Der Kult der Magna Mater stellte eine Paradoxie dar: Aus dem fernen Osten war die große Göttin einst nach Rom gebracht worden, ihr dienten entmannte Priester und extatische Weiber und sie selber galt den Mythen zufolge als einem Zwitterwesen entsprungen. Und dennoch pflegten insbesondere die Patrizier, jene uralten Geschlechter, die sich einer Nobilität zurechneten, die schon hatte existiert, ehe plebejische Emporkömmlinge in sie aufgerückt waren, ihre Verehrung. Tatsächlich war sie erst während der Kriege gegen Hannibal nach Roma gekommen, als in höchster Not die Libri Sibyllini befragt wurden und diese die folgenreiche Mahnung Dir fehlt die Mutter; drum such – ich befehl es dir, Römer – die Mutter verkündet hatten. Schon damals hatte ihren schwarzen Stein niemand geringeres als Claudia Quinta, die keusche Matrone aus dem noch immer blühenden Geschlecht der Claudier, in die Stadt getragen, doch besonders der Umstand, dass sie, jene fremde Göttin aus Asia Minor, auch dem göttlichen Aeneas schon beigestanden war, dass sie gar als eine Schutzherrin der Trojaner und damit der Ahnen aller Römer gewesen war, erklärte wohl ihre traditionell hohe Reputation in höchsten römischen Kreisen.
Dies war auch der Grund, warum das Fest ihrer Ankunft in Rom, die Megalesia, traditionell den Aediles Curules zufielen, die zu dieser Festivität Lustbarkeiten aller Art veranstalteten. Als Auftakt der Feiertage waren jedoch zunächst die Kultakte zu vollziehen, die in ihrer Fremdartigkeit selbst im mondänen Rom ins Auge fielen: Die festliche Prozession vom Tempel der Göttin auf dem Palatin wurde von den Galloi angeführt, jenem orientalischen Kult-Collegium der Kybele, dessen Ruf an Exotik kaum war zu übertreffen. Es handelte sich um Männer, die in wallenden, gelb gefärbten Frauenkleidern ihren Kult vollzogen, auf dem Kopf langes, gebleichtes Haar, sowie einen Turban mit einer Krone darauf, das Gesicht geschminkt, geschmückt mit güldenen Armreifen, Anhängern und Ohrringen. Den größten Schauder indessen verbreiteten die Geschichten, dass diese Priester sich beim Eintritt in das Collegium an einem Dies sanguinis genannten Tag rituell selbst entmannten, ehe sie nach Fasten und Selbstkasteiung endlich mit Freuden neugeboren und der Göttin geweiht wurden. Obschon die Praxis der Selbstkastration für freie Männer bereits seit vielen Jahren war verboten, hielten hartnäckig sich die Gerüchte, dass nicht wenige jener fremdartigen Priesterschaft der Tradition im Geheimen folgten und so fragten wohl auch zahlreiche Zuschauer dieser alljährlichen Prozession am ersten Tage der Ludi Megalenses, ob unter den weiten Stoffbahnen der bettelnden Galloi noch eine Mannbarkeit sich verbarg oder nicht.
Lange bereiteten sich die Galloi, aber auch die vielen Anhänger der Großen Mutter in der Stadt auf diesen Tag vor: Der ganze Martius war geprägt von dem alljährlichen Festzyklus, in dem der Mythen um Kybele und ihren Geliebten Attis gedacht und sie nachvollzogen wurden: So fällten die Galloi einige Tage vor den Ludi eine Pinie und brachten diese als Symbol für den getöteten Attis in den Tempel, beklagten darauf seinen Tod bis zu dem legendären Dies sanguinis. An diesem Tag peitschten und ritzten sich die Galli und tanzten sich in Ekstase, um ihr Blut der Großen Mutter zu opfern. Die folgenden Tage feierten dann die Auferstehung des Geliebten der Kybele in den Hilaria, ehe zum Abschluss des Märzfestes das Kultbild der Göttin in feierlicher Prozession zum Bach Almo gefahren und dort gewaschen wurde.
Dieses Kultbild war es auch, das heute im Zentrum der feierlichen Prozession von Palatin zum Circus Maximus stand: Es war eine thronende Silber-Statue der Göttin, deren Leib aus einem schwarzen, glänzenden Stein bestand und die bereits auf dem Berg Ida in Phrygien das Objekt des Kybele-Kults gewesen war, ehe man sie während der Punischen Kriege nach Rom gebracht hatte. Den Anfang bildeten jedoch junge Tänzer, die Korybanten, die nackt waren, gefiederte Helme, schimmernde Bronze-Schilde und Schwerter trugen und diese im rituellen Tanz immer wieder zusammenschlugen. Ihnen folgten die Aurigae, die am letzten Tag der Festivitäten sich im Circus messen würden und sich heute in ganzer Pracht mit ihren Gespannen präsentierten. Danach folgten junge Frauen, die Rosenblätter verstreuten, ehe die Schar der Galloi sichtbar wurde, die mit Weihrauchgefäßen singend den Wagen der Göttin geleiteten. Dieses prunkvoll verzierte Gefährt wurde von zwei zahmen Löwen gezogen. Obenauf saß die Große Mutter mit starrem Blick, das Haupt mit einer Mauerkrone geziert, und lauschte den Zymbel- und Tympanonspiel ihrer Priester. Einige der Galloi waren auch mit Bettelschalen ausgestattet, um an diesem Tage ausnahmsweise Spenden für ihren Kult zu sammeln. Dahinter folgte auf einem zweispännigen Wagen der Aedilis Curulis Manius Flavius Gracchus Minor als Spielgeber, der am heutigen Tag auch als Opferherr für den Staatskult fungierte.