Als Amytis sich auf Griechisch bedankte, huschte kurz ein Lächeln über mein Gesicht. Ich aß noch den Reis aus meiner Schüssel, während ich die Sklaven beobachtete. Als alle fertig gegessen hatten, gab ich Begoas ein Zeichen, dass er allen Anwesenden je eine Tasse schwarzen Tee geben sollte. "Das ist hóngchá," erklärte ich auf Grund der fragenden Blicke. "Etwas bitter, aber es wirkt belebend. Das wird uns helfen, über den Nachmittag zu kommen." Dass es in Rom unbekannt und deshalb quasi unbezahlbar war, erwähnte ich nicht. Ich hatte ja ein paar Säcke aus Hàn mitgebracht. Das würde eine Weile halten. Nach dem Teetrinken gab ich noch allen die Möglichkeit, sich auf der Latrine zu erleichtern, bevor es dann weiterging.
"Bildet mal einen Halbkreis mit euren Stühlen. Ich will euch etwas erklären." Nachdem alle im Halbkreis saßen, nahm ich in einem Stuhl im Zentrum des Halbkreises Platz, so dass mich alle sehen konnten. "Ich mag euch recht streng erscheinen. Das ist richtig, weil ich mir leider keine Geduld leisten kann. Um geduldig zu sein, muss man Zeit haben. Leider weiß ich nicht, wie viel Zeit wir haben, bis ich die Einladung zur Audienz erhalte. Also muss ich, leider, ungeduldig und sehr streng sein. Deshalb sind wir auch mehr als die zwölf, die ich brauche. Ich werde diejenigen auswählen, bei denen ich am ehesten glaube, dass alles so perfekt wie irgend möglich funktioniert. Echte Perfektion wird ein Mensch nie erreichen, aber wir sollten versuchen, so nah wir möglich heranzukommen." Ich machte eine kurze rhetorische Pause. "Warum mir das wichtig ist, werdet ihr euch sicher fragen. Ich wurde vom Kaiser von Hàn zum Beamten im dritten Rang ernannt. Das ist ein sehr hoher Rang und dieser Rang soll dazu dienen, dass ich als Gesandter von einem Kaiser zu einem anderen Kaiser die nötige Autorität habe. Und es gehört zu meiner Aufgabe, die Geschenke nach serischem Ritus zu übergeben. Natürlich bin ich der einzige hier in Rom, der diese Riten kennt. Wem sollte also auffallen, ob sie korrekt ausgeführt werden oder nicht?" Wieder machte ich eine rhetorische Pause. "Nun, ganz einfach. Mir würde es zum Beispiel auffallen. Ich habe aber einen Befehl auszuführen, und ich werde ihn ohne erkennbaren Makel ausführen. Denn auch der ewige Himmel und die Götter der Welt sehen uns, und sie sehen, ob ich einen Fehler zulasse. Wie könnte ich je wieder nach Hàn zurückkehren, wenn ich mich vor mir selbst schämen müsste? Nein, es ist keine Option, hier nachlässig zu sein. Ein Befehl ist ein Befehl. Die Riten sind die Riten. Nachlässig zu sein, nur weil es niemand bemerkt, das bedeutet, dem Chaos Tür und Tor zu öffnen. Denn es beginnt mit kleinen Nachlässigkeiten, bis man sich daran gewöhnt. Ohne es zu bemerken, nimmt man dann auch größere Nachlässigkeiten hin und immer größere. So wird es dann unmöglich, die Ordnung der Welt zu fördern. Bin ich mir selbst gegenüber nachlässig, dann bin ich auch anderen gegenüber nachlässig. Wenn ich bei der Erledigung einer Aufgabe nicht die nötige Sorgfalt zeige, dann zeige ich sie auch nicht bei anderen Aufgaben. Selbstdisziplin sorgt dafür, dass man sich selbst verbessert. Und wenn man sich selbst verbessert, dann verbessert man irgendwann auch seine Umgebung. Die Orte, die Menschen. Wenn alles und jeder in einen guten Zustand gebracht wird, dann kommt die Welt in Ordnung. Und wenn die Welt in Ordnung ist, dann gibt es keine Kriege mehr und keine Verbrechen. Und alle werden genug zum leben haben und niemand wird mehr unfrei sein. Ich hoffe, dass ihr nun besser versteht, warum wir das alles hier machen."