Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Die Fahrt mit dem Frachtkahn von Ostia zum Emporium verlief problemlos. Dort verbrachte ich den Tag, organisierte drei Ochsenkarren für meine Waren und einen kleinen Trupp Wachleute. Da man erst ab dem Abend mit Karren in die Stadt durfte, hatte ich hier ohnehin keine andere Wahl. Nun, zur Abenddämmerung, stand ich am nächstgelegenen Stadttor mit den drei Karren in einer langen Schlange von Händlern und Lieferanten, die ihre Waren in die Stadt brachten. Da es noch angenehm warm war, machte mir das nichts aus und ich unterhielt mich mit dem Fahrer des Wagens und dem Anführer des Wachtrupps.


    Nach einiger Zeit, die Sonne war inzwischen untergegangen, waren wir schließlich an der Reihe. Ich stieg vom Wagen und richtete meine Toga, als ich die diensthabende Wache ansprach. "Salve, ich bin Aulus Iunius Tacitus und auf dem Weg zur Domus Iunia. Diese drei Wagen und die zehn Wachleute gehören zu mir. Die Waren wurden ordnungsgemäß in Ostia verzollt, hier ist die vollständige Liste." Dabei präsentierte ich eine von der Hafenmeisterei in Ostia gesiegelte Wachstafel. Auf ihr war eine Wagenladung Seidenwaren vermerkt, sowie eine halbe Wagenladung Schriften und Schreibzeug, eine halbe Wagenladung Gewürze und eine Wagenladung Silber. Geduldig wartete ich, dass meine Dokumente und Waren geprüft wurden.

    Drei Wochen, nachdem ich Alexandria per Schiff verlassen hatte, kam der Leuchtturm von Ostia in Sicht. Es war ein ebenfalls großer Turm, wenngleich nicht ganz so groß, wie das Original in Alexandria. Und dennoch war gerade der Leuchtturm von Ostia für mich ganz besonders. Er zeigte mir, dass sehr bald ich in meiner Heimat ankommen würde. Wobei ich mir gar nicht mehr so sicher war, wo eigentlich meine Heimat war. Doch rein rational war ich als gebürtiger Römer - echter Römer, geboren in der Stadt Rom - in der Hauptstadt des Imperiums echt zu Hause. Andererseits war die Heimat da, wo das Herz sich zu Hause fühlte, hatten mir einige auf meinen Reisen gesagt. Arpan fühlte sich in Indien zu Hause. Vielleicht war da etwas dran, doch dann war ich wo zu Hause? In Rom, das ich liebte? In Alexandria, dessen Bibliothek ein Sehnsuchtsort war? In Serica, wo ich noch so viel entdecken konnte? Oder in Mogontiacum, wo meine Schwester lebte? Ich wusste es nicht. Vielleicht war ich Cosmopolites - Weltbürger.


    Nachdem wir im großen, sechseckigen Hafenbecken angekommen waren und das Schiff festgemacht hatte bot mir der Kapitän an, einen Kahn mit einem zuverlässigen Kapitän für mich zu organisieren, der mich und meine Waren bis zum Emporium Roms bringen würde. Das erschien mir besser, als einen Ochsenkarren zu mieten. Vor allem erschien es mir auch sicherer. So stimmte ich zu. Ich verbrachte die Nacht an Bord, weil der Kahn erst am nächsten Morgen verfügbar war. Die frühsommerliche Nacht war stickig an Bord und die sommerliche Hitze, die in Rom oft unerträglich war, kündigte sich bereits an.


    Am nächsten Morgen legte ich römische Kleidung an. Der Kapitän des Schiffes half mir, die Toga ordnungsgemäß anzulegen. Eigentlich fühlte ich mich in serischer Kleidung wohler, doch erschien es mir praktischer, am Stadttor Roms und später an der Domus Iunia als Römer zu erscheinen. Das würde mir unnötige Diskussionen ersparen. Dafür war es ziemlich kompliziert, halbwegs würdevoll in Toga auf den schwankenden Flusskahn zu kommen. Nachdem das gelungen war, legte der Kahn ab und wir verließen den Hafen über den Kanal zum Tiber.

    Nachdem meine Geschäfte in Alexandria erledigt waren, hatte der Maiordomus der Domus Iunia in Alexandria mir ein Schiff mit einem zuverlässigen Kapitän organisiert, das mich und mein Eigentum nach Ostia mitnehmen würde. Meine Waren hatten bereits ihren Platz im Bauch des Schiffes gefunden, als ich ebenfalls an Bord ging. Der Kapitän wunderte sich zwar über meine serische Kleidung, sagte aber nichts. Das war auch gut so, denn immerhin wurde er gut bezahlt. Während die Leinen gelöst wurden, stand ich an der Reling und blickte auf Alexandria. Es war nun mein zweiter Abschied von dieser Stadt und es war unwahrscheinlich, dass ich diese Stadt allzu schnell wiedersehen würde. Aber es freute mich, dass ich noch einmal - wenn auch kurz - in dieser Stadt war, die mich sicher mindestens genauso geprägt hatte, wie Rom. Doch inzwischen musste ich mir eingestehen, dass mich die Reise nach Serica vermutlich am meisten geprägt hatte. Meine Weltsicht hatte sich deutlich geändert. Und ein Teil von mir würde für immer serisch sein.


    Das Schiff wurde mit einem Boot aus dem Hafen gezogen. Majestätisch erhob sich der Pharos mit seiner unverwechselbaren Erscheinung vor uns und wurde immer größer, bis wir ihn schließlich passiert hatten. Ein Blick zurück über den Hafen ließ mich Alexandria noch einmal in seiner ganzen Größe erkennen. Die Agora ließ sich zwar nur erahnen, doch das Museion und das Theater waren deutlich zu erkennen. Dann wanderte mein Blick zu der Halbinsel, die mehr als die Hälfte der Basileia beherbegte. Der alte Palast, der nun die Regia Praefecti war und einst das Heim Kleopatras, aber auch die anderen Anwesen und den Königshafen.


    Während ich noch den Blick auf Alexandria genoss, wurden die Segel gehisst und wir fuhren bei ungünstigem Wind langsam, aber stetig zuerst nach Nordwesten und dann westwärts, der Küste entlang. Der Pharos wurde langsam immer kleiner. Nach einiger Zeit verschwand sein Fundament, dann irgendwann auch der rechteckige untere Teil und schließlich auch der achteckige Turm. Am Ende verschwand auch seine Spitze, während wir Dörfer und Städte an der afrikanischen Küste passierten. Gerne wäre ich noch etwas länger in Alexandria geblieben, doch spürte ich einen inneren Drang, Rom wiederzusehen. Und diesem Drang wollte ich im Moment einfach nichts entgegen setzen.

    Am nächsten Tag hatten sich vormittags die ersten Händler angekündigt. Auf Grund des in den Haushaltsbüchern erkennbaren Verhandlungsgeschicks des Maiordomus ließ ich diesen die Verhandlungen führen und griff nur hin und wieder ein. So sollte es danach aussehen, dass wir uns abgesprochen hätten und ich nur aus irgendeinem Grund es für unter meiner Würde erachtete, mit den Händlern allzu viel zu sprechen. Das schien die meisten Händler aber nicht zu kümmern.


    Nachdem die Waren fast vollständig verkauft waren und etliche Talente Silber den Besitzer gewechselt hatten, konnte ich einen ersten Kassensturz machen. Ich war genauso wohlhabend, wie vor meiner Reise. Zusätzlich kamen noch die Sachen dazu, die ich nicht verkaufen wollte. Ein Händler wäre damit sicher nicht zufrieden, doch für mich war alles zu gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte. Nun musste ich nur noch unbeschadet mit meinem Vermögen und meinen Sachen nach Rom kommen. Das würde sicher noch einmal eine Stange Geld kosten, aber wenigstens war das Ziel nun zum Greifen nahe.


    Am späten Nachmittag erhielt ich Besuch aus dem Museion. Man hatte nicht irgendwen geschickt. Die Stimme erkannte ich sofort und als er dann den Raum betrat, erkannte ich ihn sofort wieder. Sein langer Bart war inzwischen komplett grau und sein Haupthaar war auch mehr grau als schwarz, doch Alexios, der am Museion mein Lehrer gewesen war, hatte sich ansonsten kaum verändert. Er war in einen weißen dorischen Chiton gekleidet, über dem er eine blaue Chlamys trug. Die Sandalen waren aus wertvollem weichen Leder. Im Gegensatz dazu war ich in die vollständige, seidene Gewandung eines serischen Gelehrten gehüllt. "Salve, Alexios," grüßte ich ihn mit einem höflichen Lächeln, obwohl ich am liebsten vor Freude gelacht hätte. Aber das wäre eines Gelehrten unwürdig - sowohl im Stoizismus, als auch in der serischen Tradition.


    Alexios sah mich eine Weile skeptisch an. "Du hast abgenommen. Das steht dir gut. Aber komplett in Seide gekleidet? Ist das nicht zu dekadent?"


    "Nicht in Serica," erwiderte ich.


    "Ist das so?" fragte er skeptisch.


    "Ja. Gelehrte stellen dort eine der höchsten Schichten der Gesellschaft dar. Und ich wurde dort als Gelehrter anerkannt. Yúnzǐ. Das heißt Meister Yún. Daher ist das die standesgemäße Kleidung. Die Hofkleidung ist sogar noch wertvoller. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, das Wissen und die Ordnung zu repräsentieren." Ich deutete ihm, sich in einem Korbstuhl niederzulassen.


    "Du bist auf jeden Fall selbstbewusster geworden. Früher hättest du noch versucht, dich irgendwie rauszureden. Jetzt argumentierst du so, als wäre es das Normalste von der Welt. Dabei ist es immer noch Seide. Ein Arbeiter im Hafen könnte vom Wert deiner Kleidung seine Familie ein Jahr lang ernähren. Hast du wahrgenommen, wie dick deine Gewänder sind?" Während er sprach, nahm er Platz.


    Weiterhin höflich lächelnd antwortete ich. "Ja, das habe ich wahrgenommen. Vor allem in der drückenden Hitze Indiens und der Gebiete östlich davon, nah am Äquator. Aber ehrlich gesagt interessiert es mich nicht, wer wen davon wie lange ernähren könnte. Ich habe dir ja bereits erklärt, was die Kleidung repräsentiert."


    Alexios nickte. "Wie gesagt, du bist selbstbewusster geworden. Du machst dich, junger Freund."


    "Danke." Ich nickte kurz dem Maiordomus zu, der daraufhin Sklaven schickte, um die Bücher zu bringen. Es war knapp eine Kamelladung voll. "Ich nehme an, dass du die Bücher in Empfang nehmen sollst. Die Werke, die ich in der Ferne enthielt, habe ich kopiert. Das Material, auf dem sie geschrieben sind, ist dem Papyrus ähnlich und doch anders. Es wird dich an das Material, aus dem die Wespennester sind, erinnern. Außerdem habe ein Buch über die serische Schrift verfasst und eins über die serische Sprache. Außerden ein Wörterbuch. Dazu noch diverse Skizzen von Landschaften und Aufzeichnungen über Länder und Kulturen in Koiné. Das alles dürfte für das Museion von Interesse sein, nehme ich an?"


    Alexios hielt es nicht mehr in seinem Stuhl. Er ging zu meinen Schriften, nahm sie in die Hände und fühlte über die Oberfläche. "Faszinierend..." Er öffnete einige der Schriftrollen. "Diese Zeichen..." er sah zu mir "Wie funktionieren sie?"


    "Es sind Silbenzeichen," erläuterte ich, "aber manchmal haben gleich lautende Silben unterschiedliche Zeichen, weil sie unterschiedliche Begriffe bezeichnen. Das muss man dann am Kontext erkennen. Die Schrift ist sehr schwer zu lernen, die Aussprache ist einfacher, aber dennoch schwer. Dafür ist die Grammatik extrem einfach."


    "Und du beherrschst diese Sprache?" Alexios hatte diese Leuchten in den Augen, das ich kannte, wenn er forschte.


    Ich nickte kaum merklich. "Mit Akzent, aber ja."


    "Das Museion ist sehr interessiert. Was willst du dafür haben?"


    "Nun, du bist ein Priester des Apollon. Diese Bücher sind meine Opfergabe dafür, dass Apollon mich geschützt hat. Sie sollen seine Bibliothek schmücken. Du solltest sie als Weihegeschenk dem Museion übergeben." Er sah mich nur kurz ungläubig an, weil er erkannte, dass ich es ernst meinte.


    "Dann werde ich die Weihe bezeugen."


    "Gut." Ich stand auf und ging zunächst zu einer Weihrauchschale, in die ich besten arabischen Weihrauch gelegt hatte. Diesen entzündete ich und wartete, bis der süßlich duftende Rauch aufstieg. Dann ging ich zu den Büchern und hob meine Hände mit den Handflächen nach oben. "Apollon, Herr der Musen, Schützer vor Krankheit und Gefahren, der du mich auf meiner Reise geschützt hast. Du hast mich vor Banditen geschützt und vor Naturkatastrophen. Du hast mich im Gebirge beschützt und auf See. Du hast mich neue Künste lernen und die Welt sehen lassen. Dafür danke ich dir. So, wie ich es versprochen habe, soll deinem Tempel, dem Museion, mein Wissen aus dieser Reise zur Verfügung stehen. Meine Aufzeichnungen, die ich mit der Sorgfalt eines Forschers und Gelehrten geführt habe, sollen als Kopien, die ich fehlerfrei angefertigt habe, in die Bibliothek des Museions aufgenommen werden. Meine Schuld dir gegenüber ist damit beglichen. Ich werde dir auch weiter gewissenhaft opfern, so du mir weiter zur Seite stehst." Mit einer Drehung nach rechts beendete ich mein Gebet.


    "Es sei hiermit bezeugt," sagte Alexios.


    Nachdem das erledigt war, ließ ich Brot, Wein und Olivenöl bringen, um noch einen gemütlichen Abend mit Alexios zu verbringen. Natürlich fragte er mich über Serica aus und hing an meinen Lippen, während ich erzählte. Es dämmerte bereits der Morgen, als wir schließlich unser Treffen beendeten. Ich ließ Sklaven die Bücher zum Museion bringen und verabschiedete mich respektvoll, aber nicht zu herzlich von Alexios. Er verstand, dass mich die Sitten in Serica entsprechend geprägt hatten. Doch hielt ihn das nicht davon ab, mich zum Abschied kurz zu umarmen, mir auf die Schulter zu klopfen und mir zu sagen, dass er extrem stolz auf mich war. Auch wenn ich es nur mit Worten der Bescheidenheit annahm, wussten wir beide, wie viel mir sein Lob bedeutete. Er war immerhin das, was einem zweiten Vater am nächsten kam.


    Nachdem Alexios gegangen war, beauftragte ich den Maiordomus, mir ein Schiff nach Ostia zu organisieren. Danach legte ich mich schlafen. Schon bald wäre ich wieder in Rom.

    Nach einiger Zeit brachte der Maiordomus mehrere Bücher aus Bambusstreifen ins Tablinum. Seinen fragenden Blick quittierte ich mit einem wissenden Nicken. Das Lǐjì, das Buch der Riten, war eigentlich eine Schriftensammlung. Doch schien es mir die richtige Quelle zu sein, um mir bei der Entscheidungsfindung zu helfen. Da es inzwischen dunkel wurde, ließ ich mir Öllampen anzünden, damit ich lesen konnte.


    Ich nahm den Band, dem ich am ehesten zutraute, die nötigen Lehren zu enthalten. Darin fand ich aber nur die Aussage, dass der Edle die Geringeren nicht verachtete. So griff ich zu weiteren Bänden. Der Edle solle gegenüber Geringeren gnädig sein. Der Edle solle gütig sein. Der Edle solle streng sein, ohne übermäßig streng zu sein. Und immer wieder wurde darauf hingewiesen, Mitte und Maß zu halten und alles so zu entscheiden, dass die Sittlichkeit gewahrt bliebe.


    Nachdem ich eine Weile über das Geschriebene nachgedacht hatte, ließ ich den Maiordomus rufen. Mit gesenktem Blick trat er mir gegenüber. "Herr."


    "Ich habe nachgedacht," sagte ich mit neutraler Stimme, "und ich kann, was die Vermietung anbetrifft, keinen Fehler bei dir finden. Das Geld musste beschafft werden und es war der am wenigsten nachteilige Weg, dies zu gewährleisten. Was den Kauf eines Sklaven anbetrifft, so hast du ebenfalls meine Zustimmung. Jedoch vermag ich noch nicht zu beurteilen, ob der Kauf beider Sklaven meine Zustimmung findet. Dass du aus Mitleid gütig gehandelt hast, ist positiv zu würdigen. Aber du hast hierbei iunisches Geld ausgegeben, mit dem du sorgsam umgehen solltest. Hier muss ich noch eine genaue Abwägung machen. Hole mir bitte die beiden Sklaven."


    "Ja, Herr." Der Maiordomus verbeugte sich und kam nach einiger Zeit mit einer hübschen, jungen Sklavin und einem hübschen, jungen Sklaven zurück. Die beiden wagten es nicht, mich anzusehen. Allerdings warfen sie sich kurz einen Blick zu. In ihrem Blick erkannte ich Angst.


    Ich sah sie einen Moment lang an. "Ihr seid also ein Paar?" fragte ich direkt. Sie nickten. "Seht mich an." Sie taten, wie geheißen. Dabei sahen sie sich beide hin und wieder aus den Augenwinkeln an. Ich erkannte Liebe in den Blicken, die sie sich zuwarfen. "Sklavin, drehe dich doch bitte mal zur Seite." Kurz sah sie mich fragend an, folgte dann aber meinem Befehl. "Danke, ihr dürft euch beide entfernen." Sie verbeugten sich und gingen dann, während der Maiordomus wartete.


    Eine Weile tippte ich mit meinen Fingerspitzen auf den Schreibtisch, was die Nervosität des Maiordomus erhöhte. Schließlich sprach ich. "Sie sind wirklich ein Paar. Egal, ob Sklaven oder nicht, sie sollten zusammen bleiben. Du hast richtig gehandelt. Das mögen andere aber anders sehen. Wenn ich mich recht erinnere, gehörst du Lucius Iunius Silanus. Der ist zwar schon lange auf Reisen, aber du verwaltest dennoch sein Geld. Die beiden Sklaven gehören folglich auch ihm. Entsprechend kann ich meine Zustimmung eigentlich nicht geben. Wir lösen das Problem nun. Aus meinen Verkäufen werden sicher zwanzigtausend Sesterzen übrig bleiben, die du als Verkauf der beiden Sklaven an mich verbuchen wirst. Dann ist das Konto von Silanus wieder glatt gestellt. Ich bestimme dann, dass beide hier zusammen bleiben sollen. Auch das Kind, welches die Sklavin trägt, soll bei seinen Eltern bleiben."


    Die Augen des Maiordomus wurden groß und er sah mich direkt an. "Herr, ich... ähhh... ich weiß nicht..."


    Ich winkte ab. "Am besten sagst du nichts mehr. Dafür hast du eine weitere Aufgabe. Alle Sklaven, die hier wohnen, sollen lesen, schreiben und rechnen können. Und nun lass mir ein Bad vorbereiten und ein Cubiculum."


    "Ja, Herr." Er verließ schnellen Schrittes das Tablinum, um alles zu veranlassen.

    Nach meiner Ankunft nahm ich im Tablinum Platz, um die von mir geforderten Haushaltsbücher der Domus Iunia Alexandrina zu überprüfen. Während ich auf die Bücher wartete, fertigte ich eine Liste an, welche meiner Waren zu verkaufen seien. Damit konnte man dann die passenden Händler ansprechen und zur Begutachtung hierher einladen. Als der Maiordomus mit den Büchern eintraf, drückte ich ihm die Wachstafel mit der Verkaufsliste in die Hände. Sie umfasste fast alle unverarbeiteten Seidenballen. Lediglich ein Ballen, aus dem ich Vorhänge fertigen lassen wollte, stand nicht zum Verkauf. Auch die Gewürze sollten - bis auf einen geringen Eigenbedarf - verkauft werden. Die Diamanten und Edelsteine sollten vollständig verkauft werden. Nicht zum Verkauf hingegen waren sämtliche Kleidungsstücke aus Seide. Und meine Bücher und Aufzeichnungen waren selbstverständlich ebenfalls nicht zu verkaufen. Die Keramikwaren wollte ich mit nach Rom nehmen, so dass diese gleichermaßen nicht zu veräußern waren.


    Nachdem der Maiordomus sich mit der Verkaufsliste auf den Weg machte, ergriff ich die Bücher mit den Ausgaben. Ich ging Position für Position durch, während ich mir auf einer Wachstafel Notizen in serischer Sprache machte. Dadurch waren meine Gedanken für die Sklaven nicht zu erfassen. Ich wollte ja nicht, dass sie sich vorbereiten konnten, wenn ich fragwürdige Einträge finden würde. Die meisten Einträge waren Nahrungsmittel, dazu hin und wieder Kleidung und Aufträge für Handwerker. Man konnte erkennen, dass hier schon länger keine Familienmitglieder der Gens Iunia mehr hier gewesen waren. Tatsächlich war ich bei meinem Weggang vom Museion vor Jahren wohl der letzte iunische Bewohner dieser Domus gewesen. Das war zu einem gewissen Grad traurig, doch so war eben das Leben. Schließlich fand ich im letzten, erst vor kurzem angefangenen Buch, etwas. Ich machte mir eine Notiz und würde den Maiordomus später darauf ansprechen.


    Nachdem ich die Ausgabenbücher geprüft hatte, rief ich einen Sklaven, um ihm aufzutragen, den von mir mitgebrachten Tee aus Serica aufzugießen und mir einen Becher zu bringen. Bis der Sklave erschien, gönnte ich mir eine Pause. Ich betrachtete, wie die dünnen Vorhänge zum Atrium im Wind des Meeres wehten, was eine angenehme Kühle in das Haus brachte. Das ließ mich sehr schnell meine Gedanken sortieren und meinen Geist klären, um die nächsten Bücher zu prüfen.


    Bei einem Becher Tee konnte ich schließlich die Einnahmen prüfen. Es handelte sich lediglich um ein Buch. Erwartungsgemäß fand sich hier kaum etwas. Die Einnahmen beschränkten sich lange auf gelegentliche Verkäufe von Überschüssen. Außerdem schien der Maiordomus ab und an auch gezielt Handel zu treiben. Das ließ sich aus einem Abgleich von Einkäufen und Verkäufen bestätigen. Und dann war da noch eine Auffälligkeit, die ich unbedingt besprechen musste, sobald der Maiordomus wieder hier wäre. Ich machte mir hierzu eine Notiz in serischer Sprache auf meiner Wachstafel.


    Als der Maiordomus zurück war, kam er direkt zu mir. "Herr, ich habe die in Frage kommenden Händler gebeten, sich morgen deine Waren anzusehen. Die meisten werden dem Folge leisten. Außerdem habe ich den Philosophen Alexios aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass du nach langer Reise zurück bist und ihn zu sehen wünschst. Auch er wird in den nächsten Tagen hierher kommen. Er wird sich auch darum kümmern, dass deine Bücher und Aufzeichnungen ihren Platz im Museion finden werden."


    "Danke. Dann nimm bitte Platz, denn ich habe ein paar Fragen." Dabei deutete ich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs. Unsicher nahm der Maiordomus Platz. Natürlich wurde einem Sklaven normalerweise kein Sitzplatz angeboten, was ihn sicher verwirrte. "Zunächst einmal möchte ich dir gratulieren. Es sieht so aus, als wärest du ein recht guter Händler."


    "Danke, Herr." Der Maiordomus lächelte verlegen.


    Ich nickte kurz. "Doch habe ich ein paar Auffälligkeiten entdeckt. Zunächst einmal bei den Einnahmen. Hier ist mehrfach eine 'Vermietung' erwähnt. Was genau wurde vermietet und an wen?"


    Der Maiordomus holte tief Luft. "Das ist... ähhh... also..."


    "Bei allen Göttern, sprich!"


    "Ähhh, ja Herr." Er atmete noch einmal tief durch. "Wir haben diese Domus vermietet." Sofort hob er beschwichtigend die Hände. "Nicht komplett, Herr. Nur das Atrium und das Peristylium. Für Feiern junger, wohlhabender Einwohner dieser Polis. Für Feiern. Es... es stehen größere Reparaturen an. Außerdem hatten wir noch größere Ausgaben. Es ist kein Herr mehr hier und Geld aus Rom schicken ist nicht sicher. Deshalb dachte ich mir... ich dachte mir... der Standort ist wirklich gut, die Leute werden viel Geld bezahlen, um hier zu feiern. Das war der beste Weg, um an Geld zu kommen."


    "Ob das der beste Weg war, entscheide ich, verstanden?" Es war klar, dass ich keinen Widerspruch duldete. So nickte der Maiordomus nur. "Aber ich werde deinen Einsatz wohlwollend würdigen." Seine Miene hellte sich auf, doch ich deutete ihm, sich nicht zu früh zu freuen. "Dann habe ich bei den Ausgaben noch eine Auffälligkeit gefunden. Zwanzigtausend Sesterzen für Sklaven. Wen genau hast du gekauft? Für den Preis bekommt man problemlos zwei Sklaven."


    Der Maiordomus senkte den Blick. "Herr, es sind zwei Sklaven."


    Ich zog eine Augenbraue hoch. "Zwei Sklaven? Dann erkläre mir bitte, welche Aufgaben die erfüllen und warum zwei neue Sklaven benötigt wurden."


    "Ja, Herr. Es sind ein junger Mann und eine junge Frau. Sie sind für allgemeine Tätigkeiten angeschafft. Nach dem Tod eines Sklaven brauchten wir Ersatz." Er erkannte an meinem fragenden Gesichtsausdruck, was ich wohl als Nächstes wissen wollte. "Also... also... einer... eine... wäre genug gewesen. Aber... aber... beide sind sehr hübsch, weißt du? Und die beiden sind ein Paar. Herr, ich hatte Mitleid. Das... das kommt nicht mehr vor, versprochen. Bitte, sei nicht zu hart mit mir!" Verlegen blickte er auf den Boden.


    Eine Weile tippte ich nur mit den Fingern auf den Tisch, während ich nachdachte. Dann ergriff ich eine neue Wachstafel und schrieb ein paar serische Zeichen hinauf. "Bring mir dieses Buch."


    Der Maiordomus schien nicht zu verstehen. "Herr?"


    "Das Buch mit diesen Schriftzeichen. Es besteht aus beschriebenen Holzplättchen. Verstanden?"


    "Ja, Herr." Der Maiordomus nahm die Wachstafel und verließ das Tablinum. Das Buch würde mir helfen, eine Entscheidung zu treffen. Bis er damit herkam, ließ ich mir noch einen Becher Tee bringen.

    Die Fahrt von Myos Hormos bis nach Alexandria war ruhig verlaufen. Zunächst war ich auf einem Schiff von Myos Hormos hinauf bis nach Arsinoë gefahren. Anschließend hatte ein Schiff über den Kanal des Kaisers Traian bis zur Festung Babylon gebucht. Dort ging es mit einem Schiff weiter bis in den Portus Mareotis. Endlich wieder Alexandria! Ein Gefühl von Rückkehr in die Heimat hatte sich in jenem Moment breit gemacht, auch wenn die ägyptische Sonne gnadenlos brannte. Da half meine mehrlagige Seidenkleidung wieder einmal nicht, doch kümmerte es mich nicht wirklich.


    Im Portus Mareotis hatte ich Wachen und Tagelöhner angeheuert, um meine Waren zu transportieren. So führte ich eine kleine Karawane von Menschen an, die meine Sachen bis an das Tor zur Basileia führten. Nachdem ich den dortigen Wachen mehrfach erklärt hatte, wer ich war und was ich hier wollte, ließ man uns schließlich passieren. Allerdings begleitete uns eine Wache, weil man mir meine Geschichte wohl immer noch nicht ganz glaubte.


    An der Domus Iunia angekommen, klopfte ich an die Tür. Als ein kleines Fenster in der Tür geöffnet wurde, hielt ich die Hand mit meinem Siegelring davor und sagte "Ich, Aulus Iunius Tacitus, Student des Museions, Advocatus in Rom und den Provinzen, verlange sofortigen Einlass." Das Fenster schloss sich und ich hörte, wie ein Riegel entfernt wurde. Der Ianitor, ein mir unbekannter muskulöser Sklave, stand in der Tür und musterte mich skeptisch, doch kurz darauf erschien der mir sehr bekannte Maiordomus.


    Skeptisch ging der Maiordomus auf mich zu und betrachtete meine Kleidung und schließlich mein Gesicht. Das Gesicht musterte er eine ganze Weile. Natürlich, ich hatte auf meiner Reise ja auch deutlich abgenommen. Schließlich lächelte er und bat mich und meine Begleiter hinein. Der Wachsoldat aus Basileia drehte sich daraufhin um und kehrte auf seinen Posten zurück. "Tacitus, ich hätte dich fast nicht wiedererkannt. Du bist schmaler geworden. Und ganz in Seide gekleidet! Was ist passiert?"


    "Lange Geschichte. Erzähle ich vielleicht später. Trage dafür Sorge, dass alle Waren ordentlich verstaut werden. Ich werde dir dann eine Liste geben, was davon zu verkaufen ist. Lass außerdem das Museion informieren, dass ich etliche Bücher zu spenden wünsche. Lass bei der Gelegenheit auch meinen Lehrer Alexios informieren, dass ich für einige Tage hier weilen werde und mich über ein Treffen freuen würde. Darüber hinaus kannst du mir die Buchhaltung über die Einnahmen und Ausgaben dieses Haushalts bringen. Ich wünsche sie zu prüfen. Fragen?" Ich sprach mit ruhiger Stimme, die aber keine Widersprüche zuließ.


    Der Maiordomus sah mich einen Moment lang an, bevor er antwortete. "Nicht zu deinen Anweisungen, Herr. Du scheinst aber eine lange Reise hinter dir zu haben. Möchtest du nicht erst einmal baden?"


    Kurz dachte ich nach. "Nein. Zuerst die Arbeit, dann die Entspannung."


    Der Maiordomus verneigte sich und leitete die Tagelöhner und die anderen iunischen Sklaven an, wo sie meine Waren zu verstauen hätten. Ich überwachte das alles. Nachdem es nichts mehr zu verstauen gab, bezahlte er die Wachen und die Tagelöhner - und zwar großzügig, wie ich ihm kurz zuvor mitgeteilt hatte. Danach geleitete er mich ins Tablinum.

    Die Winde waren überhaupt nicht günstig gewesen und so brauchten wir fast drei Wochen von Arabia Emporion nach Myos Hormos. Ich hatte während dieser Zeit immer wieder Skizzen der Küsten des Roten Meeres gemacht. Der karge Stein, der auf das blaue Wasser traf, war schon ein interessanter Anblick. Dort, wo Gewässer mit Süßwasser auf die Küste trafen, sah man auch das Grün von Pflanzen.


    Myos Hormos war ein großer Hafen, dessen Bedeutung und Reichtum man an den Gebäuden ablesen konnte. Die Mannschaft legte gekonnt am Kai an und bereits kurz darauf kam ein Mann in ziviler römischer Kleidung in Begleitung zweier Soldaten an. Während er über die Planke an Bord kam, warteten die Soldaten auf der Kaimauer. Es war klar, dass es sich um den Zöllner handeln musste. Wenn ich das noch richtig im Kopf hatte, war ein Viertel des Warenwerts fällig. Aber ich würde sehen, was er forderte.


    Der Mann ging auf unseren Kapitän zu. "Es geschehen noch Wunder, Porcius. Jedes Mal denke ich, es wäre deine letzte Fahrt und jedes Mal schaffst du es irgendwie zurück. Na, was haben wir denn diesmal geladen?" Dann sah er zu mir. "Oder wen?"


    Porcius Natta grüßte den Mann kurz. "Das Übliche. Gewürze, Edelsteine, Seide." Dann sah er ebenfalls zu mir. "Und einen Gesandten des fernen Reiches der Serer, der unserem lieben Kaiser Grüße und Geschenke bringen soll."


    Der Mann musterte mich. "Sprichst ... du ... Sprache ... von uns?" Er sprach bewusst langsame Koiné.


    Ich nickte. "Koiné, Latein, etwas Attisch. Danke der Nachfrage."


    Porcius Natta brach in schallendes Gelächter aus, während der Mann mich ziemlich verdutzt ansah.


    "Ich erkläre es kurz. Mein Name ist Aulus Iunius Tacitus, auch wenn mich die Serer als Yún Yù oder eher noch als Yúnzǐ. Hier bin ich römischer Bürger und Klient des Lucius Annaeus Florus Minor, dort bin ich ein kaiserlicher Beamter dritten Ranges, der zum Gesandten ernannt wurde. Ist eine lange Geschichte. Ich freue mich auf jeden Fall, deine Bekanntschaft zu machen und hoffe, dass wir hier zügig weiterkommen, weil ich nach Alexandria will und dann weiter nach Rom. Der Winter neigt sich dem Ende und ich möchte gerne in Alexandria sein, wenn man wieder eine halbwegs passable Überfahrt buchen kann."


    Das schien der Mann jetzt noch mehr zu verwirren. Vielleicht war es zu viel Information auf einmal? Vielleicht sprach ich auch zu schnell?


    Schließlich legte Porcius Natta seinen rechten Arm um die Schultern des Mannes. "Bruder, der Mann in dunkler Seide spricht die Wahrheit. Er hat sich ja schon vorgestellt, also mach' ich das mal für dich. Iunius, das ist mein Bruder Mamercus Porcius Barrus."


    "Barrus," sagte der Mann schließlich, "Zolleintreiber."


    "Dachte ich mir schon," erwiderte ich mit einem höflichen Lächeln, während ich den Drang, mich verneigen zu wollen, unterdrückte.


    Barrus räusperte sich kurz. "Du kennst das ja, Natta. Alles ist Eigenbedarf außer Seide. Und Eigenbedarf verzolle ich nicht." Dann wandte er sich mir zu. "Bei dir sehe ich es anders herum. Seide, vor allem Kleidung, scheinen Eigenbedarf zu sein. Geschenke für den Kaiser verzolle ich auch nicht. Den Rest schon."


    "Auch Bücher und Reiseaufzeichnungen?" fragte ich zur Sicherheit.


    "Was? Nein, wie soll ich denn bei allen Göttern von sowas den Wert ermitteln?" Das schien er sehr ehrlich zu meinen.


    Ich zeigte ihm daraufhin meine Waren, so dass er einen Zollsatz festlegen konnte. Das tat er auch und es war deutlich weniger, als ich gedacht hätte. Ich vereinbarte, einen Ballen Seide zu verkaufen und daraus die Zölle zu entrichten. Das tat ich auch später am Tag, wobei der Ballen mehr eingebracht hatte, als ich an Zoll schuldete. So entschied ich, den Restertrag Barrus als Dankeschön zu überlassen. Er hatte damit zwar nicht gerechnet, schien sich aber ehrlich zu freuen. Mit den nötigen Zolldokumenten in der Tasche würde ich die Weiterreise antreten.


    Die Porcius-Brüder gewährten mir Quartier für die Nacht. Als Gegenleistung erzählte ich ihren Familien, vor allem den Kindern, von meiner Reise nach Serica.


    Am nächsten Tag buchte ich mich auf einem Schiff nach Arsinoë ein. Von dort aus wollte ich über den Trajanischen Kanal und den Nil bis nach Alexandria reisen.

    Knappe zwei Wochen, nachdem wir Muziris in Indien verlassen hatten und über das offene Meer segelten, erreichten wir wieder Land. Kapitän Porcius Natta schien die Küste erst einmal nicht zuordnen zu können und beschloss, westwärts an der Küste entlang zu segeln. Wir schienen das gewünschte Ziel verpasst zu haben. Gegen Mittag schien er sich aber wieder auszukennen. Er deutete auf eine Felsstruktur, die mich an den Mons Vesuvius erinnerte. Allerdings war der Vesuvius höher als der Fels, den ich nun sah. Das wurde umso deutlich, je näher wir dem Fels kamen. Der Felsen schien eine Halbinsel zu formen. In unsere Richtung, also nach Osten, war der Krater des Felsens offen und beherbergte eine Stadt aus Lehmziegeln. So also sah Arabia Emporion aus.


    Wir legten im Hafen an und von hier aus schätzte ich, dass der Rand des Kraters etwas mehr als zweieinhalb stadia hoch über uns ragte. Porcius kam auf mich zu. "Tacitus, die zahlen hier ziemlich hohe Summen für gute Seide. Dafür kommst du hier ziemlich günstig an Weihrauch und Myrrhe heran. Wenn du magst, kannst du mich begleiten."


    Mir war klar, dass er so etwas Platz schaffen wollte. Aber mir war es recht, schließlich konnte ich so auch wesentlich einfacher später weiterreisen. "Sehr gerne. Und ich werde ein paar Seidenballen mitnehmen."


    Gesagt, getan. Ich suchte mir drei Ballen aus. Nicht die beste Qualität, aber doch ziemlich gut. Als Erstes durfte ich für die Seide Zoll bezahlen, den ich in Diamanten entrichtete. Das war einfach günstiger. Dann ging es auf den Markt, wo mich Porcius tatkräftig beim Verkauf der Seide unterstützte. Den dicken Beutel römischer und indischer Münzen, den ich dafür erhalten hatte, gab ich vor allem für Weihrauch bester Qualität aus. Für einen geringeren Teil wurde Myrrhe gekauft und den Rest gab ich für ein Holz mit vielen Flecken aus schwarzem Harz aus, das zugleich balsamisch-süß, würzig und angenehm holzig roch. Das Holz hieß hier auf Koiné Agallochon, während es Porcius mit dem Namen Lignum Aloes bezeichnete. So sah das also aus! "Du weißt aber, dass du das in Indien günstiger bekommen hättest?"


    Ich sah Porcius Natta einen Moment lang an. "Wenn ich das wüsste oder gewusst hätte, meinst du, dass ich es dann hier kaufen würde?"


    "Guter Einwand," meinte Porcius, der mit einem großen Sack voll Weihrauch neben mir zum Schiff zurück kehrte. Gemeinsam hatten wir den Weihrauchhändler ziemlich leergekauft.


    Wieder an Bord verstauten wir unsere Waren und genossen den Abend. Dass ich immer noch serisch gekleidet war, verwunderte Porcius. Noch mehr verwunderte es ihn, dass ich beabsichtigte, mich auch weiterhin so zu kleiden, bis ich den Befehl ausgeführt und dem Kaiser in Rom die Grüße des Kaisers von Hàn übermittelt hätte. Doch zu einem gewissen Grad konnte er das sogar nachvollziehen.


    Wir blieben noch ein paar Tage im Hafen, bis sich genug Schiffe zusammengefunden hatten, um als Konvoi zu fahren. In den kommenden Gewässern gab es wohl immer wieder Piraten, so dass ein Konvoi einfach sicherer war. Als der Konvoi groß genug war, stachen wir in See. Aegyptus war nicht mehr weit.



    Sim-Off:

    Arabia Emporion ist die heutige Stadt Aden im Jemen

    Als ich dann im Hafen ankam, ließ ich meine Waren von der Dschunke auf die zweimastige Corbita von Porcius Natta umladen. Er erwartete mich bereits und führte mich kurz über sein Schiff. Dann ließ er mich allein in dem für mich vorgesehenen Bereich. Man hatte mir eine Koje und einen Tisch ins Quartier gestellt, das noch sehr groß aussah. Doch mit jeder Ladung waren und Aufzeichnungen, die hinein transportiert wurden, schrumpfte der Platz, der mir zur Verfügung stand. Am Ende war nur noch ein schmaler Weg zwischen der Koje, dem Tisch und dem Vorhang, der mein Quartier vom Rest des Schiffes abtrennte, frei. Das würde also meine Unterkunft für die nächsten Wochen sein.


    Bevor ich mich von dem Kapitän der Dschunke verabschiedete, stellte ich ihm noch ein gesiegeltes Empfehlungsschreiben aus. Es sollte ihm als Beleg dafür dienen, mich wirklich in Indien abgesetzt zu haben, aber vor allem als Nachweis seiner Zuverlässigkeit, wenn er sich um Aufträge der Regierung des Reiches Hàn bemühen wollte.


    Die Nacht verbrachte ich bereits an Bord der Corbita, die am nächsten Morgen in See stach. Wir hatten einen guten, raumen Wind, der uns schnell auf das offene Meer trug. Je weiter wir auf das Meer hinausfuhren, umso angenehmer wurden die Temperaturen. Nachdem alle Segel ordentlich gesetzt waren und das Schiff ruhig und so weit wie möglich gerade nach Westen fuhr, kam Porcius Natta auf mich zu und bat mich, von den ersten Abschnitten meiner Reise zu berichten. Ich hatte mein Wort gegeben, und so berichtete ich in den nächsten Tagen von Antiochia am Orontes, der syrischen Wüste, von Dura Europos und schließlich von Babylon.

    In den nächsten Tagen versuchte ich, Platz zu sparen. Meine Aufzeichnungen konnte ich unmöglich aufgeben. Auch die Kleidungsstücke, Keramik und die beiden zusätzlichen Schwerter standen nicht zur Diskussion. Ebensowenig die Geschenke für den Kaiser. Also blieben nur die Seidenballen. Die besten Qualitäten würde ich ebenfalls nicht abgeben, aber die mittleren und geringeren Qualitäten, von denen ich auch am meisten besaß, konnte ich veräußern. Gewürze zu veräußern machte für mich keinen Sinn.


    Den Ertrag aus dem Verkauf der Seidenballen nutzte ich, um Diamanten, Saphire und Gewürze zu kaufen. Dabei gab ich den Edelsteinen eindeutig den Vorzug. So viel Wert bekam man anders nicht für einen so geringen Platzbedarf. Dennoch konnte ich nicht unterhalb von sechs Kamelladungen landen. Das würde teuer werden. Und das wurde es auch. Dennoch war es mir das wert, so dass ich schließlich mit Porcius Natta eine Einigung fand. Der Bugbereich des ersten Unterdecks sollte mir gehören und sogar mit einem Vorhang vom restlichen Schiff abgetrennt werden. Bei dem Preis von einigen Karat Diamanten konnte man das aber auch erwarten. Verpflegung war natürlich inklusive, wobei ich die gleiche Kost erhalten sollte, die auch die Mannschaft erhielt.


    Bevor die Waren auf Nattas Schiff umgeladen wurden, gab es aber noch etwas zu erledigen. Für Arpan würde die Reise hier enden. Er hatte mit den Mönchen im lokalen Tempel der Buddhisten gesprochen und sie waren bereit, ihn aufzunehmen. Ich half ihm bei seinen Vorbereitungen. Sorgfältig rasierte ich sein Haupthaar, seinen Bart und seine Augenbrauen, sowie seinen Rücken. Den Rest konnte er selbst rasieren. Es war zwar eigentlich unter meiner Würde sowohl als Römer, als auch als hoher serischer Beamter. Doch Arpan war ein Freund und es war eine gute Übung in Demut, dass ich ihm diesen Gefallen tat. Schließlich badete er sich, wobei ich mit einem Schwamm seinen Rücken reinigte. Danach hüllte er sich in eine einfache orangene Baumwolltoga, so wie sie die buddhistischen Mönche hier trugen. Während er sich so relativ schnell ankleidete, beschloss ich, mich in die volle Hoftracht eines Beamten dritten Ranges zu kleiden. Lediglich auf mein Schwert verzichtete ich.


    So kamen wir beide so unterschiedlich zur Inordinationszeremonie in den buddhistischen Tempel, wie es nur sein konnte. Arpan war barfuß und lediglich in die orangene Toga gekleidet. Ich hingegen trug rote Seidenschuhe, Unterkleidung aus weißer Seide, ein Gewand aus roter Seide und ein weites Übergewand mit weiten Ärmeln aus roter Seide, das von einem breiten roten Seidengürtel umschlossen wurde, an dem ein hellgrünes Jadesiegel hing. Dazu eine Kappe aus schwarzer Seide mit goldenen Verzierungen. Hier der in beste Seide gekleidete hohe Beamte, dort ein einfacher Mensch in einem Baumwollgewand, an dem die orangene Farbe noch das Teuerste war.


    Der Abt begrüßte uns beide und verbeugte sich vor mir. Ich gab mir Mühe, mich vor dem Abt tiefer zu verbeugen, als dieser sich vor mir verbeugt hatte. Arpan fiel vor dem Abt auf die Knie und verbeugte sich dreimal, bis seine Stirn den Boden berührte. Schließlich gingen wir in den Tempel. Vor einer steinernen Statue des Buddha saßen die Mönche auf einem erhöhten Teil des Tempels. In ihrer Mitte war ein Platz frei, an dem der Abt sich niederließ. Arpan wiederholte seine Verbeugung, die er vor dem Abt geleistet hatte, während ich mir erneut tief, aber stehend verneigte. Im Folgenden rezitierten die Mönche in einer mir unbekannten Sprache vermutlich heilige Texte. Dann trat Arpan drei Schritte hervor und gelobte auf Sanskrit, dass er fortan in Armut und Keuschheit leben wollte und sich dem Studium der Schriften und der Meditation widmen wollte. Dass er das gelobte, wusste ich, weil er es mir zuvor erklärt hatte. Sanskrit beherrschte ich nicht. Am Ende der Zeremonie erhielt er eine eiserne Bettelschale und durfte am Rand neben den Mönchen auf dem erhöhten Boden Platz nehmen. Ich verneigte mich vor dem Abt, dann vor ihm und schließlich vor jedem einzelnen Mönch, so wie ich es bereits zuvor getan hatte. Dann verließ ich den Tempel und wartete, während ich in Richtung des Meeres blickte.


    Nach einer Weile vernahm ich Arpans Stimme. "Ich danke dir, dass du mich bei der Zeremonie unterstützt hast, mein Freund."


    Ich drehte mich zu ihm. "Kein Grund, mir zu danken. Es war nicht allzu viel, was ich getan habe."


    "Du hast deinen Stolz bezwungen, um mich vorzubereiten."


    "Stolz ist die Illusion, mehr zu sein, als man ist," entgegnete ich. "Der Edle ist an seiner Würde interessiert, aber nicht an Stolz. Ihn interessiert nur die Harmonie der Welt."


    Arpan lächelte. "Dann glaubst du, die Stufe des Edlen erreicht zu haben?"


    Ich lächelte zurück. "Nicht einmal Meister Kǒng glaubte, dass er diese Stufe erreicht hatte und es ist fraglich, ob sie überhaupt jemals ein Mensch erreichen wird. Doch wäre es vermessen, das als Entschuldigung dafür zu nehmen, dem Edlen nicht nachzustreben."


    "Hàn hat dich stark geprägt. Bist du sicher, dass du noch nach Rom gehörst?" Arpans Frage war ernst gemeint, das merkte ich.


    "Mein lieber Arpan, es gibt nur einen Weg, das herauszufinden." Wieder lächelte ich. "Doch ist diese Frage irrelevant. Ich habe einen Befehl des Sohns des Himmels zu erfüllen. Erst danach mag ich mir diese Frage stellen. Falls ich sie für relevant erachte."


    Arpan erwiderte mein Lächeln. "Du wirst deinen Weg machen, Aulus Iunius Tacitus. Ich danke dir für den Weg, den wir zusammen gegangen sind. Du hast mir gezeigt, dass nicht alle Römer so sind wie diejenigen, die meine Herren waren. Bleib so, wie du bist. Ich werde hier meinen Frieden finden."


    Das war nun also der Moment des Abschieds. "Ich hoffe doch, dass ich dereinst ein besserer Mensch sein werde, als jetzt. Ich bin dir zutiefst dankbar, mein lieber Arpan. Für deine Loyalität, deine Freundschaft und dafür, dass du mich auf dieser langen Reise begleitet hast. Mögest du deinen Frieden finden. Ich werde dir stets in Freundschaft verbunden sein." Schließlich verneigte ich mich so, wie ich mich vor dem Abt verneigt hatte.


    Arpan ergriff meine Schultern und drückte mich wieder nach oben, bis ich aufrecht stand. "Bitte, mein Freund, bitte... du brauchst dich vor mir niemals zu verbeugen. Wir sind Freunde!"


    Ich atmete tief durch, denn am liebsten hätte ich ihn zum Abschied umarmt. Und ich musste auch ein wenig mit mir kämpfen, um nicht emotional zu werden. So, wie auch Arpan, das sah ich ihm an. "Ich verneige mich nicht vor dem Menschen, sondern vor dem Mönch," sagte ich mit fester Stimme. Er schien mich zu verstehen. Dann ging ich drei Schritte rückwärts und verneigte mich erneut, bevor ich mich schließlich aufrichtete, Arpan noch einmal zulächelte und mich schließlich zum Gehen wendete. Dabei glaubte ich, eine Träne in Arpans Augenwinkel entdeckt zu haben. Wenn ich noch länger hier gestanden hätte, wäre es mir wohl ähnlich ergangen. Doch so bewahrte ich meine Würde und verließ den Tempel.

    Nachdem wir in Taprobana in See gestochen waren, umfuhren wir binnen einer Woche die Südspitze Indiens, um dann eine weitere Woche gegen ungünstige Winde der Küste zu folgen. Schließlich erreichten wir die Hafenstadt, die auf Koiné Muziris genannt wurde. Die hiesige Bevölkerung nannte ihre Stadt Muciṟi. Für den Kapitän der Dschunke war es das Ende seiner Reise. Er gestattete mir aber, meine Waren noch an Bord zu lassen, bis ich ein Schiff fand, das mich weiter nach Westen bringen würde.


    So gingen wir von Bord und ich erblickte etliche Menschen in mediterraner Kleidung. Mir begegneten auch häufig römische Münzen, vor allem Aurei und Denare. Ganz offensichtlich war ich meiner Heimat ein ganzes Stück näher gekommen. Auf den Märkten wurden Gewürze, Halbedelsteine, Perlen, Diamanten und Saphire, aber auch Elfenbein und serische Seide angeboten. Aus dem Westen wurden dünne Kleidung, auch aus hauchdünner, durchscheinender Seide, bestickte und gefärbte Stoffe, Kupfer, Zinn, Blei und Koralle, aber auch Glaswaren und Wein angeboten. Ich hatte das Gefühl, dass sich an diesem Ort Orient und Okzident trafen. Neben Griechen, Ägyptern, Malaien, Parthern, jeder Menge Indern und ein paar Serern begegnete mir auch eine kleine Gruppe von Menschen, die ich an ihrer Sprache erkannte. Sie sprachen Latein! Es kam mir so ewig lang vor, dass ich zuletzt Latein gehört und erst recht gesprochen hatte, dass ich die Männer einfach ansprechen musste. "Salvete!"


    Sie drehten sich zu mir um und schienen unschlüssig zu sein, was sie mit meinem Gruß anfangen sollten. Meine serische Gelehrtenkleidung mit dem Schwert im Gürtel und dem Amtssiegel aus hellgrüner Jade, das am Gürtel baumelte, schien ihnen nicht zu einem Menschen zu passen, der Latein sprach. So ergriff ich weiter das Wort, wobei ich mir Mühe gab, so präzise wie vor Gericht die Worte auszusprechen. "Ich war nun eine Weile nicht mehr im Imperium Romanum, aber als ich vor wenigen Jahren auf Reisen ging, pflegte man einen Gruß zu erwidern. Hat sich das inzwischen geändert? Zum Nachteil, wie ich meinen möchte."


    Das schien das Eis gebrochen zu haben. Der am besten Gekleidete aus der Gruppe streckte mir seine Hand entgegen. "Nein, das hat sich nicht geändert. Doch habe ich noch nie jemanden wie dich gesehen, Fremder. Mein Name ist Titus Porcius Natta. Und dies sind die Offiziere meines Handelsschiffs. Mit wem habe ich die Ehre?"


    Ich ergriff seine Hand. "Es freut mich, dich kennenzulernen, Porcius. Ich bin Aulus Iunius Tacitus."


    Er sah mich skeptisch an, während seine Männer zu lachen begannen. "Nie und nimmer bist du ein Römer!" Dann lachte er auch.


    Ich deutete auf den Ring an meinem Finger. "Das Siegel der Iunier ist dir geläufig? Ansonsten helfe ich dir gerne auf die Sprünge. Aulus Iunius Tacitus aus Rom, studiert am Museion zu Alexandria, Jurist in Rom, Klient des Lucius Annaeus Florus Minor. Des Annaeus Florus Minor, der vor wenigen Jahren Praetor Urbanus war. Na, klingelt da etwas in deinem Gedächtnis?" Natürlich rechnete ich nicht damit, dass er von meinem Namen gehört hatte. Doch zusammen mit dem Ring sollte ihm nun klar sein, dass ich Römer war.


    Wie erwartet, endete das Lachen und man konnte Porcius ansehen, dass er nachdachte. Schließlich schien ihm meine Vorstellung wohl plausibel zu sein, wozu das klare Oberschicht-Latein sicher seinen Beitrag geleistet hatte. "Gut, ich glaube dir. Aber warum kleidest du dich komplett in Seide? Und dann noch in diesem Zuschnitt? Und so dicht gewebt? Ist das nicht zu warm?"


    Nun musste ich mir ein Lachen verkneifen. "Ja, es ist zu warm für dieses Wetter. Aber ich werde dennoch die Würde wahren und mich ordentlich kleiden. Es ist die Kleidung eines serischen Gelehrten. Und ich kleide mich so, weil ich nicht nur Student des Museions, sondern auch serischer Gelehrter bin." Seine Augen wurden größer. "Und bevor du fragst: Ja, das war auch in Serica teuer. Aber deutlich günstiger, als in Rom. Was mich zu einer wichtigen Frage bringt: Hast du Platz auf deinem Schiff, um mich und meine Waren von hier nach Aegyptus zu bringen?"


    "Naja... kommt auf den Platzbedarf an. Ein Schlafplatz kostet Geld. Frachtraum kostet Geld. Je weniger Platz du brauchst, umso günstiger wird es." Dann schien ihm etwas durch den Kopf zu gehen. "Serischer Gelehrter? Warum bist du ein serischer Gelehrter?"


    "Lange Geschichte," erwiderte ich, "aber ich will sie kurz zusammenfassen. Vor wenigen Jahren fand ich in Mogontiacum eine Karte des Alexanderreichs, die auch Straßen, Wege, Landschaften und teilweise die dort gehandelten Waren verzeichnete. Das schien mir ein Zeichen der Götter zu sein, dass ich den Weg nach Osten erkunden sollte. So zog ich über Antiochia am Orontes, Babylon, Antiochia in Parthien und andere Orte bis nach Transoxanien, nach Alexandria Eschate. Von dort überquerte ich ein hohes Gebirge, zog an einer Wüste entlang und über ein weiteres Gebirge bis in eine große Stadt in Serica. Dort weilte ich über ein halbes Jahr und diskutierte und lernte mit serischen Gelehrten, die mich als einen der ihren anerkannten."


    "Warte... du bist den Landweg gegangen? Das muss doch ewig gedauert haben!" Porcius und seine Offiziere sahen mich fasziniert an.


    Ich nickte knapp. "Fast ein Jahr. Und weil das so beschwerlich war, habe ich den Rückweg mit einem Umweg zur serischen Hauptstadt angetreten. Dort erhielt ich eine Audienz beim Kaiser von Serica, der mich beauftragte, meinem Kaiser eine Grußbotschaft zu überbringen. Von dort ging es über Kanäle an die Mündung eines großen Flusses und weiter über den Seeweg bis hierhin. Und nun benötige ich eine Weiterfahrt. Also: Ja oder nein?"


    Die Gruppe beriet sich flüsternd. Schließlich kam Porcius auf mich zu. "Wir reisen in einer Woche ab und nehmen dich mit. Aber das kostet umso mehr, je mehr Platz du haben willst. Und wir verlangen, dass du uns deine Geschichte mit viel mehr Einzelheiten erzählst. Abgemacht?" Er streckte mir seine Hand zu.


    Ich ergriff seine Hand. "Dafür wird auf See mehr als genug Zeit sein. Abgemacht!"

    Nachdem wir die Südprovinz des Reiches Hàn verlassen hatten, segelten wir weiter südwärts bis wir in das Land Fúnán kamen. Das Volk dort nannte sich Khmer und die Stadt, in der wir anlegten, hieß Oc Eo. Es handelte sich dabei um einen Ort, der im Wesentlichen aus hölzernen Pfahlbauten bestand um im Delta eines großen Flusses lag. Um den Stadt herum befanden sich Reisfelder und auf dem Markt gab es frischen Fisch, der von zahllosen Fischern vor Ort zum Verkauf angeboten wurde. Oc Eo schien ein Handelsplatz zu sein, denn man sprach Serisch - wenngleich vor allem in der südlichen Variante, die ich nur schwer verstand. Auch schien man zu erkennen, dass ich ein hoher Beamter des Reichs Hàn war. Das war zwar nützlich, aber nicht in dem Maß, in dem es mir in den Reichsprovinzen nutzte. Das Land Fúnán schien sich von hier aus nach Westen auszubreiten und war wohl eher ein Verbund von Stadtstaaten, als ein geeintes Reich.


    Arpan fiel auf, dass hier in Sanskrit geschrieben wurden. Auch sprach man diese Sprache, die Arpan von den buddhistischen Mönchen gelernt hatte. So war es, wie bei der Reise nach Hàn auf dem Landweg, wieder Arpan, der mir bei der Verständigung half. Zu Beginn der Reise hatte ich nicht damit gerechnet, dass es dieser - inzwischen ehemalige - Sklave sein würde, den ich als Leibwächter gekauft hatte, der mir die besten Dienste als Dolmetscher leistete. Er erkannte, dass nicht nur die Sprache, sondern auch die indische Religion hier großen Einfluss hatte. Da ich mich hierfür interessierte, besuchten wir einen Tempel, in dem ein Gott mit dem Körper eines Menschen und dem Kopf eines Elefanten verehrt wurde. Das erinnerte mich an Ägypten und seine Götter. Die Verehrung selbst war aber anders. Vor allem war die Götterstatue mit bunten Blumenketten geschmückt und überall rauchten Holzstäbchen, die einen Wohlgeruch verströmten. Nachdem ich eine Weile im Tempel verweilt hatte, gingen wir wieder zurück zu unserem Schiff. Der Kapitän hatte frisches Wasser und Reis gebunkert, damit wir bei unserer weiteren Reise versorgt sein würden.


    Mit guten Winden segelten wir weiter südwärts über ein Stück offene See, in der sich immer wieder kleine Inseln befanden. Schließlich segelten wir an der Küste einer großen, von dichten Wäldern bewachsenen Insel oder Halbinsel vorbei, die westlich von uns lag. Inzwischen ließ sich das Wetter kaum noch aushalten. Es war warm, drückend und selbst der Wind brachte nur wenig Abkühlung. Lediglich die Nächte waren halbwegs angenehm, wobei wir an Deck schliefen, selbst wenn es regnete. Denn unter Deck konnte man es wirklich nicht mehr aushalten. Doch auch hier war ich stets so gekleidet, wie man es von einem Gelehrten im fernen Luòyáng erwartete. 'Immer die Würde bewahren' sagte ich mir immer wieder in meinem Geist.


    Es ging wieder über See und an einigen kleineren und einer großen Insel vorbei, bis wir auf eine lange Küste trafen. Man erklärte mir, dass sie zu einer riesigen Insel gehörte, die unser Kapitän Sūméntālā nannte. Die Einheimischen nannten sie Svarṇadvīpa, was laut Arpan etwas in der Art wie 'Goldinsel' bedeutete. Wir segelten in das Delta eines Flusses, das von Bäumen, die im Wasser wuchsen, gesäumt war und hinter dem sich tiefgrüner, dichter Regenwald befand. Am Ende des Deltas befand sich eine Stadt, die unser Kapitän Jùgǎng nannte, während die Einheimischen sie Pelémbang nannten. Auch diese Stadt bestand aus Häusern auf Pfählen. Sie bestanden aus Holz und hatten hohe, geschwungene Dächer. Die Männer hier trugen Wickelröcke aus leichtem Stoff, die bei der Hitze wohl gar nicht schlecht waren. An ihren Blicken erkannte ich, dass sie nicht verstanden, warum ich mich mit so viel Stoff bedeckte, dass nur mein Gesicht frei blieb. Meine Hände hatte ich vor meinem Bauch aufeinander gelegt, so dass sie in den Ärmeln verschwanden. Auf dem Markt sah ich wertvollen Goldschmuck, der wohl aus der Gegend kam. Ich überlegte, mir etwas davon zu kaufen. Da ich mit den serischen Münzen wohl bald nichts mehr anfangen konnte, war das eine gute Gelegenheit, den Wert zu erhalten. So gab ich - bis auf eine handvoll Münzen - alles für Goldschmuck aus. Die übrig gebliebenen Münzen wollte ich als Andenken behalten. Neben Tempeln für die indischen Götter fand ich hier auch einen Tempel der Buddhisten. Das teile ich Arpan natürlich mit, damit er dort meditieren und sich austauschen konnte.


    Nach drei Tagen im Hafen, in denen auch unser Kapitän Handel getrieben hatte, segelten wir wieder den Fluss hinab, wobei wir zuvor noch einmal frisches Wasser gebunkert hatten. Nach der Mündung ging es nordwestwärts, immer der Küste von Sūméntālā entlang, mit raumem Wind aus Nordost. Dabei wurden stets Wachen aufgestellt, da es hier wohl häufiger Piraten gab. Da ich wenig Lust hatte, als Geisel von Piraten zu enden, beteiligte ich mich an den Wachen. Meine Freizeit hingegen verbrachte ich mit Schwertübungen und damit, Kopien der mitgebrachten Bücher und Aufzeichnungen anzufertigen.


    Schließlich erreichten wir nach einigen Tagen das Ende der Insel und segelten aufs offene Meer. Wir behielten unseren Kurs bei und passierten noch eine Insel, die westlich von uns lag, um nach dieser den Kurs in Richtung Westen zu ändern. Nun gab es für die nächsten zwei Wochen nur noch offene See. Hin und wieder gelang es der Mannschaft, ein paar Fische zu fangen, doch ansonsten gab es vor allem Reis zu essen. Wir machten zwar gute Fahrt, doch war es nun ziemlich eintönig. Zweimal begegneten wir anderen Schiffen, doch war das eine schneller, als unseres, und das andere war langsamer. Ich nutze die Zeit für Schwertübungen und um weiterhin Bücher zu kopieren.


    Wir erreichten schließlich eine große Insel, deren Küsten ich nicht auf voller Länge sehen konnte. An der Küste erstreckte sich eine weite, weitestgehend bewaldete Ebene. Im Inneren der Insel konnte ich bewaldete Berge erkennen. Als wir uns dem Land näherten, wurde das Klima ähnlich unerträglich, wie es auf Sūméntālā war. Unser Kapitän nannte diese Insel Lánkă. Wir folgten der Südküste dieser Insel, bis wir eine Stadt erreichten. Der Kapitän sagte, dies wäre Gimhathitha, während die Einheimischen den Ort Gaalla nannten. Die Stadt lag an der Mündung eines Flusses und schien recht wohlhabend zu sein. Unser Kapitän wollte hier eine Woche Landgang gewähren, damit seine Mannschaft bei Laune blieb. So konnte ich den Ort auch gemeinsam mit Arpan erkunden. Die Blicke der Einheimischen waren mir sicher, denn bis hierhin schien nur äußerst selten ein serischer Gelehrter zu kommen. Da ich komplett in Seide gekleidet war, nahm man wohl an, dass ich adlig war. Das serische Schwert in meinem Gürtel trug zu dieser Wahrnehmung sicher bei. Bedachte man den Status, den ich als Beamter in Hàn hatte, war das noch einmal allzu falsch - obwohl es auch nicht richtig war. Als ich von Arpan schließlich erfuhr, dass die Insel auf Sanksrit Tāmraparnī genannt wurde, stellte ich sehr schnell die Verbindung zu etwas her, das ich am Museion gehört hatte. Damals hatte ich gelernt, dass es an der Südspitze von Indien eine Insel namens Taprobana gab. Das klang doch ziemlich ähnlich. In weiteren Gesprächen fand Arpan heraus, dass Indien in der Tat nicht allzu weit weg und nordwestlich von hier lag.


    Da es sich bei der hiesigen Bevölkerung, in der Wickelröcke von Männern und eine Art Stola, die Sari genannt wurde, von Frauen getragen wurde, um Buddhisten handelte, quartierte sich Arpan in einem buddhistischen Kloster ein. Vormittags nahm er sich jeweils Zeit für mich, damit ich mich verständigen konnte. Allerdings fand ich schnell Händler aus anderen Ländern, unter anderem aus Parthien und auch Griechen. Mit den Griechen traf ich mich abends im Hafen, um gemeinsam zu essen und seit langem mal wieder Kioné zu sprechen. Die Händler kamen aus den Häfen von Myos Hormos und Berenike. Sie wunderten sich, dass ich Koiné sprach, auch wenn es mangels Übung ein wenig eingerostet war, und fragten mich natürlich, woher ich käme. Als ich erwähnte, dass ich Römer sei, wollten sie mir erst nicht glauben, bis ich ihnen von meiner Reise erzählte. Von den wertvollen Waren in meinem Gepäck erzählte ich ihnen sicherheitshalber nichts, wobei ihnen meine Seidenkleidung ganz sicher nicht entfallen war. Schließlich luden sie mich ein, mit ihnen zu fahren, doch lehnte ich ab. Ich hatte meine Passage bis zum Ende der Fahrt des Kapitäns bezahlt und wollte sie auch nicht vorher abbrechen. Außerdem schien mir nach meinen Erfahrungen auf der Überfahrt das serische Schiff sicherer als die griechischen Bauarten. Dabei konnte ich mich aber auch irren. So trennten wir uns schließlich mit guten Wünschen für die Weiterfahrt, als die Griechen die Rückfahrt antraten.


    Auf dem Markt fand ich Kurkuma, Ingwer, Zimt und Kokosnüsse zu fast schon unverschämt günstigen Preisen. So gab ich fast den Goldschmuck, den ich mir in Jùgǎng gekauft hatte, wieder ab, um mir die getrockneten Gewürze und vollständige Kokosnüsse zu kaufen. Die Gewürze erhielt ich in Amphoren und die Kokosnüsse stapelte ich in einer leeren Kajüte, die ich dafür vom Kapitän mietete. Außerdem aß ich noch einmal gut, bevor wir schließlich zur Weiterfahrt ablegten. Als Arpan zu diesem Anlass in einen einfachen, ungefärbten Wickelrock gekleidet zu uns stieß, wunderte ich mich kurz. Dann erklärte er mir, dass er sich so darauf vorbereiten wollte, Mönch in einem buddhistischen Kloster zu werden. Ich entschied, seine Entscheidung nicht in Frage zu stellen. Wenn wir das indische Festland erreichen würden, wollte er diesen Plan in die Tat umsetzen.


    Am nächsten Morgen wurden beim ersten Sonnenlicht die Leinen gelöst und wir stachen wieder in See.



    Sim-Off:

    Fúnán war ein Gebiet vom Mekong-Delta bis ins südliche Thailand, welches von dem Volk bewohnt wurde, das einmal die Khmer werden würde, Sūméntālā ist die Insel Sumatra, bei Lánkă handelt es sich um Sri Lanka

    Nach wenigen Tagen über die offene See erreichten wir die Kommandantur Rìnán in der Provinz Jiāo. Es war die südlichste Provinz des Reiches Hàn und innerhalb dieser Provinz war Rìnán die südlichste Kommandantur. Die hiesige Bevölkerung nannte sich Luòyuè und sie waren nicht mit den Serern des Nordens verwandt. Ihre Sprache war anders, ebenso wie ihre Kultur. Andererseits hatten sie sehr schnell und dankbar den Reisanbau und die landwirtschaftlichen Methoden der Serer übernommen.


    Interessant war, dass ich hier seit langem wieder römische Münzen auf den Märkten erblickte, wenngleich ich hier keine römischen Händler sah. Es waren wohl eher Inder und Parther, die hier Handel trieben. Ich erblickte hier auch Waren wie Glas, die eindeutig aus dem Imperium Romanum stammten. Die Preise, zu denen sie gehandelt wurden, hätte jeder in Rom als unverschämt abgetan. Doch waren diese Waren hier sehr selten. Häufiger fand ich hier Gewürze, die auch in Rom gute Preise erzielten, zu teilweise überraschend niedrigen Preisen. Mir wurde aber geraten, bis Indien zu warten, wo die Preise noch niedriger sein würden.


    Da wir ein paar Tage hier verbringen wollten, konnte ich mich im Hafen und seiner Umgebung umsehen. Natürlich war mein Rang ein Türöffner und ich konnte so gut mit jedem Händler und jedem Offiziellen ins Gespräch kommen. Ein Beamter meines Ranges wurde hier wohl sehr selten gesehen. Dabei entdeckte ich eine Art von Holz, die auf Serisch Yòumù genannt wurde. Es hatte eine sehr schöne Färbung und war wohl sehr beständig. Zugleich war es elastisch und schien keine Risse zu bilden. Ich ließ mir aus dem Holz drei Spazierstöcke fertigen, die aber in ihrer Größe und Balancierung den serischen Schwertern ähnlich war. Die Spitze ließ ich mit Bronze beschlagen, ebenso wie das Ende des Griffs.


    Auf Grund des sehr schwülen Wetters war ich insgesamt aber nur wenig unternehmungslustig. Dennoch kleidete ich mich weiter angemessen als Gelehrter, obwohl man mir riet, die Unterkleidung wegzulassen. Das kam für mich aber nicht in Frage. Ein Gelehrter bewahrte unter allen Umständen die Würde.


    Da mir das Wetter hier überhaupt nicht zusagte, freute ich mich, als wir wieder ablegten - auch wenn die Freude dadurch getrübt wurde, dass es erst einmal immer weiter nach Süden ging und es mit zunehmender Nähe zum Äquator immer wärmer wurde. Zugleich brachte mich jeder Tag aber auch näher an Rom, was meine Stimmung positiv erhielt.



    Sim-Off:

    Bei Yòumù handelt es sich um Teakholz. Rìnán liegt in der Mitte des heutigen Vietnam.

    Schon kurz, nachdem wir nach Süden gedreht hatten, kamen Inseln in Sicht. Und auch, während wir der Küste folgten, zuerst nach Süden, dann nach Südwesten und schließlich fast westwärts, waren der Küste immer wieder Inseln vorgelagert. Oft waren die Inseln felsig und es war klar, dass es sich nicht um Schwemmland handelte. In den ersten Tagen passierten wir eine Insel, die südöstlich von uns lag und sehr groß zu sein schien und hohe Berge aufwies. Dort legten wir aber nicht an, denn die Insel gehörte nicht zum Reich Hàn und war wohl von feindlich gesinnten Eingeborenen bewohnt. Das Ziel, an dem wir nach einer Woche ankommen wollten, war die Hafenstadt Xúwén. Je näher wir diesem Ziel kamen, umso drückender wurde das Klima. Das Wetter war eine nur schwer zu ertragende Kombination aus Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit.


    Als wir schließlich vor der Léizhōu-Halbinsel ankamen, auf der auch Xúwén lag, verhinderten die Winde ein gutes Anlaufen von Xúwén oder den Häfen auf der Halbinsel. Deshalb entschied der Kapitän, stattdessen die südlich von uns liegende große Insel des Zhūyá-Staats anzulaufen. So ungünstig die Winde dafür waren, Xúwén oder die anderen Häfen auf dem Festland anzulaufen, so günstig waren sie, um den Hafen von Hǎikǒu an der Nordküste von Zhūyá anzulaufen. Es lagen hier nur wenige Meilen See zwischen dem Festland und der Insel. Die Insel war in ihrem Zentrum von einer bewaldeten Bergkette bedeckt, doch an der Küste gab es Ebenen, die ein paar Meilen tief ins Land ragten und Felder, exotischen Obstbäume und teilweise dichte, grüne Wälder aufwiesen. Ich lernte, dass Zhūyá nicht wirklich Teil des Hàn-Reichs war, nachdem man vor zwei oder drei Generationen die Militärpräsenz aufgegeben hatte, weil sie im Unterhalt zu teuer war. Das tropische Klima und die Insellage hatten daran entscheidenden Anteil. Dennoch war man weiterhin in engem Kontakt, was verständlich war, wo man doch so eng benachbart war.


    Der Empfang im Hafen war freudig, weil man uns Nahrung und Trinkwasser zu verkaufen hoffte. Das war eine durchaus korrekte Annahme. Da sich das Wetter verschlechterte, hoffte man wohl auch, uns zu beherbergen - zumindest die Passgiere. Auch das war nicht ganz falsch. Als man mich erblickte, wusste man, dass ich ein Gelehrter war. Man begrüßte mich höflich und bat mich, dem Magistrat der Stadt meine Aufwartung zu machen. Ich verwies auf meinen Rang und verlangte, in den Abendstunden eine Audienz zu erhalten. Dem wurde stattgegeben.


    Am Abend hatte ich mich in die rote Hoftracht, die meinem Rang entsprach, gekleidet. Anders, als bei den Audienzen auf dem Festland, trug ich nun auch mein Schwert, wenngleich die prachtvolle Klinge nicht sichtbar war. Wozu sollte ich sie auch ziehen? Der örtliche Magistrat schien sehr beeindruckt zu sein. Ich wahrte die Form und begegnete ihm, als sei er einen Rang höher als ich. Immerhin war er mein Gastgeber. Zugleich wahrte ich aber meine Würde und zeigte allein durch meine Körperhaltung bei unserem Gespräch, dass ich mir meines Ranges durchaus bewusste war. Die Balance zwischen Arroganz und Höflichkeit schien ich gut gehalten zu haben, denn der Magistrat bot mir an, mich in seinem privaten Haus unterzubringen. Man erwartete wohl einen schweren Sturm, den man hier Tái Fung nannte. Das schien ein örtlicher Dialekt des Serischen zu sein. Nach meinem Besuch sprach ich deshalb mit dem Kapitän, der veranlasste, das Schiff sturmsicher im Hafen festzumachen und hier abwettern wollte. Ich beschloss, nicht an Bord zu bleiben, sondern das Angebot des Magistrats anzunehmen. Arpan hingegen wollte an Bord bleiben.


    Am nächsten Tag kündigte sich der Sturm an, indem der Wind zunehmend auf Ost drehte und immer stärker wurde. Es regnete auch immer stärker, während die Kombination aus Temperatur und Luftfeuchte nahezu unerträglich wurde. Schließlich erreichte uns der Sturm am nächsten Tag. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Der Wind pfiff um die Häuser und man konnte das Meer vor lauter Regen kaum sehen. Aber der Regen kam nicht einmal ansatzweise senkrecht herunter, sondern schien waagerecht zu kommen. Wenn man einen Blick auf das Meer erhaschen konnte, war es außerhalb des Hafens komplett weiß, ohne jede Spur von Blau. Für einen Moment glaubte ich, die Masten eines Schiffs zu erkennen, das den Hafen zu erreichen suchte, doch im nächsten Moment waren sie verschwunden. War es nur eine Einbildung von mir gewesen? Gerne hätte ich jemanden gefragt, doch war das Tosen des Windes so laut, dass ich mein eigenes Wort nicht mehr verstand. Völlig durchnässt zog ich mich vom oberen Stockwerk in das nach außen mit Brettern verriegelte untere Stockwerk mit meinem Gästequartier zurück. Doch auch hier war das Tosen des Windes immer noch so laut, dass eine Unterhaltung unmöglich war. Vereinzelt krachte es laut und ich hatte das Gefühl, dass Geschosse in dieses oder ein nahes Gebäude eingeschlagen waren. Dann wurde es plötzlich ruhig und der Sturm war anscheinend vorüber. Mein Gastgeber hielt mich aber davon ab, nach draußen zu gehen. Man erzählte mir etwas von einer Zone im Zentrum des Sturms, in der es weder Wind noch Wolken gab. Die Sonnenstrahlen, die zwischen den Brettern hindurchschienen, bestätigten das. Doch nach nicht einmal einer Stunde brach der Sturm mit ungeminderten Wucht erneut los, nur diesmal aus der entgegengesetzten Richtung.


    Über die Nacht wurde der Sturm schwächer und am Morgen des nächsten Tages war er weitergezogen und ließ es hinter sich nur noch stark regnen. Doch hatte ich in dieser Nacht keinen Schlaf gefunden. Ich wagte mich dennoch nach draußen. Auf dem Weg zum Hafen sah ich Bretter, die sich losgerissen hatten und in Bäumen und Häusern steckten, als hätte sie eine Ballista dort hinein geschossen. Im Hafen waren die meisten Schiffe unbeschädigt. Das Schiff, auf dem ich reiste, zum Glück auch. Dort erfuhr ich aber auch, dass Bretter, Strandgut und Leichen an den Strand gespült worden waren. Meine Beobachtung am Vortag war also doch keine Einbildung. Ich hatte die letzten Momente eines Schiffes und seiner Besatzung gesehen. Da es keine Angehörigen gab und sich niemand für die tote Besatzung zuständig fühlte, kümmerte ich mich um eine ordnungsgemäße Bestattung und hielt die in Hàn üblichen Riten ab. Das geboten die Sitte und mein Rang. Es schien auch sehr gut bei den Einheimischen anzukommen. Wenn ich damit zum Ansehen des Reichs Hàn beigetragen hatte, war ich meiner Aufgabe als Gesandter damit auch hier gut nachgekommen.


    Nachdem die Regenfälle nachgelassen hatten, segelten wir weiter. Arpan berichtete mir, wie bedenklich das Schiff während des Sturms selbst im Hafen geschwankt hatte. Nach seiner Erzählung war ich froh, an Land genächtigt zu haben. Während der Weiterfahrt ging mir das Erlebte nicht aus dem Kopf. Das ohrenbetäubende Tosen des Sturms, die weiße See, das gesunkene Schiff und Bretter, die zu Geschossen geworden waren. Ich betete zu den Göttern, dass sie mich von einer solchen Prüfung auf See verschonen würden.



    Sim-Off:

    Der Zhūyá-Staat bezeichnet das Gebiet der Insel Hǎinán.

    Nachdem alles im Reich Hàn erledigt war und die Winde günstig standen, ging ich zusammen mit Arpan im Hafen von Wúxī an Bord eines Schiffes, das mich nach Indien bringen sollte. Das Schiff war von einer anderen Bauweise als die Schiffe meiner Heimat. Der Rumpf schien von oben gesehen eine viereckige Grundform zu haben. Der Boden war flach und schien keinen Kiel zu haben. Dafür waren aber die Kabinen und Frachträume im Rumpf so gebaut, dass sie nur nach oben verlassen werden konnten und die Wände zugleich wasserdicht waren. Das schien mir vorteilhaft, wenn irgendwo ein Leck auftreten würde. Ein Raum mochte volllaufen, das ganze Schiff aber nicht. Die Masten hatten nur Stütztaue nach hinten, wodurch die Segel, die mit vielen Stangen durchzogen waren, so wie Fischflossen mit Gräten, sehr beweglich waren. Die flache Rumpfform schien durch senkrecht ins Wasser einzubringende Seitenruder stabilisiert zu werden. Dennoch hatte ich gewisse Bedenken. Doch es war zu spät, die Passage war gebucht und bezahlt.


    Meine Kajüte war recht großzügig eingerichtet. Sie enthielt ein bequemes Bett, eine Kiste für meine persönlichen Sachen und ein Regal mit Geschirr aus Keramik. Arpan hatte eine genauso komfortable Kajüte erhalten, obwohl es ihn nicht interessierte. Er lehnte Luxus inzwischen ab, wenn er dazu die Möglichkeit hatte. Ich hingegen hatte mich fast schon daran gewöhnt, als hoher Beamter stets luxuriös unterzukommen. Das würde ich mir wieder abgewöhnen müssen. Meine Fracht, wenngleich hochpreisig und deshalb mit vergleichsweise wenig Platzbedarf, nahm dennoch zwei komplette Frachträume ein. Dass ich kurz vor der Abfahrt noch einige Sätze 'einfacher' Seidenkleidung in verschiedenen Größen gekauft hatte, half da auch nicht. Ich hatte diese Kleidung ausgewählt, um Sklaven angemessen zu kleiden, wenn ich dem Kaiser von Rom die Geschenke des Kaisers von Hàn überreichen würde - wenn ich denn eine Audienz erhalten würde.


    Als das Schiff ablegte, erblickte ich Kommandant Jiāo Lóng, der mit ein paar Offizieren am Kai stand, um mich zu verabschieden. Als er mich auch erblickte, verneigte er sich und seine Offiziere taten es ihm gleich. Ich erwiderte die Verneigung. Als wir alle wieder aufrecht standen, rief ich ihm zu "Ehrenwerter Jiāo Zhǐhuīguān, ich danke Euch für die große Ehre, dass Ihr mich verabschiedet. Ich wünsche Euch Frieden, Wohlstand und viele Söhne!"


    "Ehrenwerter Cóngsān Pǐn Shǐ Yúnzǐ," rief der Kommandant zurück, "ich danke Euch für die Ehre Eures Besuchs und Eure guten Wünsche. Ich wünsche Euch viel Erfolg auf Eurer Mission und hoffe auf ein Wiedersehen. Möget Ihr ebenfalls Frieden, Wohlstand und viele Söhne erhalten."


    Der Titel, mit dem er mich ansprach, zeigte mir, dass ich mich nun auf meiner Mission als Gesandter befand. Denn zum einen wurde ich als Gesandter angesprochen, und zum anderen als Beamter dritten Ranges. Ich hatte meine Befehle und ich würde sie erfüllen. Mochte es kosten, was es wollte.


    Ich freute mich, Rom wiederzusehen. Und doch fiel es mir schwer, von Serica Abschied zu nehmen. Ich glaubte, mich recht gut im Griff zu haben, doch sprach mich Arpan auf Latein an, während das Schiff den Fluss hinunter glitt und die Personen am Kai langsam kleiner wurden. "Du wirst einige Menschen hier vermissen und doch vermisst du andere, wenn du hier bleiben würdest. Vielleicht hilft es dir, dass nichts für immer währt. Erfreue dich an der Freundschaft und der gemeinsamen Zeit, die ihr hattet, aber versuche sie nicht festzuhalten. Festhalten bedeutet Begehren. Begehren führt zu Leiden."


    Ich sah ihn einen Moment lang an. Die Buddhisten hatten ihm viel beigebracht und so, wie er sprach, hatte er viel inneren Frieden daraus gewonnen. "Sieht man es mir so leicht an?" fragte ich schließlich.


    "Ich sehe es dir an. Aber ich kenne dich auch gut. Vor anderen verbirgst du dein Leiden aber gut."


    Ich lächelt leicht und nickte ihm zu. Dann ging ich zum Achterdeck, wo mir der Kapitän wortlos einen Platz zuwies. Er war noch damit beschäftigt, sein Schiff durch ein Wirrwarr aus Schiffen und Booten zu steuern, die auf einem für so viel Verkehr viel zu kleinen Fluss unterwegs waren. So stand ich wortlos neben ihm, bis wir den Hauptarm des Cháng Jiāng erreichten. Hier war nun viel Platz. Ich sah nach Steuerbord, wo mit hohem Schilf bewachsenes Schwemmland einen recht guten Platz für einen Hafen zu bieten schien. Es gab dort ein kleines Fischerdorf, das aus nur einer Hand voll Hütten bestand.


    "Dieser Ort, das Landstück mit den Fischerhütten, scheint mir ein guter Platz für einen Hafen zu sein, meint Ihr nicht, Chuánzhǎng?" teilte ich meine Beobachtung in Form einer Frage mit.


    Der Kapitän schüttelte den Kopf. "Das da? Nein, Cóngsān Pǐn Shǐ, ganz sicher nicht. Das wird noch in Jahrtausenden ein Fischerdorf sein. Wir haben Wúxī, wozu sollten wir dann noch einen Hafen kurz dahinter bauen? Außerdem ist das Land noch ganz neu und wir wissen nicht, ob es die Götter des Meeres zurückfordern werden."


    Die Antwort überzeugte mich nicht ganz, aber ich wollte auch kein Streitgespräch beginnen. "Hat der Ort einen Namen?"


    Der Kapitän grinste, als er antwortete. "Ja, aber den könnt Ihr gleich wieder vergessen, Cóngsān Pǐn Shǐ. Es sei denn, Ihr wollt alle zigtausend unbedeutende Fischerdörfer auswendig lernen. Der Ort heißt Shànghǎi."


    "Danke, Chuánzhǎng." Ich ließ mir den Namen noch ein paar mal durch den Kopf gehen, während wir die Flussmündung hinter uns ließen und das Schiff südwärts in einen vorteilhaften Wind drehten. Shànghǎi... das war doch eigentlich gar kein schlechter Name für eine bedeutende Hafenstadt, konnte man den Namen doch als 'zur See' übersetzen. Doch natürlich hatte der Kapitän recht, es war nur ein Fischerdorf und das Land war noch neu. Ich würde mir den Namen wohl nicht merken.



    Sim-Off:

    Cháng Jiāng ist der Jangtsekiang, Chuánzhǎng bedeutet Kapitän

    In den nächsten zweieinhalb Monaten war ich viel in der Gegend unterwegs. Es ging direkt an den Cháng Jiāng, der in seiner Größe am ehesten mit dem Nil vergleichbar war. Obwohl mir der Nil sogar etwas kleiner in Erinnerung war. Ich nahm viele kleinere Aufgaben wahr, die ich mir zum Teil selber stellte. In der einen Gemeinde prüfte ich die Steueraufzeichnungen, in einer anderen zählte ich noch einmal nach, ob die Daten der letzten Volkszählung noch aktuell waren. Dazu hatte ich mir eigens die Aufzeichnungen kommen lassen. Doch in den meisten Fällen fragte man mich nach meinem Rat, den ich auch gerne erteilte.


    Die meiste Zeit verbrachte ich aber damit, abends mit niederen Beamten über Philosophie zu diskutieren. Dadurch konnten sie sich weiterbilden und vielleicht später aufsteigen. Ich bereitete auch Schüler auf die Aufnahmeprüfungen an der Tàixué vor, indem ich ihnen philosophische Fragen beantwortete. Dabei achtete ich darauf, zu betonen, dass meine Meinung von den Meinungen der Dozenten an der Tàixué abweichen konnte.


    Außerdem erreichte mich nach sechs Wochen ein Brief von Jì Mǐn, in dem er mir berichtete, dass sein Vater der von mir arrangierten Verbindung von Jì Mǐn und Tán Yù zugestimmt hatte. Die beiden wollten die nötigen Riten in drei Wochen durchführen und ich war herzlich eingeladen. Zu meinem Bedauern musste ich das ablehnen, schrieb den beiden aber einen Brief, in dem ich ihnen alles Glück der Erde und viele kluge Kinder wünschte.


    Wann immer ich abends in der Festung weilte, übte ich mich mit den Offizieren im Schwertkampf. Wú Liàng war nach zwei Wochen zusammen mit seinem Truppenkontingent abgereist, doch standen auch Jiāo Lóng und sein Stab meinem Anliegen positiv gegenüber und nahmen mich in ihre Übungen auf. Die Handhabung des Schwerts an sich musste nur selten korrigiert werden. Häufiger, wenn auch immer noch nicht oft, wurde meine Beinarbeit kritisiert. Um das zu verbessern, brachte man mir ein paar Übungen bei. Außerdem lernte ich noch Übungen, die mir helfen sollten, die für den Schwertkampf wichtigen Muskeln besser zu trainieren.


    Gegen Ende der zweieinhalb Monate merkte ich bereits, dass es tendenziell trockener wurde und die Temperaturen niedriger wurden. Außerdem gab es häufiger Winde vom Land auf das Meer, teils auch aus nördlichen Richtungen. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern, bis die Winde für die Abfahrt günstig standen. Die nächste Hafenstadt an diesem Ufer des Cháng Jiāng war Hǎilíng. Hier fragte ich, ob ein Schiff nach Indien oder zumindest weit genug in die Richtung fahren würde. Leider wurde ich nicht fündig. Deshalb machte ich mich auf den Weg an das andere Ufer des Cháng Jiāng, in die Stadt Wúxī, der Hauptstadt des ehemaligen Reiches Wú. Die Stadt lag an einem letzten Zufluss oder Seitenarm des Cháng Jiāng, besaß aber einen großen Hafen. Vor allem wurde hier Seide allerhöchster Qualität gefertigt. Das nutzte ich, um ein paar Gewänder für meine Verwandten zu Hause anfertigen zu lassen. Außerdem ließ ich noch Vorhänge aus Seide fertigen. Das eigentliche Ziel meiner Reise konnte ich auch erfüllen. Ich fand ein Schiff, das bis vor die Küste Indiens segeln wollte, um mit Gewürzen zu handeln. So buchte ich eine Passage für zwei Personen und eine überschaubare Menge Fracht, die aber sehr wertvoll war. Der Kapitän teile mir mit, dass ich mich in drei Wochen wieder bei ihm einfinden sollte. Ab dann sollten die Winde günstig sein. Wann genau wir abfahren würden, konnte er nicht sagen. Das hing vom Wetter ab. Er versprach aber, auf jeden Fall bis zur vierten Woche auf mich zu warten.


    Zufrieden reiste ich wieder ab, um in der Festung Guǎnglíng meine Sachen für die Reise vorzubereiten.



    Sim-Off:

    Hǎilíng ist heute ein Distrikt der Stadt Tàizhōu, Wúxī liegt neben Sūzhōu an der Mündung des Jangtsekiang.

    Der Kanal von Huái'ān nach Guǎnglíng führte wieder durch flaches Land. Er war sehr intelligent angelegt und nutzte die vorhandenen Gewässer. Vor allem die zahlreichen Seen speisten ihn mit Wasser und sorgten dafür, dass nur die Zonen in Ufernähe als Kanal ausgegraben werden mussten. Während unsere Boote ruhig über das Wasser glitten, fertigte ich Skizzen von schilfbewachsenen Ufern und Wasservögeln an. Später würde ich sie vielleicht zu Tuschemalereien verarbeiten oder in wissenschaftlicher Präzision meinen Reiseaufzeichnungen hinzufügen. Vielleicht auch beides.


    Während das Wetter zunehmend drückend heiß wurde, lediglich unterbrochen durch Regenschauer, kam auch der Wind fast nur noch aus südlichen Richtungen. Es war Sommer, den ich wahrscheinlich besser im Norden verbracht hätte. Eine Erleichterung in der Kleiderordnung gestattete ich mir nicht. Ich trug weiterhin die weiße, seidene Unterkleidung und das dunkelblaue, fast schwarze seidene Obergewand, sowie die seidene Kopfbedeckung. Bei unseren abendlichen Rasten übte ich auch weiterhin mit Wú Liàng den Schwertkampf. Je besser ich würde, desto einfacher könnte ich selbstständig weiterüben.


    Nach knapp einer Woche erreichten wir eine große Festung unmittelbar am von uns bereisten Hán-Kanal. Wasser aus dem Kanal speiste den Graben, der die große Festung umschloss. Ich ließ die Boote den Anleger nahe der Festung ansteuern. Als wir festmachten, traten sofort Soldaten auf uns zu, die nach unseren Papieren fragten. Ich trat selbstbewusst auf sie zu und verlas den Befehl des Prinzen Jiénzǐ. Dann verwies ich auf die Boote. Die Soldaten gaben den Befehl weiter und die Ladung wurde gelöscht, was ich persönlich beaufsichtigte. Es sollte ja nicht auf den letzten chǐ noch etwas verloren gehen. Der Zählung wohnte ich allerdings nicht mehr bei, sondern befahl, mich zum Kommandanten der Festung zu bringen. Kurz darauf begann es zu regnen.


    Ich wurde zu einem zentralen Gebäude im Innenhof der Festung geführt, welches von einer eigenen Mauer umgeben war und den Rest der Festung deutlich überragte. Dort ging es dann in einer zentralen Halle Treppen hinauf, allerdings nur bis auf die Höhe der Mauerkrone. Dann ging es nach einem Seitenraum weitere zwei Stockwerke nach oben. Dort betrat ich einen großzügigen Raum, an dessen großem Tisch sich ein Mann in Seidenroben erhob, ein paar Schritte auf mich zuging und sich verneigte. "Ehrenwerter Yúnzǐ, ich begrüße Euch in meiner Festung. Mein Name ist Jiāo Lóng, ich bin Offizier des höheren vierten Grades und der Kommandant dieser Festung."


    Ich erwiderte die Verneigung. "Ehrenwerter Jiāo Zhǐhuīguān, ich danke für Eure Begrüßung." Dann ging ich ein paar Schritte auf den Balkon zu, der eine großartige Aussicht über den Kanal und seine Mündung in einen großen Fluss bot. Der Regen hatte inzwischen fast aufgehört. Einen so großen Fluss hatte ich noch nie gesehen. "Das ist er also, der Cháng Jiāng," sagte ich leise vor mich hin.


    "Beeindruckend, nicht wahr?" sagte der Kommandant, "Manchmal nehme ich dieses Wunder als alltäglich hin, aber dann wird mir doch immer wieder klar, was für ein Privileg es ist, diesen Fluss aus dieser Perspektive sehen zu dürfen. Bitte, genießt die Aussicht, so lange es Euch beliebt, ehrenwerter Yúnzǐ."


    Einige Atemzüge lang nahm ich das Angebot an und sah mir die Landschaft an. Doch dann hatte mein Pflichtbewusstsein wieder Vorrang. Ich drehte mich zum Kommandanten. "Sobald die Waffen zweimal gezählt wurden, ist mein Befehl erfüllt. Ich erwarte, dass meine Soldaten so lange versorgt und gut untergebracht werden. Danach werden sie wieder zu ihrem Standort zurückkehren."


    "Natürlich, ehrenwerter Yúnzǐ. Selbstverständlich werdet Ihr Eurem Stand gemäß untergebracht. Werdet Ihr die Soldaten zurück begleiten?"


    "Das würde gegen den Befehl des Himmelssohns verstoßen, anschließend in meine alte Heimat zu reisen, um dem Kaiser von Dàqín Geschenke und eine Grußbotschaft des Himmelssohns zu überbringen." So hatte ich ein 'Nein' vermieden und zugleich auf meinen anderen Befehl hingewiesen.


    Damit hatte der Kommandant wohl nicht gerechnet. "Ähhmmm... und wie kommt Ihr nach Dàqín?"


    "Mit dem Schiff über das Meer. Zuerst nach Tiānzhú, dann weiter nach Dàqín."


    "Dann werdet Ihr noch eine Weile hier bleiben." Es klang wie die Feststellung einer Fakts, so wie man auch gesagt hätte, dass es gerade geregnet hatte. Der Kommandant musste erkannt haben, dass ich hierzu eine Frage hatte, und sprach weiter. "Die Winde sind ungünstig und ermöglichen erst ab dem Spätsommer oder frühen Herbst wieder zuverlässig nach Süden zu segeln. Bis dahin werdet Ihr Euch gedulden müssen."


    Das enttäuschte mich, doch ließ ich mir nichts anmerken. "Verstehe. Dann werde ich wohl länger in der Festung wohnen. Allerdings werde ich Euren Pflichten als Kommandant nicht im Weg stehen." Mir war es wichtig, das zu sagen, stand ich doch im Rang über ihm. Die Frage, die ich mir nun stellte, war, was ich in den nächsten zwei bis drei Monaten nun hier anstellen sollte. Dem Kaiser musste dieses Problem bewusst gewesen sein. Entweder wollte er mich testen, oder er wollte, dass ich noch etwas von seinem Reich sah. Sicherlich war ich hier in der Gegend, die am fruchtbarsten war. "Könnt Ihr mir ein Pferd zur Verfügung stellen?"


    Kommandant Jiāo verneigte sich. "Selbstverständlich. Wohin wollt Ihr reiten?"


    Die Verneigung erwiderte ich. "Danke sehr. Heute reite ich nirgendwo hin, doch sobald die Waffen gezählt und bestätigt sind, werde ich die Gegend am Fluss inspizieren. Wenn ich schon einmal hier bin, kann ich ja auch die Beamten vor Ort beraten und dem Sohn des Himmels Bericht erstatten. Der erste Eindruck ist durchaus gut, aber vielleicht ist mein Rat an der einen oder anderen Stelle hilfreich. Außerdem möchte ich mir noch ein Schwert anfertigen lassen. Mein jetziges ist für Zeremonien perfekt, aber zu wertvoll für den einfachen Kampf gegen Räuber oder anderes Gesindel."


    Bei dem Wort 'inspizieren' schien der Kommandant ganz leicht zu zucken. Als ich meinen positiven ersten Eindruck erwähnte, wurden seine Gesichtszüge aber sofort entspannter. "Ein Schwert werdet Ihr in Hǎilíng bekommen. Die Stadt ist ein wenig südöstlich von Hier am Fluss. Dort werdet Ihr später auch ein Schiff finden, mit dem Ihr in Richtung Tiānzhú reisen könnt."


    "Ich danke Euch. Wenn Ihr mich entschuldigt, ich wünsche die kaiserlichen Geschenke und mein eigenes Gepäck zu inspizieren."


    Der Kommandant verneigte sich und ließ mich den Raum verlassen. Draußen nahm mich sein Adjutant in Empfang und zeigte mir den Aufbewahrungsort der kaiserlichen Geschenke und meines persönlichen Gepäcks. Anschließend zeigt er mir die Festung. Sie dominierte die ganze Gegend und man konnte wohl bei klarem Wetter fast bis zur Flussmündung blicken.



    Sim-Off:

    Ein chǐ ist die chinesische Entsprechung des pes, d.h. in etwa ein Fuß, Zhǐhuīguān bedeutet 'Kommandant', Tiānzhú bedeutet 'Indien'.

    Nach wenigen Tagen auf dem Kanal waren im Süden bewaldete Hügel sichtbar. Es war anscheinend nur eine kleine Hügelkette, aber sie lockerte die doch inzwischen eintönig wirkende Ebene mit ihren endlosen Feldern auf. Das Wetter war während unserer Reise in der Ebene immer wärmer und feuchter geworden, doch inzwischen regnete es auch häufiger. Das führte auch dazu, dass wir lieber in Gasthäusern übernachteten und lediglich Wachen für die Boote zurückließen. Der Regen war zwar nicht unangenehm, aber man musste ja nicht unbedingt im Regen schlafen. Die seidene Kleidung war so mal vom Schweiß und mal vom Regen nass. Nasse Seide war aber erträglicher, als nasse Wolle. Deshalb machte mir das nur wenig aus. Vielmehr fragte ich mich, ob ich nicht auch in Rom seidene Unterkleidung tragen wollte. Nichtsdestotrotz übte ich nun jeden Abend mit Wú Liàng den Schwertkampf. Allzu lange würde ich keinen so fähigen Übungspartner mehr haben, der meine Fehler zu korrigieren verstand. Dass wir uns dabei zunehmend besser verstanden, war ein positiver Nebeneffekt.


    Am nächsten Tag erreichten wir die Stadt Péngchéng. Sie war die Hauptstadt des Königreichs Chǔ, was aber letztlich nur eine Verwaltungseinheit war. Es gab auch keine Könige mehr, sondern nur noch Prinzen von Chǔ, bei denen es sich um entfernte Verwandte des Kaisers handelte. Ihr Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, die rituellen Pflichten zu erfüllen. Natürlich wurde ich vom Prinz von Chǔ zur Audienz geladen, die ich in voller Hoftracht absolvierte. Die vielen Lagen Stoff, wenngleich aus Seide, waren in dem schwülwarmen Klima nicht mehr so wirklich angenehm zu tragen. Das ließ ich mir aber nicht anmerken. Ich verneigte mich brav in zwölf Schritt Entfernung zu den Stufen zum Thron, sah aber nicht ein, auf die Knie zu fallen. Eine stehende, aber sehr tiefe, Verneigung musste genügen. Es gab nichts von Bedeutung zu besprechen, so dass die Audienz lediglich ein Austausch von Höflichkeiten war. Der Prinz schien mir die Audienz auch nur aus Höflichkeit abgehalten zu haben und machte den Eindruck, ganz froh zu sein, als er diese ohne Gesichtsverlust beenden konnte. Wir hatten auch kein Thema gefunden, das uns beide interessiert hätte.


    Am nächsten Tag fuhren wir weiter den Kanal entlang und erreichten die Stadt Xiàpī. Die Stadt war gut befestigt und von großer strategischer Bedeutung. Sie lag in der Ebene, nahe am Kanal und an wichtigen Flüssen und Straßen. Außerdem dominierte sie die Gegend, die den Norden und den Süden des Reichs voneinander trennte. In der Stadt stellte ich fest, dass man hier auch Seide von hervorragender Qualität kaufen konnte. Ich gab einen guten Teil meines noch vorhandenen Geldes aus, um besticktes Seidentuch zu kaufen. Das würde mir sicher ein gutes Einkommen in Rom bringen. Außerdem gab es hier Keramikgefäße, die innen sehr hell, ja beinahe weiß aussahen, und von außen bunt glasiert waren. Ich kaufte hiervon Schüsseln, Vasen und Becher. Statuen eines Hundes, eines Löwen, eines Drachen und eines Fabelwesens aus Keramik, die durch die Glasur wie Jade aussah, kaufte ich auch. Das wären sicher schöne Dekorationen für die Domus Iunia. Wer hatte so etwas schon?


    Wir verbrachten zwei Tage in Xiàpī, bevor wir weiterfuhren. Wir mussten noch einmal eine Schiffsrutsche nutzen, bevor der Kanal durch weites, sehr flaches Land führte. Schließlich erreichten wir den Huái Hé, einen großen Fluss, der gemächlich durch die Ebene floss. Wir durchquerten ein Tor in einem künstlichen Wall, der den Fluss vom Land trennte, bevor wir auf den Fluss einschwenken konnten. Der Wall zeigte mir, dass der Fluss gefährliches Hochwasser haben konnte.


    Nach nicht einmal einem Tag auf dem Fluss erreichten wir Huái'ān. Das Wetter war hier weniger drückend, als noch in Xiàpī oder Péngchéng. Von Osten her wehte ein schwacher, aber angenehmer Wind. Wenn Wolken über die Stadt zogen, war es besonders angenehm. Die Stadt war von mittlerer Größe und schien vor allem als lokales Verwaltungszentrum zu dienen. Hier war ich nun der ranghöchste Offizielle, weshalb mir sofort ein Gästequartier angeboten wurde, was ich auch dankend annahm. Der ranghöchste Beamte fragte mich auch, ob er mich zum Abendessen einladen dürfe. Ich erwiderte, dass ich seine Gastfreundschaft nicht überstrapazieren wolle, woraufhin er mir versicherte, dass es ihm eine große Ehre sei, einen so hohen Beamten als Gast bewirten zu dürfen. Ich wies das mit meinen Pflichten gegenüber meinen Soldaten zurück, was er mit großzügiger Unterstützung bei der Bewachung der Waren durch die lokale Garnison entkräftete. So gab ich mich schließlich bei der dritten Anfrage, mich einladen zu dürfen, geschlagen und gestattete es ihm. Das Abendessen musste ihn finanziell belastet haben, was ich hoffte, durch das von mir mitgebrachte Gastgeschenk halbwegs kompensiert zu haben. Zumal wir uns sehr gut verstanden und lange über Philosophie diskutierten.


    Am nächsten Tag hatte ich noch etwas Weiteres zu diskutieren. Die Boote waren nur bis hierher gemietet worden. Für das letzte Stück unserer Reise würde ich natürlich auch Boote benötigen. Das schien aber nur wenig Probleme zu machen. Huái'ān war bereits in der Guǎnglíng-Kommandantur. Die gleichnamige Festung war auch nur wenige Tage entfernt, so dass man recht schnell hier ankommende Frachtkähne requirieren konnte. Mir wurde damit auch schlagartig bewusst, dass sich mein Abschied von diesem faszinierenden Reich nun auch in greifbarer Nähe befand. Gerne wäre ich noch länger hier geblieben, aber ich hatte einen kaiserlichen Befehl zu erfüllen. Und wenn ich etwas über die hiesigen Gepflogenheiten gelernt hatte, dann war es, dass ich um jeden Preis versuchen musste, den Befehl zu erfüllen. Das Gebot die Sitte, aber auch die sehr reale Gefahr, bei Nichterfüllung hart bestraft zu werden. So genoss ich die drei Tage, in denen die Kähne organsiert wurden, um noch ein wenig mit den höchsten Beamten vor Ort zu diskutieren und den einen oder anderen Rat zu erteilen, bevor wir unsere Reise fortsetzten.