Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Als Amytis sich auf Griechisch bedankte, huschte kurz ein Lächeln über mein Gesicht. Ich aß noch den Reis aus meiner Schüssel, während ich die Sklaven beobachtete. Als alle fertig gegessen hatten, gab ich Begoas ein Zeichen, dass er allen Anwesenden je eine Tasse schwarzen Tee geben sollte. "Das ist hóngchá," erklärte ich auf Grund der fragenden Blicke. "Etwas bitter, aber es wirkt belebend. Das wird uns helfen, über den Nachmittag zu kommen." Dass es in Rom unbekannt und deshalb quasi unbezahlbar war, erwähnte ich nicht. Ich hatte ja ein paar Säcke aus Hàn mitgebracht. Das würde eine Weile halten. Nach dem Teetrinken gab ich noch allen die Möglichkeit, sich auf der Latrine zu erleichtern, bevor es dann weiterging.


    "Bildet mal einen Halbkreis mit euren Stühlen. Ich will euch etwas erklären." Nachdem alle im Halbkreis saßen, nahm ich in einem Stuhl im Zentrum des Halbkreises Platz, so dass mich alle sehen konnten. "Ich mag euch recht streng erscheinen. Das ist richtig, weil ich mir leider keine Geduld leisten kann. Um geduldig zu sein, muss man Zeit haben. Leider weiß ich nicht, wie viel Zeit wir haben, bis ich die Einladung zur Audienz erhalte. Also muss ich, leider, ungeduldig und sehr streng sein. Deshalb sind wir auch mehr als die zwölf, die ich brauche. Ich werde diejenigen auswählen, bei denen ich am ehesten glaube, dass alles so perfekt wie irgend möglich funktioniert. Echte Perfektion wird ein Mensch nie erreichen, aber wir sollten versuchen, so nah wir möglich heranzukommen." Ich machte eine kurze rhetorische Pause. "Warum mir das wichtig ist, werdet ihr euch sicher fragen. Ich wurde vom Kaiser von Hàn zum Beamten im dritten Rang ernannt. Das ist ein sehr hoher Rang und dieser Rang soll dazu dienen, dass ich als Gesandter von einem Kaiser zu einem anderen Kaiser die nötige Autorität habe. Und es gehört zu meiner Aufgabe, die Geschenke nach serischem Ritus zu übergeben. Natürlich bin ich der einzige hier in Rom, der diese Riten kennt. Wem sollte also auffallen, ob sie korrekt ausgeführt werden oder nicht?" Wieder machte ich eine rhetorische Pause. "Nun, ganz einfach. Mir würde es zum Beispiel auffallen. Ich habe aber einen Befehl auszuführen, und ich werde ihn ohne erkennbaren Makel ausführen. Denn auch der ewige Himmel und die Götter der Welt sehen uns, und sie sehen, ob ich einen Fehler zulasse. Wie könnte ich je wieder nach Hàn zurückkehren, wenn ich mich vor mir selbst schämen müsste? Nein, es ist keine Option, hier nachlässig zu sein. Ein Befehl ist ein Befehl. Die Riten sind die Riten. Nachlässig zu sein, nur weil es niemand bemerkt, das bedeutet, dem Chaos Tür und Tor zu öffnen. Denn es beginnt mit kleinen Nachlässigkeiten, bis man sich daran gewöhnt. Ohne es zu bemerken, nimmt man dann auch größere Nachlässigkeiten hin und immer größere. So wird es dann unmöglich, die Ordnung der Welt zu fördern. Bin ich mir selbst gegenüber nachlässig, dann bin ich auch anderen gegenüber nachlässig. Wenn ich bei der Erledigung einer Aufgabe nicht die nötige Sorgfalt zeige, dann zeige ich sie auch nicht bei anderen Aufgaben. Selbstdisziplin sorgt dafür, dass man sich selbst verbessert. Und wenn man sich selbst verbessert, dann verbessert man irgendwann auch seine Umgebung. Die Orte, die Menschen. Wenn alles und jeder in einen guten Zustand gebracht wird, dann kommt die Welt in Ordnung. Und wenn die Welt in Ordnung ist, dann gibt es keine Kriege mehr und keine Verbrechen. Und alle werden genug zum leben haben und niemand wird mehr unfrei sein. Ich hoffe, dass ihr nun besser versteht, warum wir das alles hier machen."

    Ich wagte es nicht, den Namen der Stadt auszusprechen, weil ich bei allen Versuchen, Parthisch zu sprechen, versagt hatte. Doch wusste ich es zu schätzen, dass sie mich korrigiert hatte. "Danke," sagte ich mit einer angedeuteten Verneigung. Dass meine Vermutung bestätigt wurde, und ihre Eltern keine Sklaven waren, betrübte mich, wenngleich ich es nicht zeigte. "In Hàn gibt es sehr viel weniger Sklaven als hier. Die allermeisten von ihnen sind verurteilte Verbrecher im Staatsbesitz oder Menschen, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten. Und fast alle werden irgendwann freigelassen. In dieser Hinsicht ist Hàn zivilisierter als Rom." Auch, wenn ich zu Beginn noch ganz klar zu Amytis sprach, waren meine letzten Worten nachdenklich, leise und eher an mich selbst gerichtet. In diesem Moment hatte ich, nicht zum ersten Mal, ernsthafte Bedenken, was das Versklaven freier Menschen betraf, die sich nichts zu Schulden kommen gelassen hatten. Dass ich Amytis in diese Kategorie einordnete, mochte naiv sein. Immerhin kannte ich sie nicht. Doch konnte ich sie mir zumindest nicht als Kriminelle vorstellen. "Die Moirai haben dir einen schlechten Faden gesponnen. Hoffen wir, dass er im Laufe deines Lebens besser wird." Diese Worte meinte ich ernst, was vor allem aus der Art, wie ich sie sprach, erkennbar war. Schließlich verbeugte ich mich leicht, während ich leise "Danke für das Gespräch, Amytis," sagte.

    "Parthisch also. Ehrlicherweise spreche ich kein Wort dieser Sprache. Mein Freund Arpan hingegen hat die Sprache halbwegs verstanden, auch wenn er Skythe ist. Ich frage, wie es ihm gerade geht." Dabei dachte ich an Arpan, den ich sehr zu schätzen gelernt hatte. "Den Ort Dinavar kenne ich nicht. Zumindest erinnere ich mich nicht. Ich bin über Dura Europos und Babylon bis ans östliche Ende des Partherreichs, nach Margus... Margusch..." ich zog entschuldigend die Schultern hoch. "Parthisch liegt mir wirklich nicht. Die Seleukiden nannten den Ort Antiochia in Parthien. So bin ich jedenfalls durch das Partherreich gereist, bevor ich anschließend durch Kuschana weiter nach Osten reiste. Leider kam ich nicht dazu, mir allzuviel anzusehen. Die Karawane, mit der ich reiste, hatte kein Interesse an Stadtführungen." Kurz zeigte ich ein Lächeln. Dieses Lächeln war anders, als das höfliche Lächeln, welches ich zu zeigen pflegte. Es war ein ehrliches Lächeln, erinnerte ich mich doch gerne an die Reise zurück. Dann kam mir wieder in den Sinn, was Amytis gesagt hatte, oder eher, wie sie es gesagt hatte. "Deine Eltern sind keine Sklaven, oder?" Kurz hielt ich inne, bevor ich hinzufügte "Du brauchst die Frage nicht zu beantworten, falls du sie als zu persönlich empfindest."

    Ich noch mehrfach die Verbeugung üben. Die Form wurde besser, doch merkte man auch, dass bei vielen die Kraft nachließ. Als es dann Mittag war, ordnete ich eine Pause an. Der ältere Sklave, für den sich die junge Sklavin eingesetzt hatte, bat mich, ihn zu entlassen. Ich bat ihn, noch am Mittagessen teilzunehmen und mir danach mitzuteilen, wie er sich entschieden hatte. Wie sich zeigte, hielt er an seiner Entscheidung fest. Auf Grund seiner Selbsterkenntnis gab ich ihm einen zusätzlichen denarius als Peculium.


    Als Mittagessen gab es leicht gesalzene puls aus Emmer. Dazu gab es Schüsseln mit Gemüse, Früchten, Honig und Gewürzen, so dass sich jeder seine puls nach eigenem Gusto anrichten konnte. Unter anderem gab es Datteln und als Gewürze standen auch gemahlener Koriander, Zimt und Pfeffer zur Verfügung. Ich selbst erhielt eine Schüssel mit Reis, den ich mit ein wenig Zimt verfeinerte. Die Sklaven erhielten je einen Löffel zum Essen, während ich meine Speise mit bronzenen Essstäbchen zu mir nahm, wenngleich mir bewusst war, dass Reis traditionell eigentlich mit der Hand gegessen wurde.


    Ich hatte Stühle ins Atrium bringen lassen, damit sich die Sklaven setzen konnten, um ihren Rücken zu entlasten. Während wir speisten, winkte ich Amytis zu mir, weil mir endlich eine Erkenntnis gekommen war. "Amytis, ich denke die ganze Zeit schon über deine Sprachmelodie nach. Irgendwo hatte ich diesen Klang schon einmal gehört. Ist das ein leichter skythischer Akzent? Vielleicht Parthisch?"

    Ich nickte Sporus zu. "Gut so." dann wandte ich mich an alle. "Macht euch keine Gedanken darum, ob ihr synchron, also alle gleichzeitig, seid oder nicht. Das Ziel für heute ist die korrekte Haltung bei der Verbeugung. Um den Rest kümmern wir uns in den nächsten Tagen. Dabei werden wir auch eure Muskeln aufbauen, damit die Verbeugung problemlos eine Weile gehalten werden kann. Qǐng xínglǐ!" Dabei ging ich wieder ans Ende der ersten Reihe.

    Natürlich hatte ich es mitbekommen. "Píng shēn!" rief ich laut vernehmbar. Und nachdem sich alle aufgerichtet hatten, ging ich zu Sporus und stellte mich direkt vor ihn. "Weiter geradeaus blicken," sagte ich mit ruhiger, emotionsloser Stimme. "Du warst nicht synchron. Das ist nicht schlimm, dafür üben wir. Aber du hast gesprochen, ohne, dass ich dir das Wort erteilt hätte. Erste und einzige Warnung. Verstanden?"

    Ich nickte Amytis zu. "Gut, sehr gut."


    Inzwischen fingen die ersten an, zu zittern. "Euer Verstand sagt euch, dass ihr nicht mehr könnt. Euer Verstand sagt euch, dass ihr euch aufrichten solltet. Glaubt mir, euer Verstand irrt sich. Ihr habt noch Reserven." Genau beobachtete ich, wie immer mehr Sklaven gegen die Ermüdung ihrer Muskeln ankämpften. "Nur noch ein wenig länger." Ich ließ noch ein paar Augenblicke verstreichen, bevor ich laut und deutlich die erlösenden Worte sprach. "Píng shēn!" Alle richteten sich wieder auf, manche schneller, manche langsamer. "Gerade stehen!" befahl ich. "Den Rücken gerade halten!" Dabei schritt ich die erste Reihe wieder ab und korrigierte hin und wieder die Haltung. Als ich am Ende ankam, blickte ich noch einmal über die Reihe. "Pause!" Man konnte die Erleichterung auf den Gesichtern sehen. Und bei einigen auch Zweifel, ob sie es schaffen würden. "Trinkt einen Schluck Wasser, esst etwas Obst. Versucht, eure Muskeln zu entspannen. Wir werden das heute noch ein paar Mal wiederholen. Eure Muskeln müssen passend aufgebaut werden."


    Eine junge Sklavin kam auf mich zu und meinte, dass ich zu viel verlangen würde. Der ältere Sklave neben ihr hätte starke Rückenschmerzen gehabt. Das gab mir eine Idee. Kurz flüsterte ich Begoas etwas zu, der daraufhin in Richtung der Unterkünfte der Herrschaften verschwand. Nach kurzer Zeit kam er mit meinem prachtvollen serischen Schwert zurück. Ich stellte mich in etwas Abstand zu den Sklaven hin. "Alle mal herschauen, ich muss euch etwas zeigen. Mir wurde gesagt, dass ich zu viel verlangen würde. Seid gewiss, dass ich nichts verlange, was ich selbst nicht auch beherrsche." Ich zog das Schwert aus der Scheide, die in den Händen von Begoas blieb. Das goldene Rautenmuster auf der Klinge glänzte im Licht. In einer fließenden Bewegung stellte ich mich auf mein linkes Bein, während ich das recht Knie anzog, bis mein rechter Fuß auf Höhe des linken Knies war. Gleichzeitig streckte ich den linken Arm seitwärts aus, wobei Zeige- und Mittelfinger der linken Hand zusammenlagen und nach oben zeigten, während die restliche Hand eine eine Faust war. Den rechten Arm hielt ich so, dass das Schwert über meinem Kopf nach links zeigte und auch meinen Blick richtete ich nach links. Ich verharrte in dieser Pose, auf einem Bein, für fast zehn Minuten. Ja, nach fünf Minuten zitterte ich auch leicht und Schweißperlen formten sich auf meiner Stirn, doch blieb mein Gesicht gelassen und der Blick war stur auf ein Ziel knapp einen passus vor meiner linken Hand gerichtet, wenngleich dort nur Luft war. Am Ende stellte ich in einer fließenden Bewegung meinen rechten Fuß wieder auf den Boden, während ich den linken Arm zurückzog und mein Schwert in der rechten Hand so drehte, dass es von hinten an meinem rechten Arm lehnte. "Ich verlange nicht, dass ihr auf einem Bein steht. Ich verlange nur eine Verbeugung. Wenn ich so etwas schaffe, werdet ihr doch wohl eine Verbeugung schaffen, oder?" Als Begoas mir die Schwertscheide präsentierte, steckte ich die Klinge mit einer fließenden Bewegung wieder zurück. Er brachte die Waffe wieder außer Sichtweite und an ihren Platz in meinem Cubiculum zurück und kam anschließend mit einem Baumwolltuch zu mir. Ich nahm das Tuch und tupfte mir den Schweiß von der Stirn, um es anschließend mit einem "Danke" und einer kaum merklichen Verbeugung wieder an Begoas zu reichen.


    Anschließend ging ich zu dem Tisch mit dem Wasser und nahm mir, so wie es die meisten Sklaven auch getan hatten, einen Becher mit Wasser, den ich in kleinen Schlucken austrank, um anschließend wieder an meinen Platz vor den Sklaven zu gehen. "Die Pause ist vorbei, alle wieder aufstellen. Amytis, stell dich bitte wieder neben die zweite Reihe." Ich gab allen einen kurzen Moment, bis sie wieder an ihrem Platz waren, und sagte dann laut "Qǐng xínglǐ!"

    Nach dieser Zustimmung aller ging ich an die Seite der ersten Reihe, so dass ich alle in einer Reihe stehen sah. Gleichzeitig signalisierte ich Amytis, sich so neben mich zu stellen, dass sie die zweite Reihe so im Blick hatte, wie ich die erste. Nachdem sie an ihrem Platz war, rief ich deutlich vernehmbar, aber nicht so laut, dass man es als unangenehmes Schreien wahrnehmen würde "Qǐng xínglǐ!" Dabei zog ich die letzte Silbe etwas in die Länge. Nachdem ich geendet hatte, verbeugten sich alle nach vorne, auch wenn dort niemand stand. Es war sogar halbwegs synchron.


    Sorgsam blickte ich über die erste Reihe. Ich erkannte, dass sich jemand zu gering verbeugte. Und ich erkannte, dass drei Rücken bei der Verbeugung nicht gerade waren, sondern gebogen. Zunächst ging ich zu dem Sklaven, der sich nicht tief genug verbeugte. Mit sanftem Druck auf seine Schultern sorgte ich dafür, dass er sich tiefer verbeugte, bis die richtige Tiefe erreicht war. "Genau so bleiben. So ist es richtig," sagte ich mit ruhiger, sanfter Stimme. Dann ging ich zum ersten Sklaven, der den Rücken nicht richtig streckte. Ich drückte den Rücken etwas durch und legte gleichzeitig meine andere Hand auf sein Brustbein, damit dieser Teil nicht tiefer hinab gedrückt wurde. Irgendwann war der Rücken gerade. "So bleiben. Du musst diese Muskeln," dabei tippte ich auf Rückenmuskeln, "anspannen." Bei den anderen beiden wiederholte ich dieses Vorgehen.


    Langsam ging ich die Reihe entlang und betrachtete jeden einzeln. Hier und da korrigierte ich die Haltung. Mit der Zeit fiel es den meisten Sklaven schwerer, die Verbeugung zu halten. Das merkte ich daran, dass ich mehr korrigieren musste. "Wie sieht es in der zweiten Reihe aus, Amytis?" fragte ich ruhig.

    "Gut. Nachdem das geklärt ist, müssen wir natürlich auch zu einem geordneten Ende der Verbeugung kommen. Die Anweisung hierzu lautet píng shēn. Das bedeutet wörtlich in etwa Körper aufrichten. Wie bei dem Befehl zur Verbeugung warten wir auch hier einen halben Atemzug nach dem Ende der Silbe shēn und richten uns dann wieder auf. Ich erwarte, dass danach jeder gerade steht, so wie ich jetzt, und den Blick nach vorne richtet." Dann wandte ich mich an die Sklavin. "Amytis, du wirst dich nicht mit verbeugen, sondern dich seitlich neben die zweite Reihe stellen und darauf achten, wie sich alle in der zweiten Reihe verbeugen. Wenn du siehst, dass jemand den Rücken nicht gerade hält, sich zu tief oder nicht tief genug verbeugt, wirst du hingehen und die Haltung kontrollieren. Ich werde mich in gleicher Weise um die erste Reihe kümmern und direkt neben dir stehen, falls du Fragen hast." Dabei schenkte ich ihr ein kurzes, freundliches Lächeln. Anschließend schweifte mein Blick über alle Anwesenden und ich fragte "Gut, wollen wir mit dem Üben anfangen?"

    "Danke, Amytis." Ich würde mir den Namen der Sklavin merken. Sie war im Moment ganz oben auf meiner Kandidatenliste für die Audienz. "Nachdem wir nun die grundlegenden Regeln festgelegt haben, wollen wir die Verbeugung noch ein paar Mal üben. Amytis, du beherrschst die Verbeugung bereits sehr gut. Tu mir den Gefallen und helfe der zweiten Reihe dabei, auf ihre Haltung zu achten. Und damit hier die Form gewahrt bleibt, werden wir uns nicht einfach so nach Belieben verbeugen. Der Befehl, wenn man es denn so nennen mag, für die Verbeugung lautet qǐng xínglǐ. Der Form nach ist es eine höfliche Bitte, sich zu verbeugen. In der Realität ist es im Reich Hàn ein Befehl, dem man besser Folge leistet. Er wird immer dann gegeben, wenn entweder Synchronität bei der Verbeugung vieler Menschen hergestellt werden soll, oder wenn befürchtet wird, dass nicht erkannt wird, dass die Situation eine Verbeugung erfordert. Wenn ich also qǐng xínglǐ sage, dann verbeugen sich alle. Und zwar direkt nach der Silbe , verstanden?" Wie kurz zuvor besprochen, sah ich jeden Sklaven kurz an. Alle hatten genickt, bis sich einer verbeugte. "Du hast eine Frage?"


    "Ja, Herr Juntzi, was heißt Synchro... Synchro... das Synchrodingsda?" fragte der Sklave.


    "Synchronität herstellen bedeutet, dass alle die gleiche Bewegung zur genau gleichen Zeit machen," erklärte ich mit sanfter Stimme. "Noch Fragen?" Ich sah wieder jeden einzeln an.

    Woher kam mir diese Sprachmelodie bekannt vor? Ich kam nicht darauf, aber es würde mir sicher irgendwann wieder einfallen. Die Frage gab mir hingegen zu denken. Ich dachte mir, dass es eigentlich allen klar wäre, dass bei einer Verbeugung bei einer Frage klar war, dass keine Verbeugung folglich heißen musste, alles verstanden zu haben. Andererseits musste das Fehlen einer Frage nicht heißen, dass alles verstanden wurde. Es konnte auch Schüchternheit sein. Und manchmal wusste man auch nicht, welche Frage man stellen sollte, weil man so wenig verstanden hatte, dass die Unkenntnis der Sache zur Unmöglichkeit der Frage wurde. Ihre Frage war also durchaus berechtigt, befand ich. "Ehrlicherweise habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Ich danke dir für deine Frage und entschuldige mich für meine mangelnde Sorgfalt." Ich verneigte mich leicht. Das war für einen Römer ungewöhnlich und gegenüber Sklaven noch ungewöhnlicher, doch stand ich hier nicht als Römer, sondern als Serer. Ich dachte in Ruhe nach. Ein echter Gelehrter füllte Denkpausen nicht mit sinnlosem Gemurmel, deshalb herrschte für diesen Moment völlige Ruhe. Oder fast völlige Ruhe, denn aus dem Garten konnte man einen Vogel zwitschern hören. "Wir werden folgendermaßen verfahren. Wenn ich etwas erklärt habe, dann werde ich euch einen Moment Zeit geben, darüber nachzudenken. Danach werde ich euch ansehen, einen oder eine nach dem oder der anderen. Ihr werdet mich natürlich auch ansehen müssen, damit ihr seht, wen ich ansehe. Wer alles verstanden hat, wird bei Blickkontakt kurz nicken. Wer eine Frage oder Anmerkung hat, wird sich, wie zuvor erklärt, verbeugen und darauf warten, dass ich das Wort erteile. Wer weder nickt, noch sich verbeugt, hat folglich nicht alles verstanden und ist auch nicht fähig, eine Frage zu formulieren. Das werde ich dann zum Anlass nehmen, eine andere Erklärung der gleichen Sache zu geben. Ich könnte auch diejenigen, die es verstanden haben, bitten, es zu erklären. Das klappt meistens ohnehin besser." Während ich sprach, schweifte mein Blick über alle Anwesenden. Am Ende sah ich aber wieder zu Amytis. "Du hast zur Verbesserung dieser Unterweisung beigetragen. Wie ist dein Name?"

    Mein Blick fiel auf die Sklavin, die sich verbeugte. Sie war jung und hübsch. Doch waren das keine relevanten Eigenschaften. Ihre Haltung bei der Verbeugung war quasi perfekt. Und sie war diszipliniert. Das war relevant. "Du möchtest etwas sagen?" fragte ich mit sanfter Stimme. "Bitte, erhebe dich und sprich frei heraus." Meine Höflichkeit war nicht gespielt. Der Edle, wie der schon lange verstorbene Kǒng Fūzǐ das Ideal des weisen Menschen nannte, erwies auch den Niederen Respekt und behandelte sie höflich. Diesem Ideal galt es, nachzueifern. Aus Handeln würde Gewohnheit werden und aus Gewohnheit schließlich Erkenntnis.

    Es folgte noch ein weiteres Dutzend Sklaven, die innerhalb der nächsten Minuten eintrafen. Schließlich betrat Araros den Raum. Der schmächtige alte Mann war zwar als Sklave zu erkennen, strahlte als Maiordomus aber zugleich eine gewisse Autorität aus. Kurz räusperte er sich, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu ziehen. Er sprach dann mit seiner angenehmen Stimme. "Salvete. Ich grüße euch alle und freue mich, dass eure Herren dem Herrn Tacitus helfen. In den nächsten Wochen werdet ihr in den nötigen Sitten unterwiesen, um den Herrn als Diener bei einer Audienz zu unterstützen. Wie ihr sicher erkennen könnt, seid ihr deutlich mehr als zwölf. Es werden aber nur zwölf Sklaven benötigt. Das bedeutet, dass nur die besten von euch an der Audienz teilnehmen werden. Gebt euer Bestes, dass werdet ihr unseren Kaiser sehen dürfen. Und jetzt stellt euch bitte in zwei Reihen auf. Lasst einen passus zwischen der hinteren und der vorderen Reihe Platz. Größere Sklaven nach hinten, kleinere nach vorne. Es soll ja schließlich jeder und jede gesehen werden." Araros wartete, bis alle sich passend aufgestellt hatten, bevor er weitersprach. "Gut. Wenn ich es euch sage, werdet ihr euch verbeugen. Ich erkläre euch, wie. Nehmt die rechte Hand vor den Bauchnabel. Handfläche nach innen, Finger ausgestreckt und zusammen. Danach legt ihr die linke Hand genauso auf die rechte Hand. Und dann einfach nach vorne beugen, bis der Oberkörper parallel zum Boden ist. Das heißt, dass der Oberkörper am besten an jeder Stelle gleich weit vom Boden weg ist. Wenn ihr euch verbeugt, schaut ihr nach unten. Egal, was passiert, der Blick bleibt nach unten gerichtet. erst, wenn euch jemand etwas anderes sagt, dürft ihr nach oben blicken. Alles verstanden?" Dabei schweifte sein Blick über die Anwesenden. Da er den einen oder anderen fragenden Blick sah, nahm er das als Frage an. "Ich meine das so." Er führte die Verbeugung vor. Dann drehte er sich zur Seite und führte die Verbeugung noch einmal vor. "Alles klar? Gut so."


    Nachdem er mit seinen Ausführungen fertig war, wartete er kurz und sah Begoas, der ihm ein Zeichen gab. "Alle verbeugen!" rief er deutlich vernehmbar.


    Kurz darauf betrat ich den Raum. Begoas war von mir angewiesen worden, Araros zu signalisieren, dass ich auf dem Weg war. Natürlich war ich in der seidenen Gelehrtengewandung aus Serica gekleidet. Das schwarze Obergewand wehte leicht, während ich schnellen und doch leisen Schrittes ins Atrium ging. Ich sah mir die Gruppe an und nickte Araros kurz zu. Dann Schritt ich die Reihen ab. Vor jeder Sklavin oder Sklaven blieb ich kurz stehen, bevor ich weiterging. Schließlich schritt ich auch die zweite Reihe ab. Danach ging ich wieder nach vorne und blieb in drei Schritt Abstand stehen. "Erhebt euch." Ich zeigte auf zwei der Anwesenden Sklaven. "Du und du. Ihr habt mich angesehen, als ich vor euch stand. Ich danke euch für eure Anwesenheit, doch kann ich mit euch nicht arbeiten, wenn ihr selbst eine so einfache Anweisung nicht fehlerfrei ausführen könnt. Meldet euch bei der Porta ab. Dort werdet ihr die zwei Denare für eure Herren erhalten und aus der Liste gestrichen. Valete bene." Ich blieb regungslos und sehr gerade stehen, während die beiden Sklaven das Atrium verließen. Nachdem sie gegangen waren, sprach ich weiter. Meine Stimme war sanft, aber ich hatte in Serica gelernt, trotz sanfter Sprache mit Autorität aufzutreten. "Liebe Sklavinnen und Sklaven, ich stehe vor euch als Gesandter des Reiches Hàn. Das ist der Name, den Serica bei seinen Einheimischen trägt. Da ich hier als Gesandter auftrete, werdet ihr mich so ansprechen, wie es mir in Hàn zusteht. Ihr nennt mich entweder Yúnshǐ, was 'Gesandter Yún' bedeutet, oder Yúnzǐ, was 'Meister Yún' bedeutet. In Hàn wurde mein nomen gentile zu Yún verkürzt. Wenn ihr Probleme mit der Aussprache habt, ist das erst einmal nicht schlimm. Das muss nicht auf Anhieb klappen. Damit alles reibungslos funktioniert, werden wir ein paar Regeln benötigen, an die sich alle halten. Wenn jemand eine Frage an mich hat oder sonst etwas sagen möchte, wird sich diese Person kurz verbeugen und dann darauf warten, dass ich ihn oder sie bitte, zu sprechen. Dann wird kurz vorgetragen, worum es geht. Ich werde danach entscheiden, wie weiter verfahren wird. Wenn ich eine Pause verkünde, könnt ihr euch im Atrium frei bewegen und miteinander unterhalten. Wenn ich das Ende der Pause verkünde, werdet ihr euch wieder hier aufstellen, wie gerade jetzt, und dann kurz verbeugen. Haben das alle verstanden?" Meine Stimme war weiterhin sanft, doch zeigte ich keine Emotionen. Ich stand kerzengerade da, die Arme in meinen weiten Ärmeln verschränkt, und wartete auf Fragen.

    Begoas führte die Neuankömmlinge ins Atrium. Gut ein Dutzend Sklavinnen und Sklaven war bereits versammelt, die in kleinen Grüppchen zusammen standen. Malachi, der ehemalige Gladiator und Custos Corporis stand in der Nähe des Tablinums und passte auf, dass sich alle benahmen. Am Rand des Atriums stand ein Tisch mit Tonbechern und Wasserkrügen. Die Sklaven konnten sich daran bedienen, worauf sie hingewiesen wurden, wenn Begoas sie hineinführte. Ansonsten gab es zunächst keine Befehle oder Regeln, die den Sklaven mitgeteilt wurden. Ein paar der anwesenden Sklaven nutzten das, um sich miteinander über ihre Herren auszutauschen, andere standen etwas verloren da und versuchten, aus der Situation das Beste zu machen.

    Aias hatte Dienst an der Porta und öffnete die Tür. Er musterte die beiden einen Moment lang mit seinen Blicken. "Seid ihr Sklaven und meldet euch zur Unterweisung an? Wenn ja, wie lauten eure Namen und wer ist euer Herr?" Dabei öffnete er eine Wachstafel, ließ die beiden aber nicht aus den Augen.

    "Mit fremdem Eigentum gehe ich immer besonders pfleglich um." Das Augenzwinkern und hämische Grinsen ignorierte ich. Mit einem kräftigen Händedruck besiegelte ich das Geschäft, während ich im Kopf durchzählte, auf wie viele Sklaven ich jetzt kam. Mehr als zwanzig, das musste reichen, um noch ein wenig aussieben zu können. "Deine Sklaven sollen sich am nächsten dies Iovis in der Domus Iunia einfinden." Ich wartete, ob Pinus noch etwas sagen wollte. Falls nicht, würde ich mich höflich verabschieden.