bezahlen, den ich in Diamanten entrichtete. Das war einfach günstiger. Dann ging es auf den Markt, wo mich Porcius tatkräftig beim Verkauf der Seide unterstützte. Den dicken Beutel römischer und indischer Münzen, den ich dafür erhalten hatte, gab ich vor allem für Weihrauch bester Qualität aus. Für einen geringeren Teil wurde Myrrhe gekauft und den Rest gab ich für ein Holz mit vielen Flecken aus schwarzem Harz aus, das zugleich balsamisch-süß, würzig und angenehm holzig roch. Das Holz hieß hier auf Koiné Agallochon, während es Porcius mit dem Namen Lignum Aloes bezeichnete. So sah das also aus! "Du weißt aber, dass du das in Indien günstiger bekommen hättest?"


    Ich sah Porcius Natta einen Moment lang an. "Wenn ich das wüsste oder gewusst hätte, meinst du, dass ich es dann hier kaufen würde?"


    "Guter Einwand," meinte Porcius, der mit einem großen Sack voll Weihrauch neben mir zum Schiff zurück kehrte. Gemeinsam hatten wir den Weihrauchhändler ziemlich leergekauft.


    Wieder an Bord verstauten wir unsere Waren und genossen den Abend. Dass ich immer noch serisch gekleidet war, verwunderte Porcius. Noch mehr verwunderte es ihn, dass ich beabsichtigte, mich auch weiterhin so zu kleiden, bis ich den Befehl ausgeführt und dem Kaiser in Rom die Grüße des Kaisers von Hàn übermittelt hätte. Doch zu einem gewissen Grad konnte er das sogar nachvollziehen.


    Wir blieben noch ein paar Tage im Hafen, bis sich genug Schiffe zusammengefunden hatten, um als Konvoi zu fahren. In den kommenden Gewässern gab es wohl immer wieder Piraten, so dass ein Konvoi einfach sicherer war. Als der Konvoi groß genug war, stachen wir in See. Aegyptus war nicht mehr weit.



    Sim-Off:

    Arabia Emporion ist die heutige Stadt Aden im Jemen

    Als ich dann im Hafen ankam, ließ ich meine Waren von der Dschunke auf die zweimastige Corbita von Porcius Natta umladen. Er erwartete mich bereits und führte mich kurz über sein Schiff. Dann ließ er mich allein in dem für mich vorgesehenen Bereich. Man hatte mir eine Koje und einen Tisch ins Quartier gestellt, das noch sehr groß aussah. Doch mit jeder Ladung waren und Aufzeichnungen, die hinein transportiert wurden, schrumpfte der Platz, der mir zur Verfügung stand. Am Ende war nur noch ein schmaler Weg zwischen der Koje, dem Tisch und dem Vorhang, der mein Quartier vom Rest des Schiffes abtrennte, frei. Das würde also meine Unterkunft für die nächsten Wochen sein.


    Bevor ich mich von dem Kapitän der Dschunke verabschiedete, stellte ich ihm noch ein gesiegeltes Empfehlungsschreiben aus. Es sollte ihm als Beleg dafür dienen, mich wirklich in Indien abgesetzt zu haben, aber vor allem als Nachweis seiner Zuverlässigkeit, wenn er sich um Aufträge der Regierung des Reiches Hàn bemühen wollte.


    Die Nacht verbrachte ich bereits an Bord der Corbita, die am nächsten Morgen in See stach. Wir hatten einen guten, raumen Wind, der uns schnell auf das offene Meer trug. Je weiter wir auf das Meer hinausfuhren, umso angenehmer wurden die Temperaturen. Nachdem alle Segel ordentlich gesetzt waren und das Schiff ruhig und so weit wie möglich gerade nach Westen fuhr, kam Porcius Natta auf mich zu und bat mich, von den ersten Abschnitten meiner Reise zu berichten. Ich hatte mein Wort gegeben, und so berichtete ich in den nächsten Tagen von Antiochia am Orontes, der syrischen Wüste, von Dura Europos und schließlich von Babylon.

    In den nächsten Tagen versuchte ich, Platz zu sparen. Meine Aufzeichnungen konnte ich unmöglich aufgeben. Auch die Kleidungsstücke, Keramik und die beiden zusätzlichen Schwerter standen nicht zur Diskussion. Ebensowenig die Geschenke für den Kaiser. Also blieben nur die Seidenballen. Die besten Qualitäten würde ich ebenfalls nicht abgeben, aber die mittleren und geringeren Qualitäten, von denen ich auch am meisten besaß, konnte ich veräußern. Gewürze zu veräußern machte für mich keinen Sinn.


    Den Ertrag aus dem Verkauf der Seidenballen nutzte ich, um Diamanten, Saphire und Gewürze zu kaufen. Dabei gab ich den Edelsteinen eindeutig den Vorzug. So viel Wert bekam man anders nicht für einen so geringen Platzbedarf. Dennoch konnte ich nicht unterhalb von sechs Kamelladungen landen. Das würde teuer werden. Und das wurde es auch. Dennoch war es mir das wert, so dass ich schließlich mit Porcius Natta eine Einigung fand. Der Bugbereich des ersten Unterdecks sollte mir gehören und sogar mit einem Vorhang vom restlichen Schiff abgetrennt werden. Bei dem Preis von einigen Karat Diamanten konnte man das aber auch erwarten. Verpflegung war natürlich inklusive, wobei ich die gleiche Kost erhalten sollte, die auch die Mannschaft erhielt.


    Bevor die Waren auf Nattas Schiff umgeladen wurden, gab es aber noch etwas zu erledigen. Für Arpan würde die Reise hier enden. Er hatte mit den Mönchen im lokalen Tempel der Buddhisten gesprochen und sie waren bereit, ihn aufzunehmen. Ich half ihm bei seinen Vorbereitungen. Sorgfältig rasierte ich sein Haupthaar, seinen Bart und seine Augenbrauen, sowie seinen Rücken. Den Rest konnte er selbst rasieren. Es war zwar eigentlich unter meiner Würde sowohl als Römer, als auch als hoher serischer Beamter. Doch Arpan war ein Freund und es war eine gute Übung in Demut, dass ich ihm diesen Gefallen tat. Schließlich badete er sich, wobei ich mit einem Schwamm seinen Rücken reinigte. Danach hüllte er sich in eine einfache orangene Baumwolltoga, so wie sie die buddhistischen Mönche hier trugen. Während er sich so relativ schnell ankleidete, beschloss ich, mich in die volle Hoftracht eines Beamten dritten Ranges zu kleiden. Lediglich auf mein Schwert verzichtete ich.


    So kamen wir beide so unterschiedlich zur Inordinationszeremonie in den buddhistischen Tempel, wie es nur sein konnte. Arpan war barfuß und lediglich in die orangene Toga gekleidet. Ich hingegen trug rote Seidenschuhe, Unterkleidung aus weißer Seide, ein Gewand aus roter Seide und ein weites Übergewand mit weiten Ärmeln aus roter Seide, das von einem breiten roten Seidengürtel umschlossen wurde, an dem ein hellgrünes Jadesiegel hing. Dazu eine Kappe aus schwarzer Seide mit goldenen Verzierungen. Hier der in beste Seide gekleidete hohe Beamte, dort ein einfacher Mensch in einem Baumwollgewand, an dem die orangene Farbe noch das Teuerste war.


    Der Abt begrüßte uns beide und verbeugte sich vor mir. Ich gab mir Mühe, mich vor dem Abt tiefer zu verbeugen, als dieser sich vor mir verbeugt hatte. Arpan fiel vor dem Abt auf die Knie und verbeugte sich dreimal, bis seine Stirn den Boden berührte. Schließlich gingen wir in den Tempel. Vor einer steinernen Statue des Buddha saßen die Mönche auf einem erhöhten Teil des Tempels. In ihrer Mitte war ein Platz frei, an dem der Abt sich niederließ. Arpan wiederholte seine Verbeugung, die er vor dem Abt geleistet hatte, während ich mir erneut tief, aber stehend verneigte. Im Folgenden rezitierten die Mönche in einer mir unbekannten Sprache vermutlich heilige Texte. Dann trat Arpan drei Schritte hervor und gelobte auf Sanskrit, dass er fortan in Armut und Keuschheit leben wollte und sich dem Studium der Schriften und der Meditation widmen wollte. Dass er das gelobte, wusste ich, weil er es mir zuvor erklärt hatte. Sanskrit beherrschte ich nicht. Am Ende der Zeremonie erhielt er eine eiserne Bettelschale und durfte am Rand neben den Mönchen auf dem erhöhten Boden Platz nehmen. Ich verneigte mich vor dem Abt, dann vor ihm und schließlich vor jedem einzelnen Mönch, so wie ich es bereits zuvor getan hatte. Dann verließ ich den Tempel und wartete, während ich in Richtung des Meeres blickte.


    Nach einer Weile vernahm ich Arpans Stimme. "Ich danke dir, dass du mich bei der Zeremonie unterstützt hast, mein Freund."


    Ich drehte mich zu ihm. "Kein Grund, mir zu danken. Es war nicht allzu viel, was ich getan habe."


    "Du hast deinen Stolz bezwungen, um mich vorzubereiten."


    "Stolz ist die Illusion, mehr zu sein, als man ist," entgegnete ich. "Der Edle ist an seiner Würde interessiert, aber nicht an Stolz. Ihn interessiert nur die Harmonie der Welt."


    Arpan lächelte. "Dann glaubst du, die Stufe des Edlen erreicht zu haben?"


    Ich lächelte zurück. "Nicht einmal Meister Kǒng glaubte, dass er diese Stufe erreicht hatte und es ist fraglich, ob sie überhaupt jemals ein Mensch erreichen wird. Doch wäre es vermessen, das als Entschuldigung dafür zu nehmen, dem Edlen nicht nachzustreben."


    "Hàn hat dich stark geprägt. Bist du sicher, dass du noch nach Rom gehörst?" Arpans Frage war ernst gemeint, das merkte ich.


    "Mein lieber Arpan, es gibt nur einen Weg, das herauszufinden." Wieder lächelte ich. "Doch ist diese Frage irrelevant. Ich habe einen Befehl des Sohns des Himmels zu erfüllen. Erst danach mag ich mir diese Frage stellen. Falls ich sie für relevant erachte."


    Arpan erwiderte mein Lächeln. "Du wirst deinen Weg machen, Aulus Iunius Tacitus. Ich danke dir für den Weg, den wir zusammen gegangen sind. Du hast mir gezeigt, dass nicht alle Römer so sind wie diejenigen, die meine Herren waren. Bleib so, wie du bist. Ich werde hier meinen Frieden finden."


    Das war nun also der Moment des Abschieds. "Ich hoffe doch, dass ich dereinst ein besserer Mensch sein werde, als jetzt. Ich bin dir zutiefst dankbar, mein lieber Arpan. Für deine Loyalität, deine Freundschaft und dafür, dass du mich auf dieser langen Reise begleitet hast. Mögest du deinen Frieden finden. Ich werde dir stets in Freundschaft verbunden sein." Schließlich verneigte ich mich so, wie ich mich vor dem Abt verneigt hatte.


    Arpan ergriff meine Schultern und drückte mich wieder nach oben, bis ich aufrecht stand. "Bitte, mein Freund, bitte... du brauchst dich vor mir niemals zu verbeugen. Wir sind Freunde!"


    Ich atmete tief durch, denn am liebsten hätte ich ihn zum Abschied umarmt. Und ich musste auch ein wenig mit mir kämpfen, um nicht emotional zu werden. So, wie auch Arpan, das sah ich ihm an. "Ich verneige mich nicht vor dem Menschen, sondern vor dem Mönch," sagte ich mit fester Stimme. Er schien mich zu verstehen. Dann ging ich drei Schritte rückwärts und verneigte mich erneut, bevor ich mich schließlich aufrichtete, Arpan noch einmal zulächelte und mich schließlich zum Gehen wendete. Dabei glaubte ich, eine Träne in Arpans Augenwinkel entdeckt zu haben. Wenn ich noch länger hier gestanden hätte, wäre es mir wohl ähnlich ergangen. Doch so bewahrte ich meine Würde und verließ den Tempel.

    Nachdem wir in Taprobana in See gestochen waren, umfuhren wir binnen einer Woche die Südspitze Indiens, um dann eine weitere Woche gegen ungünstige Winde der Küste zu folgen. Schließlich erreichten wir die Hafenstadt, die auf Koiné Muziris genannt wurde. Die hiesige Bevölkerung nannte ihre Stadt Muciṟi. Für den Kapitän der Dschunke war es das Ende seiner Reise. Er gestattete mir aber, meine Waren noch an Bord zu lassen, bis ich ein Schiff fand, das mich weiter nach Westen bringen würde.


    So gingen wir von Bord und ich erblickte etliche Menschen in mediterraner Kleidung. Mir begegneten auch häufig römische Münzen, vor allem Aurei und Denare. Ganz offensichtlich war ich meiner Heimat ein ganzes Stück näher gekommen. Auf den Märkten wurden Gewürze, Halbedelsteine, Perlen, Diamanten und Saphire, aber auch Elfenbein und serische Seide angeboten. Aus dem Westen wurden dünne Kleidung, auch aus hauchdünner, durchscheinender Seide, bestickte und gefärbte Stoffe, Kupfer, Zinn, Blei und Koralle, aber auch Glaswaren und Wein angeboten. Ich hatte das Gefühl, dass sich an diesem Ort Orient und Okzident trafen. Neben Griechen, Ägyptern, Malaien, Parthern, jeder Menge Indern und ein paar Serern begegnete mir auch eine kleine Gruppe von Menschen, die ich an ihrer Sprache erkannte. Sie sprachen Latein! Es kam mir so ewig lang vor, dass ich zuletzt Latein gehört und erst recht gesprochen hatte, dass ich die Männer einfach ansprechen musste. "Salvete!"


    Sie drehten sich zu mir um und schienen unschlüssig zu sein, was sie mit meinem Gruß anfangen sollten. Meine serische Gelehrtenkleidung mit dem Schwert im Gürtel und dem Amtssiegel aus hellgrüner Jade, das am Gürtel baumelte, schien ihnen nicht zu einem Menschen zu passen, der Latein sprach. So ergriff ich weiter das Wort, wobei ich mir Mühe gab, so präzise wie vor Gericht die Worte auszusprechen. "Ich war nun eine Weile nicht mehr im Imperium Romanum, aber als ich vor wenigen Jahren auf Reisen ging, pflegte man einen Gruß zu erwidern. Hat sich das inzwischen geändert? Zum Nachteil, wie ich meinen möchte."


    Das schien das Eis gebrochen zu haben. Der am besten Gekleidete aus der Gruppe streckte mir seine Hand entgegen. "Nein, das hat sich nicht geändert. Doch habe ich noch nie jemanden wie dich gesehen, Fremder. Mein Name ist Titus Porcius Natta. Und dies sind die Offiziere meines Handelsschiffs. Mit wem habe ich die Ehre?"


    Ich ergriff seine Hand. "Es freut mich, dich kennenzulernen, Porcius. Ich bin Aulus Iunius Tacitus."


    Er sah mich skeptisch an, während seine Männer zu lachen begannen. "Nie und nimmer bist du ein Römer!" Dann lachte er auch.


    Ich deutete auf den Ring an meinem Finger. "Das Siegel der Iunier ist dir geläufig? Ansonsten helfe ich dir gerne auf die Sprünge. Aulus Iunius Tacitus aus Rom, studiert am Museion zu Alexandria, Jurist in Rom, Klient des Lucius Annaeus Florus Minor. Des Annaeus Florus Minor, der vor wenigen Jahren Praetor Urbanus war. Na, klingelt da etwas in deinem Gedächtnis?" Natürlich rechnete ich nicht damit, dass er von meinem Namen gehört hatte. Doch zusammen mit dem Ring sollte ihm nun klar sein, dass ich Römer war.


    Wie erwartet, endete das Lachen und man konnte Porcius ansehen, dass er nachdachte. Schließlich schien ihm meine Vorstellung wohl plausibel zu sein, wozu das klare Oberschicht-Latein sicher seinen Beitrag geleistet hatte. "Gut, ich glaube dir. Aber warum kleidest du dich komplett in Seide? Und dann noch in diesem Zuschnitt? Und so dicht gewebt? Ist das nicht zu warm?"


    Nun musste ich mir ein Lachen verkneifen. "Ja, es ist zu warm für dieses Wetter. Aber ich werde dennoch die Würde wahren und mich ordentlich kleiden. Es ist die Kleidung eines serischen Gelehrten. Und ich kleide mich so, weil ich nicht nur Student des Museions, sondern auch serischer Gelehrter bin." Seine Augen wurden größer. "Und bevor du fragst: Ja, das war auch in Serica teuer. Aber deutlich günstiger, als in Rom. Was mich zu einer wichtigen Frage bringt: Hast du Platz auf deinem Schiff, um mich und meine Waren von hier nach Aegyptus zu bringen?"


    "Naja... kommt auf den Platzbedarf an. Ein Schlafplatz kostet Geld. Frachtraum kostet Geld. Je weniger Platz du brauchst, umso günstiger wird es." Dann schien ihm etwas durch den Kopf zu gehen. "Serischer Gelehrter? Warum bist du ein serischer Gelehrter?"


    "Lange Geschichte," erwiderte ich, "aber ich will sie kurz zusammenfassen. Vor wenigen Jahren fand ich in Mogontiacum eine Karte des Alexanderreichs, die auch Straßen, Wege, Landschaften und teilweise die dort gehandelten Waren verzeichnete. Das schien mir ein Zeichen der Götter zu sein, dass ich den Weg nach Osten erkunden sollte. So zog ich über Antiochia am Orontes, Babylon, Antiochia in Parthien und andere Orte bis nach Transoxanien, nach Alexandria Eschate. Von dort überquerte ich ein hohes Gebirge, zog an einer Wüste entlang und über ein weiteres Gebirge bis in eine große Stadt in Serica. Dort weilte ich über ein halbes Jahr und diskutierte und lernte mit serischen Gelehrten, die mich als einen der ihren anerkannten."


    "Warte... du bist den Landweg gegangen? Das muss doch ewig gedauert haben!" Porcius und seine Offiziere sahen mich fasziniert an.


    Ich nickte knapp. "Fast ein Jahr. Und weil das so beschwerlich war, habe ich den Rückweg mit einem Umweg zur serischen Hauptstadt angetreten. Dort erhielt ich eine Audienz beim Kaiser von Serica, der mich beauftragte, meinem Kaiser eine Grußbotschaft zu überbringen. Von dort ging es über Kanäle an die Mündung eines großen Flusses und weiter über den Seeweg bis hierhin. Und nun benötige ich eine Weiterfahrt. Also: Ja oder nein?"


    Die Gruppe beriet sich flüsternd. Schließlich kam Porcius auf mich zu. "Wir reisen in einer Woche ab und nehmen dich mit. Aber das kostet umso mehr, je mehr Platz du haben willst. Und wir verlangen, dass du uns deine Geschichte mit viel mehr Einzelheiten erzählst. Abgemacht?" Er streckte mir seine Hand zu.


    Ich ergriff seine Hand. "Dafür wird auf See mehr als genug Zeit sein. Abgemacht!"

    Nachdem wir die Südprovinz des Reiches Hàn verlassen hatten, segelten wir weiter südwärts bis wir in das Land Fúnán kamen. Das Volk dort nannte sich Khmer und die Stadt, in der wir anlegten, hieß Oc Eo. Es handelte sich dabei um einen Ort, der im Wesentlichen aus hölzernen Pfahlbauten bestand um im Delta eines großen Flusses lag. Um den Stadt herum befanden sich Reisfelder und auf dem Markt gab es frischen Fisch, der von zahllosen Fischern vor Ort zum Verkauf angeboten wurde. Oc Eo schien ein Handelsplatz zu sein, denn man sprach Serisch - wenngleich vor allem in der südlichen Variante, die ich nur schwer verstand. Auch schien man zu erkennen, dass ich ein hoher Beamter des Reichs Hàn war. Das war zwar nützlich, aber nicht in dem Maß, in dem es mir in den Reichsprovinzen nutzte. Das Land Fúnán schien sich von hier aus nach Westen auszubreiten und war wohl eher ein Verbund von Stadtstaaten, als ein geeintes Reich.


    Arpan fiel auf, dass hier in Sanskrit geschrieben wurden. Auch sprach man diese Sprache, die Arpan von den buddhistischen Mönchen gelernt hatte. So war es, wie bei der Reise nach Hàn auf dem Landweg, wieder Arpan, der mir bei der Verständigung half. Zu Beginn der Reise hatte ich nicht damit gerechnet, dass es dieser - inzwischen ehemalige - Sklave sein würde, den ich als Leibwächter gekauft hatte, der mir die besten Dienste als Dolmetscher leistete. Er erkannte, dass nicht nur die Sprache, sondern auch die indische Religion hier großen Einfluss hatte. Da ich mich hierfür interessierte, besuchten wir einen Tempel, in dem ein Gott mit dem Körper eines Menschen und dem Kopf eines Elefanten verehrt wurde. Das erinnerte mich an Ägypten und seine Götter. Die Verehrung selbst war aber anders. Vor allem war die Götterstatue mit bunten Blumenketten geschmückt und überall rauchten Holzstäbchen, die einen Wohlgeruch verströmten. Nachdem ich eine Weile im Tempel verweilt hatte, gingen wir wieder zurück zu unserem Schiff. Der Kapitän hatte frisches Wasser und Reis gebunkert, damit wir bei unserer weiteren Reise versorgt sein würden.


    Mit guten Winden segelten wir weiter südwärts über ein Stück offene See, in der sich immer wieder kleine Inseln befanden. Schließlich segelten wir an der Küste einer großen, von dichten Wäldern bewachsenen Insel oder Halbinsel vorbei, die westlich von uns lag. Inzwischen ließ sich das Wetter kaum noch aushalten. Es war warm, drückend und selbst der Wind brachte nur wenig Abkühlung. Lediglich die Nächte waren halbwegs angenehm, wobei wir an Deck schliefen, selbst wenn es regnete. Denn unter Deck konnte man es wirklich nicht mehr aushalten. Doch auch hier war ich stets so gekleidet, wie man es von einem Gelehrten im fernen Luòyáng erwartete. 'Immer die Würde bewahren' sagte ich mir immer wieder in meinem Geist.


    Es ging wieder über See und an einigen kleineren und einer großen Insel vorbei, bis wir auf eine lange Küste trafen. Man erklärte mir, dass sie zu einer riesigen Insel gehörte, die unser Kapitän Sūméntālā nannte. Die Einheimischen nannten sie Svarṇadvīpa, was laut Arpan etwas in der Art wie 'Goldinsel' bedeutete. Wir segelten in das Delta eines Flusses, das von Bäumen, die im Wasser wuchsen, gesäumt war und hinter dem sich tiefgrüner, dichter Regenwald befand. Am Ende des Deltas befand sich eine Stadt, die unser Kapitän Jùgǎng nannte, während die Einheimischen sie Pelémbang nannten. Auch diese Stadt bestand aus Häusern auf Pfählen. Sie bestanden aus Holz und hatten hohe, geschwungene Dächer. Die Männer hier trugen Wickelröcke aus leichtem Stoff, die bei der Hitze wohl gar nicht schlecht waren. An ihren Blicken erkannte ich, dass sie nicht verstanden, warum ich mich mit so viel Stoff bedeckte, dass nur mein Gesicht frei blieb. Meine Hände hatte ich vor meinem Bauch aufeinander gelegt, so dass sie in den Ärmeln verschwanden. Auf dem Markt sah ich wertvollen Goldschmuck, der wohl aus der Gegend kam. Ich überlegte, mir etwas davon zu kaufen. Da ich mit den serischen Münzen wohl bald nichts mehr anfangen konnte, war das eine gute Gelegenheit, den Wert zu erhalten. So gab ich - bis auf eine handvoll Münzen - alles für Goldschmuck aus. Die übrig gebliebenen Münzen wollte ich als Andenken behalten. Neben Tempeln für die indischen Götter fand ich hier auch einen Tempel der Buddhisten. Das teile ich Arpan natürlich mit, damit er dort meditieren und sich austauschen konnte.


    Nach drei Tagen im Hafen, in denen auch unser Kapitän Handel getrieben hatte, segelten wir wieder den Fluss hinab, wobei wir zuvor noch einmal frisches Wasser gebunkert hatten. Nach der Mündung ging es nordwestwärts, immer der Küste von Sūméntālā entlang, mit raumem Wind aus Nordost. Dabei wurden stets Wachen aufgestellt, da es hier wohl häufiger Piraten gab. Da ich wenig Lust hatte, als Geisel von Piraten zu enden, beteiligte ich mich an den Wachen. Meine Freizeit hingegen verbrachte ich mit Schwertübungen und damit, Kopien der mitgebrachten Bücher und Aufzeichnungen anzufertigen.


    Schließlich erreichten wir nach einigen Tagen das Ende der Insel und segelten aufs offene Meer. Wir behielten unseren Kurs bei und passierten noch eine Insel, die westlich von uns lag, um nach dieser den Kurs in Richtung Westen zu ändern. Nun gab es für die nächsten zwei Wochen nur noch offene See. Hin und wieder gelang es der Mannschaft, ein paar Fische zu fangen, doch ansonsten gab es vor allem Reis zu essen. Wir machten zwar gute Fahrt, doch war es nun ziemlich eintönig. Zweimal begegneten wir anderen Schiffen, doch war das eine schneller, als unseres, und das andere war langsamer. Ich nutze die Zeit für Schwertübungen und um weiterhin Bücher zu kopieren.


    Wir erreichten schließlich eine große Insel, deren Küsten ich nicht auf voller Länge sehen konnte. An der Küste erstreckte sich eine weite, weitestgehend bewaldete Ebene. Im Inneren der Insel konnte ich bewaldete Berge erkennen. Als wir uns dem Land näherten, wurde das Klima ähnlich unerträglich, wie es auf Sūméntālā war. Unser Kapitän nannte diese Insel Lánkă. Wir folgten der Südküste dieser Insel, bis wir eine Stadt erreichten. Der Kapitän sagte, dies wäre Gimhathitha, während die Einheimischen den Ort Gaalla nannten. Die Stadt lag an der Mündung eines Flusses und schien recht wohlhabend zu sein. Unser Kapitän wollte hier eine Woche Landgang gewähren, damit seine Mannschaft bei Laune blieb. So konnte ich den Ort auch gemeinsam mit Arpan erkunden. Die Blicke der Einheimischen waren mir sicher, denn bis hierhin schien nur äußerst selten ein serischer Gelehrter zu kommen. Da ich komplett in Seide gekleidet war, nahm man wohl an, dass ich adlig war. Das serische Schwert in meinem Gürtel trug zu dieser Wahrnehmung sicher bei. Bedachte man den Status, den ich als Beamter in Hàn hatte, war das noch einmal allzu falsch - obwohl es auch nicht richtig war. Als ich von Arpan schließlich erfuhr, dass die Insel auf Sanksrit Tāmraparnī genannt wurde, stellte ich sehr schnell die Verbindung zu etwas her, das ich am Museion gehört hatte. Damals hatte ich gelernt, dass es an der Südspitze von Indien eine Insel namens Taprobana gab. Das klang doch ziemlich ähnlich. In weiteren Gesprächen fand Arpan heraus, dass Indien in der Tat nicht allzu weit weg und nordwestlich von hier lag.


    Da es sich bei der hiesigen Bevölkerung, in der Wickelröcke von Männern und eine Art Stola, die Sari genannt wurde, von Frauen getragen wurde, um Buddhisten handelte, quartierte sich Arpan in einem buddhistischen Kloster ein. Vormittags nahm er sich jeweils Zeit für mich, damit ich mich verständigen konnte. Allerdings fand ich schnell Händler aus anderen Ländern, unter anderem aus Parthien und auch Griechen. Mit den Griechen traf ich mich abends im Hafen, um gemeinsam zu essen und seit langem mal wieder Kioné zu sprechen. Die Händler kamen aus den Häfen von Myos Hormos und Berenike. Sie wunderten sich, dass ich Koiné sprach, auch wenn es mangels Übung ein wenig eingerostet war, und fragten mich natürlich, woher ich käme. Als ich erwähnte, dass ich Römer sei, wollten sie mir erst nicht glauben, bis ich ihnen von meiner Reise erzählte. Von den wertvollen Waren in meinem Gepäck erzählte ich ihnen sicherheitshalber nichts, wobei ihnen meine Seidenkleidung ganz sicher nicht entfallen war. Schließlich luden sie mich ein, mit ihnen zu fahren, doch lehnte ich ab. Ich hatte meine Passage bis zum Ende der Fahrt des Kapitäns bezahlt und wollte sie auch nicht vorher abbrechen. Außerdem schien mir nach meinen Erfahrungen auf der Überfahrt das serische Schiff sicherer als die griechischen Bauarten. Dabei konnte ich mich aber auch irren. So trennten wir uns schließlich mit guten Wünschen für die Weiterfahrt, als die Griechen die Rückfahrt antraten.


    Auf dem Markt fand ich Kurkuma, Ingwer, Zimt und Kokosnüsse zu fast schon unverschämt günstigen Preisen. So gab ich fast den Goldschmuck, den ich mir in Jùgǎng gekauft hatte, wieder ab, um mir die getrockneten Gewürze und vollständige Kokosnüsse zu kaufen. Die Gewürze erhielt ich in Amphoren und die Kokosnüsse stapelte ich in einer leeren Kajüte, die ich dafür vom Kapitän mietete. Außerdem aß ich noch einmal gut, bevor wir schließlich zur Weiterfahrt ablegten. Als Arpan zu diesem Anlass in einen einfachen, ungefärbten Wickelrock gekleidet zu uns stieß, wunderte ich mich kurz. Dann erklärte er mir, dass er sich so darauf vorbereiten wollte, Mönch in einem buddhistischen Kloster zu werden. Ich entschied, seine Entscheidung nicht in Frage zu stellen. Wenn wir das indische Festland erreichen würden, wollte er diesen Plan in die Tat umsetzen.


    Am nächsten Morgen wurden beim ersten Sonnenlicht die Leinen gelöst und wir stachen wieder in See.



    Sim-Off:

    Fúnán war ein Gebiet vom Mekong-Delta bis ins südliche Thailand, welches von dem Volk bewohnt wurde, das einmal die Khmer werden würde, Sūméntālā ist die Insel Sumatra, bei Lánkă handelt es sich um Sri Lanka

    Nach wenigen Tagen über die offene See erreichten wir die Kommandantur Rìnán in der Provinz Jiāo. Es war die südlichste Provinz des Reiches Hàn und innerhalb dieser Provinz war Rìnán die südlichste Kommandantur. Die hiesige Bevölkerung nannte sich Luòyuè und sie waren nicht mit den Serern des Nordens verwandt. Ihre Sprache war anders, ebenso wie ihre Kultur. Andererseits hatten sie sehr schnell und dankbar den Reisanbau und die landwirtschaftlichen Methoden der Serer übernommen.


    Interessant war, dass ich hier seit langem wieder römische Münzen auf den Märkten erblickte, wenngleich ich hier keine römischen Händler sah. Es waren wohl eher Inder und Parther, die hier Handel trieben. Ich erblickte hier auch Waren wie Glas, die eindeutig aus dem Imperium Romanum stammten. Die Preise, zu denen sie gehandelt wurden, hätte jeder in Rom als unverschämt abgetan. Doch waren diese Waren hier sehr selten. Häufiger fand ich hier Gewürze, die auch in Rom gute Preise erzielten, zu teilweise überraschend niedrigen Preisen. Mir wurde aber geraten, bis Indien zu warten, wo die Preise noch niedriger sein würden.


    Da wir ein paar Tage hier verbringen wollten, konnte ich mich im Hafen und seiner Umgebung umsehen. Natürlich war mein Rang ein Türöffner und ich konnte so gut mit jedem Händler und jedem Offiziellen ins Gespräch kommen. Ein Beamter meines Ranges wurde hier wohl sehr selten gesehen. Dabei entdeckte ich eine Art von Holz, die auf Serisch Yòumù genannt wurde. Es hatte eine sehr schöne Färbung und war wohl sehr beständig. Zugleich war es elastisch und schien keine Risse zu bilden. Ich ließ mir aus dem Holz drei Spazierstöcke fertigen, die aber in ihrer Größe und Balancierung den serischen Schwertern ähnlich war. Die Spitze ließ ich mit Bronze beschlagen, ebenso wie das Ende des Griffs.


    Auf Grund des sehr schwülen Wetters war ich insgesamt aber nur wenig unternehmungslustig. Dennoch kleidete ich mich weiter angemessen als Gelehrter, obwohl man mir riet, die Unterkleidung wegzulassen. Das kam für mich aber nicht in Frage. Ein Gelehrter bewahrte unter allen Umständen die Würde.


    Da mir das Wetter hier überhaupt nicht zusagte, freute ich mich, als wir wieder ablegten - auch wenn die Freude dadurch getrübt wurde, dass es erst einmal immer weiter nach Süden ging und es mit zunehmender Nähe zum Äquator immer wärmer wurde. Zugleich brachte mich jeder Tag aber auch näher an Rom, was meine Stimmung positiv erhielt.



    Sim-Off:

    Bei Yòumù handelt es sich um Teakholz. Rìnán liegt in der Mitte des heutigen Vietnam.

    Schon kurz, nachdem wir nach Süden gedreht hatten, kamen Inseln in Sicht. Und auch, während wir der Küste folgten, zuerst nach Süden, dann nach Südwesten und schließlich fast westwärts, waren der Küste immer wieder Inseln vorgelagert. Oft waren die Inseln felsig und es war klar, dass es sich nicht um Schwemmland handelte. In den ersten Tagen passierten wir eine Insel, die südöstlich von uns lag und sehr groß zu sein schien und hohe Berge aufwies. Dort legten wir aber nicht an, denn die Insel gehörte nicht zum Reich Hàn und war wohl von feindlich gesinnten Eingeborenen bewohnt. Das Ziel, an dem wir nach einer Woche ankommen wollten, war die Hafenstadt Xúwén. Je näher wir diesem Ziel kamen, umso drückender wurde das Klima. Das Wetter war eine nur schwer zu ertragende Kombination aus Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit.


    Als wir schließlich vor der Léizhōu-Halbinsel ankamen, auf der auch Xúwén lag, verhinderten die Winde ein gutes Anlaufen von Xúwén oder den Häfen auf der Halbinsel. Deshalb entschied der Kapitän, stattdessen die südlich von uns liegende große Insel des Zhūyá-Staats anzulaufen. So ungünstig die Winde dafür waren, Xúwén oder die anderen Häfen auf dem Festland anzulaufen, so günstig waren sie, um den Hafen von Hǎikǒu an der Nordküste von Zhūyá anzulaufen. Es lagen hier nur wenige Meilen See zwischen dem Festland und der Insel. Die Insel war in ihrem Zentrum von einer bewaldeten Bergkette bedeckt, doch an der Küste gab es Ebenen, die ein paar Meilen tief ins Land ragten und Felder, exotischen Obstbäume und teilweise dichte, grüne Wälder aufwiesen. Ich lernte, dass Zhūyá nicht wirklich Teil des Hàn-Reichs war, nachdem man vor zwei oder drei Generationen die Militärpräsenz aufgegeben hatte, weil sie im Unterhalt zu teuer war. Das tropische Klima und die Insellage hatten daran entscheidenden Anteil. Dennoch war man weiterhin in engem Kontakt, was verständlich war, wo man doch so eng benachbart war.


    Der Empfang im Hafen war freudig, weil man uns Nahrung und Trinkwasser zu verkaufen hoffte. Das war eine durchaus korrekte Annahme. Da sich das Wetter verschlechterte, hoffte man wohl auch, uns zu beherbergen - zumindest die Passgiere. Auch das war nicht ganz falsch. Als man mich erblickte, wusste man, dass ich ein Gelehrter war. Man begrüßte mich höflich und bat mich, dem Magistrat der Stadt meine Aufwartung zu machen. Ich verwies auf meinen Rang und verlangte, in den Abendstunden eine Audienz zu erhalten. Dem wurde stattgegeben.


    Am Abend hatte ich mich in die rote Hoftracht, die meinem Rang entsprach, gekleidet. Anders, als bei den Audienzen auf dem Festland, trug ich nun auch mein Schwert, wenngleich die prachtvolle Klinge nicht sichtbar war. Wozu sollte ich sie auch ziehen? Der örtliche Magistrat schien sehr beeindruckt zu sein. Ich wahrte die Form und begegnete ihm, als sei er einen Rang höher als ich. Immerhin war er mein Gastgeber. Zugleich wahrte ich aber meine Würde und zeigte allein durch meine Körperhaltung bei unserem Gespräch, dass ich mir meines Ranges durchaus bewusste war. Die Balance zwischen Arroganz und Höflichkeit schien ich gut gehalten zu haben, denn der Magistrat bot mir an, mich in seinem privaten Haus unterzubringen. Man erwartete wohl einen schweren Sturm, den man hier Tái Fung nannte. Das schien ein örtlicher Dialekt des Serischen zu sein. Nach meinem Besuch sprach ich deshalb mit dem Kapitän, der veranlasste, das Schiff sturmsicher im Hafen festzumachen und hier abwettern wollte. Ich beschloss, nicht an Bord zu bleiben, sondern das Angebot des Magistrats anzunehmen. Arpan hingegen wollte an Bord bleiben.


    Am nächsten Tag kündigte sich der Sturm an, indem der Wind zunehmend auf Ost drehte und immer stärker wurde. Es regnete auch immer stärker, während die Kombination aus Temperatur und Luftfeuchte nahezu unerträglich wurde. Schließlich erreichte uns der Sturm am nächsten Tag. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Der Wind pfiff um die Häuser und man konnte das Meer vor lauter Regen kaum sehen. Aber der Regen kam nicht einmal ansatzweise senkrecht herunter, sondern schien waagerecht zu kommen. Wenn man einen Blick auf das Meer erhaschen konnte, war es außerhalb des Hafens komplett weiß, ohne jede Spur von Blau. Für einen Moment glaubte ich, die Masten eines Schiffs zu erkennen, das den Hafen zu erreichen suchte, doch im nächsten Moment waren sie verschwunden. War es nur eine Einbildung von mir gewesen? Gerne hätte ich jemanden gefragt, doch war das Tosen des Windes so laut, dass ich mein eigenes Wort nicht mehr verstand. Völlig durchnässt zog ich mich vom oberen Stockwerk in das nach außen mit Brettern verriegelte untere Stockwerk mit meinem Gästequartier zurück. Doch auch hier war das Tosen des Windes immer noch so laut, dass eine Unterhaltung unmöglich war. Vereinzelt krachte es laut und ich hatte das Gefühl, dass Geschosse in dieses oder ein nahes Gebäude eingeschlagen waren. Dann wurde es plötzlich ruhig und der Sturm war anscheinend vorüber. Mein Gastgeber hielt mich aber davon ab, nach draußen zu gehen. Man erzählte mir etwas von einer Zone im Zentrum des Sturms, in der es weder Wind noch Wolken gab. Die Sonnenstrahlen, die zwischen den Brettern hindurchschienen, bestätigten das. Doch nach nicht einmal einer Stunde brach der Sturm mit ungeminderten Wucht erneut los, nur diesmal aus der entgegengesetzten Richtung.


    Über die Nacht wurde der Sturm schwächer und am Morgen des nächsten Tages war er weitergezogen und ließ es hinter sich nur noch stark regnen. Doch hatte ich in dieser Nacht keinen Schlaf gefunden. Ich wagte mich dennoch nach draußen. Auf dem Weg zum Hafen sah ich Bretter, die sich losgerissen hatten und in Bäumen und Häusern steckten, als hätte sie eine Ballista dort hinein geschossen. Im Hafen waren die meisten Schiffe unbeschädigt. Das Schiff, auf dem ich reiste, zum Glück auch. Dort erfuhr ich aber auch, dass Bretter, Strandgut und Leichen an den Strand gespült worden waren. Meine Beobachtung am Vortag war also doch keine Einbildung. Ich hatte die letzten Momente eines Schiffes und seiner Besatzung gesehen. Da es keine Angehörigen gab und sich niemand für die tote Besatzung zuständig fühlte, kümmerte ich mich um eine ordnungsgemäße Bestattung und hielt die in Hàn üblichen Riten ab. Das geboten die Sitte und mein Rang. Es schien auch sehr gut bei den Einheimischen anzukommen. Wenn ich damit zum Ansehen des Reichs Hàn beigetragen hatte, war ich meiner Aufgabe als Gesandter damit auch hier gut nachgekommen.


    Nachdem die Regenfälle nachgelassen hatten, segelten wir weiter. Arpan berichtete mir, wie bedenklich das Schiff während des Sturms selbst im Hafen geschwankt hatte. Nach seiner Erzählung war ich froh, an Land genächtigt zu haben. Während der Weiterfahrt ging mir das Erlebte nicht aus dem Kopf. Das ohrenbetäubende Tosen des Sturms, die weiße See, das gesunkene Schiff und Bretter, die zu Geschossen geworden waren. Ich betete zu den Göttern, dass sie mich von einer solchen Prüfung auf See verschonen würden.



    Sim-Off:

    Der Zhūyá-Staat bezeichnet das Gebiet der Insel Hǎinán.

    Nachdem alles im Reich Hàn erledigt war und die Winde günstig standen, ging ich zusammen mit Arpan im Hafen von Wúxī an Bord eines Schiffes, das mich nach Indien bringen sollte. Das Schiff war von einer anderen Bauweise als die Schiffe meiner Heimat. Der Rumpf schien von oben gesehen eine viereckige Grundform zu haben. Der Boden war flach und schien keinen Kiel zu haben. Dafür waren aber die Kabinen und Frachträume im Rumpf so gebaut, dass sie nur nach oben verlassen werden konnten und die Wände zugleich wasserdicht waren. Das schien mir vorteilhaft, wenn irgendwo ein Leck auftreten würde. Ein Raum mochte volllaufen, das ganze Schiff aber nicht. Die Masten hatten nur Stütztaue nach hinten, wodurch die Segel, die mit vielen Stangen durchzogen waren, so wie Fischflossen mit Gräten, sehr beweglich waren. Die flache Rumpfform schien durch senkrecht ins Wasser einzubringende Seitenruder stabilisiert zu werden. Dennoch hatte ich gewisse Bedenken. Doch es war zu spät, die Passage war gebucht und bezahlt.


    Meine Kajüte war recht großzügig eingerichtet. Sie enthielt ein bequemes Bett, eine Kiste für meine persönlichen Sachen und ein Regal mit Geschirr aus Keramik. Arpan hatte eine genauso komfortable Kajüte erhalten, obwohl es ihn nicht interessierte. Er lehnte Luxus inzwischen ab, wenn er dazu die Möglichkeit hatte. Ich hingegen hatte mich fast schon daran gewöhnt, als hoher Beamter stets luxuriös unterzukommen. Das würde ich mir wieder abgewöhnen müssen. Meine Fracht, wenngleich hochpreisig und deshalb mit vergleichsweise wenig Platzbedarf, nahm dennoch zwei komplette Frachträume ein. Dass ich kurz vor der Abfahrt noch einige Sätze 'einfacher' Seidenkleidung in verschiedenen Größen gekauft hatte, half da auch nicht. Ich hatte diese Kleidung ausgewählt, um Sklaven angemessen zu kleiden, wenn ich dem Kaiser von Rom die Geschenke des Kaisers von Hàn überreichen würde - wenn ich denn eine Audienz erhalten würde.


    Als das Schiff ablegte, erblickte ich Kommandant Jiāo Lóng, der mit ein paar Offizieren am Kai stand, um mich zu verabschieden. Als er mich auch erblickte, verneigte er sich und seine Offiziere taten es ihm gleich. Ich erwiderte die Verneigung. Als wir alle wieder aufrecht standen, rief ich ihm zu "Ehrenwerter Jiāo Zhǐhuīguān, ich danke Euch für die große Ehre, dass Ihr mich verabschiedet. Ich wünsche Euch Frieden, Wohlstand und viele Söhne!"


    "Ehrenwerter Cóngsān Pǐn Shǐ Yúnzǐ," rief der Kommandant zurück, "ich danke Euch für die Ehre Eures Besuchs und Eure guten Wünsche. Ich wünsche Euch viel Erfolg auf Eurer Mission und hoffe auf ein Wiedersehen. Möget Ihr ebenfalls Frieden, Wohlstand und viele Söhne erhalten."


    Der Titel, mit dem er mich ansprach, zeigte mir, dass ich mich nun auf meiner Mission als Gesandter befand. Denn zum einen wurde ich als Gesandter angesprochen, und zum anderen als Beamter dritten Ranges. Ich hatte meine Befehle und ich würde sie erfüllen. Mochte es kosten, was es wollte.


    Ich freute mich, Rom wiederzusehen. Und doch fiel es mir schwer, von Serica Abschied zu nehmen. Ich glaubte, mich recht gut im Griff zu haben, doch sprach mich Arpan auf Latein an, während das Schiff den Fluss hinunter glitt und die Personen am Kai langsam kleiner wurden. "Du wirst einige Menschen hier vermissen und doch vermisst du andere, wenn du hier bleiben würdest. Vielleicht hilft es dir, dass nichts für immer währt. Erfreue dich an der Freundschaft und der gemeinsamen Zeit, die ihr hattet, aber versuche sie nicht festzuhalten. Festhalten bedeutet Begehren. Begehren führt zu Leiden."


    Ich sah ihn einen Moment lang an. Die Buddhisten hatten ihm viel beigebracht und so, wie er sprach, hatte er viel inneren Frieden daraus gewonnen. "Sieht man es mir so leicht an?" fragte ich schließlich.


    "Ich sehe es dir an. Aber ich kenne dich auch gut. Vor anderen verbirgst du dein Leiden aber gut."


    Ich lächelt leicht und nickte ihm zu. Dann ging ich zum Achterdeck, wo mir der Kapitän wortlos einen Platz zuwies. Er war noch damit beschäftigt, sein Schiff durch ein Wirrwarr aus Schiffen und Booten zu steuern, die auf einem für so viel Verkehr viel zu kleinen Fluss unterwegs waren. So stand ich wortlos neben ihm, bis wir den Hauptarm des Cháng Jiāng erreichten. Hier war nun viel Platz. Ich sah nach Steuerbord, wo mit hohem Schilf bewachsenes Schwemmland einen recht guten Platz für einen Hafen zu bieten schien. Es gab dort ein kleines Fischerdorf, das aus nur einer Hand voll Hütten bestand.


    "Dieser Ort, das Landstück mit den Fischerhütten, scheint mir ein guter Platz für einen Hafen zu sein, meint Ihr nicht, Chuánzhǎng?" teilte ich meine Beobachtung in Form einer Frage mit.


    Der Kapitän schüttelte den Kopf. "Das da? Nein, Cóngsān Pǐn Shǐ, ganz sicher nicht. Das wird noch in Jahrtausenden ein Fischerdorf sein. Wir haben Wúxī, wozu sollten wir dann noch einen Hafen kurz dahinter bauen? Außerdem ist das Land noch ganz neu und wir wissen nicht, ob es die Götter des Meeres zurückfordern werden."


    Die Antwort überzeugte mich nicht ganz, aber ich wollte auch kein Streitgespräch beginnen. "Hat der Ort einen Namen?"


    Der Kapitän grinste, als er antwortete. "Ja, aber den könnt Ihr gleich wieder vergessen, Cóngsān Pǐn Shǐ. Es sei denn, Ihr wollt alle zigtausend unbedeutende Fischerdörfer auswendig lernen. Der Ort heißt Shànghǎi."


    "Danke, Chuánzhǎng." Ich ließ mir den Namen noch ein paar mal durch den Kopf gehen, während wir die Flussmündung hinter uns ließen und das Schiff südwärts in einen vorteilhaften Wind drehten. Shànghǎi... das war doch eigentlich gar kein schlechter Name für eine bedeutende Hafenstadt, konnte man den Namen doch als 'zur See' übersetzen. Doch natürlich hatte der Kapitän recht, es war nur ein Fischerdorf und das Land war noch neu. Ich würde mir den Namen wohl nicht merken.



    Sim-Off:

    Cháng Jiāng ist der Jangtsekiang, Chuánzhǎng bedeutet Kapitän

    In den nächsten zweieinhalb Monaten war ich viel in der Gegend unterwegs. Es ging direkt an den Cháng Jiāng, der in seiner Größe am ehesten mit dem Nil vergleichbar war. Obwohl mir der Nil sogar etwas kleiner in Erinnerung war. Ich nahm viele kleinere Aufgaben wahr, die ich mir zum Teil selber stellte. In der einen Gemeinde prüfte ich die Steueraufzeichnungen, in einer anderen zählte ich noch einmal nach, ob die Daten der letzten Volkszählung noch aktuell waren. Dazu hatte ich mir eigens die Aufzeichnungen kommen lassen. Doch in den meisten Fällen fragte man mich nach meinem Rat, den ich auch gerne erteilte.


    Die meiste Zeit verbrachte ich aber damit, abends mit niederen Beamten über Philosophie zu diskutieren. Dadurch konnten sie sich weiterbilden und vielleicht später aufsteigen. Ich bereitete auch Schüler auf die Aufnahmeprüfungen an der Tàixué vor, indem ich ihnen philosophische Fragen beantwortete. Dabei achtete ich darauf, zu betonen, dass meine Meinung von den Meinungen der Dozenten an der Tàixué abweichen konnte.


    Außerdem erreichte mich nach sechs Wochen ein Brief von Jì Mǐn, in dem er mir berichtete, dass sein Vater der von mir arrangierten Verbindung von Jì Mǐn und Tán Yù zugestimmt hatte. Die beiden wollten die nötigen Riten in drei Wochen durchführen und ich war herzlich eingeladen. Zu meinem Bedauern musste ich das ablehnen, schrieb den beiden aber einen Brief, in dem ich ihnen alles Glück der Erde und viele kluge Kinder wünschte.


    Wann immer ich abends in der Festung weilte, übte ich mich mit den Offizieren im Schwertkampf. Wú Liàng war nach zwei Wochen zusammen mit seinem Truppenkontingent abgereist, doch standen auch Jiāo Lóng und sein Stab meinem Anliegen positiv gegenüber und nahmen mich in ihre Übungen auf. Die Handhabung des Schwerts an sich musste nur selten korrigiert werden. Häufiger, wenn auch immer noch nicht oft, wurde meine Beinarbeit kritisiert. Um das zu verbessern, brachte man mir ein paar Übungen bei. Außerdem lernte ich noch Übungen, die mir helfen sollten, die für den Schwertkampf wichtigen Muskeln besser zu trainieren.


    Gegen Ende der zweieinhalb Monate merkte ich bereits, dass es tendenziell trockener wurde und die Temperaturen niedriger wurden. Außerdem gab es häufiger Winde vom Land auf das Meer, teils auch aus nördlichen Richtungen. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern, bis die Winde für die Abfahrt günstig standen. Die nächste Hafenstadt an diesem Ufer des Cháng Jiāng war Hǎilíng. Hier fragte ich, ob ein Schiff nach Indien oder zumindest weit genug in die Richtung fahren würde. Leider wurde ich nicht fündig. Deshalb machte ich mich auf den Weg an das andere Ufer des Cháng Jiāng, in die Stadt Wúxī, der Hauptstadt des ehemaligen Reiches Wú. Die Stadt lag an einem letzten Zufluss oder Seitenarm des Cháng Jiāng, besaß aber einen großen Hafen. Vor allem wurde hier Seide allerhöchster Qualität gefertigt. Das nutzte ich, um ein paar Gewänder für meine Verwandten zu Hause anfertigen zu lassen. Außerdem ließ ich noch Vorhänge aus Seide fertigen. Das eigentliche Ziel meiner Reise konnte ich auch erfüllen. Ich fand ein Schiff, das bis vor die Küste Indiens segeln wollte, um mit Gewürzen zu handeln. So buchte ich eine Passage für zwei Personen und eine überschaubare Menge Fracht, die aber sehr wertvoll war. Der Kapitän teile mir mit, dass ich mich in drei Wochen wieder bei ihm einfinden sollte. Ab dann sollten die Winde günstig sein. Wann genau wir abfahren würden, konnte er nicht sagen. Das hing vom Wetter ab. Er versprach aber, auf jeden Fall bis zur vierten Woche auf mich zu warten.


    Zufrieden reiste ich wieder ab, um in der Festung Guǎnglíng meine Sachen für die Reise vorzubereiten.



    Sim-Off:

    Hǎilíng ist heute ein Distrikt der Stadt Tàizhōu, Wúxī liegt neben Sūzhōu an der Mündung des Jangtsekiang.

    Der Kanal von Huái'ān nach Guǎnglíng führte wieder durch flaches Land. Er war sehr intelligent angelegt und nutzte die vorhandenen Gewässer. Vor allem die zahlreichen Seen speisten ihn mit Wasser und sorgten dafür, dass nur die Zonen in Ufernähe als Kanal ausgegraben werden mussten. Während unsere Boote ruhig über das Wasser glitten, fertigte ich Skizzen von schilfbewachsenen Ufern und Wasservögeln an. Später würde ich sie vielleicht zu Tuschemalereien verarbeiten oder in wissenschaftlicher Präzision meinen Reiseaufzeichnungen hinzufügen. Vielleicht auch beides.


    Während das Wetter zunehmend drückend heiß wurde, lediglich unterbrochen durch Regenschauer, kam auch der Wind fast nur noch aus südlichen Richtungen. Es war Sommer, den ich wahrscheinlich besser im Norden verbracht hätte. Eine Erleichterung in der Kleiderordnung gestattete ich mir nicht. Ich trug weiterhin die weiße, seidene Unterkleidung und das dunkelblaue, fast schwarze seidene Obergewand, sowie die seidene Kopfbedeckung. Bei unseren abendlichen Rasten übte ich auch weiterhin mit Wú Liàng den Schwertkampf. Je besser ich würde, desto einfacher könnte ich selbstständig weiterüben.


    Nach knapp einer Woche erreichten wir eine große Festung unmittelbar am von uns bereisten Hán-Kanal. Wasser aus dem Kanal speiste den Graben, der die große Festung umschloss. Ich ließ die Boote den Anleger nahe der Festung ansteuern. Als wir festmachten, traten sofort Soldaten auf uns zu, die nach unseren Papieren fragten. Ich trat selbstbewusst auf sie zu und verlas den Befehl des Prinzen Jiénzǐ. Dann verwies ich auf die Boote. Die Soldaten gaben den Befehl weiter und die Ladung wurde gelöscht, was ich persönlich beaufsichtigte. Es sollte ja nicht auf den letzten chǐ noch etwas verloren gehen. Der Zählung wohnte ich allerdings nicht mehr bei, sondern befahl, mich zum Kommandanten der Festung zu bringen. Kurz darauf begann es zu regnen.


    Ich wurde zu einem zentralen Gebäude im Innenhof der Festung geführt, welches von einer eigenen Mauer umgeben war und den Rest der Festung deutlich überragte. Dort ging es dann in einer zentralen Halle Treppen hinauf, allerdings nur bis auf die Höhe der Mauerkrone. Dann ging es nach einem Seitenraum weitere zwei Stockwerke nach oben. Dort betrat ich einen großzügigen Raum, an dessen großem Tisch sich ein Mann in Seidenroben erhob, ein paar Schritte auf mich zuging und sich verneigte. "Ehrenwerter Yúnzǐ, ich begrüße Euch in meiner Festung. Mein Name ist Jiāo Lóng, ich bin Offizier des höheren vierten Grades und der Kommandant dieser Festung."


    Ich erwiderte die Verneigung. "Ehrenwerter Jiāo Zhǐhuīguān, ich danke für Eure Begrüßung." Dann ging ich ein paar Schritte auf den Balkon zu, der eine großartige Aussicht über den Kanal und seine Mündung in einen großen Fluss bot. Der Regen hatte inzwischen fast aufgehört. Einen so großen Fluss hatte ich noch nie gesehen. "Das ist er also, der Cháng Jiāng," sagte ich leise vor mich hin.


    "Beeindruckend, nicht wahr?" sagte der Kommandant, "Manchmal nehme ich dieses Wunder als alltäglich hin, aber dann wird mir doch immer wieder klar, was für ein Privileg es ist, diesen Fluss aus dieser Perspektive sehen zu dürfen. Bitte, genießt die Aussicht, so lange es Euch beliebt, ehrenwerter Yúnzǐ."


    Einige Atemzüge lang nahm ich das Angebot an und sah mir die Landschaft an. Doch dann hatte mein Pflichtbewusstsein wieder Vorrang. Ich drehte mich zum Kommandanten. "Sobald die Waffen zweimal gezählt wurden, ist mein Befehl erfüllt. Ich erwarte, dass meine Soldaten so lange versorgt und gut untergebracht werden. Danach werden sie wieder zu ihrem Standort zurückkehren."


    "Natürlich, ehrenwerter Yúnzǐ. Selbstverständlich werdet Ihr Eurem Stand gemäß untergebracht. Werdet Ihr die Soldaten zurück begleiten?"


    "Das würde gegen den Befehl des Himmelssohns verstoßen, anschließend in meine alte Heimat zu reisen, um dem Kaiser von Dàqín Geschenke und eine Grußbotschaft des Himmelssohns zu überbringen." So hatte ich ein 'Nein' vermieden und zugleich auf meinen anderen Befehl hingewiesen.


    Damit hatte der Kommandant wohl nicht gerechnet. "Ähhmmm... und wie kommt Ihr nach Dàqín?"


    "Mit dem Schiff über das Meer. Zuerst nach Tiānzhú, dann weiter nach Dàqín."


    "Dann werdet Ihr noch eine Weile hier bleiben." Es klang wie die Feststellung einer Fakts, so wie man auch gesagt hätte, dass es gerade geregnet hatte. Der Kommandant musste erkannt haben, dass ich hierzu eine Frage hatte, und sprach weiter. "Die Winde sind ungünstig und ermöglichen erst ab dem Spätsommer oder frühen Herbst wieder zuverlässig nach Süden zu segeln. Bis dahin werdet Ihr Euch gedulden müssen."


    Das enttäuschte mich, doch ließ ich mir nichts anmerken. "Verstehe. Dann werde ich wohl länger in der Festung wohnen. Allerdings werde ich Euren Pflichten als Kommandant nicht im Weg stehen." Mir war es wichtig, das zu sagen, stand ich doch im Rang über ihm. Die Frage, die ich mir nun stellte, war, was ich in den nächsten zwei bis drei Monaten nun hier anstellen sollte. Dem Kaiser musste dieses Problem bewusst gewesen sein. Entweder wollte er mich testen, oder er wollte, dass ich noch etwas von seinem Reich sah. Sicherlich war ich hier in der Gegend, die am fruchtbarsten war. "Könnt Ihr mir ein Pferd zur Verfügung stellen?"


    Kommandant Jiāo verneigte sich. "Selbstverständlich. Wohin wollt Ihr reiten?"


    Die Verneigung erwiderte ich. "Danke sehr. Heute reite ich nirgendwo hin, doch sobald die Waffen gezählt und bestätigt sind, werde ich die Gegend am Fluss inspizieren. Wenn ich schon einmal hier bin, kann ich ja auch die Beamten vor Ort beraten und dem Sohn des Himmels Bericht erstatten. Der erste Eindruck ist durchaus gut, aber vielleicht ist mein Rat an der einen oder anderen Stelle hilfreich. Außerdem möchte ich mir noch ein Schwert anfertigen lassen. Mein jetziges ist für Zeremonien perfekt, aber zu wertvoll für den einfachen Kampf gegen Räuber oder anderes Gesindel."


    Bei dem Wort 'inspizieren' schien der Kommandant ganz leicht zu zucken. Als ich meinen positiven ersten Eindruck erwähnte, wurden seine Gesichtszüge aber sofort entspannter. "Ein Schwert werdet Ihr in Hǎilíng bekommen. Die Stadt ist ein wenig südöstlich von Hier am Fluss. Dort werdet Ihr später auch ein Schiff finden, mit dem Ihr in Richtung Tiānzhú reisen könnt."


    "Ich danke Euch. Wenn Ihr mich entschuldigt, ich wünsche die kaiserlichen Geschenke und mein eigenes Gepäck zu inspizieren."


    Der Kommandant verneigte sich und ließ mich den Raum verlassen. Draußen nahm mich sein Adjutant in Empfang und zeigte mir den Aufbewahrungsort der kaiserlichen Geschenke und meines persönlichen Gepäcks. Anschließend zeigt er mir die Festung. Sie dominierte die ganze Gegend und man konnte wohl bei klarem Wetter fast bis zur Flussmündung blicken.



    Sim-Off:

    Ein chǐ ist die chinesische Entsprechung des pes, d.h. in etwa ein Fuß, Zhǐhuīguān bedeutet 'Kommandant', Tiānzhú bedeutet 'Indien'.

    Nach wenigen Tagen auf dem Kanal waren im Süden bewaldete Hügel sichtbar. Es war anscheinend nur eine kleine Hügelkette, aber sie lockerte die doch inzwischen eintönig wirkende Ebene mit ihren endlosen Feldern auf. Das Wetter war während unserer Reise in der Ebene immer wärmer und feuchter geworden, doch inzwischen regnete es auch häufiger. Das führte auch dazu, dass wir lieber in Gasthäusern übernachteten und lediglich Wachen für die Boote zurückließen. Der Regen war zwar nicht unangenehm, aber man musste ja nicht unbedingt im Regen schlafen. Die seidene Kleidung war so mal vom Schweiß und mal vom Regen nass. Nasse Seide war aber erträglicher, als nasse Wolle. Deshalb machte mir das nur wenig aus. Vielmehr fragte ich mich, ob ich nicht auch in Rom seidene Unterkleidung tragen wollte. Nichtsdestotrotz übte ich nun jeden Abend mit Wú Liàng den Schwertkampf. Allzu lange würde ich keinen so fähigen Übungspartner mehr haben, der meine Fehler zu korrigieren verstand. Dass wir uns dabei zunehmend besser verstanden, war ein positiver Nebeneffekt.


    Am nächsten Tag erreichten wir die Stadt Péngchéng. Sie war die Hauptstadt des Königreichs Chǔ, was aber letztlich nur eine Verwaltungseinheit war. Es gab auch keine Könige mehr, sondern nur noch Prinzen von Chǔ, bei denen es sich um entfernte Verwandte des Kaisers handelte. Ihr Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, die rituellen Pflichten zu erfüllen. Natürlich wurde ich vom Prinz von Chǔ zur Audienz geladen, die ich in voller Hoftracht absolvierte. Die vielen Lagen Stoff, wenngleich aus Seide, waren in dem schwülwarmen Klima nicht mehr so wirklich angenehm zu tragen. Das ließ ich mir aber nicht anmerken. Ich verneigte mich brav in zwölf Schritt Entfernung zu den Stufen zum Thron, sah aber nicht ein, auf die Knie zu fallen. Eine stehende, aber sehr tiefe, Verneigung musste genügen. Es gab nichts von Bedeutung zu besprechen, so dass die Audienz lediglich ein Austausch von Höflichkeiten war. Der Prinz schien mir die Audienz auch nur aus Höflichkeit abgehalten zu haben und machte den Eindruck, ganz froh zu sein, als er diese ohne Gesichtsverlust beenden konnte. Wir hatten auch kein Thema gefunden, das uns beide interessiert hätte.


    Am nächsten Tag fuhren wir weiter den Kanal entlang und erreichten die Stadt Xiàpī. Die Stadt war gut befestigt und von großer strategischer Bedeutung. Sie lag in der Ebene, nahe am Kanal und an wichtigen Flüssen und Straßen. Außerdem dominierte sie die Gegend, die den Norden und den Süden des Reichs voneinander trennte. In der Stadt stellte ich fest, dass man hier auch Seide von hervorragender Qualität kaufen konnte. Ich gab einen guten Teil meines noch vorhandenen Geldes aus, um besticktes Seidentuch zu kaufen. Das würde mir sicher ein gutes Einkommen in Rom bringen. Außerdem gab es hier Keramikgefäße, die innen sehr hell, ja beinahe weiß aussahen, und von außen bunt glasiert waren. Ich kaufte hiervon Schüsseln, Vasen und Becher. Statuen eines Hundes, eines Löwen, eines Drachen und eines Fabelwesens aus Keramik, die durch die Glasur wie Jade aussah, kaufte ich auch. Das wären sicher schöne Dekorationen für die Domus Iunia. Wer hatte so etwas schon?


    Wir verbrachten zwei Tage in Xiàpī, bevor wir weiterfuhren. Wir mussten noch einmal eine Schiffsrutsche nutzen, bevor der Kanal durch weites, sehr flaches Land führte. Schließlich erreichten wir den Huái Hé, einen großen Fluss, der gemächlich durch die Ebene floss. Wir durchquerten ein Tor in einem künstlichen Wall, der den Fluss vom Land trennte, bevor wir auf den Fluss einschwenken konnten. Der Wall zeigte mir, dass der Fluss gefährliches Hochwasser haben konnte.


    Nach nicht einmal einem Tag auf dem Fluss erreichten wir Huái'ān. Das Wetter war hier weniger drückend, als noch in Xiàpī oder Péngchéng. Von Osten her wehte ein schwacher, aber angenehmer Wind. Wenn Wolken über die Stadt zogen, war es besonders angenehm. Die Stadt war von mittlerer Größe und schien vor allem als lokales Verwaltungszentrum zu dienen. Hier war ich nun der ranghöchste Offizielle, weshalb mir sofort ein Gästequartier angeboten wurde, was ich auch dankend annahm. Der ranghöchste Beamte fragte mich auch, ob er mich zum Abendessen einladen dürfe. Ich erwiderte, dass ich seine Gastfreundschaft nicht überstrapazieren wolle, woraufhin er mir versicherte, dass es ihm eine große Ehre sei, einen so hohen Beamten als Gast bewirten zu dürfen. Ich wies das mit meinen Pflichten gegenüber meinen Soldaten zurück, was er mit großzügiger Unterstützung bei der Bewachung der Waren durch die lokale Garnison entkräftete. So gab ich mich schließlich bei der dritten Anfrage, mich einladen zu dürfen, geschlagen und gestattete es ihm. Das Abendessen musste ihn finanziell belastet haben, was ich hoffte, durch das von mir mitgebrachte Gastgeschenk halbwegs kompensiert zu haben. Zumal wir uns sehr gut verstanden und lange über Philosophie diskutierten.


    Am nächsten Tag hatte ich noch etwas Weiteres zu diskutieren. Die Boote waren nur bis hierher gemietet worden. Für das letzte Stück unserer Reise würde ich natürlich auch Boote benötigen. Das schien aber nur wenig Probleme zu machen. Huái'ān war bereits in der Guǎnglíng-Kommandantur. Die gleichnamige Festung war auch nur wenige Tage entfernt, so dass man recht schnell hier ankommende Frachtkähne requirieren konnte. Mir wurde damit auch schlagartig bewusst, dass sich mein Abschied von diesem faszinierenden Reich nun auch in greifbarer Nähe befand. Gerne wäre ich noch länger hier geblieben, aber ich hatte einen kaiserlichen Befehl zu erfüllen. Und wenn ich etwas über die hiesigen Gepflogenheiten gelernt hatte, dann war es, dass ich um jeden Preis versuchen musste, den Befehl zu erfüllen. Das Gebot die Sitte, aber auch die sehr reale Gefahr, bei Nichterfüllung hart bestraft zu werden. So genoss ich die drei Tage, in denen die Kähne organsiert wurden, um noch ein wenig mit den höchsten Beamten vor Ort zu diskutieren und den einen oder anderen Rat zu erteilen, bevor wir unsere Reise fortsetzten.

    Am nächsten Morgen ging es weiter. Unser Konvoi setzte sich den Kanal entlang in Bewegung. Die Hügel, die wir hinter uns ließen, wurden immer kleiner und wir fuhren durch eine weite Ebene mit Feldern, Dörfern und kleineren Städten. Am Kanal befanden sich oft Dörfer und kleine Städte. Spätestens nach einer nicht allzu hektischen Tagesreise erreichte man einen Anlegeplatz mit Lagerhäusern und Gasthäusern, wo man rasten konnte. So kamen wir recht gut und bequem voran. Die Boote ließ ich stets bewachen, wenn wir übernachteten. Zwar hielt ich die Besatzungen für halbwegs loyal, doch machte die Gelegenheit bekanntlich den Dieb und so wollte ich verhindern, dass jemand in Versuchung kam. Außerdem gab es ja auch noch Fremde, die möglicherweise die Besatzungen überwältigen konnten. Kaiserliche Soldaten wirkten da schon abschreckender. Immerhin konnten die nächtlichen Wachen tagsüber beim ruhigen Gleiten der Boote durch den Kanal ihren Schlaf nachholen.


    Nach einer Woche kamen wir schließlich an einer befestigten mittelgroßen Stadt an. Es handelte sich um Suīyáng, die Hauptstadt des Königreichs Liáng. Das Königreich war hierbei vor allem als Verwaltungsstruktur im Reich Hàn zu sehen. Das bedeutete aber nicht, dass ich dem König keinen Respekt zollen musste, zumal es sich um einen Verwandten des Kaisers handelte. Nachdem wir im Hafen der Stadt angelegt hatten, wurden uns sofort Soldaten zur Verfügung gestellt, um die Waren in bewachte Lagerhäuser zu bringen. Außerdem wurden die Soldaten in Kasernen untergebracht und ich selbst in einem großzügigen Haus, das der König von Liáng seinen höherrangigen Gästen zur Verfügung stellte. Natürlich musste ich der Einladung des Königs zu einer Audienz Folge leisten, wozu ich mich in die rote Hoftracht kleidete. Es war eine Frage von Sitte und Respekt. Als König standen ihm ebenfalls auf der Zahl zwölf basierende Ehren zu, so wie ich es auch beim Kaiser kennengelernt hatte.


    Bei der Audienz sprachen wir über Neuigkeiten vom Hofe in Luòyáng, sowie meine Reise und meine Befehle. Der König versprach, mir Boote zu organisieren, die mich zum Huái Hé und weiter bis nach Huái'ān bringen sollten. Ich wies die Großzügigkeit des Königs, so wie es die Sitte forderte, zweimal auf Grund meines niedrigeren Standes zurück und akzeptierte beim dritten Angebot gespielt widerwillig. So war mein Gesicht bewahrt, indem ich bescheiden erschien. Der König war zufrieden und ließ mir ein fürstliches Abendmahl im Gästehaus bringen. Arpan konnte ich ebenfalls im Gästehaus unterbringen, wenngleich er abends keine Mahlzeiten mehr zu sich nahm.


    Das Organisieren der Boote nahm zwei Tage in Anspruch, so dass ich mir die Stadt ansehen konnte. Sie war weniger geordnet als die beiden Hauptstädte, die ich gesehen hatte. Die Gassen waren kleiner und verwinkelter. Ich lernte, dass diese Stadt eine der ältesten Städte in Serica war und deshalb noch einen sehr ursprünglichen Baustil hatte. Die einzige Ordnung schufen zwei sich am großen Königspalast kreuzende Hauptstraßen und die Straßen, die die jeweiligen Wohnviertel umschlossen.


    Nachdem die Boote beladen waren, ließ mir der König noch eine Botschaft für den Kommandant von Huái'ān überbringen und als Dank für meine Botschafterdienste einen Ballen wertvolle bunte Seide als Geschenk, den ich nach zweimaligem Zurückweisen bescheiden und demütig annahm. Wenn man mir vorher gesagt hätte, dass ich hier überall mit Seide beschenkt würde, hätte ich es mir sparen können, in Cháng'ān einen Großteil des übrig gebliebenen Geldes in Seide zu stecken. Zumal die Seidenqualität anscheinend immer besser wurde, je weiter ich reiste. Natürlich war Seide hier nicht so teuer, wie in Rom, aber dennoch ein Luxusgut. Ich fragte mich, ob das jemals anders werden würde.

    Nachdem wir Luòyáng verlassen hatten, fuhr unser Konvoi für einige Meilen einen stark frequentierten Kanal entlang. Schließlich erreichten wir den Luò Hé, der gemächlich in einem weiten Tal floss, das sich zunehmend öffnete. Die Bootsmannschaften ruderten routiniert, aber nicht erschöpfend, die Boote und ich konnte mir in Ruhe die Landschaft mit weiten Feldern und Obsthainen, sowie kleineren Dörfern, die an meinem Boot vorbeizog, betrachten. Nach der Schleuse fuhren wir auf dem gemächlich dahinfließenden, gar nicht mal so kleinen Fluss entlang. Es war eine idyllische Landschaft, die mir sehr gefiel. Am Ende des Tages wurde das Tal wieder enger und wir erreichten wir ein Dorf an einer Biegung des Luò Hé, welches über einen größeren Hafen, Lagerhäuser und Gasthäuser verfügte. Das Dorf lag in einem Durchbruch des Luò Hé durch eine Hügelkette nach Norden. Im Licht der Dämmerung konnte ich noch erkennen, dass nach den Hügeln eine weite Ebene begann und wohl auch ein Fluss verlief. Nach meinen Informationen musste das bereits der Huáng Hé sein, den ich so also noch einmal sehen würde. Das Dorf war wohl als Rastplatz für die Boote gedacht, die hier entlang kamen.


    Die Offiziere und ich verbrachten die Nacht in Gasthäusern, während der Rest auf den Booten schlief. Nach einem kurzen Frühstück zur Morgendämmerung traf ich wieder bei den Booten ein und wir setzten unsere Reise fort. Der Huáng Hé floss hier deutlich ruhiger und breiter, als noch in dem engen Tal, in dem ich ihn zuletzt gesehen hatte. Allerdings wackelten die Boote doch merklich, als sich die Strömungen der beiden Flüsse vermischten. Wir folgten der stärksten Strömungen und landeten so in einem der mittleren Arme des Huáng Hé, die sich durch ockerfarbene Sandbänke schlängelten.


    Am frühen Nachmittag erblickte der Bootsführer auf meinem Boot, der letztlich den ganzen Konvoi leitete, eine Mauer, die in den Huáng Hé reichte und gab Anweisungen, an der Mauer festzumachen. Die Mauer war der Beginn einer gemauerten Anlegestelle. Sie war so gebaut, dass die durch die Mauer stets umströmt war, was den Bereich von Sediment frei hielt. Der Uferbereich fiel steil ab. Neben dem Anlegeplatz waren schräge Bahnen, über die Wasser floss, in das Ufer geschnitten. Ich konnte beobachten, wie Boote diese Bahnen hinabglitten. Man konnte die Schiffe auch diese Bahnen hinaufziehen lassen. Das konnte ich auch bei einigen Booten beobachten, entschied mich aber, dass mir das für unsere Fracht zu gefährlich war. Deshalb ließ ich die Fracht komplett nach oben transportieren, von wo aus ich genau beobachtete, dass auch wirklich alles nach oben transportiert wurde. Schließlich wurden die leeren Boote nach oben gezogen, wobei zwei Boote kenterten. Eines konnte gerettet werden und schließlich doch nach oben gezogen, während das zweite so beschädigt wurde, dass wir es nicht mehr verwenden konnten. Die Besatzung dieses Bootes hatte damit Feierabend. Ich sah mich oben um. Wir standen an einem gemauerten Kanal, an dessen Ufern unsere Boote festgemacht wurden und auch andere Boote standen. Da wir Ersatz für das verlorene Boot benötigten, sah ich mich nach Booten um, die gerade entladen wurden. Dabei achtete ich sehr darauf, welchen Eindruck die Besatzung und der Bootsführer auf mich machten. Schließlich fand ich ein Boot, dessen Besatzung mir vertrauenswürdig erschien. Die Besatzung bestand aus einer kompletten Familie. Das machte sie mir sympathisch. Ich beschloss, sie mitsamt ihrem Boot zu requirieren. Man erkannte zwar meinen Rang, leistete aber zunächst noch Widerstand, obwohl ich eine gute Miete anbot. Schließlich erhöhte ich den Mietpreis noch etwas und bot an, ein Empfehlungsschreiben zu erstellen, welches sie nutzen konnten, wenn sie gezielt Regierungsaufträge erlangen wollten. Das überzeugte sie schließlich. Dennoch beschloss ich, auf ihrem Boot den Offizier Wú Liàng und sechs seiner Soldaten unterzubringen. Sicher war sicher. Nachdem die Fracht verstaut war, wurde es bereits dunkel. So bestimmte ich, dass die Reise am nächsten Morgen weitergehen würde. Um unsere wertvolle Fracht zu sichern, übernachteten wir diesmal alle auf den Booten.



    Sim-Off:

    Den Kaiserkanal in China gab es zur bespielten Zeit noch nicht. Dennoch orientiere ich mich bei der lateinischen Bezeichnung "Fossa Magna" am chinesischen Namen des Kaiserkanals, Dà Yùnhé (großer Kanal). Die Strecke beginnt mit dem Luò-Kanal, der Luòyáng mit dem Luò-Fluss verbindet. Dem Fluss wird gefolgt, bis der Gelbe Fluss (Huáng Hé) erreicht wird, dem bis zum Hóng-Kanal gefolgt wird. Anschließend wird dem Hóng-Kanal auf voller Länge bis zum Huái Hé gefolgt. Dem Huái-Fluss wird dann bis zum Hán-Kanal gefolgt, der auf voller Länge bis zum Jangtsekiang (Cháng Jiāng) befahren wird. Der Hán-Kanal ist hierbei das einzige Teilstück, welches später gesichert Teil des Kaiserkanals werden sollte. Teile des Hóng-Kanals scheinen aber auch im späteren Kaiserkanal aufgegangen zu sein.

    Tán Lì war nicht sonderlich erstaunt, dass ich befördert worden war. Wahrscheinlich hatte er es bereits vorher erfahren, denn er schien am Kaiserhof sehr gut vernetzt zu sein. Durch meine Beförderung verschob sich meine Abreise aus Luòyáng um eine weitere Woche. Der Schneider freute sich über den nächsten Auftrag, der für mich noch teurer war, als der letzte. Die Farbe meines Ranges war nun rot, weshalb das Gewand unter dem äußeren Gewand rot sein musste. Die Seidenschuhe der Hofkleidung mussten nun goldene Paspeln und Verzierungen haben, also musste es auch neue Schuhe geben. Das Jìnxián Guān hatte nun auf der Stirn fünf goldene Paspeln. Die beiden zusätzlichen Paspeln konnte man aber nicht einfach ergänzen, sondern es bedurfte einer neuen Kopfbedeckung. Und als wäre das nicht genug gewesen, konnte ich selbst die über allem getragene rote Robe nicht mehr verwenden, sondern musste mir eine neue kaufen, die nun Drachen in roter Seide aufgestickt hatte. Durch die unterschiedliche Laufrichtung des Fadens bei Stickerei und Robe waren sie im Widerschein des Lichts sichtbar. Natürlich kostete das alles Geld, etwa das Doppelte, wie mein letzter Satz Hofkleidung.


    Immerhin wurde meine Laune schnell besser, als ich zwei Tage nach der Audienz dazu aufgefordert wurde, meine Besoldung in Empfang zu nehmen. Der Minister der Massen hatte veranlasst, dass ich zwei Jahresgehälter erhalten sollte, um so die Reise und, falls ich dies wünschte, die Rückreise durch die Summe abgedeckt wären. Es wären sechsundneunzigtausend Münzen gewesen, allerdings erhielt ich hiervon nur fünfzigtausend in den hier typischen Münzen der Art einer drachma, während er Rest in Form von wertvoller Seide höchster Qualität. Zusätzlich erhielt ich noch Tee, Wein und etliche Säcke Reis. Spätestens ab jetzt hatte sich meine Reise gelohnt.


    Ich nutzte die Zeit auch, um eine Lösung für Tán Lì's Nichte zu finden. Sie erschien mir als die perfekte Braut für Jì Mǐn. Sie war zwar drei Jahre älter als er, aber mit ihrer Bildung würde sie ihm bei seinem Studium an der kaiserlichen Akademie sicher unterstützen können. Außerdem war sie die Tochter eines angesehenen, wenngleich verstorbenen, Offiziers und die Nichte eines einflussreichen Palasteunuchen. Die fehlende Jungfräulichkeit konnte das Geheimnis von Jì Mǐn, ihr, mir und Tán Lì bleiben. Als Mitgift könnte Tán Lì Unterkunft und Verpflegung von Jì Mǐn während dessen Studium übernehmen. Außerdem würde ich noch zehntausend Münzen als Mitgift hier lassen. Das alles würde Jì Dé sicher genügen, um seine Zustimmung zu erteilen. Wobei ich mir sicher war, dass er das von einer Aufnahme von Jì Mǐn an der kaiserlichen Akademie abhängig machen würde.


    Daher vereinbarte ich einen Termin mit dem Minister der Zeremonien, der nur einen Rang über mir war, um ihm Jì Mǐn vorzustellen. Der Minister der Zeremonien war zugleich mit der Aufsicht und fachlichen Leitung der kaiserlichen Akademie betraut. Da meine neue Hofkleidung noch nicht fertig war, hatten wir den Termin in den Hallen der kaiserlichen Akademie vereinbart, so dass ich in einfacher schwarzer Gelehrtenkleidung erscheinen konnte. Die Kleidung war aber weiterhin aus Seide. Ich hatte auch Jì Mǐn angewiesen, sich bestmöglich zu kleiden. Zusammen hatten wir uns mehr als rechtzeitig auf den Weg gemacht.


    Wir durchquerten die Stadt südwärts, bis wir die südliche Mauer erreichten. Wir durchschritten eines der Tore in Richtung des Luòhé. Der Fluss war etwa eine Meile südlich der Stadtmauer. Ganz so weit war die Akademie zum Glück nicht. es handelte sich um ein großes Gebäude mit mehreren Nebengebäuden. Der Fläche nach schätzte ich den gesamten Komplex als etwas größer ein, als es das Museion mitsamt Bibliothek war. Natürlich waren hier auch dreizigtausend Lehrende und Lernende untergebracht, was deutlich mehr Menschen waren, als man am Museion finden konnte.


    Am Eingang meldete ich uns ordnungsgemäß an, wobei ich die schriftliche Einladung zum Termin vorzeigte. Da mein Rang so leicht nicht erkennbar war, wurde er erst bei der Einladung offenbar. Das ließ den Gelehrten, der uns zunächst skeptisch gemustert hatte, erbleichen und sich anschließend mehrfach verbeugen und um Vergebung zu bitten, dass er mich nicht erkannt habe. Ich beruhigte ihn, indem ich ihm sagte, dass ich ja auch erst seit Kurzem in Luòyáng wäre und er mich deshalb noch nicht kennen könne.


    Nach einer kurzen Wartezeit wurden wir in ein mittelgroßes Zimmer geführt. Dort saß der Minister der Zeremonien in der Mitte, mit je einem Gelehrten rechts und links von ihm. Ich verneigte mich angemessen, während sich Jì Mǐn sehr tief verbeugte. Nach der Erwiderung der Verneigung durch eine leichte Verneigung des Ministers und tiefe Verbeugungen der Gelehrten, die letztlich mir und nicht Jì Mǐn galten, sprach der Minister mit einem höflichen Lächeln. "Willkommen in der Tàixué, Yúnzǐ. Bitte, setzt Euch." Es gab nur ein Seidenkissen, auf dem ich Platz nehmen konnte. Folglich musste Jì Mǐn stehen. Das hatte ich auch so erwartet.


    "Ich danke Euch für die Ehre, mich in diesen Hallen des Lernens zu empfangen, Tàicháng Sì," erwiderte ich, während ich mich setzte. Ich hatte entschieden, ihn mit seinem Ministeramt anzusprechen und nicht mit seinem Namen.


    Der Minister deutete auf Jì Mǐn. "Dies ist der begabte junge Mann, den Ihr mir vorstellen wollt?"


    Natürlich war das offensichtlich, aber das war auch nicht der Zweck der Frage. "Tàicháng Sì, das ist der junge Herr Jì Mǐn. Er ist der Sohn eines Freundes, der mich auf einem langen Stück meiner weiten Reise begleitet hat. Tatsächlich haben mich beide begleitet, weshalb ich mir ein gutes Bild von Jì Mǐn machen konnte. Er ist neugierig, pflichtbewusst und dem Kaiser treu ergeben. Seine Kindespflichten gegenüber seinem Vater erfüllt er stets vorbildlich und mit größtmöglicher Ehrerbietung und Gehorsam. Er lernt begierig und schnell. Natürlich hat er noch erhebliche Wissenslücken, aber deshalb soll er schließlich hier studieren. Ich bitte Euch, ihm einen Platz unter den Studenten der Tàixué zuzuweisen." Dann verneigte ich mich leicht.


    "Ihr seid voll des Lobes, Yúnzǐ. Jedoch hörte ich, dass sein Vater ein einfacher Händler sei. Stimmt das?"


    Die Frage des Ministers war kritisch, weil Händler nur geringes Ansehen genossen und nur als wenig ehrenvoll galten. Ihr gesellschaftlicher Status war unter dem der Bauern und Handwerker. Nur Sklaven und Barbaren standen unter ihnen. Ich wusste allerdings, dass dies streng genommen nur für registrierte Händler galt, nicht jedoch für reisende Kaufleute. "Der Vater des jungen Mannes, mein Freund Jì Dé, ist kein einfacher Händler. Er ist Fernkaufmann, der Waren in und aus fernen Ländern bringt. Ein registrierter Händler ist er jedoch nicht, da er Karawanen führt und kein Ladengeschäft. In Cháng'ān genießt er höchstes Ansehen. Ich habe Jì Dé stets als Mann von Ehre wahrgenommen und er hat seine Kinder, also auch seinen Sohn Jì Mǐn, der nun hier steht, zu ehrenhaften Menschen erzogen."


    Der Minister nickte, während sich die Gelehrten Notizen machten. "Ihr verbürgt Euch für ihn, Yúnzǐ?"


    Das war die wichtigste Frage. Dadurch, dass ich mich verbürgte, übernahm ich die volle Verantwortung für das Verhalten von Jì Mǐn. Seine Fehler würden als meine Fehler gesehen. Ich musste mir hier also absolut sicher sein. "Ja, ich verbürge mich für ihn, Tàicháng Sì."


    Der Minister nickte zufrieden. "Gut, dann wollen wir das Wissen des jungen Mannes testen."


    In den anschließenden Stunden prüften die beiden Gelehrten und der Minister das Wissen von Jì Mǐn über die Schriften des Kǒng Fūzǐ, aber auch seine Intelligenz und Argumentationsfähigkeit. er schlug sich recht gut und blieb immer höflich und äußerst respektvoll. Das schien sie zu überzeugen und man gestattete ihm in drei Wochen das Studium zu beginnen. Man fragte ihn noch, ob er eine Unterkunft in der Akademie benötigte, was er mit einer gewissen Unsicherheit beantwortete, da er nicht wisse, ob er nicht in Kürze heiraten könne. Das wurde auch sehr gut aufgenommen. Man empfahl ihm, zunächst in der Akademie zu wohnen und nach seiner eventuellen Heirat selbstverständlich außerhalb der Akademie mit seiner Frau zu wohnen. Nach einer angemessenen Verabschiedung verließen Jì Mǐn und ich die Akademie.


    Erst, nachdem wir wieder das Stadttor durchquert hatten, fiel die Anspannung von Jì Mǐn ab. Jetzt konnte er ein Dauerlächeln nicht mehr unterdrücken. Er war glücklich, wusste er doch, dass er in einigen Jahren ein Beamter sein würde. Noch mehr gesellschaftliches Ansehen gab es außerhalb des Fürstenstandes nicht. Und dazu würde er in nicht allzu langer Zeit auch noch eine wunderschöne und kluge Frau aus gutem Hause heiraten. Was konnte er mehr wollen?


    Zur Feier des Tages lud ich ihn in ein teures Gasthaus zum Essen ein und wir speisten sehr gut. Die Gelegenheit nutzte ich, um ihn zu ermahnen, dass er auch nach seiner Hochzeit seine Energie vor allem zum Studium aufwenden sollte. Mir war natürlich bewusst, dass das mit einer schönen Frau zu Hause nicht leicht sein würde, was ich ihm auch genauso sagte. Er grinste, versprach aber, mich nicht zu enttäuschen. Auch ihm war klar, was es bedeutete, dass ich für ihn gebürgt hatte. An seinem Pflichtbewusstsein hatte ich aber keinen Zweifel.


    Am Abend schrieb ich einen Brief an Jì Dé, in dem ich ihm berichtete, dass sein Sohn in Kürze Student der kaiserlichen Akademie sei und dass ich eine Frau für ihn gefunden hätte. Ich schrieb auch ein paar Zeilen über Tán Yù. Erst danach erwähnte ich meine Beförderung, um schließlich festzustellen, dass ich sein Einverständnis zur Heirat seines Sohnes erwarten würde und es ihm notfalls auch einfach befehlen könnte. Ich wusste, dass er auch ohne diese Drohung zustimmen würde. Noch mehr wusste ich aber, dass Jì Dé spätestens in dieser Androhung erkennen würde, dass ich eine wirklich gute Partie für seinen Sohn gefunden hatte.


    Am nächsten Tag machte ich Jì Mǐn und Tàn Yù miteinander bekannt. Er war sofort hin und weg und auch Tán Yù schien von ihm ganz angetan zu sein. Tán Jì war ebenfalls bei dem Gespräch dabei und teilte bei einem abendlichen Gespräch unter vier Augen meine Auffassung, dass man eine harmonische Ehe erwarten könne.


    Die letzten Tage in Luòyáng nutzte ich, um diese beeindruckende Hauptstadt noch etwas besser kennenzulernen, doch schließlich musste ich immer mehr Zeit in der Organisation der Weiterreise stecken. Wir hatten Boote auf dem Yáng Yùnhé gemietet, dem Kanal, der Luòyáng mit dem Luòhé verband. Es wurden die Waffen und das Gepäck verladen, während schließlich auch zwölf Geschenke des Kaisers von Hán an den Kaiser von Rom eintrafen, die ich zusammen mit einer ebenfalls eingetroffenen Grußbotschaft transportieren sollte.


    Als mein neuer Satz Hofkleidung fertiggestellt war, kam schließlich der Tag des Abschieds. Ich verabschiedete mich respektvoll von Tán Lì und seiner Nichte Tán Yù. Der Abschied von Jì Mǐn, der bis zum Beginn seines Studiums und nach seiner Heirat bei Tán Lì wohnen würde, fiel mir schwerer. Ich hatte den jungen Mann in mein Herz geschlossen, als wäre er ein Teil meiner Familie. Was es mir leichter machte, war die unglaubliche Vorfreude von ihm auf sein Studium und seine künftige Ehe. Obwohl wir es beide bedauerten, dass ich nicht bei seiner Hochzeit dabei sein konnte. Was er nicht wusste, war, dass ich bei Tán Lì ein Hochzeitsgeschenk für ihn hinterlegt hatte, welches aus einem Satz Seidenkleidung und einem kleinen Buch von mir mit Tipps zur Lebensführung bestand. Ob ich bereits über genug Weisheit und Lebenserfahrung für ein solches Buch verfügte, wusste ich nicht. Es war mir aber auch egal.


    Nach dem Abschied machte ich mich auf den Weg zu den Booten, wo Wú Liàng und seine Soldaten bereits auf mich warteten. Er schien extrem stolz zu sein, mit einem so hohen Beamten zu reisen und hatte seine Soldaten richtig herausgeputzt. Die Truppe war auf die Boote verteilt und als ich an Bord des ersten Bootes gegangen war, ging die Reise los. Während die Bootsmannschaft das Gefährt langsam den Kanal hinab gleiten ließ, blickte ich über unseren kleinen Konvoi zurück nach Luòyáng. Ich nahm mir vor, im Falle einer Rückkehr nicht nur ein paar Tage oder Wochen, sondern eher ein paar Monate hier zu verbringen. Es gab noch so viel zu entdecken. Schließlich blickte ich nach vorne in das weite Tal, in dem der Kanal ostwärts führte. Meine Reise führte mich weiter weg von meinen neuen Freunden und, rein geografisch, auch zunächst weiter weg von Rom. Doch wusste ich, dass es von der östlichen Küste aus zunächst südwärts und dann zurück nach Rom gehen würde. Und langsam, sehr langsam, wich die Neugier und das Fernweh einer leichten Sehnsucht, meine Verwandten wiederzusehen.

    Tán Lì hatte mit seinem Schneider nicht zu viel versprochen. Meine Körpergröße machte ihm zwar ein paar Schwierigkeiten, doch er schaffte es, mir binnen einer Woche einen Satz Hofkleidung zu schneidern. Die Woche verbrachte ich damit, mir die Stadt anzusehen und meinen Gastgeber und seine Nichte näher kennenzulernen.


    Luòyáng war die Heimat von etwa einer halben Million Menschen, also nur etwa die Hälfte der geschätzten Bevölkerung meines geliebten Roms. Doch dafür verteilte sich die Bevölkerung auf knapp der dreifachen Fläche Roms. Das konnte man gut sehen, denn die Straßen waren weit, die Häuser oft geräumiger als die in Rom und wagemutig gebaute Insulas fehlten komplett, obwohl es auch hier einige Gebäude gab, die drei oder vier Stockwerke hoch waren. Das Straßennetz war wohlgeordnet und immer wieder gab es kleine Gärten, die zum Verweilen einluden. Dadurch, dass die Stadt in einem flachen Tal lag, fehlten Hügel. Das hatte sicher dabei geholfen, eine so vorbildliche Ordnung in den Straßen zu schaffen. Das gefiel mir sehr viel besser, als das Chaos aus Straßen und Gassen in Rom. Garküchen gab es viele und die Speisen waren mit für mich exotischen Gewürzen verfeinert, die hier viel weniger kosteten, als in meiner Heimat. Und doch war alles irgendwie fremd. Vor den Toren der Stadt im Westen hatten die Buddhisten den Tempel des Weißen Pferdes gebaut. Sie nannten ihn natürlich anders, doch die Statue eines Pferdes aus weißem Stein hatte die Bevölkerung dazu veranlasst, den Tempel so zu nennen.


    Bei meinen Gesprächen mit meinen Gastgebern hatte ich schnell gelernt, dass Tán Yù nicht nur eine bildschön, sondern auch eine kluge und äußerst gebildete junge Frau war. Die Prioritäten im Leben von Tán Lì waren zuallererst seine Nichte und erst danach der Dienst am Kaiser. Das brachte ihn aber in keine Interessenkonflikte. Zwar spürte ich, dass er sie gerne mit mir verkuppeln wollte, doch ging ich darauf nicht ein. Ja, sie wäre die perfekte Frau für mich. Aber Rom würde sie zerstören. Da war ich mir sicher.


    Schließlich kam der Tag der Audienz. Tán Lì half mir, mich anzukleiden. Ich trug rote, quaderförmige Seidenschuhe mit blauen Paspeln und Verzierungen. Über der mir geläufigen Unterkleidung aus ungefärbter Seide trug ich eine Robe aus blauer Seide mit weiten Ärmeln, die so angelegt war, dass man ein Stück des Kragens meiner Unterkleidung sah. Blau war die Farbe meines Ranges als Beamter. Darüber wurde mir eine rote Seidenrobe mit noch etwas weiteren Ärmeln angelegt, so dass man sowohl die Enden der blauen Ärmel sehen konnte, als auch ein wenig der blauen Robe in der Öffnung meines Kragens sichtbar war. Mit einem breiten roten Seidengürtel wurde alles an seinem Platz gehalten. Schließlich kam als Kopfbedeckung ein Jìnxián Guān aus schwarzer Seide mit goldener Paspelierung und hinzu, welches oberhalb der Stirn drei nach hinten laufende goldene Paspeln zeigte. Mit allem zusammen war ich als Beamter des fünften Ranges erkennbar. Dieser Satz Hofkleidung hatte mein komplettes erhaltenes Beamtensalär verschlungen, sogar noch etwas mehr. Dafür, dass ich es wahrscheinlich nie wieder benötigen würde, empfand ich diese Kosten als exorbitant. Doch so war die Kultur, und ich wollte den Kaiser auf gar keinen Fall verärgern. Davon hatte mir Tán Lì auch dringend abgeraten.


    So gewandet ging ich also mit dem Schreiben, das mich zur Audienz aufforderte, zum kaiserlichen Palast. Am ersten Tor wurde alles ordentlich kontrolliert und man geleitete mich über den Hof zu einem Tor, welches in eine große Halle führte. Von dort aus ging es auf die östliche Seite des Hofes, wo ich vor eine kleinere Halle geführt wurde. Es war klar, dass ich nicht bedeutend genug war, in der großen Halle empfangen zu werden. Während ich wartete stand ich gerade, fast schon militärisch, aber mit beiden Händen vor meinem Bauch aufeinandergelegt und in den weiten Ärmeln verborgen. Ich sah mich nicht um, sondern schaute starr auf die geschlossene Türe vor mir. So sollte ein echter Gelehrter warten. Sich neugierig umschauen wäre ein Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung gewesen, obwohl es hier jede Menge zu sehen gab. Schließlich wurde die Türe geöffnet.


    Ich ging drei Schritte in den Raum und hob meine Roben bis über die Knöchel an, während ich mich elegant niederkniete. Dann legte ich meine Hände vor meinem Gesicht aufeinander und verneigte mich langsam, wobei ich schließlich die Hände wieder entfaltete und neben meinem Gesicht mit den Handflächen auf den Boden legte, während ich mich weiter verneigte, bis meine Stirn den Boden berührte. So verharrte ich. Ich spürte die Kühle des Bodens und wie perfekt poliert die Steinplatten waren, ohne dass sie deshalb rutschig wurden. Nach einem Moment hörte ich eine ruhige Stimme. "Erhebt euch."


    Ich tat, wie mir geheißen und hob meinen Oberkörper, bis er wieder senkrecht war, dann stand ich in einer fließenden Bewegung auf, wobei ich die Hände wieder vor meinem Gesicht waagerecht aufeinander legte, die linke Hand auf der rechten, dabei jedoch in den Ärmeln verschwinden ließ und mich erneut stehend verneigte.


    "Tretet näher."


    Ich ging nun etwa neun Schritte, bis ich an einer Bambusmatte stand, die etwa zwölf Schritte vor den zwölf Stufen zum Thron am Boden lag.


    "Wenn Ihr mögt, dürft Ihr Euch setzen."


    Wie zuvor beim Betreten des Saales kniete ich, diesmal aber auf der Bambusmatte, und verneigte mich, bis mein Kopf den Boden berührte. Aber nun richtete ich danach meinen Oberkörper sofort wieder auf und verschränkte meine Hände vor meinem Bauch, wobei ich sie wieder in den Ärmeln verschwinden ließ. Ich wagte es nun, den Blick leicht nach oben schweifen zu lassen. Auf der sechstniedrigsten Stufe stand ein Mann in prächtigen roten Roben, die Kraniche und andere Vögel zeigten. Seine Gewänder waren komplett aus roter Seide und seine Jìnxián Guān zeigte fünf Paspeln. Er war also ein Beamter des dritten Ranges. Da mich Tán Lì vorher instruiert hatte, wer seines Wissens anwesend sein würde, wusste ich, dass es sich um den Minister Herold handeln würde, der für diplomatische Beziehungen zuständig war. Auf der von oben gesehen dritten Stufe stand ein noch prächtiger gekleideter Mann, dessen Jìnxián Guān sogar sieben Paspeln zeigte. Es war ein Beamter des ersten Ranges und meines Wissens nach der Minister der Massen. Es war der Vorgesetzte des Minister Herolds. Beide standen zur Rechten des Kaisers. Auf dem Thron schließlich saß der Kaiser, ein Mann in meinem Alter, schätzte ich. Er trug Roben aus gelber Seide mit Drachen, Vögeln und anderen Verzierungen. Dazu trug er eine prächtigere Kopfbedeckung, die Yuǎnyóu Guān hieß und Kaisern, Königen und Herzögen vorbehalten war. Nach diesem kurzen Blick nach oben, blickte ich wieder geradeaus.


    "Ihr seid also Yúnzǐ. Mein Vetter hat nur lobende Worte für Euch. Ihr seid also ein Gelehrter aus fremden Gestaden. Erlaubt mir, Euch in meinem Reich willkommen zu heißen." Die Stimme gehörte also zum Kaiser.


    "Ich danke dem Sohn des Himmels für die Gnade, mich sein Reich sehen zu lassen." Ich sprach deutlich und laut genug, damit er mich gut hören konnte, dann verneigte ich mich wieder, bis meine Stirn den Boden berührte und richtete meinen Oberkörper schließlich wieder auf.


    "Es freut mich, dass Ihr kein Barbar seid." Damit meinte er wohl meine Beherrschung der hiesigen Sitten. Dass sich alles Römische in mir dagegen sträubte, mich sinngemäß vor jemanden in den Staub zu werfen, konnte ich offenbar gut verbergen. "Sagt mir, wie schätzt Ihr die Fähigkeiten meines Vetters als Herrscher ein?"


    Mir war klar, dass meine Antwort für Prinz Jiénzǐ gefährlich werden konnte. Das wäre sie aber auch, wenn ich erst länger nachdenken würde. So antwortete ich sofort. "Heilige Hoheit, die Fähigkeiten des Prinzen Jiénzǐ als Herrscher vermag ich nicht einzuschätzen. Als Verwalter von Cháng'ān ist er aber durchaus fähig. Es herrscht Ordnung in der Stadt. Doch ist der Verwalter einer Stadt nur schwer mit einem echten Herrscher zu vergleichen. Doch gestattet mir, zu erwähnen, dass er vermutlich nur widerwillig herrschen würde. Er ist zufrieden damit, Euch bestmöglich zu dienen."


    Es herrschte für eine gefühlte Ewigkeit eisige Stille im Saal und ich merkte, wie die Blicke des Kaisers und der hohen Würdenträger auf mir ruhten, mich musterten und herauszufinden versuchten, ob ich die Wahrheit sagte. Schließlich unterbrach die Stimme des Kaisers die Stille. "Ich danke für Eure Aufrichtigkeit. Eine Qualität, die Euch auch schon mein Vetter attestierte. Ihr seid aus Dàqín. Wem gilt Eure Loyalität? Mir oder dem Kaiser von Dàqín?"


    Das war nun eine schwierige Frage, doch letztlich nur für mich gefährlich. So entschloss ich mich, einfach geradeheraus und ehrlich zu sein. "Hier, als kaiserlicher Beamter, gilt meine Loyalität allein Euch, kaiserliche Majestät. In Dàqín hingegen gilt meine Loyalität meiner Familie. Sollte mich der Kaiser von Dàqín in ein Amt erheben, so wird ihm meine Loyalität in Dàqín gelten. Doch über allem, egal, wo ich auf der Welt unterwegs bin, gilt meine Loyalität der Menschheit und der Ordnung von Himmel und Erde. Dass man die Ordnung nur durch Staaten erhält, ist klar. Dass Staaten nur durch eine stabile Regierung Ordnung schaffen können, ist auch klar. Deshalb müssen die Herrscher gestützt werden, die für Ordnung und Stabilität sorgen."


    "Eine kluge Antwort, Yúnzǐ." Die Stimme schien nun einem der Minister zu gehören. "Und der Sohn des Himmels ist Eurer Meinung nach ein solcher Herrscher?"


    "Ja, Herr. So, wie auch der Kaiser von Dàqín ein solcher Herrscher ist." Ich fragte mich, ob ich hier lebend herauskommen würde, wenn das so weiter ging.


    "Dann habe ich einen Befehl für Euch, der der Harmonie der Welt nützt," sprach der Kaiser. Es war klar, dass ich den Befehl nicht verweigern konnte. Statt des Kaisers sprach nun der Minister weiter. "Yúnzǐ, Ihr werdet als unser Gesandter dem Kaiser von Dàqín Geschenke und eine Grußbotschaft des Sohns des Himmels überbringen. Ihr müsst danach nicht wieder hierher zurückkehren, außer, der Kaiser von Dàqín befiehlt es Euch. Bis Ihr den Befehl erfüllt habt, werdet Ihr dem Sohn des Himmels loyal sein. Danach mögt Ihr dem Kaiser von Dàqín loyal sein. Doch so lange Ihr lebt, werdet Ihr weder den Feinden von Hàn, noch den Feinden von Dàqín gegenüber jemals loyal sein."


    Erneut verneigte ich mich und sprach danach. "Ich danke dem Sohn des Himmels für seinen Befehl und werde diesen mit Freuden ausführen. Doch bevor ich dies tun kann, muss ich noch den älteren Befehl befolgen und die Waffen an ihr Ziel bringen." Das war jetzt vielleicht anmaßend gewesen, aber ich musste das sagen, wollte ich mein Gesicht wahren.


    "Dann ist es für Euch ausgesprochen praktisch, dass das Ziel des älteren Befehls ein Hafen ist, von dem aus Ihr nach Dàqín aufbrechen könnt. Beide Befehle lassen sich gemeinsam erfüllen. Ihr dürft Euch entfernen, doch wartet in der Halle am Übergang der Höfe." Die Stimme des Ministers war streng, aber nicht feindselig.


    Ich erhob mich und verneigte mich tief. Dann ging ich immer wieder drei Schritte rückwärts und verneigte mich erneut, bis ich schließlich außerhalb der Halle war. Gut, ich lebte noch. Und ich hatte für meine Freunde hoffentlich auch keinen Schaden angerichtet. Die Atmosphäre von purer Macht, die die Anwesenden ausgestrahlt hatten, ließ mir einen eiskalten Schauer den Rücken herunterlaufen. Das waren Menschen gewesen, die jeden beliebigen Menschen mit einem Wink zum Tode verurteilen konnten. So etwas hatte ich in Rom noch nie gespürt. Vielleicht war es aber auch einfach nur Glück, dass unser Kaiser weniger distanziert war.


    In der Halle, die zwischen dem ersten und zweiten Innenhof war, wartete ich, wie mir geheißen wurde. Es dauerte recht lange, bis ein Eunuch die Halle betrat, mit einem Schriftstück, dessen Rückseite aus gelber Seide bestand, in den Händen. Als er es entrollte, fielen alle Anwesenden, inklusive mir selbst, auf die Knie, und verneigten uns vor dem Eunuchen, bis wir mit der Stirn den Boden berührten. Streng genommen war es nicht der Eunuch, vor dem wir uns verbeugten, sondern das Schriftstück mit den Worten des Kaisers.


    "Im Namen des Sohns des Himmels sei verkündet, dass ein kaiserlicher Gesandter auch den Rang eines Beamten am Kaiserhof haben muss, der ihn zur Gesandtschaft befähigt. Deshalb soll ab sofort der ehrenwerte Yúnzǐ in den unteren dritten Rang erhoben werden. Er soll diesen behalten, bis er ihm entzogen wird oder er ihn abzugeben wünscht. Es ist ihm verboten, diesen Rang abzugeben, so lange seine Befehle nicht erfüllt wurden. Er soll sich angemessene Kleidung für die Reisen und bei Hofe anfertigen lassen, bevor er zur Erfüllung seiner Befehle aufbricht."


    Nachdem die Worte verhallt waren, erhoben wir uns alle wieder. Der Eunuch gab mir die zusammengerollte Urkunde, die ich mit einer Verneigung entgegennahm. Dabei dachte ich mir, dass der letzte Satz sich nach einer furchtbar teuren Angelegenheit anhörte. Doch dann flüsterte der Eunuch mir noch etwas ins Ohr. Ich sollte mir vor meiner Abreise bei der Kaiserlichen Münze zwei Jahresbesoldungen abholen, damit ich die Reise finanzieren konnte. Natürliche würde ich dafür auch Wachen, Schiffe und alles andere bezahlen müssen, inklusive der geforderten Kleidung, aber ich hoffte, dass das Geld dafür reichen würde. Egal wie, ich wollte in Rom wenigstens nicht pleite sein. Ankommen und ein wenig Geld übrig haben, mehr wollte ich doch gar nicht. Natürlich würde ich jede Menge Seidenkleidung mit mir mitbringen, doch wollte ich diese möglichst als Andenken behalten. Und vielleicht auch, um bei einer eventuellen erneuten Reise hierher passend gekleidet zu sein.

    'Nicht weit entfernt' war wohl eher eine relative Aussage. Das Haus des Eunuchen war fast eine Meile entfernt, aber man konnte von dort aus die Dächer des Palastes sehen, die deutlich höher als die Dächer der umgebenden Häuser waren. Auf dem Weg hierher hatte ich mich mit dem Eunuchen über Belangloses unterhalten. Den Gelben Fluss, die fruchtbaren Böden, Blumen und Vogelgezwitscher. Als wir das Haus erreichten, war ich überrascht. Es hatte einen mit einer Mauer von der Straße getrennten Vorhof und war zwei Stockwerke hoch. Mehr noch überraschte mich die wunderschöne junge Frau, die uns empfing. Ihr Gesicht hatte helle Haut und war eher schmal und nicht rund. Die mandelförmigen Augen waren perfekt symmetrisch angeordnet und die glänzenden schwarzen Haare waren kunstvoll hochgesteckt. Sie war in bunte Seide gekleidet und bewegt sich mit großer Anmut auf uns zu, blieb dann drei Schritte vor uns stehen und verneigte sich.


    "Das ist meine Nichte, Tán Yù. Sie ist eine Schönheit, meint Ihr nicht?" Der Eunuch schien sehr stolz auf seine Nichte zu sein, doch irgendwie beschlich mich ein Gefühl, dass da noch mehr war, das ich wissen sollte.


    "Ja, durchaus. Schön wie Jade." Das war in diesem Moment mehr als nur Höflichkeit. Sie war wirklich sehr schön. Tán Lì lächelte mich an, ohne dass ich sein Lächeln deuten konnte.


    Die junge Frau verharrte in der Verneigung, während wir an ihr vorbei ins Haus gingen und folgte uns dann. "Meine Nichte wird Euch Euer Zimmer zeigen, Yúnzǐ."


    Das war etwas ungewöhnlich, denn normalerweise sollten fremde Männer und Frauen weder in meiner, und schon gar nicht in der hiesigen Kultur, ohne Aufsicht zusammen sein. Andererseits hatte ich auch nichts dagegen, diesen schönen Anblick noch etwas länger zu genießen. Sie führte mich in das Obergeschoss in ein Zimmer, das anscheinend für Gäste gedacht war. Zumindest fehlte hier jede persönliche Note. "Ehrenwerter Herr, dies ist Euer Zimmer," sagte sie mit einer sanften und sehr schönen Stimme. Sie war also nicht nur schön anzusehen, sondern hatte auch noch einen schönen Klang. Sie war sicher heiß begehrt. Doch warum war sie dann nicht verheiratet?


    "Wünscht Ihr einen Moment der Ruhe? Ich kann in meinem Zimmer warten, es ist gleich links nebenan." Dabei lächelte sie bezaubernd.


    "Das wäre nach der Reise sicher angebracht, doch möchte ich Euren Onkel nicht warten lassen." Dabei lächelte ich höflich zurück. Am liebsten hätte ich sie einfach nur stundenlang angesehen, doch wäre das sicher alles andere als angemessen gewesen.


    Sie schien das zu bemerken. "Gefalle ich Euch?"


    Am liebsten hätte ich geantwortet, dass diese Frage dämlich war. Ihr war ziemlich sicher bewusst, wie schön sie war. "Euch ist sicher bewusst, dass Ihr wunderschön seit, Tán Yù. Das wird jeder bestätigen, der sehen kann. Da ich mich guter Augen rühme, ist mir Eure Schönheit auch nicht entgangen." Das war doch eine viel bessere Antwort als jene, die mir zuerst durch den Kopf ging.


    Sie errötete leicht, während sie ihren Kopf senkte, mich dabei aber weiterhin ansah. "Ihr seht auch nicht schlecht aus, Yúnzǐ. Euer Aussehen ist zwar fremd, aber interessant."


    Eine solche Direktheit hatte ich von den hiesigen Frauen noch nicht erlebt. Es war offensichtlich, dass Tán Yù eine besondere Frau war. Nun musste ich mich zusammenreißen, um nicht verlegen den Kopf zu senken. "Danke." Ich fragte mich 'Venus, warum ausgerechnet hier und jetzt?'


    "Wollen wir essen?" fragte sie, während sie mich weiterhin interessiert ansah.


    "Ja, das wird gegen meinen Hunger helfen," erwiderte ich.


    Sie führte mich wieder ins Untergeschoss in einen Raum mit Blick auf einen kleinen Garten hinter dem Haus. Ein älterer Diener stellte gerade Speisen auf einen Tisch, an dem Tán Lì bereits saß. Er deutete uns, dass wir uns ebenfalls setzen sollten. Ich ließ mich zu seiner Rechten nieder, seine Nichte zu seiner Linken. Auch das war ungewöhnlich, denn normalerweise saßen Frauen hier getrennt von den Männern.


    "Ihr könnt den Blick kaum von meiner Nichte lassen, gefällt sie Euch?" fragte Tán Lì unverhohlen.


    Leider stimmte diese Beobachtung nur zu gut. Die Tatsache, dass sie mir gegenüber saß, machte das nicht besser. "Wie ich Euch bereits sagte, sie ist schön wie Jade."


    "Da werdet Ihr sicher recht haben," sagte er höflich lächelnd, "doch solltet Ihr dabei das Essen nicht vergessen."


    Damit hatte er natürlich recht, so dass ich mich mehr auf mein Essen konzentrierte. Nachdem wir mit dem Essen fertig waren, half Tán Yù dem Diener, den Tisch abzuräumen und zog sich dann zurück, so dass schließlich nur noch der Eunuch und ich am Tisch saßen. Mein Gastgeber sah mich interessiert an, wobei ich ihn nicht durchschauen konnte. "Ihr fragt Euch sicher, warum sie nicht verheiratet ist," meinte er schließlich, um dann zugleich die Antwort zu liefern. "Als sie fünfzehn Jahre alt war, hatte sie sich in einen Bauernjungen verliebt. Leider hat er ihren Lotus geöffnet. Nun findet sich niemand von Stand mehr, der sie heiraten würde. Doch unter ihrem Stand will ich sie nicht verheiraten."


    "Das wäre dann schon einmal eine Frage gewesen. Ich hätte dann gleich noch eine zweite Frage hinterher. Warum wohnt sie hier und nicht bei ihren Eltern?"


    "Eine berechtigte Frage, mit einer einfachen Antwort," erwiderte Tán Lì. "Ihre Mutter starb bei der Geburt ihres Bruders, so wie auch ihr Bruder. Ihr Vater war während dieser Zeit als Offizier im Einsatz gegen die Xiōngnú. Er war siegreich, bezahlte aber mit seinem Leben für den Sieg. Als Bruder war es deshalb meine Pflicht, dass ich mich um sie kümmere. Dafür kümmert sie sich auch gut um mich."


    Ich nickte nachdenklich. Das war ein wirklich schlimmes Schicksal. Doch gab es für mich immer noch Fragen, vor allem eine. "Warum erzählt Ihr mir das? Und warum nehmt Ihr mich als Gast auf?"


    "Weil Ihr einen Freund braucht."


    Das war zwar eine Antwort, aber keine, die mir half. An den Altruismus der Menschen glaubte ich nur selten. "Und warum wollt Ihr mein Freund sein?"


    Tán Lì schüttelte leicht den Kopf. "So viel Misstrauen, wirklich? Vielleicht helfe ich gerne Menschen."


    Das kaufte ich ihm nicht ab. "Vielleicht, vielleicht auch nicht. Für den Moment werde ich Euch das glauben."


    "Nein, das tut Ihr nicht." Er klang nicht gekränkt, sondern vielmehr so, dass er ein einfaches Faktum aussprach. "Ihr habt Prinz Jiénzǐ sehr beeindruckt. Der Prinz und ich kennen uns und verstehen uns gut. Er bat mich um einen Gefallen, nun schuldet er mir einen."


    Ich nickte. "Dann kann ich mich glücklich schätzen, dass er hier Freunde hat, die mir helfen. Doch habe ich einen Auftrag und kann hier nicht ewig verweilen. Was mich zu meiner nächsten Frage bringt. Wo bekomme ich Hofkleidung her? Und wie schnell bekomme ich die?"


    Tán Lì grinste. "Das waren nun aber zwei Fragen." Sein Grinsen verschwand, als er weitersprach. "Doch beantworte ich beide. Ich werde Euch morgen zu dem Schneider schicken, bei dem ich meine Kleider kaufe. Er hat immer Teile vorbereitet, deshalb ist er schnell. In höchstens einer Woche werdet Ihr die passende Kleidung haben. Deshalb will ich versuchen, in einer Woche Eure Audienz zu ermöglichen, damit Ihr weiterziehen könnt. Gestattet mir nur, Euch in dieser Zeit ein Freund zu sein."


    "Das werde ich sehr gerne. Einen Freund kann ich hier gut gebrauchen." Dabei verneigte ich mich leicht.


    "Sage ich doch," meinte Tán Lì und erhob sich. "Bitte entschuldigt mich, ich werde früh aufstehen müssen. Ihr könnt meinen Garten und mein Haus nach Belieben nutzen."


    Ich erhob mich ebenfalls. "Danke sehr." Ob ich ihm trauen konnte, wusste ich nicht. Eine andere Möglichkeit hatte ich aber nicht und die Tatsache, dass er einen Gefallen von Prinz Jiénzǐ einfordern wollte, half mir dabei, halbwegs beruhigt zu sein. Welche Macht Palasteunuchen hatten, konnte ich nicht einschätzen. Aber er schien zumindest genug Einfluss zu haben, um zu wissen, wann ich hier eintraf, und um die Wache entsprechend zu instruieren.

    Wie erwartet erreichten wir am Abend Luòyáng. Die mächtigen Mauern und Stadttore erinnerten mich an Cháng'ān. Vielleicht war hier alles sogar noch etwas größer. Wir kamen von Norden über eine Brücke, die einen Fluss überquerte, der den Graben um die Stadt mit Wasser versorgte. Am Tor zeigte ich unsere Befehle vor. Die Wachsoldaten riefen ihren Vorgesetzten, der mit unseren Befehlen im Torhaus verschwand. Wir warteten geduldig, bis er nach einigen Minuten wieder auftauchte. "Wer ist Yúnzǐ?" fragte er höflich.


    "Das bin ich," antwortete ich.


    Der Offizier nickte. "Eure Eskorte und die Waren sind in der kleinen Kaserne untergebracht. Folgt der Straße. Dort, wo sie einen Knick nach links macht, folgt ihr der Straße bis zum Ende. Dort ist die Kaserne. Ihr hingegen, Yúnzǐ, wartet bitte hier."


    Mir war nicht klar, warum ich hier warten sollte und der fragende, besorgte Blick von Wú Liàng machte es nicht besser. Ich signalisierte Wú Liàng, dass er mit Jì Mǐn, Arpan und den anderen zur Kaserne ziehen sollte und blieb aufgesessen vor dem Tor stehen, bis auch das letzte Kamel das Tor passiert hatte. Der Wachoffizier schien unschlüssig zu sein, was er mit mir anfangen sollte. Schließlich fällte er eine Entscheidung. "Yúnzǐ, bitte sitzt doch ab und begleitet mich auf eine Tasse Tee, um Eure Wartezeit zu verkürzen."


    "Das wird nicht nötig sein," erwiderte ich, "denn ich denke doch nicht, dass man mich allzu lange warten lässt, oder?" Dabei sprach ich sanft, aber selbstbewusst. Mein Rang war mir durchaus klar, ebenso wie der - niedrigere - Rang des Wachoffiziers.


    "Ich habe den Befehl befolgt, den Palast zu informieren, wenn Ihr hier ankommt. Es kann aber dauern, bis der Bote zurückkehrt. Es ist spät und die Beamten lassen sich um diese Zeit nur ungern stören."


    Ich stieg vom Pferd ab. "Dann hätten sie sich ihre Befehle besser überlegen sollen. Dennoch möchte ich Euch nicht unnötig belasten."


    Der Wachoffizier lächelte höflich. "Ihr belastet mich nicht. Wir haben immer Tee fertig. Bitte, es besteht kein Grund, hier draußen zu warten."


    Ich verneigte mich leicht, was genauso erwidert wurde. "Danke, dann will ich Eure Einladung gerne annehmen."


    So gingen wir in das Torhaus und tranken Tee, während sich der Wachoffizier von mir meine Eindrücke von Cháng'ān und dem Huáng Hé schildern ließ. Informationen aus erster Hand schienen ihm wertvoll zu sein, denn er reichte mir nun auch etwas Gebäck. Wir sprachen recht lange und schließlich hielt es der Wachoffizier für nötig, mir einige Tipps zu geben. Ich solle im Palast niemandem trauen, vor allem nicht den Eunuchen. Und über den Kaiser erzähle man sich, dass er unberechenbar sei und eine Neigung zur Grausamkeit habe. Ich nahm das alles zur Kenntnis, kommentiert es aber nicht weiter. Doch merkte ich mir die Warnungen gut.


    Nach fast einer Stunde wurde gemeldet, dass ein Gesandter des Palastes eingetroffen sei. Wir gingen herunter auf den Platz vor dem Tor, wo im Schein der Laternen ein mittelgroßer Mann in schwarzer Seidentracht stand. Er war eindeutig ein Gelehrter, so wie ich. Als ich ihm näher kam, merkte ich, dass er keinen Bart trug. Das war seltsam, weil die meisten höherrangigen Männer hier Bärte trugen. Schließlich entrollte er ein Schriftstück mit gelber Seide auf der Rückseite. Sofort fielen alle auf die Knie und verneigten sich. Ich folgte dem Beispiel. Der Mann verlas den Text mit hoher Stimme. "Im Namen des Sohns des Himmels wird der Beamte fünften Ranges Yúnzǐ aus Dàqín aufgefordert, sich zu einer Audienz im Palast einzufinden, sobald er sich dazu in der Lage sieht. So noch nicht geschehen, möge er sich in Hofkleidung kleiden. Der ehrenwerte Beamte fünften Ranges Yúnzǐ aus Dàqín möge mitteilen, wann er hierzu in der Lage ist, damit ihm eine Audienz zugewiesen werde."


    Nach dem Ende der Verlesung erhoben wir uns wieder. "Wer ist der ehrenwerte Yúnzǐ?" fragte der Mann weiterhin mit hoher Stimme.


    "Ich bin Yúnzǐ," sagte ich mit sanfter, aber fester Stimme.


    "Habt Ihr Hofkleidung?" fragte der Mann.


    "Nein."


    "Dann will ich Euch helfen. Ihr seid mein Gast. Mein Name ist Tán Lì. Ich bin Eunuch zweiten Ranges im kaiserlichen Palast." Er ließ sich nur einen Augenblick, bevor er weitersprach. "Lehnt jetzt bitte nicht ab, dazu ist der Tag zu weit fortgeschritten. Mein Haus ist groß und nicht weit entfernt. Kommt mit mir, ich lasse nach Eurem Gepäck schicken."


    Da blieb mir wohl keine andere Wahl. "Ich danke für Eure Gastfreundschaft." Mein Pferd führte ich am Zügel, während ich neben Tán Lì die Straße entlangschritt, wobei mich ein ungutes Gefühl beschlich.

    Wir kamen schließlich an einen Ort mit dem Namen Sānménxiá, was 'Schlucht der drei Tore' bedeutet. In der Tat durchquerte der Huáng Hé hier eine Schlucht, in der seine Wasser durch zwei Inseln in drei Arme geteilt wurden. Das waren die drei Tore. Ich hielt mein Pferd an, um etwas bei dem Anblick zu verweilen. Wú Liàng ritt zu mir. "Das Tor der Menschen, das Tor der Götter und das Tor der Teufel, ehrenwerter Yúnzǐ." Dabei wies er auf den jeweiligen Flussarm.


    "Danke für die Erklärung, Wú Liàng. Doch wird wohl kein Mensch jemals das Tor der Menschen durchqueren." Dazu erschien mir das Wasser zu wild und aufgepeitscht.


    Wú Liàng lachte. "Nein, eher nicht. Doch zeigen sich hier die drei Welten. Die der Menschen, die der Götter und die der Teufel. Die Welt besteht aus allen dreien."


    Ich nickte. "So ist es wohl. Doch sind sie meistens nicht getrennt, sondern durchmischt, so wie sich das Wasser jedes der Tore am Ende wieder zum Huáng Hé vereint und man die Herkunft nicht mehr erkennen kann."


    "Ihr seid trotz Eures jungen Alters ein weiser Mann, Yúnzǐ."


    Ich verneigte mich leicht und gab das Signal, weiterzureiten. Wir bogen nach Sānménxiá etwas nach Südosten ab und entfernten uns vom Fluss, während wir einer flach aufsteigenden Straße in die Hügel folgten, die letztlich direkt nach Osten führte. Wir erreichten ein mit fruchtbaren Feldern bepflanztes Plateau welches im Norden von nicht allzu hohen, bewaldeten Bergen begrenzt war. Schließlich hatten die Berge geendet und wir erreichten die Stadt Xīn'ān. Sie war ein wichtiger Handelsposten auf dem Weg von Cháng'ān nach Luòyáng.


    Ohne abzusteigen hielt ich am westlichen Stadttor an und zeigte der Wache unsere Befehle. Der Soldat betrachtete das Schriftstück kurz and warf einen prüfenden Blick auf das Siegel. Dann erklärte er uns, wo die Gasthöfe lagen. Nach einem kurzen Gespräch erfuhr ich, wo der größte Gasthof war. Wir würden einen Gasthof nehmen müssen, weil die Garnison zu klein war. So ritten wir über die gepflasterten Straßen bis zu dem Gasthaus. Ich befahl Wú Liàng, das Gasthaus für uns räumen zu lassen. Die dort wohnenden Gäste entschädigte ich aus unserer Reisekasse, womit sich ihr Ärger etwas beruhigte. Während die Soldaten die Kamele und Pferde in Hof und Stallungen unterbrachten und Wachen aufstellten, verharrte ich im Sattel, bis schließlich nur noch ich und Wú Liàng im Sattel saßen. Nach einem kurzen Nicken meinerseits stieg er ebenfalls aus dem Sattel und teilte die Soldaten zum Essen fassen ein. Ich hingegen ritt durch die Stadt, um sie mir anzusehen. Es war zwar keine große Stadt, aber dafür schien sie recht wohlhabend zu sein. Ihr Grundriss war rechteckig, mit einer größeren Nord-Süd-Ausdehnung, als es die West-Ost-Ausdehnung war. Die Fläche der Stadt schätzte ich auf etwa sechzig heredia, womit sie etwa doppelt so groß wie das Forum Romanum war. Nachdem ich zurückkehrte, kümmerte sich Jì Mǐn um mein Pferd und mein Gepäck, während ich in den Speiseraum ging.


    Das Essen war sehr gut. Ich aß das Gleiche, wie die Gruppe von zehn Soldaten, die mit mir speiste. Es gab gekochten Reis und dazu gebratenes Schweinefleisch in mundgerechten Stücken und in einer braunen, salzig-pikanten Soße. Dazu wurde noch gekochtes Gemüse gereicht. Während wir unsere Mahlzeit zu uns nahmen, gab ich den Soldaten die Möglichkeit, sich mit mir zu unterhalten. Am Anfang waren sie schüchtern, doch schließlich fasste einer den Mut, mich anzusprechen. Er wollte wissen, wie ich auf die Idee kam, von der Ferne hierher zu reisen. Ich erklärte ihm meine wissenschaftliche Ausbildung und das Zeichen, das mir Minerva mit der Karte gesendet hatte. Das mit dem Zeichen schien er zwar zu verstehen, doch konnte er es sich trotzdem nicht vorstellen, tausende von Meilen zu reisen. Bereits unser Auftrag wäre für ihn eine Reise, wie er sie ohne Befehl nie angetreten hätte. Er freute sich, weil er nach der Rückkehr nach Cháng'ān seine Dienstzeit beendet hätte und wieder auf seinen Bauernhof zurückkehren könnte. Er war, wie die meisten hier, zum Dienst verpflichtet worden. Das wiederum war ein System, das ich mir kaum vorstellen konnte. Die Professionalität der Armee lag hier wohl zu großen Teilen allein an den Offizieren. Als ich ihm erzählte, dass der Dienst in den Legionen freiwillig, dafür aber zwanzig Jahre lang sei, konnte er kaum glauben, dass sich dafür genügend Freiwillige finden ließen. Das sah aber ein anderer Soldat anders, der sich freiwillig gemeldet hatte, um der Armut als besitzloser Landarbeiter zu entgehen. Dieser Soldat konnte sich auch vorstellen, jahrzehntelang in der Armee zu bleiben. Als ich fertig gespeist hatte, blieb ich noch sitzen, bis auch der letzte Soldat aufgegessen hatte. Mein Aufstehen hätte man sonst als Beendigung der Mahlzeit für alle interpretieren können. Ich bedankte mich für die Gespräche und verließ den Speiseraum.


    Auf meinem Zimmer angekommen, entkleidete ich mich und wusch mich. Anschließend kleidete ich mich bereits in die seidene Unterkleidung für den Schlaf und platzierte mein serisches Schwert neben dem Kopfende meines Bettes, um es so notfalls direkt ergreifen zu können. Nach einer sehr erholsamen Nacht in einem bequemen Bett ließ ich mir am nächsten Morgen von Jì Mǐn beim Ankleiden helfen und mein Frühstück auf mein Zimmer bringen. Nach dem Frühstück putzte ich noch meine Zähne, während sich Jì Mǐn bereits um mein Gepäck kümmerte. Schließlich betrat ich den Hof, auf dem mein Pferd bereits fertig gesattelt wartete. Wir hatte eine wolkenlosen, strahlend blauen Himmel. Das war zwar schön anzusehen, versprach aber auch einen heißen Tag. Vor allem, wenn man, so wie ich, komplett in dunkle Seidenkleidung gewandet war. Das machte mir aber nichts. Ich war inzwischen daran gewöhnt. Und heute Abend würden wir, mir etwas Glück, bereits durch eines der Stadttore von Luòyáng reiten.


    Wir machten uns also auf den Weg und ritten ostwärts aus der Stadt, immer der gut ausgebauten Straße folgend, die ihrerseits stets in der Nähe eines kleinen Flusses war, der an Xīn'ān vorbeifloss. Von hier aus ging es stets bergab und wir kamen gut voran. Am Nachmittag schließlich konnten wir im Tal vor uns einen Fluss erkennen, der wohl in seiner Größe dem Tiber ähnlich war. Doch wichtiger war die große Stadt an unserer Seite des Flusses. Sie erstreckte sich einige Meilen in Nord-Süd-Richtung und weniger weit in West-Ost-Richtung. Als wir am späten Nachmittag näher an der Stadt waren konnte ich sehr deutlich den großen, rechteckigen, Gebäudekomplex mit großen Gebäuden, Höfen und Parks erkennen. Das musste der Kaiserpalast sein. Vermutlich würden wir bei Einbruch der Dunkelheit eintreffen, aber das sollte nicht weiter kritisch sein.



    Sim-Off:

    Xīn'ān liegt im Gebiet der heutigen Stadt Yìmǎ in der heutigen Provinz Hénán

    Am nächsten Tag ging es weiter den Huáng Hé hinab. Das Tal wurde schmaler und bewaldete Hügel reichten oft bis an den Fluss. Doch nach zwei Tagen legte die Natur noch einmal nach. Zuerst waren südlich von uns steile Felswände zu sehen, dann auch direkt am Fluss. Die ockerfarbenen Felsen ragten teilweise siebzig passi nach oben. Doch war es nicht eine einfache Klippe, sondern die Felsen waren oft zerfurcht und teils standen nur einzelne Nadeln.


    "Wie liegen wir in der Zeit, Wú Liàng?" fragte ich den neben mir reitenden Offizier.


    "Sehr gut, möchte ich meinen, ehrenwerter Yúnzǐ," erwiderte dieser mit einem zufriedenen Lächeln.


    "Gut. Dann kann ich hier kurz innehalten."


    "Benötigt Ihr Rast, ehrenwerter Yúnzǐ?" Er sah besorgt zu mir herüber.


    Seine Sorge ehrte ihn, doch konnte ich das freundlich lächelnd abwehren. "Das ist es nicht. Aber ich muss diesen Anblick wenigstens skizzieren."


    Er sah mich fragend an. "Wenn Ihr meint. Soll ich anhalten lassen?"


    Kurz dachte ich darüber nach, ob ich den Soldaten eine kleine ungeplante Pause gönnen sollte, doch entschied ich mich dagegen. "Das wäre nicht gut für unseren Auftrag. Ihr reitet weiter, ich werde Euch einholen. Die bepackten Pferde sind langsamer als das nur mich tragende Pferd."


    Wú Liàng nickte kurz. "Ich werde Euch zwei Soldaten zur Bewachung hierlassen."


    "Das wird nicht nötig sein. Jì Mǐn wird mich begleiten."


    "Das kann er gerne tun, ehrenwerter Yúnzǐ. Aber so lange ich Euch beschützen soll, werde ich Euch Wachen stellen." Seine Stimme war mir gegenüber noch nie so bestimmt gewesen.


    Ich nickte. "Einverstanden, doch werdet Ihr nur zwei Soldaten nehmen, die unerfahren sind und nicht zum Schutz der Waffen benötigt werden. Denn so lange ich für den Transport der Waffen verantwortlich bin, werden Eure besten Soldaten die Waffen schützen." Während ich sprach, stieg ich aus dem Sattel.


    Wú Liàng nickte und befahl zwei Soldaten, mich zu bewachen. Dann schickte er auch Jì Mǐn zu mir. Während die Karawane weiterzog, zückte ich Papier und trockene Tusche, um den Anblick dieses Tals zu skizzieren. Ich war inzwischen recht geübt darin und da ich auch keinen allzu großen Wert auf ein perfektes Bild legte, benötigte ich lediglich eine halbe Stunde. Ich würde das Bild am Abend vervollständigen. So verpackte ich wieder alles und stieg in meinen Sattel.


    Die beiden Soldaten hatten die ganze Zeit öfter zu mir geblickt und getuschelt, anstatt die Umgebung zu beobachten. Daher winkte ich sie zu mir her. Dem folgten sie auch sofort und verbeugten sich tief. "Ich weiß ja nicht, wie die Ausbildung zum Wachdienst hier in Hàn ist, doch dort, wo ich herkomme, pflegt man nicht das Bewachte zu beobachten, sondern die Umgebung."


    Die Soldaten verbeugten sich. "Verzeiht, ehrenwerter Yúnzǐ. Wir waren nachlässig. Es wird nie wieder vorkommen."


    "Das hoffe ich. Sonst müsste ich es dem tapferen Wú Liàng melden." Bevor sie sich wieder verbeugten, befahl ich ihnen "Haltung annehmen und aufsitzen. Wir müssen weiter."


    Sie folgten meinem Befehl prompt und noch vor dem Abend hatten wir unsere Karawane wieder eingeholt. Die beiden Soldaten hatten einen Gesichtsausdruck wie Kinder, die man dabei erwischt hatte, etwas angestellt zu haben. So fragte mich denn auch Wú Liàng "Was haben sie angestellt? Seid Ihr unzufrieden?"


    "Ich bin zufrieden, Wú Liàng," antwortete ich, "doch waren sie eben, wie von mir gefordert, unerfahren. Deshalb brachte ich ihnen etwas bei. Ich hoffe, dass sie es sich merken."


    "Und Ihr seid sicher, dass ich ihnen keine Übungen auftragen muss?" fragte Wú Liàng.


    Ich lächelte milde. "Ganz sicher. Immerhin bin ich als Beamter auch ein Lehrer."


    Nun sah ich ihn zum ersten Mal auf dieser Reise kurz lächeln. "Und es scheint mir, als würdet auch Ihr weiterhin lernen."


    "Natürlich," sagte ich so, als wäre etwas anderes gar nicht möglich. "Man hört nie auf, etwas zu lernen. Denn wie hätte man es verdient, ein Lehrer genannt zu werden, wenn man sich nicht ständig im Lernen üben würde?"


    "Langsam verstehe ich, warum Euch der Prinz in diesen Rang befördert hat," erwiderte Wú Liàng, bevor er sich zurückfallen ließ, um die Soldaten am Ende der Karawane zu kontrollieren. Was genau er damit meinte, blieb er mir schuldig zu erklären. Doch glaubte ich, ihn zu verstehen.

    Am dritten Tag, nachdem wir Cháng'ān verlassen hatten und dem Wèi Hé gefolgt waren, kamen wir an der Mündung des Wèi Hé in den Huáng Hé an. Der Wèi Hè kam von Westen und der Huáng Hé von Norden. Genau an der Mündung machte der Huáng Hé eine Biegung um 90 Grad nach Osten, um einen Felsen herum. Das weite Tal, durch das wir gekommen waren, verengte sich auch merklich. Zwar war das Tal an seiner Sohle immer noch deutlich breiter als der Huáng Hé, doch war es zugleich deutlich schmaler, als das Tal des Wèi Hé. In dem kleinen Ort an der Mündung machten wir Rast und würden hier auch übernachten. Die Bewohner behandelten uns mit äußerstem Respekt und niemand wagte es, zu fragen, woher wir kamen, was wir transportierten, oder wohin wir gingen. Ich überließ die Organisation, wie schon in den letzten beiden Tagen, Wú Liàng und seinen Soldaten und nutzte die Zeit, um ans Ufer zu reiten.


    War der Wèi Hé eher von der Mächtigkeit des Tiber, so war der Huáng Hé am ehesten mit dem Rhenus zu vergleichen. Und doch völlig anders. Der Huáng Hé war von ockergelber Farbe, was ihm wohl auch seinen Namen einbrachte. Gelber Fluss. Es gab einen Hauptarm und viele Nebenarme, die sich durch Sandbänke der gleichen Farbe schlängelten. Das Ufer direkt am Fluss fiel steil einige passi ab und auch die Bäche, die dem großen, gelben Strom zuflossen, hatten sich tief ins Sediment gefressen. Die ebene Talsohle, die entsprechend höher als der Fluss lag, war über und über mit Feldern bepflanzt, auf denen Getreide und Gemüse wuchsen. Der Boden hatte die gleiche Farbe wie der Fluss und schien sehr fruchtbar zu sein. Zum Süden hin stieg das Tal zu einem Gebirge auf, das auch den Wèi Hé entlang in unserem Süden war. Wie auch zuvor, waren an den unteren Hängen Terrassen angelegt. Und auch auf dem gegenüberliegenden Ufer waren bewirtschaftete Terrassen zu sehen. Weiter oben waren die Hänge dicht bewaldet. Stromabwärts konnte ich hin und wieder bewaldete Hügel sehen, die bis an den Fluss reichten. Und immer wieder konnte ich Dörfer und Höfe erkennen. Insgesamt war es ein sehr schöner, harmonischer Anblick, der Natur und Zivilisation meiner Meinung nach perfekt verband.


    Ich ritt zurück in den Ort und ging in das Haus der Dorfvorstehers, der mich mit einer tiefen Verbeugung begrüßte, was ich mit einer leichten Verneigung quittierte. Von diesem forderte ich, mir Tisch und Bambusmatte in Ufernähe aufzustellen, so dass ich das Tal des Huáng Hé malen konnte. Er sah zwar etwas fragend aus, wagte es aber nicht, meinen Wunsch in Frage zu stellen. Zu hoch war mein Beamtenrang für ihn. So wurde mir die Stelle eingerichtet und ich malte mit Tusche auf Papier, was ich sah. So, wie es den hiesigen Malereien zu eigen war, fing ich eher die Stimmung ein, als das exakte Abbild. Ich ließ mir Zeit, bis die Sonne anfing, sich zunehmend orange zu färben, um in meinem Rücken den Weg hinter den Horizont anzutreten. Das Bild schien mir perfekt zu sein, wenngleich den Anblick des in orange-goldenen Schein getauchten Tals des Huáng Hé nicht einzufangen vermochte. Ich ließ die Schönheit des Moments auf mich wirken. Das glitzernde gelbe Wasser gab dem Ganzen den Anschein, als würde hier ein Fluss aus Gold durch Felder und Wälder fließen. Es war für mich fast, als hätte ich den schönsten Ort der Erde gefunden.


    Als es schon fast dunkel war, bemerkte ich, dass jemand ein paar Schritte hinter mir stand. Ich wusste nicht, wie lange die Person bereits da stand, doch war es mir ein Bedürfnis, mich zu erheben und zu der Person umzudrehen. Es war Arpan. Er war allein. "Tacitus, das Essen ist schon seit einer Stunde fertig." Er sprach mit mir auf Latein. Diese Sprache hatte ich schon lange nicht mehr gehört.


    "Danke, mein Freund. Und du stehst bereits die ganze Zeit hier und sagst nichts?" Auch ich sprach nun Latein.


    Er schüttelte den Kopf. "Es sah so aus, als wärst du eins mit der Gegend. Das wollte ich nicht kaputt machen."


    Ich verneigte leicht mein Haupt. "Auch hierfür danke ich dir. Es ist ein wirklich schöner Ort, meinst du nicht? Vor allem mit dem Licht der Dämmerung." Dabei lächelte ich glücklich.


    "Ja, das ist es." Arpan trat neben mich und blickte auf mein Bild. "Noch in Transoxanien hätte ich es nie für möglich gehalten, dass du einmal die Welt mit dem Herzen siehst und nicht mit dem Verstand. Deine Diskussionsabende haben dir gut getan. Deine ganze Zeit hier hat die gut getan."


    "Damit hast du wohl recht, mein lieber Arpan," erwiderte ich, "und wenn ich keine Familie hätte, würde ich wohl hier bleiben. Doch auch das habe ich hier gelernt. Als Sohn sollte ich mich um meine Mutter und um meine Schwester kümmern." Ich sah ihn an, während er nachdenklich nickte. "Doch auch dir scheint die Reise gut getan zu haben."


    "Die Lehren des Buddha helfen mir. Ich kann die Gladiatoren, die ich getötet habe, nicht mehr lebendig machen. Aber ich kann mich meiner Schuld stellen und sie verarbeiten, damit ich im nächsten Leben nicht mehr davon verfolgt werde."


    Nun nickte ich nachdenklich. "Ich kann nicht sagen, dass ich dich verstehe. Denn dazu müsste ich erlebt haben, was du erlebt hast. Aber ich kann sagen, dass ich mich freue, dass du deinen Frieden zu finden scheinst."


    Arpan lächelte und wir standen noch schweigend da und sahen auf den Fluss und sein Tal, bis Bewohner des Dorfes kamen, um den Tisch und die Bambusmatte wieder zurück zu holen. Ich packte mein Bild und meine Malutensilien ein und wir gingen schließlich alle gemeinsam ins Dorf zurück. Das Essen war inzwischen kalt, doch bestand ich darauf, es so zu essen. Andernfalls hätte man mir frisches Essen zubereitet. Arpan hingegen aß nicht mehr zu Abend.


    Wie üblich, besprach ich mich am Abend mit Wú Liàng unter vier Augen über die Etappe des nächsten Tages. Die Straße war sehr gut und stand einer römischen Straße kaum nach, so dass wir weiterhin zügig vorankommen würden. Wir lagen gut in der Zeit und würden, wenn es so weiter ginge, in fünf Tagen Luòyáng erreichen.


    Sim-Off:

    Flumen Flavum = Der Gelbe Fluss (Huáng Hé)